(Rom) Rom erlebte gestern eine päpstlich verwaiste Fronleichnamsprozession. Der Vatikan gab durch Vatikansprecher Pater Federico Lombardi gestern eine kurzfristige Programmänderung für das Fronleichnamsfest bekannt. Während Italien das Fest Corpus Domini seit langem als Festtag abgeschafft hat und es daher in den italienischen Pfarreien am darauffolgenden Sonntag begangen wird, hielt der Vatikan am liturgischen Kalender fest. Das Hochfest mit Prozession wird allerdings am Abend des Fronleichnamstages vor der Patriarchalkirche San Giovanni in Laterano gefeiert.
Am Ende des von Papst Franziskus gefeierten Pontifikalamtes nahm der Papst aber nicht an der traditionellen Fronleichnamsprozession mit dem Allerheiligsten Altarsakrament teil. Stattdessen ließ sich der Papst, der in den vergangenen Monaten mehrere gesundheitliche Beschwerden der Überanstrengung hatte, direkt in einem Auto zur Patriarchalbasilika Santa Maria Maggiore bringen, um dort die Prozession, die von der einen zur anderen päpstlichen Basilika führt, zu erwarten. Papst Franziskus erteilte dort den feierlichen Segen. Die Prozession wurde vom Kardinalvikar Agostino Vallini angeführt, der den Papst in der Leitung der Diözese Rom vertritt.
Nicht-Teilnahme „opportun“ wegen Kalabrienbesuch
Offiziell gab Vatikansprecher Lombardi bekannt, daß der Papst „es für opportun gehalten hat, auf den langen Fußweg zwischen den beiden Basiliken mit Blick auf seine nächsten Verpflichtungen zu verzichten“, in besonderer Weise wurde dabei die Reise nach Cassano all’Jonio in Kalabrien genannt, die morgen stattfindet. „Risum teneatis“ kommentierte die Internetseite Messa in Latino.
Gleichzeitig, so der Vatikansprecher weiter, „bevorzugt es der Papst, nicht den Prozessionsweg in einem offenen Fahrzeug zurückzulegen, damit gemäß dem Geist des heute gefeierten Festes, die Aufmerksamkeit der Gläubigen vielmehr auf das ausgesetzte und in der Prozession mitgeführte Allerheiligste Sakrament konzentriert bleibt“. „Risum teneatis“ kommentierte Messa in Latino erneut. „Trotz dieser unglaublichen Verschleierung durch das Presseamt des Vatikans hofften wir vertrauensvoll und mit christlicher Hoffnung, daß der Heilige Vater, vielleicht etwas aufgerichtet durch ein bißchen Vitamine, im Jahr des Herrn 2014 zumindest auf dem letzten Stück der Prozession teilnehmen würde. Dem war leider nicht so!“
Mutter weinte: „Zum ersten Mal hat ein Papst seine Herde verlassen“
Eine Mutter stand mit ihren Kindern an der Via Merulana und weinte. Ein Fernsehteam von La7, dem die Szene aufgefallen war, befragte die Frau: „Der Papst ist der Fronleichnamsprozession ferngeblieben, während der Heiligen Messe ist er nie niedergekniet und nach der Messe vor Giovanni in Laterano hat er sich mit dem Auto verdrückt, um in Santa Maria Maggiore für den Segen wieder zu erscheinen… Ich bin Römerin, zum ersten Mal hat ein Papst seine Herde bei der Fronleichnamsprozession verlassen, ist dieser Papst so ‚demütig‘, daß er demütiger als Jesus Christus ist?“
Schwerkrank leidender Johannes Paul II. fehlte nie
Tatsächlich irritieren die Abwesenheit des Papstes und die dünne Begründung, die Vatikansprecher Pater Lombardi dafür lieferte. Vor allem scheint Papst Franziskus viel „demütiger“, um die Worte der römischen Mutter aufzugreifen, als seine Vorgänger. „Wer könnte sich nicht an Papst Johannes Paul II. erinnern, der körperlich schwer behindert, dennoch mit großer Hingabe Seinen Herrn in der Prozession durch die Straßen der Urbe anbetete. Oder Papst Benedikt XVI. mit seiner Gehschwäche, der nicht eitel verzichtete, sondern sich auf einem eigenen Gefährt in der Prozession fahren ließ, auf dem er kniend das Allerheiligste anbetete“, so Messa in Latino.
Wann kniet Papst Franziskus?
Tatsächlich stellt sich seit Beginn des Pontifikats die Frage, wann Papst Franziskus kniet. Eine offizielle Erklärung, weshalb der Papst bei der Wandlung vor dem Herrn keine Kniebeuge macht, ist bis heute nicht erfolgt. Franziskus kniet beim persönlichen Gebet, wenn er das Gnadenbild der Gottesmutter in Santa Maria Maggiore besucht, er kniete beim Gebet am 1. Juni im Fußballstadion in Rom, als er das Treffen der Charismatischen Gemeindeerneuerung besuchte und er kniet am Gründonnerstag bei der Fußwaschung von Menschen unterschiedlicher Konfession und Religion. Er macht keine Kniebeuge bei der Wandlung und kniet nicht vor dem eucharistischen Herrn. Einzige Ausnahme bisher war die Gebetsvigil für den Frieden den Syrien am 7. September 2013. Dort fand eine eucharistische Anbetung auf dem Petersplatz statt, an deren erstem Teil auch Papst Franziskus teilnahm. Dazu ließ er auch das Gnadenbild Salus Populi Romani aus Santa Maria Maggiore bringen, vor dem er knieend betet.
Der Besuch in Kalabrien und die Machtverschiebung in der Bischofskonferenz
Der auf einige Stunden beschränkte Besuch in Cassano dell’Jonio soll ein Ruf gegen die Mafia werden. Ein berechtigtes und für die betroffene Bevölkerung wichtiges Anliegen. Kann die „Bekämpfung“ der Mafia jedoch den ersten Pflichten des Papstes, der Anbetung Gottes vorgehen. Ist die Fahrt nach Cassano dell’Jonio wichtiger als das allerheiligste Altarsakrament? Dazu muß die Frage beantwortet werden, warum der Papst eigentlich nach Kalabrien fährt.
Am 28. Dezember 2013 ernannte Papst Franziskus den Bischof von Cassano dell’Jonio, Msgr. Nunzio Galantino zum neuen Generalsekretär der Italienischen Bischofskonferenz. Obwohl Franziskus nach seiner Wahl erklärt hatte, die direkte Abhängigkeit dieser Bischofskonferenz vom Papst, der automatisch den Vorsitz führt, abzukoppeln, griff er in den folgenden Monaten stärker und autoritärer in die Bischofskonferenz ein, als seine Vorgänger. Dazu gehört auch die Ernennung Msgr. Galantinos. Der Generalsekretär war bisher stets ein Vertrauensmann des vom Papst ernannten Delegaten, der ihn im Amt des Vorsitzenden vertritt. Bischof Galantino wurde jedoch vom Papst am noch amtierenden, von Benedikt XVI. ernannten geschäftsführenden Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Kardinal Angelo Bagnasco vorbei ernannt. Kardinal Bagnasco mußte aus den Medien von der Ernennung erfahren, die seiner faktischen Entmachtung gleichkommt. Der neue starke Mann der Italienischen Bischofskonferenz, der Mann des Papstes, ist Bischof Nunzio Galantino. Galantino selbst fiel bisher vor allem negativ auf. Er scheint umstrittene Aussagen und Gesten von Papst Franziskus wörtlich zu nehmen. Anfang Mai distanzierte er sich auf brüske und enttäuschende Weise von den Lebensschützern (siehe eigene Beitrag Bergoglio-Effekt: Sekretär der Bischofskonferenz distanziert sich von Lebensschützern).
Päpstliche Bitte um „Verzeihung“
Bereits die Ernennung Galatinos erfolgte völlig ungewöhnlich und geradezu kurios anmutend. Papst Franziskus bat dessen Diözese Cassano dell’Jonio um „Verzeihung“ dafür, daß er den Bischof zum Generalsekretär der Bischofskonferenz machte. Dabei wurde ohnehin auf päpstlichen Wunsch vereinbart, daß Galantino weiterhin auch Bischof seiner Diözese bleibt. Cassano dell’Jonio ist mit knapp 100.000 Gläubigen eine der zahlreichen Kleindiözesen, wie sie in Italien aus historischen Gründen häufig anzutreffen sind. Mehr noch: Papst Franziskus bat die Gläubigen der kalabrischen Diözese, natürlich nur rhetorisch um „Erlaubnis“, ihren Bischof auch anderweitig einzusetzen. Der Papst schrieb eigens einen Brief an die Gläubigen von Cassano dell’Jonio, um eine so alltägliche Entscheidung bekanntzugeben und wortreich zu begründen. „Es hat den Eindruck, als müsse der Papst im Mafialand um Erlaubnis bitten, daß er etwas entscheiden darf“, schrieb ein Kommentator namens No Mafia auf der Internetseite der Tageszeitung Quotidiano della Calabria.
„Demutsgeste“ oder skurriles Szenario eines „Papst-Königs“?
Davon kann natürlich keine Rede sein. In Rom sah man hinter der barock verschnörkelten Demutsgeste vielmehr ein durchaus erfolgreiches Ablenkungsmanöver, das die Konzentration auf das Ungewöhnliche lenkte und den ziemlich brutalen Eingriff eines „Papst-Königs“ (Sandro Magister) in die Bischofskonferenz, mit der Absetzung des bisherigen Generalsekretärs Mariano Crociata und der De-Facto-Entmachtung von Kardinal Bagnasco.
So steht auch der Papstbesuch in der Diözese Cassano dell’Jonio offiziell unter dem Motto „Ich komme, um Verzeihung zu bitten“. So gab es Bischof Galantino Ende März seiner Diözese bekannt: „Er kommt, um uns um Verzeihung zu bitten“. Eine Aussage, die Bischofs Galantino mehrfach wiederholte. Wörtlich sagte er: „Der Besuch des Papstes will eine Gelegenheit sein, um – uns in die Augen schauend, nachdem er es bereits schriftlich getan hat – ‚verstanden‘ zu werden und um ‚Vergebung‘ zu erfahren und , wie er mir selbst am Donnerstag morgen [27. März 2014] mehrere Male wiederholte, um ‚um Verzeihung zu bitten‘“. Ein ziemlich skurriles Szenario.
Bereits in seinem Brief, mit dem Papst Franziskus der Diözese die Ernennung von Bischof Galantino zum Generalsekretär mitteilte, schrieb das Kirchenoberhaupt: „Ich hatte noch nicht das Vergnügen, euch persönlich kennenzulernen, aber ich hoffe, daß ich es bald werde tun können“. Am 21. Juni ist es soweit. Das Programm wurde mehrfach geändert. Nun ist auch ein Besuch des Gefängnisses von Castrovillari vorgesehen. Dort sitzt die gesamte Familie des kleinen Cocò ein. Ein dreijähriges Kind, das am 16. Januar im Clankrieg wie ein Mafiaboss hingerichtet und dann verbrannt wurde. Papst Franziskus hatte ihn beim Angelus vom 26. Januar erwähnt. Die Familie von Cocò, Eltern, Großmütter und Geschwister sitzen wegen Drogenhandels in Haft. Im Gefängnis von Castrovillari ist auch ein Rumäne eingesperrt, der am 2. März mutmaßlich den Priester Don Lazzaro Longobardi ermordete. Ein „Märtyrer der Nächstenliebe“, auf den der Papst durch Bischof Galantino aufmerksam gemacht wurde.
Dem Bedürfnis der Menschen nach dem Heiligen, der Anbetung, dem Gebet und der Buße, standen in den vergangenen Monaten Gesten mit stark soziologischem Beigeschmack gegenüber. Auch die Reise nach Kalabrien wird neben dem vorrangigen Grund einer seltsamen „Entschuldigungsreise“ mit soziologischem Beiwerk aufgeladen.
Sakralität oder Soziologie: Eine Frage der Prioritäten?
So bleibt die Tatsache, daß die Fronleichnamsprozession in Rom, der Stadt der Päpste, erstmals in der jüngeren Geschichte verwaist blieb. Jesus Christus im Allerheiligsten Altarsakrament fand keinen Stellvertreter Christi, der vor ihm kniete und ihn begleitet. Der Nachfolger des Petrus schonte sich, für einen an Bedeutung bestenfalls „drittrangigen“ Pastoralbesuch in einer Kleindiözese. Die Menschen dort werden sich zurecht über den Besuch freuen, dennoch stellt sich die Frage nach den Prioritäten. Die „existentiellen Ränder“ mögen von Bedeutung sein, mehr Bedeutung als dem Allerheiligsten Altarsakrament und den liturgischen Handlungen kommt ihnen aber nicht zu.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: RnS/Papa Ratzinger