(London) Rowan Williams, geistliches Oberhaupt der anglikanischen Weltgemeinschaft und Erzbischof von Canterbury trägt sich mit Rücktrittsgedanken. Entsprechende Stimmen wurden von Lambeth Palace nicht dementiert. Die britische Presse spricht von Meinungsverschiedenheiten in der Anglikanischen Gemeinschaft. Es geht einmal mehr um die Bruchlinie, entlang derer es in den anglikanischen Provinzen weltweit seit Jahren knistert und zuletzt immer häufiger krachte. Die „heißen“ Themen sind die Zulassung von homosexuellen Priestern und die Segnung der Homo-„Ehe“. Die liberale Linie, die sich vor allem in den USA vordrängt, führt zu harten Auseinandersetzungen, scheint aber von Williams gestützt zu werden. Vor anderthalb Jahren erklärte er, daß die Anglikanische Gemeinschaft „keine Probleme“ mit der Ernennung von Homosexuellen zu Bischöfen habe. Eine Aussage die heftige Spannungen auslöste und unter anderem dazu beitrug, daß ein Teil der Anglikaner in Rom um die Rückkehr in die volle Einheit mit der katholischen Kirche ansuchte und sie gewährt bekam. Die Aussage Rowans dürfte in der Absicht gemacht worden sein, die Einheit der Weltgemeinschaft zu bewahren, erreichte jedoch das genaue Gegenteil. Nun scheinen sich die Gegensätze dermaßen zugespitzt zu haben, daß Williams bereits zehn Jahr vor Ende seiner Amtszeit den Rücktritt sucht und an die Universität Cambridge zurückkehrt.
Persönlich genießt Williams im Vatikan einen guten Ruf, nicht zuletzt auch wegen des herzlichen Empfangs, den er Papst Benedikt XVI. im September 2010 während dessen Pastoralbesuchs in England und Schottland bereitete.
Das mögliche Zerbrechen der Anglikanischen Weltgemeinschaft hat derzeit einen Namen. Der Homosexuelle Jeffrey John, zivilrechtlich mit einem anderen Homosexuellen „verheiratet“, wurde zum Bischof nominiert. „Die Folgen für die gesamte Kirche wären viel zu schwerwiegend, falls die Toleranz gegenüber den Homosexuellen soweit getrieben würde, sogar praktizierende Homosexuelle als Priester und Bischöfe zu akzeptieren“, erklärte Williams im September 2010. Dabei sei er sich durchaus vorher bewußt gewesen, daß die Homo-Frage „eine Wunde für seine Amtszeit“ sein werde.
Trotz der Meinungsverschiedenheiten zwischen Anglikanern und Katholiken zu theologischen und ethischen Fragen, führte Papst Benedikt XVI. mit Nachdruck den Dialog fort und empfing Williams am 23. November 2010, gemeinsam mit dessen Frau und Sohn in Audienz. Das Datum war von besonderer Bedeutung. Genau 40 Jahre zuvor fand die historische Begegnung zwischen Papst Paul VI. und dem damaligen Primas der Anglikanischen Weltgemeinschaft und Erzbischof von Canterbury, Michael Ramsey statt. Es war die erste Begegnung zwischen dem katholischen und dem anglikanischen Oberhaupt, seit dem Schisma König Heinrichs VIII. von England im 16. Jahrhundert.
Williams sprach vor einem Jahr ganz offen mit Papst Benedikt XVI. über die großen Probleme, von denen die anglikanische Gemeinschaft geplagt wird. Auch darüber, daß die Zukunft der anglikanischen Einheit ungewiß sei. Eine Reihe von Entscheidungen zum Priestertum und zur Moral betrafen direkt die katholisch-anglikanischen Beziehungen.
Die Entscheidung von 1992, auch Frauen zum Priestertum zuzulassen, schuf eines der größten Hindernisse für die Wiedererlangung der vollen Einheit. 2003 kritisierten die anglikanischen Gemeinschaften Afrikas, Asiens und Lateinamerikas scharf die Entscheidung der Episkopalen Kirche in den USA (wie sich die Anglikaner in den Vereinigten Staaten von Amerika nennen), einen Homosexuellen zum Bischof von New Hamphire zu ernennen. Die Episkopalen der USA ernannten mit Katherine Jefferts Schori, bis vor kurzem Bischöfin von Nevada, als erste eine Frau zu ihrer Präsidentin.
Die Frage homosexueller Bischöfe bietet soviel Sprengkraft, daß die anglikanische Gemeinschaft, gäbe es nicht eine Reihe anderer Rücksichtnahmen, darunter auch solche finanzieller Natur, bereits seit Jahren jeden Augenblick an ihr explodieren könnte. Williams gelang es bisher durch viel Geduld und Verhandlungsgeschick, ein solches Szenario abzuwenden. Der aus Wales stammende Erzbischof von Canterbury gilt als einer der herausragenden anglikanischen Köpfe unserer Zeit, er spricht acht Sprachen und weiß sich auf internationalem Parkett eloquent zu bewegen. Den Großteil seines Lebens verbrachte der promovierte Philosoph und Theologe im akademischen Umfeld von Cambridge und Oxford. Williams stammt aus einer lutherisch-jansenistischen Familie, die sein religiöses Leben prägte. Als Jugendlicher wollte er in der anglo-katholischen Tradition erzogen werden. Im Erwachsenenalter entdeckte er eine besondere Leidenschaft für die russische Orthodoxie. Die Ökumene ist daher ein fester Bestandteil seines Denkens.
Durch sein literarisches Schaffen fand er bereits zu Lebzeiten einen festen Platz in der englischen Literatur. Seine Gedichte wurden zum Teil in verschiedene Sprachen übersetzt.
Text: Vatican Insider/Giuseppe Nardi
Bild: Vatican Insider