(Amsterdam) Boudewijn Chabot sieht sich als „Gutmensch“. Er ist ein großer Unterstützer des „sanften Todes“, wie heute die tödliche Euthanasie so nett umschrieben wird. Chabot gilt als „Vater“ des niederländischen Euthanasiegesetzes. Doch inzwischen wird ihm selbst mulmig zumute: „Das Gesetz gerät aus dem Ruder. Ich fühle ein Unbehagen.“
„Das Euthanasiegesetz in den Niederlanden entgleist“. Das sind nicht die Worte eines Lebensrechtlers, vielleicht sogar noch eines katholischen, der die Idee vom „guten Tod“ einfach nicht „begriffen“ hat. Nein, es sind die Worte von Boudewijn Chabot, einem der eifrigsten Verfechter der Euthanasie. Der Psychiater besorgte 1994 einem seiner psychisch kranken Patienten ein tödliches Pharmakum. Obwohl seine Schuld vor Gericht festgestellt wurde, erfolgte keine Verurteilung. Sein Fall wurde mit großem medialem Einsatz der Legalisierung der Euthanasie dienstbar gemacht. Die Richter wollten in seiner Tat einen „Liebesakt“ erkennen und sprachen ihn frei. Rund um seinen Freispruch wurde schließlich das niederländische Euthanasiegesetz konstruiert, das 2001 in Kraft trat.
Euthanasie für alle
Chabot veröffentlichte nun in der niederländischen Tageszeitung NRC Handelsblad einen kritischen Kommentar. Anlaß war der unglaubliche Fall von George Wolfs. Der Arzt hatte die illegale Euthanasierung einer psychisch kranken Frau gemeldet. Doch nicht gegen den Tötungsarzt, sondern gegen Wolfs wurde daraufhin von der staatlichen Aufsichtskommission ermittelt, die das Euthanasiegesetz überwachen soll.
Obwohl die Euthanasierung von psychisch Kranken in den Niederlanden mit gutem Grund verboten ist, werden jedes Jahr zahlreiche illegale Tötungen durchgeführt. Allein 2012 wurden 14 Fälle bekannt, 2013 neun. Alle illegalen Tötungen erfolgten in der sogenannten „Lebensendeklinik“. Die Tötungsfabrik „hilft“, nicht ganz uneigennützig, allen Menschen ins Jenseits, egal aus welchen Gründen sie das wollen.
Weiterhin Euthanasiebefürworter, dennoch Kritik
Der Psychiater Chabot bleibt weiterhin Euthanasiebefürworter. Den eigentlichen Sprung über den eigenen Schatten schafft er nicht. Auch an den illegalen Euthanasierungen hat er nichts grundsätzlich auszusetzen. Er kritisiert jedoch, daß „unbekannte“ Ärzte über Leben und Tod entscheiden können. Im konkreten Fall der 35jährigen Frau hatte der Hausarzt solange bei Ärzten angefragt, bis er einen ausfindig machen konnte, der die Euthanasie-Bewilligung unterzeichnete. Chabot kritsiert den Umstand, daß derzeit ein Arzt eine Euthanasie bewilligen kann, der den Todeskandidaten und dessen Situation gar nicht kennt.
Der „Vater“ des niederländischen Tötungsgesetzes empfindet nun selbst ein „Unbehagen“ beim geltenden Euthanasiegesetz, das zu viele „Schwächen“ habe. Er sei von den „jüngsten Entwicklungen überrascht“. Der Buchstabe des Gesetzes wird in den Niederlanden ebensowenig beachtet wie in Belgien. Seit das Parlament den „süßen Tod“ legalisierte, hat sich die Tötung verselbständigt. Dies mit Wissen der zuständigen Behörden, die ihrer Aufsichtspflicht nicht nachkommen, wie der Fall George Wolfs eklatant unter Beweis stellte.
Euthanasie für Kinder zwischen Illegalität und absurden Bestimmungen
Laut Gesetz dürfen nur Personen im Endstadium einer unheilbaren Krankheit oder bei unerträglichen Schmerzen ohne Aussicht auf Besserung einen Antrag auf Euthanasie stellen, der von zwei Ärzten bewilligt werden muß. Aber selbst Kinder ab 12 Jahre können in den Niederlanden getötet werden. Im Nachbarland Belgien wurde bereits der erste Schritt gesetzt, daß sogar Neugeborene und Kleinkinder euthanasiert werden können, obwohl das Gesetz ausdrücklich einen klar artikulierten Antrag des Betroffenen verlangt, der bei vollem Bewußtsein und zurechnungsfähig sein muß. Wie ein zweijähriges oder auch zwölfjähriges Kind diese Kriterien erfüllen soll, bleibt ein erschütterndes Rätsel belgischer Parlamentsabgeordneter. In den Niederlanden macht man es sich einfacher. Es wird illegal am Gesetz vorbei getötet, so daß selbst Chabot nachdenklich wird.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Tempi