Kommentar von Francesco Colafemmina*
Ein Staatssekretär, der den Papst ständig auffordert, ein “Rücktrittsprotokoll“ zu unterschreiben. Eine von den inneren Feinden zerstörte Kirche. Der Pädophilieskandal mit einem seiner Zentren in der Diözese Century City (Los Angeles). Internationale Kräfte, die daran interessiert sind, das Lehramt der Kirche zum Schweigen zu bringen und das Papsttum zu schwächen. Ein Papst, der unter dem Druck der Baumeister der Neuen Weltordnung zurücktreten muß.
Nein, das ist nicht die Realität dieser Tage, sondern die schauerliche Geschichte des 1999 verstorbenen, umstrittenen Jesuiten Malachi Martin, die er in seinem außergewöhnlichen Roman Windswept House, Broadway Books, New York, 2001 [Erstausgabe 1996], erzählt.
Einige knappe Stichwörter will auch ich zum Rücktritt Benedikts XVI. als Gedanken niederschreiben, wobei klar sein sollte, daß wir zuallererst und vor allem für den Papst zu beten haben.
Melasse
Bitte, machen wir Schluß mit dieser Melasse! Zum Rücktritt des Papstes wird tonnenweise Melasse gegossen. Melasse von allen Seiten, von rechts, von links, vom Zentrum, von oben, von unten, internationale Melasse, multikulturelle und multireligiöse Melasse. Wie wäre es mit etwas weniger süßen Stellungnahmen? Als Imker kann ich versichern, daß selbst die Bienen über eine so massive Dosis Glukose wenig begeistert wären.
Krankheit
Der Papst hat verzichtet. Er hat es offiziell nicht wegen gesundheitlicher Probleme getan. So hat es sogar Pater Lombardi bestätigt. Er beklagte stattdessen allgemein sein Alter und das Bewußtsein, die Kirche in den vergangenen Monaten nicht gut gelenkt zu haben. Wenn es sich um Krankheit handeln würde, hätten wir alle Verständnis … bis zu einem bestimmten Punkt, aber wir hätten Verständnis. Und wir hätten uns um ihn geschart. Der Papst ist kein Aktivist, kein Mann, der immer geistig und körperlich topfit sein muß: er ist ein Mann, der sein Kreuz bis zum Ende annimmt (wie es im vergangenen Jahrhundert Leo XIII. und Pius XII. geschehen ist, den – nebenbei gesagt – Benedikt nicht seliggesprochen hat; wenn es mutig ist, zurückzutreten, weil man die geistige Frische verliert, waren dann diese Päpste etwa zu wenig mutig?). Und wenn das Problem die Regierung der Kirche jenseits der geistliche Dimension und damit der Bewahrung des Glaubens ist, wozu gibt es dann Mitarbeiter …
Mitarbeiter
Wer wählt sie aus? Sicher nicht ich und sicher nicht Sie. Es ist der Papst, der sich seine Mitarbeiter auswählt. Der Papst hat Kardinal Bertone gewählt und an ihm festgehalten, trotz der umfangreichen Belege für dessen Regierungsunfähigkeit, Freunderlwirtschaft und Geschäftemacherei. Er ernannte ihn sogar zum Kämmerer des Kardinalskollegiums und sprach ihm immer wieder das Vertrauen aus, löste ihn aber nie in einer Funktion ab. Der Papst behielt sogar den Dekan der päpstlichen Zeremoniäre an seiner Seite, der sich von Angelo Balducci 280.000 Euro leihen ließ um in Marino eine Villa zu kaufen und daraus den Sitz einer „freimaurerischen Vereinigung“ zu machen.
Must resign!
Wo sind die ganzen glühenden Katholiken geblieben, die sich 2010 allen entgegenstellten, die mitten im Pädophilie-Skandal den Rücktritt des Papstes forderten? Warum soll das, was 2010 eine Kapitulationserklärung gewesen wäre, heute ein „mutiger“ Schritt sein? Von der New York Times bis zur Washington Post, von Ali Agca über den Homo-Aktivisten Peter Tatchell bis zur Sängerin Sinead O’Connor. Das war im März 2010… dann erschien im Winter das Gesprächs-Buch des Papstes und der Traum vieler hatte sich in eine realistische Möglichkeit verwandelt. Heute sind die Verfechter des „must resign!“ glückliche Lämmer: Sie schwadronieren sichtlich zufrieden von einem „mutigen Schritt“ und einem „Akt der Demut“. Vielleicht haben sie die Worte Benedikts XVI. vergessen, die er auf dem Petersplatz am Morgen eines Apriltages aussprach, als er noch jünger war: „Betet für mich, daß ich nicht furchtsam vor den Wölfen fliehe“?
Verwalter einer Wohnanlage
Auch ich habe einen Hausverwalter in der Wohnanlage. Manchmal macht er sich rar und zieht es vor, den Hausherrn machen zu lassen. Jetzt, da der Papst zurücktreten wird, ist es vielleicht verständlich. Die Vorstellung verwirrt dennoch, daß sein Rücktritt nicht sofort wirksam wird, sondern erst zum Monatsende 20 Uhr wenn die Büros schließen und die Ämter verfallen. Ein Papst, der sich in den bloßen Hausverwalter der vatikanischen Wohnanlage verwandelt? Wo ist die Autorität des Stellvertreters Christi? Hat sie ein Verfallsdatum? Unterdessen gibt es bis zum 28. lange Schlangen in der Römischen Kurie … Beförderungen, Ernennungen, rauchende Reißwölfe, einschließlich Resets für Mails und Computer.
Respektlosigkeit
In diesen Stunden wirft man mir Respektlosigkeit und Stilverlust vor. Ehrlich gesagt, liebe katholische Brüder und Schwestern, ich bin eine gewisse überzogene Bigotterie leid und auch ein unterschiedslos bemühtes „übernatürliches“ Analysekriterium, um die Geschichte einer Beurteilung zu entziehen. Sicher, die Geschichte wird von Gott gelenkt, wie auch die Kirche. Aber deshalb ist noch lange nicht alles, was in der Kirche und in der Welt passiert, Gottes Werk oder/und dient der Bewahrung des Glaubens. Man erinnere sich an Fatima: „Das Dogma des Glaubens wird in Portugal bewahrt werden“. Trotz meiner großen Zuneigung und tiefen Bewunderung für Papst Benedikt, kann ich diese benediktinische diminutio, dieses alles auf halbem Weg lassen (Jahr des Glaubens, Enzyklika, Heiligsprechungen, Ernennungen usw.), um sich ins Gebet zurückzuziehen, nicht als einen Akt positiven Mutes und demütigen Glaubens sehen. Ich sage nicht, daß es das Gegenteil davon ist. Ich erlaube mir nur die Respektlosigkeit, darauf hinzuweisen, daß dieser verheerende Abgang an sich nichts Gutes ist. Päpste treten nicht zurück. Punkt! Als es die Feinde der Kirche mit lauter Stimme forderten, haben wir es mutig bekräftigt, warum sollten wir heute Überzeugung ändern?
Ich stoße auf mein Gewissen an und dann auf den Papst!
Newman zitierend hat der Papst zuerst auf sein Gewissen angestoßen und dann auf den Papst bzw. auf seine Autorität. Es war zu erwarten, zum Donnerwetter! Ratzinger sagte 1991: „Das Gewissen wird als Schutzwall der Freiheit gegen die von der Autorität auferlegten Daseinsbeschränkungen dargestellt. In diesem Zusammenhang werden zwei Konzepte des Katholizimus in Gegensatz gestellt: auf der einen Seite ein erneuertes Verständnis seiner Essenz, die den christlichen Glauben von der Freiheit ausgehend und als Grundsatz der Freiheit erklärt, und auf der anderen Seite ein überholtes, „vorkonziliares“ Modell, das die christliche Existenz der Autorität unterwirft, die das Leben durch Normen bis in die intimsten Bereiche regelt und auf diese Weise versucht eine Kontrollmacht über die Menschen zu behalten.“ Und für Ratzinger hatte Newman recht, weil er das Gewissen an die Wahrheit knüpfte und die Wahrheit hat Vorrang vor der Autorität. Deshalb erklärte er die Entscheidung zum Verzicht getroffen zu haben, „nachdem ich wiederholt mein Gewissen vor Gott geprüft habe“.
Ingravescentem aetatem
Das ist der Hinweis auf sein Alter, mit dem der Papst seinen Verzicht auf die Gnade des Fischerrings und das Pallium bekanntgab. So beginnt aber auch das Motu proprio von Paul VI., mit dem er den Kardinälen eine Altersgrenze auferlegte. Benedikt XVI. vollzieht also viel mehr als nur einen einfachen Verzicht. Er schafft einen unheilvollen Präzedenzfall: den eines aus Altergründen in den Ruhestand zu schickenden Papstes. Und hier tritt uns wieder das für die postkonziliare Zeit typische Negativbeispiel entgegen. Paul VI. legt die Tiara ab und verwendet das horrende Pastorale von Fazzini. Johannes Paul I. führt die Tiara nicht mehr ein, behält aber das stillose Kreuz von Fazzini. Johannes Paul II. schafft die Sedia gestatoria ab, nimmt aber das stillose Kreuz von Fazzini. Benedikt XVI. tilgt die Tiara aus seinem Wappen und tritt aus Altersgründen ab (offiziell – und das ist, was zählt, um einen Präzedenzfall zu schaffen – nicht aus besonderen Gründen, sondern nur wegen des Alters!)
Wird ihm sein Nachfolger darin folgen?
Dolan
Ich hoffe auf Dolan. Möge der Herr uns beistehen und vor allem auch dem zurücktretenden Papst!
* Francesco Colafemmina, Jahrgang 1980, Altphilologe, Kunst- und Kulturkritiker, traditionsverbunderer Initiator eines von Martin Mosebach und Nikos Salinagros unterstützten Appells an Papst Benedikt XVI. für eine „wirklich authentische katholische Kunst“, das Vatican Magazin widmete ihm im Januar 2010 die Titelgeschichte.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Fides et Forma