(Rom/New York) Nach dem Skandal pädophiler Priester, der vor wenigen Jahren die Kirche und die Welt erschütterte, ergründete die katholische Kirche, was nicht Ursache dieses von ihr stets mit Vehemenz verurteilten Phänomens ist. Es ist weder der Zölibat noch die katholische Sexualmoral verantwortlich für das verirrte Verhalten einzelner Kleriker, so die Antwort auf jene, die den abscheulichen Skandal ohne Ursachenforschung nützten, um bekannte ideologische Positionen zu propagieren: Abschaffung des Zölibats, Öffnung gegenüber der Homosexualität und – man staune selbst da – das Frauenpriestertum.
Die katholische Kirche hat die Ursachenforschung nach den tatsächlichen Gründen für diese Abirrung einiger ihrer Vertreter zwar noch nicht zur Gänze abgeschlossen, doch bereits ein sehr deutliches Bild gewonnen und Gegenmaßnahmen eingeleitet. Papst Benedikt XVI. drückte den Bischöfen auf der ganzen Welt erst vor wenigen Tagen klare Richtlinien in die Hand, die ihnen helfen sollen, mit diesem Phänomen besser und rechtzeitig umzugehen. Anders gesagt, bei Eintreten eines Mißbrauchsfalles richtig zu reagieren, gegenüber Opfer wie Täter. Weit mehr aber noch, durch höhere Wachsamkeit Prävention zu betreiben, damit es erst gar nicht zu solchen Fällen kommen kann.
„Permissives und liberales Klima“ führte nach 1968 zur Pädophilie
Die amerikanischen Bischöfe, wie der Vatikanist Raolo Rodari berichtet, gaben eine Studie in Auftrag, um die Gründe des Pädophilieskandals zu erfassen. Sie beauftragten damit das John Jay College, das renommierteste kriminologische Institut der Vereinigten Staaten. Die New York Times bezeichnete die Studie als „die bedeutendste, die die katholischen Kirche bisher durchführen ließ“.
Die Studie untersucht den gesamten Zeitraum von 1950 bis 2010. Das kriminologische Forschungsinstitut kam zu einem teils erwarteten, teils erstaunlichen Ergebnis, das sich wie folgt zusammengefaßt auf den Punkt bringen läßt: Grund für die Pädophilie bei einem kleinen Teil des katholischen Klerus ist weder der Zölibat noch die Homosexualität, sondern „the blame Woodstock“. Man könnte also sagen: Schuld ist Woodstock. Die Kriminologen meinen damit das permissive und liberale Klima, das Ende der 60er Jahre entstanden war und das im Freiluftkonzert von Woodstock seinen symbolischen Ausdruck fand.
Laut Studie hätten pädophile Priester keine spezifischen psychologischen Besonderheiten. Es ließe sich daher kein allgemeines Täterprofil erstellen, bei dem man von tatsächlich oder vermeintlich abweichenden sexuellen Neigungen oder psychologischen Störungen ausgehen könne. Die Studie habe auch ergeben , daß Ende der 70er Jahre die Zahl von Priestern mit (erklärten oder verheimlichten) homosexuellen Neigungen zugenommen habe, ohne daß damit jedoch die Zahl von Mißbrauchsfällen an Jugendlichen zugenommen hätte.
Fünf Prozent aller Fälle Pädophilie, 95 Prozent Ephebophilie
Der Großteil der Anzeigen betrifft Fälle aus den 50er und 60er Jahren. Damals war es üblich, daß Priester primär nur mit Buben zu tun hatten, während Ordensschwestern die Mädchen betreuten. Deshalb, so die Studie, war der Großteil der Mißbrauchsopfer männlichen Geschlechts.
Laut dem John Jay College könnten zudem viele der Mißbrauchsfälle nicht als Fälle von Pädophilie bezeichnet werden. Lediglich bei fünf Prozent aller Fälle handelte es sich um Pädophilie. In 95 Prozent waren die Opfer bereits Jugendliche nach der Pubertät.
Die Ergebnisse sollen der Kirche bei der Ursachenforschung helfen, um das Phänomen unterbinden zu können. Sie scheinen aber widersprüchlich zu früheren Studien desselben Instituts. Vor allem das Ergebnis, daß 95 Prozent aller Mißbrauchsfälle bereits junge Burschen nach der Pubertät betrafen, schwächt nicht die angenommene Korrelation zwischen Pädophilie und Homosexualität, sondern stärkt sie. In der Kirche ist man nämlich, wenn auch noch nicht abschließend, so doch mit sehr hohem Maß zum Schluß gelangt, daß pädophile Neigungen bei Priestern vor allem mit der Homosexualität zusammenhängen. So äußerte sich vor einem Jahr auch Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone. In Chile sagte Kardinal Bertone:
„Viele Soziologen, viele Psychiater haben nachgewiesen, daß es keinen Zusammenhang zwischen Zölibat und Pädophilie gibt. Viele haben hingegen nachgewiesen, wie sie mir auch jüngst mitteilten, daß es einen Zusammenhang zwischen Homosexualität und Pädophilie gibt. Es handelt sich um eine Pathologie, die alle sozialen Gruppen betrifft, und dabei die Priester im Verhältnis sogar weniger als andere.“
81 Prozent aller wegen Mißbrauchs angezeigten Priester homosexuell
Der Kardinalstaatssekretär stützte sich dabei unter anderem auf Statistiken und Forschungsergebnisse des John Jay Colleges. Aus den Statistiken läßt sich ein ganz anderer Schluß ziehen, als nun aus der neuen Studie, die das Institut für die amerikanischen Bischöfe erstellte. Demnach sei das Pädophilierisiko unter Homosexuellen weit höher als unter Heterosexuellen. Wörtlich schreibt das John Jay Institut: „Es wäre ungerecht und absurd zu behaupten, daß alle Homosexuellen Pädophile sind. Es ist aber eine Tatsache, daß viele Pädophile Homosexuelle sind.“ In den vom Institut veröffentlichten Statistiken heißt es: 81 Prozent der Priester, die beschuldigt wurden, im Zeitraum 1950 bis 2002 sexuellen Kontakt mit Minderjährigen gehabt zu haben, hatten eine homosexuelle Ausrichtung.
Auch deshalb legte Papst Benedikt XVI. den amerikanischen Bischöfen größere Wachsamkeit nahe, ehe sie Seminaristen zu Priestern weihen, die homosexuelle Neigungen erkennen lassen.
(Palazzo Apostolico/Giuseppe Nardi, Bild: Palazzo Apostolico)