Am kommenden 20. August jährt sich zum 100. Mal der Todestag Papst Pius X. Außerdem wird jedes Jahr am 3. September der Festag des Heiligen begangen. Insofern bietet es sich also gerade in diesen Tagen an, die sehr kompakten „Erinnerungen und Eindrücke“ von Rafael Kardinal Merry del Val zu lesen, wie sie vom „Sarto Verlag“ nachgedruckt wurden. Merry del Val war Staatssekretär während der Regierung Pius X. und entsprechend bestens ausgerüstet, seine persönlichen Erfahrungen mit dem großen Papst für die Nachwelt festzuhalten. Erstmalig waren sich Merry del Val und der damalige Patriarch von Venedig beim Konklave begegnet, als er in seiner Funktion als Sekretär des Konklaves Kardinal Sarto ermutigte, den Widerstand gegen seine Wahl zum Papst aufzugeben. „Ich zog mich zurück. Doch nie mehr konnte ich den tiefen, unauslöschlichen Eindruck vergessen, den ich bei meiner ersten Begegnung mit dem Kardinal-Patriarchen von Venedig empfing. Es war wohl das erste Mal, daß ich in die Nähe des Kardinals kam, aber ich hatte gleich das Gefühl, bei einem Heiligen gewesen zu sein.“
Zunächst übergangsweise Staatssekretär, dann schließlich fest zu diesem Amt bestimmt, begegnete Rafael Kardinal Merry del Val dem Heiligen Vater beinahe täglich. So lernte er einerseits die große Güte und Liebenswürdigkeit Pius X. schätzen, andererseits aber auch dessen Festigkeit und Willensstärke. „Ihm war die vollendetste Selbstbeherrschung eigen, da er es verstand, die Regungen seines feurigen Testamentes im Zaune zu halten. Gerne gab er in unwesentlichen Dingen nach und war stets bereit, die Ansicht anderer in Erwägung zu ziehen und anzunehmen, falls es sich nicht um prinzipielle Fragen handelte.“
Als Kardinalsstaatssekretär hatte Merry del Val natürlich auch viel mit Botschaftern und Diplomaten zu tun. Vor diesem Hintergrund kann er aus erster Hand berichten, wie beeindruckt sie von dem Papst waren, der lange Jahre ein „einfacher Landpfarrer“ gewesen war. „Die tiefe Verehrung und Hochschätzung für Pius X. nahm nicht ab, sondern steigerte sich noch im Laufe der Zeit bei den Gliedern der Diplomatischen Corps.“
Weitere Kapitel beschäftigen sich zum Beispiel mit der Bildung Pius X., mit seinem Verhältnis zu Kunst und Kirchenmusik, der von ihm angestoßenen Reform des kanonischen Rechtes sowie seiner aufrechten Demut. Natürlich darf ein kurzer Blick auf den Ausbruch des Ersten Weltkriegs nicht fehlen, dessen Zeuge Papst Pius X. in den letzten Wochen seines Lebens noch werden musste. Laut Merry del Val rechnete der heilige Papst bereits geraume Zeit vorher mit einem großen Krieg und machte entsprechende Andeutungen: „Schon von 1911 und 1912 an sprach der Heilige Vater oft mit mir über den nahenden Konflikt, und mehr als einmal äußerte er sich in einer Weise, die überraschen mußte.“
Die Relevanz einer soliden Beschäftigung mit dem Leben und Wirken von Papst Pius X. drückt niemand besser aus als der Erzbischof von Florenz, Elia Kardinal Dalla Costa, in seinem Vorwort, das immerhin bereits 1949 verfasst wurde: „[Die Ausführungen von Merry del Val] werden hoffentlich besonders vom Klerus gelesen. Weisen doch unsere Tage viel Ähnlichkeit auf mit den stürmischen Zeiten Pius X. Auch damals waren viele Geister besessen von der Sucht nach Neuerungen und Reformen im Schoße der Kirche selbst, und mehrere ließen sich zu bedauerlichen Verirrungen hinreißen. Auch heute wird viel gesprochen von Bedürfnissen der neuen Zeit und von der Notwendigkeit entsprechender Neuerungen für den Klerus. Ich glaube jedoch, wir dürfen die Schule, die Pius X. der Welt, besonders dem Klerus, erschlossen hat, nicht verlassen.“
Text: M. Benedikt Buerger
Bild: Verlag