von Josef Bordat
Südkorea ist 60. Das Land, das nach dem Zweiten Weltkrieg einen beispiellosen Aufstieg genommen hat und heute zu den führenden High-Tech-Nationen zählt, gilt als weitgehend säkularisiert. Daß die Katholische Kirche in Geschichte und Gegenwart eine tragende Rolle spielt, ist nur wenigen bewußt. Umso schmerzlicher, daß das Land die Teilung noch nicht überwinden konnte.
Korea – Tradition und Moderne
Die Republik Korea („Südkorea“) feierte am 15. August 2008 den 60. Jahrestag ihres Bestehens. Korea ist ein Land zwischen Tradition und Moderne. Die Koreaner sind fröhliche und hilfsbereite Menschen, die in einem Gleichgewicht von Spiritualität und technischem Fortschritt leben und dabei zugleich Bescheidenheit und Selbstbewußtsein ausstrahlen. Diese Harmonie von Kompetenz und Demut, von Aufstiegsorientierung und Verwurzelung ist es, die die Erfolgsgeschichte dieses asiatischen Landes prägt. Und eine Erfolgsgeschichte ist das, was in den Jahrzehnten nach dem Koreakrieg (1950–53) im Süden der Halbinsel passiert ist, in der Tat. Das Pro-Kopf-Einkommen wurde von 200 US-$ auf 20.000 US-$ gesteigert. Heute hat Südkorea eine stabile Demokratie und eine der größten Volkswirtschaften der Welt. Gemessen am nominalen Bruttoinlandsprodukt des Jahres 2007 lag das Land mit seinen 49 Millionen Einwohnern auf Platz 13.
Die Rolle des Katholizismus
Viele Menschen wissen nicht, daß der Katholizismus eine große Rolle bei der Entwicklung des modernen Korea gespielt hat. Insbesondere das Sozial- und Gesundheitssystem ist fest in kirchlicher Hand, der Bildungssektor wird von vielen konfessionellen Schulen gestützt. Dabei ist der katholische Glaube nicht – wie in anderen Teilen der Welt, etwa in Lateinamerika oder Afrika, aber auch in China – durch Mission von außen angeregt und etabliert worden, sondern erwuchs aus der Kraft eigenständiger intellektueller Auseinandersetzung mit dogmatischen Schriften. Ein Blick in die Geschichte der katholischen Kirche in Korea lohnt sich, weil sie ein Bild lebendiger Glaubensentfaltung aus dem Geist der Vernunft offenbart, das kirchenhistorisch einzigartig ist und weil sie zeigt, wie durch das Nachdenken über Gott, die tätige Nächstenliebe und das kompromißlose Einstehen für die Wahrheit Kirche zur erneuernden Kraft aufblüht.
Die Anfänge des Katholizismus
In den 1770ern studieren koreanische Gelehrte, alles Konfuzianer, katholische Schriften aus China, welche die Jesuiten im 17. Jahrhundert dorthin mitgebracht haben. Die Männer sind nach ihren philosophischen Studien davon überzeugt, in den dogmatischen Texten die Wahrheit gefunden zu haben. Wenig später bekennen sich Yi Byeol, Gwon Il-Sin, Yi Gahwan und Jeong Yakjong zum Katholizismus und treffen sich regelmäßig in buddhistischen Tempeln, um sich noch intensiver mit den Schriften aus China zu beschäftigen. Sie ziehen damit die Aufmerksamkeit ihrer Kollegen auf sich. Viele konfuzianische Gelehrte schließen sich ihnen an, so daß die Gruppe der Intellektuellen im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts rasch wächst und der Kirche in Korea den Boden bereitet.
1783 wird mit Lee Seung Hun der erste Koreaner auf den Namen „Petrus“ getauft. Als diplomatischer Gesandter in China tätig, hatte er Kontakt zu Christen in Peking aufgenommen. Er kehrt 1784 nach Korea zurück und legt damit den Grundstein für die Kirche in seiner Heimat. Er wird wahrhaftig zum „Fels“, auf den seine zum Glauben gekommenen Landsleute ihre Kirche bauen konnten. 1784 gilt seither als Gründungsjahr der katholischen Kirche in Korea.
Gefährliches Gedankengut
Die „Philosophen-Gruppe“ trifft sich unterdessen im Haus von Kim Beom‑u, auf dessen Grund ein Jahrhundert später die Kathedrale von Myeongdong gebaut wird. Die Gruppe wächst im Verborgenen, ihre Spiritualität der universellen Liebe aber trägt sie in die Gesellschaft hinein. Erkennbare Charakteristika der jungen Kirche sind die teilweise praktizierte Gütergemeinschaft untereinander sowie das große karitativ-soziale Engagement, das sich auf alle richtet, auch und gerade auf die Schwächsten. Die Sklaven, die in den Haushalten der Konvertiten leben, werden mit Rücksicht auf das Gleichheitsprinzip des Christentums in die Freiheit entlassen. Dieses Verhalten betrachtet das konfuzianische Joseon-Regime als Affront. Eine unbedingte Menschenwürde ist im Konfuzianismus unbekannt, in dessen Leistungsethik es klare Hierarchien gibt, mit undurchlässigen Grenzen zwischen oben und unten und in der Frauen Menschen zweiter Klasse sind. Universalität und Gleichheit drohen die paternalistische Gesellschaft Koreas ins Wanken zu bringen. Den äußeren Anlaß für die Verfolgung bildete die Weigerung der Christen, ihren Ahnen Opfer zu bringen, als Folge der Ablehnung des konfuzianischen Ahnenritus durch den Papst, der diese Praxis bereits im 17. Jahrhundert als Irrlehre verurteilt und entsprechende Weisung an die Jesuiten, die in der China-Mission wirkten, erteilt hatte. Der eigentliche Grund aber ist in der Gefahr der Christen für die Machteliten zu sehen, da sie die gesellschaftlichen Verhältnisse zu erodieren drohten.
Das Jahrhundert der Verfolgung
Es beginnt ein Jahrhundert blutiger Verfolgung. 1786 erfolgt die Verhaftung und Ermordung Kim Beom-us. Er wird zum ersten Martyrer Koreas. Er sollte nicht der einzige bleiben – während des 19. Jahrhunderts fallen schätzungsweise 10.000 koreanische Katholiken der Verfolgung zum Opfer.
Die Verfolgung der Kirche vollzieht sich in vier Wellen: kurz nach dem Verbot (1801), 1839–1841 (danach mußte die Kirche komplett neu organisiert werden, da insbesondere Priester, u. a. der erste Bischof, ermordet wurden), 1846–1850 und schließlich – besonders heftig – in den Jahren 1866–1876 unter Prinzregent Taewongun. Erst mit der Staats- und Gesellschaftsreform im Jahre 1895 ebbt die Christenverfolgung in Korea ab. Auf Druck der Kolonialmacht Japan erfolgt eine Öffnung zum Westen und Religionsfreiheit wird garantiert. Das begünstigt insbesondere die Einreise von evangelikalen Missionaren aus den USA, doch auch die katholische Kirche kann nach einem Jahrhundert der Verfolgung aufatmen.
Im 20. Jahrhunderten führt eine Rehabilitierung der Opfer zu einer weit über den Katholizismus hinausreichenden Verehrung der Kirchenpioniere Koreas. Auch der Vatikan zollt der Geschichte der Kirche in Korea gebührend Respekt: 1925 werden neun, 1968 weitere 24 Martyrer selig gesprochen. Höhepunkt der noch jungen koreanischen Kirchengeschichte ist sicherlich die 1984 – zum 200. Jahrestag der Kirchengründung in Korea – erfolgte Heiligsprechung von 93 koreanischen und 10 französischen Martyrern der Verfolgungszeit durch Papst Johannes Paul II.
Die Struktur der Kirche
Der Wunsch nach priesterlicher Begleitung geht für die Untergrundkirche 1794 in Erfüllung. Aus China kommt Pater Jakob Chou Moon-Mo. Da er den Beginn der Verfolgung 1801 mit seiner Anwesenheit in Verbindung bringt, stellt er sich freiwillig den Behörden. 1831 wird – der Verfolgung zum Trotz – die landesweite Diözese Choson gegründet und wenig später beginnt mit Hilfe von Missionaren aus Frankreich die noch wenig organisierte Ausbildung von Priestern. 1845 wird der erste koreanische Priester geweiht, Andreas Kim Taegon, der 1846 der dritten Verfolgungswelle zum Opfer fällt. 1855 erhält Korea sein eigenes Priesterseminar, das sich eines regen Zulaufs erfreut. Zehn Jahre später gibt es bereits zwölf koreanische Geistliche, die etwa 25.000 Katholiken seelsorgerisch betreuen. Im 20. Jahrhundert erfolgen weitere Schritte in die organisationale Normalität. Die Kirchenstruktur, die noch heute gilt, stammt aus dem Jahr 1962. Danach ist Südkorea in 16 Bistümer unterteilt. Der Erzbischof von Seoul ist dabei zugleich Bischof von Pyongyang, der Hauptstadt Nordkoreas. 1966 wird die koreanische Bischofskonferenz eingerichtet und 1968 zum ersten Mal ein koreanischer Bischof zum Kardinal ernannt.
Gegenwart und Zukunft
Seit den 1960er Jahren erlebte das Christentum in Korea einen beispiellosen Aufstieg, der dazu führt, daß Südkorea nach den Philippinen, eine ehemals spanische Kolonie mit mehrheitlich katholischer Bevölkerung, das asiatische Land mit dem höchsten Bevölkerungsanteil an Christen ist. Jeder vierte Koreaner bekennt sich heute zum Christentum, das macht 12 Mio. Christen, Tendenz weiter steigend. Etwa 3,5 Mio. Koreaner sind katholisch, sie werden von etwa 2.200 koreanischen und 200 ausländischen Priestern betreut.
Der Beitrag der Katholiken zu Wohlfahrt und sozialer Konstitution des Landes ist, wie eingangs bereits ausgeführt, ein bedeutender. Die Encyclopedia of Korean Culture sagt es mit folgenden Worten: Die katholische Kirche habe sich nach „two centuries of miraculous development“ zu einer „de facto representative of the Korean conscience“ entwickelt, die in Koreas Zukunft die „key spiritual authority“ bilden werde. Zudem leiste sie mit ihrem „attitude of service“ eine „invaluable contribution to society“.
Der Blick nach Norden
Anders – ganz anders! – stellt sich die Situation in Nordkorea dar. Zugegeben: Über Nordkorea weiß ich nicht viel. Dieses Schicksal teile ich mit zahlreichen anderen Menschen, die spärliche Informationen aus zweiter und dritter Hand zusammenbasteln, um sich ein Bild zu machen. Ein Bild von einer scheußlichen Diktatur, in der sich der absolute Herrscher gottgleich verehren und jede andere religiöse Bekundung mit Arbeitslager, Folter und Mord beantworten läßt. Es fällt im übrigen angesichts des quasireligiösen Kultes um Staatsgründer Kim Il-sung („Gott Vater“ als „Schöpfer“) und um den jetzigen Staatspräsidenten Kim Jong-il („Gottes Sohn“ als „Großer Führer“) sehr schwer, die offiziell proklamierte atheistische Ausrichtung Nordkoreas im Habitus der Herrschenden wiederzufinden. Es scheint bei dieser „atheistischen“ Staatsdoktrin wieder einmal darum zu gehen, die Religion abzuschaffen und Gott für tot zu erklären, um sich selbst an die Stelle Gottes setzen zu können.
Es wird viel spekuliert um den Gesundheitszustand des Diktators („Ist Kim Jong ill?“), über das Atomprogramm des Landes und über die wirtschaftliche Situation seiner Bewohner. Fest steht: Andersdenkende werden erbarmungslos verfolgt. Dabei wird der Begriff des Andersdenkenden sehr weit ausgelegt: Wer den Führer nicht verehrt, ist sein Feind. Bekennende (katholische) Christen, die die Huldigung des Diktators als Götzendienst ablehnen, landen allein aufgrund ihres Glaubens zu Tausenden in den gefürchteten Arbeitslagern, wo sie sich unter unvorstellbar grausamen Bedingungen zu Tode schuften (fast die Hälfte des nordkoreanischen Bruttoinlandsprodukts wird in diesen Lagern erzeugt).
Christen aller Konfessionen gelten in Nordkorea als „Staatsfeinde Nr. 1“. In den Lagern gehören sie zu den Häftlingen der unterster Kategorie, die bevorzugt Objekte der Willkür ihrer Aufseher sind. In der (sicherlich ebenfalls wichtigen) Debatte um Christenverfolgung in China, Indonesien oder in der arabischen Welt wird häufig das kleine Nordkorea übersehen, obwohl Christen nirgendwo sonst so brutal verfolgt werden wie dort. Im „Open Doors Weltverfolgungsindex 2008“ steht das Land an erster Stelle.
Sehr beeindruckent ist der Bericht einer der wenigen Überlebenden eines solchen Lagers, Soon Ok Lee. Frau Lee beschreibt in „Laßt mich eure Stimme sein! Sechs Jahre in Nordkoreas Arbeitslagern“ (Gießen: Brunnen-Verlag 2005) die unmenschlichen Bedingungen der Inhaftierung. Doch auch ihr unerschütterlicher Glaube daran, daß Gottes Liebe und nicht der Haß der Menschen das letzte Wort hat, wird in den Schilderungen deutlich, ein Glaube, der Christen in Verfolgung nicht verzweifeln, sondern ganz besonders hoffen läßt auf die Erlösung durch Jesus, der diesen Leidensweg von der Verfolgung über Gefangennahme und Folter bis zum Opfertod selbst gegangen ist.
Nach dem Studium (Wirtschaftsingenieurwesen, Soziologie, Philosophie) und der Promotion zum Dr. phil. ist Josef Bordat derzeit als freier Publizist in Berlin tätig.