(Vatikan) Der Heilige Stuhl veröffentlichte am 31. Mai den Brief (offiziell datiert vom 13. Mai 2011), den Papst Benedikt XVI. dem Großkanzler des Päpstlichen Instituts für Kirchenmusik, Kardinal Zenon Grocholewski zum 100. Jahrestags der Institutsgründung übermittelte. Die Veröffentlichung wurde mit Spannung erwartet, nachdem es darum bereits einige mediale Polemiken gab.
Der Papst erinnert an den hl. Papst Pius X (1835–1910), der das Institut ins Leben rief. Das Ereignis sei „Anlaß zur Freude für alle, die die geistliche Musik pflegen, aber auch allgemein für alle, vor allem natürlich die Hirten der Kirche, denen die Würde der Liturgie ein Herzensanliegen ist, deren fester Bestandteil die heiligen Gesänge sind (s. Conc. Ecum. Vat. II, Cost. Sacrosanctum Concilium, 112)“.
Es gehe nicht nur darum, einen Jahrtag zu feiern, wie der Papst deutlich machte. Benedikt XVI. hebt hervor, daß es darum gehe, die „eindeutige Identität und den Auftrag des Päpstlichen Kirchenmusiksinstituts“ zu erkennen. So erinnert er an das Motu proprio „Tra le sollecitudini“ vom 22. November 1903, das der heilge Papst Pius X. erließ, der eine tiefgreifende Reform der Kirchenmusik durchführte, mit der die geistliche Musik gegenüber Einflüssen der weltlichen Musik gestärkt wurde, die auf die Tradition eines anderen heiligen Papstes, Gregors des Großen (560–604) zurückgeht.
Die Probleme von heute in der Kirchenmusik seien, wie der Papst betonte, keineswegs so neu, wie viele meinen würden. Auch vor hundert Jahren habe es bereits unangemessenen Einfluß der profanen Musik auf das gegeben, was in den Kirchen bei den Gottesdiensten gesungen wurde. So etwa Werke, die mehr an beliebte und erfolgreiche Opern jener Zeit erinnerten als an die geistliche Handlung in der Liturgie. Was damals die Opern waren, sind heute Einflüsse der Pop- und Rockmusik. Im Grunde geht es jedoch immer um die jeweiligen Musikmoden. Das Kirchenmusikinstitut wurde vor 100 Jahren gegründet, um die lehramtlichen und pastoralen Inhalte der päpstlichen Dokumente zur Kirchenmusik in Erinnerung zu rufen und umzusetzen, die das Ziel haben, den Komponisten, Chorleitern, Kapellmeistern, Sängern, Musikern und Liturgikern eine sichere Hilfe und Führung zu sein.
Papst Benedikt XVI. nimmt die Kirchenmusik nicht aus von seiner grundsätzlichen Überprüfung der unruhigen nachkonziliaren Zeit, mit der er seit Beginn seines Pontifikats der Kirche die sichere Richtung weist. Auch im Bereich der geistlichen Musik habe es Erneuerung gegeben, doch sei auch sie gemäß einer klaren Lesart zu interpretieren: der Hermeneutik der Reform in der Kontinuität, die eine „natürliche Evolution“ miteinschließe, aber jede Form von Bruch ausschließe. So betonte de Papst, daß es ihm „besonders wichtig“ sein, daß es bei aller „natürlichen Weitentwicklung“ eine „substantielle Kontinuität des Lehramtes zur geistlichen Musik in der Liturgie“ gebe.
In besonderer Weise nannte er neben Pius X. auch die Päpste Paul VI. und Johannes Paul II., die im Licht der Konzilskonstitution Sacrosanctum Concilium betonten, daß Sinn und Zweck der Kirchenmusik „die Verherrlichung Gottes und die Heiligung der Gläubigen“ (Nr. 112) sei. Die grundlegenden Kriterien der kirchlichen Tradition im Bereich der Kirchenmusik seien: der Sinn des Gebets, der Würde und der Schönheit; die vollständige Verinnerlichung der Texte und der liturgischen Handlung; die Einbindung der versammelten Gemeinden und daher die berechtigte Anpassung an die örtliche Kultur bei gleichzeitiger Bewahrung der Universalität der Sprache; der Vorrang der gregorianischen Gesänge als dem höchsten Vorbild der Kirchenmusik; und die weise Verwertung der anderen Ausdrucksformen, die Teil des historisch-liturgischen Gutes der Kirche sind, vor allem, aber nicht nur, die Polyphonie; die Bedeutung der Schola cantorum vor allem an den Kathedralkirchen.
Diese „grundsätzlichen Kriterien“ rief der Papst in Erinnerung nicht zuletzt unter Berufung auf die Konzilskonstitution Sacrosanctum Concilium. Im Anschluß an das Konzil gab es auch in der Kirchenmusik eine Strömung, die sich die „Überwindung“ angeblich „überholter“ Ausdrucksformen zum Ziel setzte. Eine Berufung auf das Zweite Vatikanische Konzil ist dabei aber nicht möglich, wie Papst Benedikt XVI. aufzeigte. Der Vorrang des Gregorianischen Chorals wurde vom Konzil bekräftigt und kann daher keineswegs als „überholt“ gelten.
Um vorherrschende Fehler zu vermeiden, gelte es auch in der Kirchenmusik sich „immer neu“ eine Frage zu stellen: „Wer ist das wahre Subjekt der Liturgie? Die Antwort ist einfach: die Kirche. Es ist nicht der einzelne oder die Gruppe, die die Liturgie feiert. Die Liturgie ist zuallererst eine Aktion Gottes durch die Kirche, die ihre Geschichte, ihre reiche Tradition und ihre Kreativität hat. Die Liturgie, und folglich die Kirchenmusik, ‚lebt von einer korrekten und konstanten Beziehung zwischen gesunder Tradition und berechtigtem Fortschritt, indem sie sich immer klar vor Augen halten muß, daß diese beide Konzepte – wie die Konzilsväter klar betonten – zusammengehören weil ‚die Tradition eine lebendige Realität ist und daher das Prinzip der Entwicklung, des Fortschritt in sich enthält‘ (Rede an Päpstlichen Liturgischen Institut, 6. Mai 2011).“
„Andere Ausdrucksformen“ als die Gregorianik und die Polyphonie sind also nicht ausgeschlossen. Der Vorrang der Gregorianik darf aber nicht in Frage gestellt werden, wie der Papst betonte. Ebenso ist die gesamte Musik im liturgischen Rahmen nach seiner Qualität und Eignung zu überprüfen. Mit den Worten Benedikts XVI. ausgedrückt, brauche es „eine angemessene Prüfung der Qualität der musikalischen Kompositionen, die in den liturgischen Zelebrationen verwendet werden.“
(Giuseppe Nardi, Bild: Messa in Latino)