Kirche und Kirchenmänner


Roberto de Mattei über die Kirchenkrise, den Schmutz in der Kirche, über unwürdige Hirten und einen treuen Teil der heldenhaft treu bleibt.
Roberto de Mattei über die Kirchenkrise, den Schmutz in der Kirche, über unwürdige Hirten und einen treuen Teil der heldenhaft treu bleibt.

Die muti­ge Ankla­ge der kirch­li­chen Skan­da­le durch Erz­bi­schof Car­lo Maria Viganò hat viel Zustim­mung gefun­den, aber auch Ableh­nung durch eini­ge, die über­zeugt sind, daß man alles, was die Ver­tre­ter der Kir­che dis­kre­di­tiert, durch Schwei­gen zudecken sollte.

Anzei­ge

Die­ser Wunsch, die Kir­che zu schüt­zen, ist ver­ständ­lich, wenn der Skan­dal eine Aus­nah­me dar­stellt. Es besteht in einem sol­chen Fall die Gefahr einer Ver­all­ge­mei­ne­rung, indem allen das Ver­hal­ten weni­ger ange­la­stet wird. Anders liegt der Fall, wenn die Unmo­ral zur Regel oder zumin­dest zu einer ver­brei­te­ten und als nor­mal akzep­tier­ten Lebens­art wird.

In die­sem Fall ist die öffent­li­che Ankla­ge der erste Schritt zu einer not­wen­di­gen Erneue­rung der Sit­ten. Das Schwei­gen zu bre­chen, gehört zu den Pflich­ten des Hir­ten, wie der hei­li­ge Gre­gor der Gro­ße ermahnt:

„Was näm­lich ist für einen Hir­ten die Angst, die Wahr­heit zu sagen, wenn nicht mit sei­nem Schwei­gen dem Feind den Rücken zu keh­ren? Wenn er hin­ge­gen für die Ver­tei­di­gung der Her­de kämpft, errich­tet er gegen die Fein­de einen Schutz­wall für das Haus Isra­el. Des­halb ermahnt der Herr durch den Mund Jesa­jas: ‚Rufe aus vol­ler Keh­le, hal­te dich nicht zurück! Laß dei­ne Stim­me ertö­nen wie eine Posau­ne!‘ (Jes 58,1)“.

Aus­gangs­punkt eines schuld­haf­ten Schwei­gens ist meist die feh­len­de Unter­schei­dung zwi­schen der Kir­che und den Män­nern der Kir­che – ob ein­fa­che Gläu­bi­ge oder Bischö­fe, Kar­di­nä­le oder Päp­ste. Einer der Grün­de für die­se Ver­wir­rung ist gera­de der Rang der in die Skan­da­le ver­wickel­ten Autorität.

Je höher die Wür­de, desto mehr besteht die Nei­gung, sie mit der Kir­che gleich­zu­set­zen, indem Gut und Böse unter­schieds­los bei­den zuge­schrie­ben wird. In Wirk­lich­keit steht das Gute allein der Kir­che zu, wäh­rend das Böse allein den Men­schen geschul­det ist, die sie repräsentieren.

Des­halb kann die Kir­che nicht als Sün­de­rin bezeich­net werden.

„Sie bit­tet den Herrn um Ver­ge­bung nicht für von ihr began­ge­ne Sün­den, son­dern für die Sün­den, die ihre Söh­ne und Töch­ter bege­hen, indem sie nicht auf sie als Mut­ter hören“, so P. Roger T. Cal­mel OP (1920–1998).[1]Bre­ve Apo­lo­gia del­la Chie­sa di semp­re, Editri­ce Ich­tys, Alba­no Lazia­le 2007, S. 91.

Alle Glie­der der Kir­che, die der Eccle­sia docens und der Eccle­sia dis­cens ange­hö­ren, sind Men­schen mit ihrer von der Erb­sün­de ver­letz­ten Natur. Weder macht die Tau­fe die Gläu­bi­gen noch das Wei­he­sa­kra­ment die Ange­hö­ri­gen der Hier­ar­chie makel­los. Selbst der Papst kann sün­di­gen und sich irren, aus­ge­nom­men er han­delt im Cha­ris­ma der Unfehlbarkeit.

Es ist dar­an zu erin­nern, daß die Gläu­bi­gen nicht die Kir­che bil­den, wie es hin­ge­gen für die mensch­li­che Gesell­schaft gilt, die aus den Glie­dern besteht, die sie bil­den. Eine Bin­dung die sofort endet, sobald sie sich von ihr lösen.

Zu behaup­ten: „Wir sind die Kir­che“, ist daher falsch, weil die Zuge­hö­rig­keit der Getauf­ten zur Kir­che nicht von ihrem Wil­len abhängt: Es ist Chri­stus selbst, der ein­lädt, Teil sei­ner Her­de zu sein, indem er zu jedem sagt:

„Nicht ihr habt mich erwählt, son­dern ich habe euch erwählt“ (Joh 15,16).

Die von Jesus Chri­stus gegrün­de­te Kir­che hat eine mensch­li­che und gött­li­che Ver­fas­sung: mensch­lich, weil sie eine mate­ri­el­le und pas­si­ve Kom­po­nen­te hat, die von allen Gläu­bi­gen gebil­det wird, sowohl vom Kle­rus als auch von den Lai­en; über­na­tür­lich und gött­lich, wegen ihrer Seele.

Jesus Chri­stus, ihr Haupt, ist das Fun­da­ment, der Hei­li­ge Geist ist ihr über­na­tür­li­cher Antrieb. Die Kir­che ist also nicht hei­lig wegen der Hei­lig­keit ihrer Glie­der, son­dern ihre Glie­der sind hei­lig durch Jesus Chri­stus, der sie lei­tet, durch den Hei­li­gen Geist, der sie leben­dig macht. Der Kir­che eine Schuld anzu­la­sten, ist dem­nach, als wür­de man sie Jesus Chri­stus und dem Hei­li­gen Geist anla­sten. Von Ihnen kommt alles Gute, das heißt, alles was „wahr­haft, edel, recht, lau­ter, lie­bens­wert, anspre­chend ist, was Tugend heißt und lobens­wert ist“ (Phil 4,8), und von den Men­schen der Kir­che kommt alles Übel: Unord­nung, Skan­da­le, Miß­brauch, Gewalt, Schmutz, Sakrilege.

Der Pas­sio­ni­sten-Theo­lo­ge Enri­co Zoffo­li (1915–1996), der die­sem The­ma eini­ge schö­ne Zei­len wid­me­te, schreibt:

„Wir haben also nicht das gering­ste Inter­es­se, die Feh­ler der schlech­ten Chri­sten, der unwür­di­gen Prie­ster, der fei­gen, nutz­lo­sen, unehr­li­chen und arro­gan­ten Hir­ten zu decken. Die Absicht, ihre Sache zu ver­tei­di­gen, ihre Ver­ant­wor­tung klein­zu­re­den, die Fol­gen ihrer Irr­tü­mer her­un­ter­zu­spie­len, auf histo­ri­sche Kon­tex­te und Aus­nah­me­si­tua­tio­nen zurück­zu­grei­fen, um damit alles zu erklä­ren und alle frei­zu­spre­chen, wäre naiv und ver­ge­bens.“[2]Enri­co Zoffo­li: Chie­sa e uomi­ni di Chie­sa, Edi­zio­ni Seg­no, Udi­ne 1994, S. 41.

Heu­te gibt es viel Schmutz in der Kir­che, wie der dama­li­ge Kar­di­nal Ratz­in­ger beim Kreuz­weg am Kar­frei­tag 2005 sag­te, der sei­nem Auf­stieg zum Pon­ti­fi­kat vorausging.

„Wie wenig Glau­be ist in so vie­len Theo­rien, wie­viel lee­res Gere­de gibt es? Wie­viel Schmutz gibt es in der Kir­che und gera­de auch unter denen, die im Prie­ster­tum Ihm [Jesus] ganz zuge­hö­ren sollten?“

Das Zeug­nis von Msgr. Car­lo Maria Viganò ist ver­dienst­voll, weil er, indem er den Schmutz ans Licht bringt, das Werk der Rei­ni­gung der Kir­che um so drin­gen­der macht. Es muß klar sein, daß das Ver­hal­ten von unwür­di­gen Bischö­fen und Prie­stern nicht den Dog­men oder der kirch­li­chen Moral ent­spricht, son­dern ihren Ver­rat bedeu­tet, weil es die Leug­nung des Geset­zes des Evan­ge­li­ums ist.

Die Welt, die die Kir­che anklagt, klagt sie an, eine Moral­ord­nung ver­letzt zu haben: Doch im Namen von wel­chem Gesetz und wel­cher Leh­re maßt sich die Welt an, die Kir­che anzu­kla­gen? Die Lebens­phi­lo­so­phie, zu der sich die moder­ne Welt bekennt, ist der Rela­ti­vis­mus, laut dem es kei­ne abso­lu­te Wahr­heit gibt und das ein­zi­ge Gesetz des Men­schen das ist, kei­nem unver­än­der­li­chen Gesetz zu unter­ste­hen. Die prak­ti­sche Kon­se­quenz dar­aus ist der Hedo­nis­mus, laut dem die ein­zig mög­li­che Form, glück­lich zu sein, dar­in besteht, die eige­nen Freu­den und Instink­te zu befrie­di­gen. Wie kann die prin­zi­pi­en­lo­se Welt über die Kir­che urtei­len und sie verurteilen?

Die Kir­che hat das Recht und die Pflicht, über die Welt zu urtei­len, weil sie über eine abso­lu­te und unver­än­der­li­che Leh­re verfügt.

Die moder­ne Welt, ein Kind der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on, ent­fal­tet fol­ge­rich­tig die liber­ti­nen Ideen des Mar­quis de Sade (1740–1814): freie Lie­be, freie Got­tes­lä­ste­rung, tota­le Frei­heit, jede Basti­on des Glau­bens und der Moral zu leug­nen und zu zer­stö­ren, so wie in den Tagen der Revo­lu­ti­on die Bastil­le nie­der­ge­ris­sen wur­de, in der Sade ein­ge­sperrt war. Das Ergeb­nis von alle­dem ist die Auf­lö­sung der Moral, die zur Zer­stö­rung der Grund­la­gen für das zivi­li­sier­te Zusam­men­le­ben führt, und aus den bei­den ver­gan­ge­nen Jahr­hun­der­ten die dun­kel­ste Epo­che der Geschich­te machte.

Das Leben der Kir­che ist auch eine Geschich­te von Ver­rat, Abtrün­nig­keit, Apo­sta­sie und man­geln­der Ent­spre­chung der Gött­li­chen Gna­de. Die­se tra­gi­sche Schwä­che wird aber immer von einer außer­or­dent­li­chen Treue beglei­tet: Dem Sturz, selbst den erschreckend­sten Fäl­len durch vie­le Ange­hö­ri­ge der Kir­che, steht das Hel­den­tum der Tugend vie­ler ande­rer ihrer Kin­der gegenüber.

Ein Strom der Hei­lig­keit ergießt sich aus der Sei­te Chri­sti und fließt üppig durch die Jahr­hun­der­te: Es sind die Mär­ty­rer, die sich den wil­den Tie­ren im Kolos­se­um stel­len; es sind die Ere­mi­ten, die der Welt ent­sa­gen, um ein Leben der Buße zu füh­ren; es sind die Mis­sio­na­re, die bis zu den äußer­sten Gren­zen der Erde vor­drin­gen; es sind die uner­schrocke­nen Beken­ner des Glau­bens, die Schis­men und Häre­si­en bekämp­fen; es sind die kon­tem­pla­ti­ven Ordens­leu­te, die mit ihrem Gebet die Ver­tei­di­ger der Kir­che und der christ­li­chen Zivi­li­sa­ti­on stützen.

Sie alle haben auf unter­schied­li­chen Wegen ihren Wil­len dem Gött­li­chen Wil­len gleich­ge­macht. Die hei­li­ge Tere­sa vom Kin­de Jesu hät­te alle die­se Beru­fun­gen in einem höch­sten Akt der Lie­be zu Gott zusam­men­fas­sen wollen.

Jeder Hei­li­ge ist vom ande­ren ver­schie­den, aber gemein­sam ist allen die Ver­bun­den­heit mit Gott: Es ist die­se Ver­bun­den­heit, die nie auf­hört, und die aus der einen, katho­li­schen und apo­sto­li­schen Kir­che vor allem und zu aller­erst eine voll­kom­men hei­li­ge Kir­che macht. Die Hei­lig­keit der Kir­che hängt nicht von der Hei­lig­keit ihrer Kin­der ab: Sie ist onto­lo­gisch, weil sie mit ihrer Natur zusam­men­hängt. Damit die Kir­che hei­lig genannt wer­den kann, ist es nicht nötig, daß alle ihre Kin­der hei­lig­mä­ßig leben. Es genügt, daß dank des Lebens­stro­mes des Hei­li­gen Gei­stes ein Teil von ihnen, viel­leicht auch nur ein klei­ner, in den Zei­ten der Prü­fung dem Gesetz des Evan­ge­li­ums hel­den­haft treu bleibt.

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017.

Bild: MiL

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