(Rom) Schon seit etlichen Tagen hängt mitten in der norditalienischen Stadt Ferrara ein großes Transparent mit dem arabischen Buchstaben N für Nazarener. Mit diesem Symbol kennzeichnen die Islamisten im Nordirak die Häuser der Christen, die vertrieben werden sollen. Das Transparent mit dem unübersehbaren Hinweis auf das Schicksal der verfolgten Christen im Nahen Osten hängt am Hauptplatz der Stadt an der Fassade des erzbischöflichen Palais. Veranlaßt hat die Aushängung der streitbare Erzbischof von Ferrara, Msgr. Luigi Negri, einer der profiliertesten katholischen Bischöfe Europas. Für den 15. August, dem Hochfest der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel hatte die Italienische Bischofskonferenz einen Gebetstag für die verfolgten Christen im Nahen Osten ausgerufen.
Am 14. August veröffentlichte Erzbischof Negri zum Hochfest Mariä Himmelfahrt einen Hirtenbrief zu den verfolgten Christen. Hier einige Auszüge:
„Das Zeigen des Brandzeichens, das den Anfangsbuchstaben des Wortes Nassarah (Nazarener) darstellt, das Wort, mit dem der Koran die Jünger von Jesus von Nazareth bezeichnet – das von den Milizen des selbsternannten Kalifen al-Baghdadi den ungläubigen Christen aufgezwungen wird, für die es keinen Platz im Islamischen Staat im Irak und der Levante gibt, außer den Übertritt zum Islam, die einer Kopfsteuer unterworfen sind, die die Zerstörung ihrer uralten Kultstätten und die Beschlagnahmung ihrer Güter erleiden – will öffentlich zum Ausdruck bringen, daß die Erzdiözese von Ferrara-Comacchio sich eins fühlt mit unseren Brüdern und Schwestern, die an ihren Körpern und in ihren Seelen die Wunden des Leidens und des Todes unseres Herrn tragen.
Während wir uns auf den Gebetstag (15. August) vorbereiten, damit der Frieden einkehrt – oder besser müßte man sagen, damit der Herr Jesus Christus ein Wunder schenkt, für das es menschlich gesprochen nicht die geringste Aussicht gibt – möchte ich, daß für die gesamte Diözese wahr würde, was Papst Franziskus mehrfach einforderte, daß es nicht nur ein „Sagen“ von Gebeten ist, sondern ein Beten mit der Ganzheit des Lebens und des Herzens. Daß es vor allem auch eine Bitte um Vergebung an Ihn ist, da unser Leben als westliche Christen ernsthaft schuldig ist im Sinne einer Mitverantwortung für das, was geschieht.
Diese Verantwortung kommt durch eine Naivität zum Ausdruck, die gelinde gesagt pathologisch ist. Man muß vom Dialog sprechen, sicher, aber man soll und kann dies nur tun, wenn man sich der eigenen Identität und der Komplexität des betreffenden Gesprächspartners bewußt ist. Es kann jedenfalls keinen Dialog um jeden Preis geben und er kann absolut nicht einen Rückzug der Christen aus dem Nahen Osten bedeuten.
Es müßte unser aller Wunsch sein, dort mit ihnen zu sein, um die Gegenwart, auch die zahlenmäßige Präsenz der Christen an den Orten zu stärken, wo die Kirche und die Christen seit zweitausend Jahren gegenwärtig sind und verfolgt werden. Bitten wir den Herrn, daß Er uns fähig macht, einen intelligenten Dialog aufzubauen und zu führen und nicht eine bedingungslose Kapitulation. Und bitten wir den Herrn auch, daß Er es uns gewährt, nicht nur die Flucht der Tausenden und Abertausenden unserer Brüder und Schwestern aufzuhalten, deren Schuld nur darin besteht, Christen zu sein wie die ersten Märtyrer, sondern soweit möglich ihre Präsenz dort zu stärken, die wir gar nicht anders bewerten können, denn als grundlegenden Beitrag zum Allgemeinwohl der gesamten Menschheit. Das ist die authentische Art, für den Frieden zu beten, der ein Geschenk des auferstandenen Christus ist: ‚Der Frieden sei mit euch‘. Alles andere ist nur ein leeres Gerede. Die Kirche braucht kein leeres Gerede und, soweit mir bekannt, auch Gott braucht es nicht.“
+Luigi Negri
Erzbischof di Ferrara-Comacchio und Abt von Pomposa
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Asianews/Erzdiözese Ferrara