(Vatikan) Seit dem 12. Dezember 2012 ist Papst Benedikt XVI. auf Twitter präsent. Noch bevor das katholische Kirchenoberhaupt seine erste Kurznachricht verschickte, hatten sich bereits mehr als eine Million Menschen angemeldet, um die Botschaften des Papstes zu empfangen. Allein der deutsche Twitter-Dienst Benedikts XVI. wird inzwischen von mehr als 50.000 Menschen verfolgt. Bisher wurden vom Papst rund zwei Dutzend Nachrichten über Twitter verschickt.
Vor wenigen Tagen erfolgte eine relevante Kursänderung. Der Account @pontifex twitterte 140 Anschläge, „die anders waren als bisher“, wie der Vatikanist Paolo Rodari schrieb. Nicht mehr Bibelzitate gingen hinaus in die ganze Welt, sondern eine Botschaft, mit der Papst Benedikt XVI. Entschlossenheit demonstrierte, den Kampf um die „nicht-verhandelbaren Werte“ auch auf Twitter aufzunehmen. Ein Kampf, der auf offenem Feld und auf allen Breitengraden auszutragen ist, auch in den USA.
Kultur des Todes oder Kultur des Lebens? Papst Benedikt XVI. eröffnet über Twitter eine neue Kampffront
Dort gab der wiedergewählte Präsident Barack Obama bei der Einführungsfeier für seine zweite Amtszeit am 20. Januar sein linksliberales Programm von der Abtreibung bis zur Homo-Ehe bekannt, das im Vatikan als Kampfansage verstanden wurde.
Die Twitter-Botschaft des Papstes vom 25. Januar war als Antwort vor allem an US-Präsident Obama gerichtet, ohne diesen namentlich zu nennen: „I join all those marching for life from afar, and pray that political leaders will protect the unborn and promote a culture of life.“ (Ich mit allen verbunden, die für das Leben marschieren und bete dafür, daß die politischen Führer die Ungeborenen schützen und eine Kultur des Lebens fördern). Mit diesen Worten unterstützte Benedikt XVI. den March of Life, der an jenem Tag mit mehr als einer halben Million Teilnehmern in Washington stattfand, um für eine Aufhebung des Urteils Roe gegen Wade vom 22. Januar 1973 zu protestieren, mit dem der Oberste Gerichtshof die Tötung ungeborener Kinder in den USA legalisierte.
Erster Tweet für das Lebensrecht richtete sich gegen Regierungsprogramm Obamas
Es waren die amerikanischen Bischöfe mit ihren guten Kontakten in den Vatikan, die an der Römischen Kurie auch auf die politische Bedeutung des Marsches für das Leben aufmerksam machten. Die katholische Kirche in den USA ist für das Lebensrecht sehr aktiv. Während der ersten Amtszeit Obamas traten die Bischöfe wegen Teilen der Gesundheitsreform in offenen Konflikt mit dem Präsidenten. „Der durch die Abtreibung verursachte Schaden ist unvorstellbar“, sagte Kardinal Sean O’Malley in seiner Predigt in Washington am Tag des March for Life, doch Jesus könne Trost und Erneuerung schenken. In den vergangenen 40 Jahren wurde in den USA „das Leben von 55 Millionen Kindern ausgelöscht“, so der Kardinal, „und trotz dieser Tragödie gibt es in der Gesellschaft viele, die Abtreibung als persönliche Entscheidung betrachten“. Kardinal O’Malley forderte in Washington wie Papst Benedikt XVI. in Rom die Politiker auf, ihre Haltung zur Abtreibung zu ändern.
Weltweit Kräfte am Werk, die Gesetzgebung zum Schutz des Lebens und der Familie aufheben wollen
Im Vatikan gibt es wenig Zweifel, daß starke Lobbys existieren, die weltweit eine lebensfeindliche Politik betreiben. Das geht auch offen aus dem IV Report on the Social Doctrine of the Church in the World hervor, den Msgr. Giampaolo Crepaldi, der Erzbischof von Triest, vor drei Tagen in seiner Funktion als Vorsitzender des Cardinal Van Thuan International Observatory vorlegte. Im Mittelpunkt des Berichts steht The Colonialization of Human Nature „oder anders ausgedrückt, der enorme internationale Druck damit die Regierungen ihre Gesetzgebung zu Geburt, Familie und zum Leben insgesamt ändern“, so Erzbischof Crepaldi.
„Von Europa bis Lateinamerika und Asien ist eine Änderung der Gesetze im Gange, mit denen die natürliche Identität des Menschen überwunden und durch eine frei konstruierbare Identität ersetzt werden soll. Mit besorgniserregenden Folgen. Man versucht die Natur des Menschen aufzuheben“, wie Avvenire, die Tageszeitung der italienischen Bischöfe dazu schrieb. Ausgangspunkt für diesen „Frontalangriff gegen das menschliche Leben“ (Papst Benedikt XVI.) sind Europa und die USA. Vor allem der „alte Kontinent“ sei „immer mehr Ausdruck einer nihilistischen Kultur, die das Konzept der menschlichen Natur völlig zu überwinden beabsichtigt“, wie Stefano Fontana, der Direktor der Kardinal Van Thuan Beobachtungsstelle für die Soziallehre der Kirche erklärte. Kardinal Van Thuan, von 1998 bis 2001 Vorsitzender des Päpstlichen Rats für Gerechtigkeit und Frieden, war von 1975 bis 1988 dreizehn Jahre in kommunistischen Konzentrationslagern inhaftiert.
Kardinal Van Thuan Beobachtungsstelle: Nihilismus versucht menschliche Natur zu überwinden und riskiert deren Zerstörung
Die Schlußfolgerungen des Berichts werden durch eine vom Wall Street Journal am 40. Jahrestag des Urteils Roe gegen Wade veröffentlichte Umfrage bestätigt. Fast 70 Prozent der Amerikaner wollen laut dieser Umfrage, daß die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, mit der 1973 die Tötung ungeborener Kinder legalisiert wurde, aufrecht bleibt. Eine Zahl, die im Lauf der Jahre kontinuierlich zu wachsen scheint. 32 Prozent sind der Meinung, daß Abtreibung immer und in jeder Hinsicht legal sein müsse. Nur neun Prozent sind hingegen der Meinung, daß die Tötung eines Kindes immer illegal, weil Unrecht ist. 23 Prozent wollen eine Legalisierung nur in „Ausnahmefällen“ bei Vergewaltigung, Inzest und unmittelbarer Lebensgefahr für die Mutter.
Kirche will Köpfe und Herzen für Kultur des Lebens zurückgewinnen
Die entscheidende Aussage der Umfrage ist jedoch, daß eine Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung Abtreibung für legal und daher legitim hält. Das ist die Grundtendenz in der öffentlichen Meinung, die die katholische Kirche umdrehen will von einer Mehrheit, die einer Kultur des Todes huldigt in eine Mehrheit, die eine Kultur des Lebens lebt und verteidigt. Papst Benedikt XVI. hat mit seiner Twitter-Botschaft vom 23. Januar auf einer neuen Ebene den Startschuß dazu gegeben.
Und die Aussichten sehen bereits heute nicht schlecht aus. In einer Gallup-Umfrage vom Mai 2012 wurde nicht nach der Position zur Rechtslage gefragt, sondern danach, wie sich die Ameriker selbst einschätzen. Gefragt wurde, ob sich jemand selbst als „Pro Choice“ oder „Pro Life“ bezeichnet. 1995 sahen sich noch 56 Prozent der Amerikaner als Abtreibungsbefürworter und nur 33 Prozent als Lebensschützer. Innerhalb von 15 Jahren haben sich die Mehrheitsverhältnisse jedoch umgedreht. Im Sommer 2012 bezeichneten sich 50 Prozent der Amerikaner als Lebensschützer und nur 41 Prozent als Abtreibungsbefürworter.
Oberster Gerichtshof von Alabama: Ungeborene als Kinder anerkannt
Und es fehlt nicht an kleinen und größeren Erfolgen im Kampf um die kulturelle Hegemonie. Der Oberste Gerichtshof des US-Bundesstaates Alabama erkannte in einem Urteil vom 17. Januar die Ungeborenen als „Kinder“ an. Eine Entscheidung mit wahrscheinlich weitreichenden Folgen für die Rechtsprechung in den USA und darüber hinaus.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: March for Life 2013/Twitter @pontifex