(Rom) Vor wenigen Tagen erschien ein Aufsatz, mit dem der Versuch unternommen wird, den französischen Jesuiten Teilhard de Chardin zu rehabilitieren. Das vernichtende Urteil der Glaubenskongregation gegen den Theologen wird dabei verharmlost und als „umstritten“ abgetan. Der Artikel erschien nicht in irgendeinder Tageszeitung, sondern im Osservatore Romano. Wie steht es daher um die Frage des Gehorsams? Ist diesem Artikel zu folgen und sind seine Thesen, unter Berufung auf das Tagblatt des Vatikans, sogar zu vertreten?
Der Heilige Thomas von Aquin nahm zwischen Gehorsam und Ungehorsam eine klare Grenzziehung vor. Rechtmäßiger Gehorsam als Tugend definierte er in der Summa Theologiae (II-II, q. 104–195), dabei nennt er zwei Gründe, weshalb ein zum Gehorsam Verpflichteter seinem Vorgesetzten keinen Gehorsam schulden könnte.
Der erste Grund ist eine Anweisung durch eine noch höhere Autorität. Dazu verweist der Heilige auf Ausführungen von Petrus Lombardus: Wenn der Kaiser etwas befiehlt, Gott aber das Gegenteil, müsse man Gott gehorchen, ohne auf den Kaiser zu achten.
Der zweite Grund ist, wenn der Vorgesetzte seinem Untergebenen etwas zu Bereichen befiehlt, in denen er ihm gar nicht untersteht. Thomas von Aquin folgert daraus, daß die Menschen in den inneren Beweggründen des Willens allein Gott Gehorsam schulden.
Die Kräfte, die das neue Pontifikat entfacht
Der Osservatore Romano veröffentlichte in seiner Ausgabe vom 29. Dezember 2013 den langen Aufsatz „Ich studiere die Materie und finden den Geiste“ von Maurizio Gronchi, der darin das Denken von Pierre Teilhard de Chardin rehabilitiert und damit den berühmten Monitum der Glaubenskongregation gegen den französischen Jesuiten vom 30. Juni 1962 zu annullieren versucht. Grundsätzlich besteht keine Pflicht dem Standpunkt einer Tageszeitung zu „gehorchen“, auch nicht einer katholischen Tageszeitung. Doch beim Osservatore Romano liegen die Dinge etwas anders, da es sich nicht um irgendeine Tageszeitung handelt. Gegründet auf Anweisung des Seligen Pius IX., handelt es sich dabei um die einzige Tageszeitung, die im Vatikanstaat gedruckt wird.
Der Chefredakteur wird direkt vom Papst ernannt. Die Tageszeitung ist zwar nicht offizielles Organ des Heiligen Stuhls, aber immerhin offiziöses. Es bringt logischerweise die Meinung des Heiligen Stuhls zum Ausdruck. Natürlich haben die Redakteure in den Bereichen Kultur, Politik und Wirtschaft größeren Handlungsspielraum. Diese Freiheit wäre jedoch Verführung zum Irrtum, wenn auf den Seiten des Osservatore Romano Artikel veröffentlicht würden, die dem Glauben der Kirche, dem kirchlichen Lehramt und der Tradition widersprechen.
Rehabilitierungsversuch von Teilhard de Chardin wider die offizielle Verurteilung
Im konkreten Fall geht es allerdings nicht nur um eine rein hypothetische Überlegung. Der Artikel mit der Rehabilitierung von Teilhard de Chardin hat auch seine positive Seite: er bietet Anlaß, die Grenzen des Gehorsams aufzuzeigen. Sollte jemand meinen, vielleicht aus dem Wunsch nach treuen Gehorsam gegenüber Papst Franziskus und dem Osservatore Romano, den Thesen des Autors folgen zu müssen, dann sollte er auch wissen, daß er damit gegen den 1962 vom Seligen Johannes XXIII. ausgesprochenen Monitum verstößt. Eine offizielle Ermahung, die nach wie vor ihre volle Gültigkeit hat.
Die Sache ist so offensichtlich, daß der Journalist es offen zugibt und selbst den Monitum der Glaubenskongregation abdruckt, ihn aber als „umstritten und schmerzlich“ bezeichnet. Wer aber einem solchen Urteil folgt, spricht nicht nur eine beliebige Meinung aus, sondern widersetzt sich in Wirklichkeit dem päpstlichen Lehramt. Der Monitus lautet: „Bestimmte Werke von Pater Pierre Teilhard de Chardin, einschließlich einige posthume, werden veröffentlicht und finden nicht geringes Wohlwollen. […] in philosophischer und theologischer Hinsicht erkennt man klar, daß die genannten Werke gefährliche Zweideutigkeiten und auch schwere Irrtümer enthalten, die die katholische Glaubenslehre beleidigen.“
Die Ermahnung des Heiligen Offiziums vom 30. Juni 1962 wurde offiziell im Amtsblatt des Heiligen Stuhls (Acta Apostolicae Sedis 54, Jg. 1962, S. 526) veröffentlicht. Am 1. Juli desselben Jahres folgte auch eine kommentierte Veröffentlichung im Osservatore Romano.
„Autor auf dem Weg der Apostasie“
Doch das Lehramt der Kirche gefällt dem Autor Maurizio Gronchi nicht, der Teilhard de Chardin über den grünen Klee lobt und dabei „die Leser sogar in die Irre führt“ (Corrispondenza Romana), indem er Urteile gegen den Jesuiten unvollständig zitiert oder aus dem Zusammenhang reißt. Laut dem Autor sei das Denken des Franzosen nicht häretisch, sondern habe bestenfalls „einige Schwächen und Schwierigkeiten“. Von „gefährlichen Zweideutigen und schwerwiegenden Irrtümern“ ist bei Gronchi keine Rede. In einem Artikel des Osservatore Romano wird ein Dokument des kirchlichen Lehramtes, erlassen von der Glaubenskongregation mit Zustimmung des Papstes, als „umstritten und schmerzlich“ bezeichnet. „Damit beschreitet der Autor bereits den Pfad der Apostasie“, so Corrispondenza Romana. Dazu noch das überschwengliche Lob für das, was vom Lehramt ausdrücklich verurteilt wurde.
Der Autor erhebt damit den Anspruch, das Lehramt der Kirche korrigieren zu wollen und tut dies aus den Seiten der offiziösen Tageszeitung des Vatikans. Teihard de Chardin, der die Erbsünde leugnet und die Unterscheidung zwischen Materie und Geist, vertrete, so Gronchi, keine „schwerwiegenden Irrtümer“, sondern nur tolerable „Schwächen und Schwierigkeiten“.
Wie kam der Artikel in den Osservatore Romano?
Die Hintergründe sind unklar, wie es möglich wurde, daß Gronchi seinen Aufsatz im Osservatore Romano plazieren konnte. Tatsache ist, daß er ein Beispiel dafür darstellt, wo der Gehorsam zum „Ungehorsam“ verpflichtet: Wer dem kirchlichen Lehramt treu sein will, der muß die am 29. Dezember von Gronchi im Osservatore Romano veröffentlichen These zurückweisen.
Maurizio Gronchi ist Priester der Diözese Pisa, Professor für Christologie an der Theologischen Fakultät der Päpstlichen Universität Urbaniana in Rom und Consultor der Glaubenskongregation.
Text: CR/Giuseppe Nardi
Bild: Osservatore Romano (Screenshot Montage)