(Rom) Der Architekt Ettore Maria Mazzola greift die Kritik an „häßlichen“ Kirchenneubauten des Direktors der Vatikanischen Museen auf und fragt sich: Muß moderner Kirchenbau wirklich häßlich sein? Zudem geht er der Behauptung nach, moderne Kirchenneubauten seien so wie sie sind wegen begrenzter Geldmittel. Eine Behauptung, die er durch eine Überprüfung der tatsächlichen Kosten von zwei Kirchenneubauten, darunter die neue große Wallfahrtskirche mit dem Grab von Pater Pio in San Giovanni Rotondo widerlegt. Zu den Negativbeispielen gehört auch die neue Kirche von Zivido di San Giuliano Milanese: Eine Mischung aus Disneyland und Moschee?
von Ettore Maria Mazzola*
In der Beilage „Kunst“ [1]der linksliberalen italienischen Tageszeitung La Repubblica vom 16. Mai 2013 wurde ein Artikel von Orazio La Rocca veröffentlicht mit dem vielsagenden Titel: „Sie schauen aus wie Lagerhallen: Polemik im Vatikan über die von Superstar-Architekten geplanten Kirchen“. Der Untertitel war noch aussagekräftiger: „Im Visier die 45 vom Vikariat in Auftrag gegebenen neuen Pfarrkirchen der Hauptstadt. Denkmalpfleger Paolucci: Sie laden nicht zum Gebet ein“.
Es scheint also, daß endlich jemand im Vatikan damit begonnen hat, die Dinge beim Namen zu nennen!
Die Italienische Bischofskonferenz ist verantwortlich für die Förderung und den Bau von unsinnigen Strukturen in den vergangenen Jahren, die als Kirchen ausgegeben werden. Dabei wurden jene ignoriert und verurteilt, die versuchten die Tradition und die Symbolik mehr zu respektieren. Ich selbst fand beim Wettbewerb für die Neue Kirche von Piacenza bestimmte Verhaltensweisen bestätigt.
„Grauenvolle“ Kirchenneubauten von der Meier-Kirche in Rom bis zur Wallfahrtskirche von Pater Pio in San Giovanni Rotondo
Von der Kirche des Barmherzigen Vaters von Meier in Tor Tre Teste über die grauenvolle Kirche des hl. Apostels Paulus von Fuksas in Foligno zur Wallfahrtskirche von Pater Pio in San Giovanni Rotondo… aber die Liste wäre viel zu lange, um sie hier anzuführen. Von den neuen Kirchen erweist sich die eine abstruser als die andere! Viele dieser Kirchen wurden bei Stararchitekten in Auftrag gegeben, die einem anderen oder keinem Glaubensbekenntnis anhängen, und sich deshalb sogar geweigert haben, ein Kreuz anzubringen, „um nicht die eigene architektonische Komposition zu beschädigen“.
Das ist kein Scherz, ich meine das sehr ernst!
So äußerste sich zum Beispiel Richard Meier in Bezug auf die von ihm entworfenen Kirche von Tor Tre Teste!
Das Absurde ist, daß damals, als ein Großteil der Römer sich über die Aussage Meiers empörte, der Theologe Pietro Sigurani auf die Frage, warum sich auf der Kirche von Meier kein Kreuz befindet, antwortete: „Es ist eine Instrumentalisierung, daß in der Polemik um die ‚Kirche ohne Kreuz‘ nostalgische und rückständige Laien, zu Unrecht den Katholiken das Fehlen des Kreuzes vorhalten […]. Diese Empörung entsteht aus einer offenkundigen Unkenntnis: Das ganze Gebäude ist evangelisch. Wer das Projekt kritisiert kennt die christliche Symbolik nicht […]. Das Gebäude von Meier ist Ausdruck der Beziehung zwischen Geist und Materie, ja noch mehr, es ist typisch christlicher als die Basilika Sankt Paul vor den Mauern. Wir sind schon umlagert von entweihten Kreuzen am Hals von Schauspielerinnen und Models. Das zentrale Symbol ist nicht das Kreuz, sondern die Gemeinschaft, die sich versammelt, um das Geheimnis der Auferstehung zu feiern. Es ändert nichts, ob das Symbol architektonisch vorhanden ist oder nicht. Das Projekt spiegelt den Willen wider, mit den Individuen und dem Sozialen in Dialog zu treten.“
Kardinal Ravasi: Kirchen wie „Kongreßsäle, Sportpaläste, häßlich und vulgär“ – Doch sein Anteil daran …
Man kann nur lächeln, wenn man hört, daß Kardinal Ravasi, in seiner Funktion als Kulturminister des Heiligen Stuhls 2011 im Rahmen einer Lectio Magistralis beim Heiligen Stuhl die neuen Kirchen, die die Bischofskonferenz bauen ließ, als „Kongreßsäle mit einem Ambiente kleiner Sportpaläste, häßlich und vulgär“ bezeichnete. Derselbe, der die Nominierung von Mario Botta zum ordentlichen Mitglied der Päpstlichen Akademie der schönen Künste und der Literatur beim Pantheon wollte, und der Promotor und Unterstützer nicht weniger Schändlichkeiten ist, die als sakrale Kunst und Architektur ausgegeben werden.
Wen will man eigentlich an der Nase herumführen?
Der Artikel bezog sich auf die Vorstellung des Buchs „Kirchen am römischen Stadtrand“ (erschienen im Electa Verlag) am 14. Mai 2013. Herausgeber sind Msgr. Liberio Andreatta, Direktor des Römischen Werks für die Erhaltung der Neuen Kirchen, und die Architekten Marco Petreschi, von der Fakultät für Architektur „Valle Giulia“ der Universität La Sapienza, und Nilda Valentin.
Kritik des Direktors der Vatikanischen Museen: „Situation ist besorgniserregend“
Im Rahmen der Buchvorstellung kommentierte der Kunsthistoriker und Direktor der Vatikanischen Museen Professor Antonio Paolucci (ehemaliger Leiter des Amtes für Denkmalpflege in Venedig, dann Verona, 1995–1996 Minister für die Kulturgüter der italienischen Regierung und schließlich bis 2006 Direktor der Museen von Florenz) auf unmißverständliche und schonungslose Weise, wenn auch ohne Nennung von Namen:
„Mehr als neue Kirche scheinen sie Museen oder Lagerhallen. Orte die nicht zur Meditation einladen, denen jeder Sinn für das Sakrale fehlt und die ohne irgendeinen mystisch-religiösen Hauch sind.“
Paolucci gibt der Entwicklung im Gegensatz zu den Herausgebern des Bandes, die sie ermutigen, eine dramatische Lesart:
Ich dagegen, obwohl ich diesen Band mehrfach durchgesehen und ihn mehrfach gelesen habe, kann nicht anders als festzustellen, wieviel Durcheinander unter dem Himmel von Rom in Sachen Kirchenneubauten herrscht. Und diese Situation kann nicht anders als Besorgnis erregen. Kirchen? Pfarrkirchen? Hier stehen wir im besten Fall musealen Räumen gegenüber, Räumen, die weder zum Gebet noch zur Meditation einladen. […]
Sie haben nichts mit den Barockkirchen zu tun, die seit Jahrhunderten mit gut sichtbaren Tabernakeln, Kuppeln, Ikonen und Bildern aus dem Leben der Kirche über den christlichen Glauben zu uns ‚sprechen‘ und den Priestern bei ihren Katechesen helfen. Sogar die orthodoxen Kirchen Rußlands erfüllen vollkommen diese Aufgabe der geistlichen Formung und der Katechese.“
Sind nur begrenzte Geldmittel „schuld“ an „schauderhaften“ Kirchenbauten?
Die Sache hat den Vertretern der neuen Kirchen natürlich nicht gepaßt und einer der Herausgeber, Marco Petreschi, Autor von zwei dieser jüngst entstandenen und kritisierten Kirchenneubauten – der Kirche des hl. Apostel Thomas und der Kirche der seligen Mutter Teresa von Kalkutta – versuchte die Worte Paoluccis herunterzuspielen oder jedenfalls zu verstehen geben, daß der Kunsthistoriker vielleicht, weil er nicht vom Fach ist, nicht verstehen könne, daß man heute bestimmte Vergleiche einfach nicht mehr ziehen könne. Petreschi merkte an:
„Es ist klar, daß der Professor es gewohnt ist, historische Analysen anzustellen über Kirchen, die von großen Architekten der Vergangenheit geplant wurden […] es ist leicht historische Gebäude zu analysieren, für die enorme Finanzmittel zur Verfügung standen […] es ist nicht zweitrangig daran zu erinnern, daß die Architekten heute mit begrenzten Budgets arbeiten und wenn die Viertel an den Stadträndern heute 45 neue Kirchen haben, dann grenzt das jenseits ästhetischer und architektonischer Urteile geradezu an ein Wunder.“
Stimmt das aber?
Abgesehen davon, daß es die gläubigen Menschen waren, die auch früher bei einem weit geringeren Lebensstandard der breiten Masse das Geld zusammensparten, damit das Haus Gottes, gemäß einer natürlichen Ordnung das herausragendste Gebäude der Gemeinschaft ist, versuchen wir ein paar Rechnungen anzustellen. Es gilt zu prüfen, wer die Wahrheit sagt. Wir machen das am Beispiel von zwei Kirchen, die bei Stararchitekten in Auftrag gegeben wurden und von denen die Kosten bekannt sind. Dazu nehmen wir die Kostenrechnungen der Architektenkammer von Rom für Januar 2013. Sie legt für aufwendige Gebäude von besonderer Bedeutung einen Kostenschlüssel von 1.224 Euro je Quadratmeter zugrunde.
Eine Kostenrechung am Beispiel von zwei Neubauten
Nehmen wir also die Kosten allein für den Mantel der Kirche zum Barmherzigen Vater von Tor Tre Teste von Richard Meiser und der Kirche zum hl. Pater Pio in San Giovanni Rotondo von Renzo Piani, das heißt ohne jede Einrichtung,
Der Korrektheit halber wenden wir den Koeffizienten der Teuerungsrate des staatlichen Statistikamtes an: für die Kirche von Meier jenen von 2003 und für die Kirche von Piano den von 2004. Damit erhalten wir folgende Kosten:
- Kirchen zum barmherzigen Vater: € 25.000.000 (2003), € 30.200.000 (2013); Fläche der Pfarrkirche: 830 m2, Fläche des Pfarrzentrums: 1.671 m2; € 30.200.000/2.501 m2 = 12.075,16 €/m2 (!!!).
- Kirche zum hl. Pater Pio: € 35.000.000 (2004), € 41.545.000 (2013); Fläche der Wallfahrtskirche: 6.000 m2; € 41.545.000,00/6.000 m2 = 6.924,16 €/m2 (!!!).
Diese Überprüfung könnte immer so weitergehen und wir würden immer neu feststellen, daß die Finanzen als Argument für das Wie der Kirchenneubauten der Bischofskonferenz völlig irrelevant sind!
Können moderne Kirchenbauten auch würdig gestaltet sein?
Stellen wir aber noch eine weitere Überlegung zum Schlagabtausch zwischen Paolucci und Petreschi an: Stimmt es denn, daß die einzigen Kirchen, die würdig sind einen Kultort zu repräsentieren nur jene des Barock sind? Die Geschichte sagt uns, daß es auch mit den schlichten, fast nackten frühmittelalterlichen Kirchen möglich ist, dem Herrn respektvoll die Ehre zu erweisen und nicht nur mit barockem Reichtum! Zudem sind viele Kirchen des frühen 20. Jahrhunderts, wie die Kirche zum Guten Hirten von Brasini, obwohl sie äußerlich barocke Elemente aufweisen, in ihrem Inneren keineswegs reich mit Marmorintarsien dekoriert und dennoch würdig gestaltet und ganz ihren Zweck erfüllend, zu dem sie errichtet sind.
Es wäre also an der Zeit mit dem An-der-Nase-Herumführen aufzuhören. Es wäre an der Zeit zu sagen, Schluß mit den Kirchenneubauten, die zum Hungerstreik einladen. In diesem Zusammenhang, wie ich schon mehrfach betonte, wäre es gut, wenn die Gläubigen bestimmte jeder Persönlichkeit beraubende Kirchen meiden würden, denn wahrscheinlich kann man bestimmten Entscheidungsträgern nur auf diese Weise begreiflich machen, daß sie versagt haben!
Um Modernität zu beweisen, muß Kirche sich nicht einer modernistischen Sprache bedienen
Ich schließe jedoch mit einer Hoffnung ab, einer Hoffnung, die durch eine Erklärung von Kardinal Agostino Vallini [2]seit 2008 Kardinalvikar des Papstes für die Diözese Rom, zuvor Präfekt der Apostolischen Signatur genährt wird, in der er eingesteht: „wenn ich diese Pfarreien besuchen, bin ich perplex. Ich bin allerdings erst seit fünf Jahren Vikar von Rom und habe in dieser Zeit kein Projekt genehmigt“. Der Kardinal kündigte die Schaffung einer eigenen Kommission an zur Wahrung von Ästhetik und Symbolik neuer Kirchenbauten!
Hoffen wir also. Inzwischen fragen wir uns allerdings, ob jene, die dieser Kommission angehören werden, auch die Bereitschaft haben, einzusehen, daß um die Modernität der Kirche zu beweisen, es nicht notwendig ist, eine modernistische Sprache zu verwenden, die zudem eine ideologische Vision widerspiegelt und das eine, wie wir gesehen haben, auch noch sehr teure!
* Ettore Maria Mazzola, Architekt, Urbanist, Restaurator, zwölf Jahre Lehrtätigkeit an der Universität La Sapienza in Rom, seit 2001 Professor für Architektur und Urbanistik an der University of Notre Dame School of Architecture und seit 2009 Professor für Architektur und Urbanistik an der University of Miami School of Architecture.
Text: Giuseppe Nardi
Bilder: Fides et Forma