Die „anthropologische Wende“ des 2. Vatikanischen Konzils


Konzil
Das zweite Vatikanische Konzil bedeutete eine anthropologische Wende.

von Rober­to de Mattei*

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Unter allen Doku­men­ten des Kon­zils, ist eines beson­ders emble­ma­tisch und viel­leicht auch das umstrit­ten­ste, näm­lich die Kon­sti­tu­ti­on Gau­di­um et Spes, die dem Theo­lo­gen Joseph Ratz­in­ger nicht gefiel. In jenem Doku­ment wur­de mit ire­ni­schem Opti­mis­mus die Umar­mung zwi­schen der Kir­che und der moder­nen Welt gefei­ert. Es war die Welt der 60er Jah­re, getränkt von Kon­su­mis­mus und Säku­la­ris­mus, eine Welt, auf der der Schat­ten des kom­mu­ni­sti­schen Impe­ria­lis­mus lag, über den das Kon­zil nicht reden wollte.
Das Zwei­te Vati­ka­num sah die posi­ti­ven Kei­me der Moder­ne, nicht aber deren Gefah­ren. Es ver­zich­te­te dar­auf, die Irr­tü­mer anzu­pran­gern und wei­ger­te sich, deren anti­christ­li­che Wur­zeln zu erken­nen. Es woll­te die Welt hören und ver­such­te, die „Zei­chen der Zeit“ zu lesen, in der Über­zeu­gung, daß die Geschich­te einen kon­ti­nu­ier­li­chen, unde­fi­nier­ten Fort­schritt bedeu­te. Die Kon­zils­vä­ter schie­nen es eilig zu haben, mit der Ver­gan­gen­heit abzu­schlie­ßen, in der Über­zeu­gung, daß die Zukunft gün­stig für die Kir­che und die Mensch­heit sei. Dem war aber lei­der nicht so. In den Nach­kon­zils­jah­ren wur­de der ver­ti­ka­le Schwung hin zu den tran­szen­den­ten Prin­zi­pi­en ersetzt durch ein Hin­ter­her­ja­gen hin­ter den irdi­schen und mon­dä­nen Wertvorstellungen.

Eine horizontale und soziologische Sichtweise des Christentums, symbolisiert durch den Volksaltar

Das phi­lo­so­phi­sche Prin­zip von Imma­nenz wan­del­te sich in eine hori­zon­ta­le und sozio­lo­gi­sche Sicht­wei­se des Chri­sten­tums, sym­bo­li­siert – in der Lit­ur­gie – durch den Volks­al­tar. Die con­ver­sio ad popu­lum, die mit dem Preis uner­hör­ter künst­le­ri­scher Zer­stö­run­gen bezahlt wur­de, ver­wan­del­te das Bild des mysti­schen Lei­bes Chri­sti in jenes eines sozia­len Kör­pers, der sei­ner über­na­tür­li­chen See­le ent­leert wur­de. Wenn aber die Kir­che dem Über­na­tür­li­chen und dem Tran­szen­den­ten den Rücken zukehrt, um sich dem Imma­nen­ten zuzu­wen­den, stellt sie die Leh­re des Evan­ge­li­ums auf den Kopf, wonach man „in der Welt, aber nicht von der Welt“ sein soll. Sie hört auf, die Welt zu chri­stia­ni­sie­ren und wird statt des­sen von die­ser verweltlicht.

Das Reich Got­tes wird zur rei­nen Macht­struk­tur, in der Kal­kül und poli­ti­sche Ver­nunft, mensch­li­che Lei­den­schaf­ten und neben­säch­li­che Inter­es­sen vor­herr­schend wer­den. Die „anthro­po­lo­gi­sche Wen­de“ brach­te viel mensch­li­che Prä­senz in die Kir­che, aber wenig gött­li­che. Wenn wir von Kir­che spre­chen, bezie­hen wir uns natür­lich nicht auf die Kir­che an sich, son­dern auf die Men­schen, die ihr ange­hö­ren. Die Kir­che hat eine gött­li­che Natur, die durch nichts getrübt wer­den kann und die sie immer rein und unbe­fleckt sein läßt. Ihre mensch­li­che Dimen­si­on aber kann durch jenen Ruß bedeckt wer­den, den Bene­dikt XVI. bei der Via Cru­cis vor sei­ner Wahl, als „Schmutz“ bezeich­ne­te und Paul VI. ange­sichts der kon­zi­lia­ren Sprün­ge und Klüf­te unbe­wußt mit pro­phe­ti­schen Wor­ten als „Rauch Satans“ bezeich­ne­te, der in das Haus Got­tes ein­ge­drun­gen ist.

Häretisierende Reden und zweideutige Erklärungen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil

Der Rauch Satans sind noch vor den Schwä­chen und den Arm­se­lig­kei­ten der Men­schen vor allem die häre­ti­sie­ren­den Reden und die zwei­deu­ti­gen Erklä­run­gen, die seit dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil erfol­gen, ohne daß noch das Werk begon­nen hät­te, das Johan­nes Paul II. die „Rei­ni­gung der Gedächt­nis­ses“ nann­te, und das wir ein­fa­cher „Gewis­sens­er­for­schung“ nen­nen, um zu ver­ste­hen, was wir falsch gemacht haben, was wir zu kor­ri­gie­ren haben, wie wir dem Wil­len Jesu Chri­sti ent­spre­chen müs­sen, der der ein­zi­ge Ret­ter bleibt, nicht nur sei­nes mysti­schen Lei­bes, son­dern einer Gesell­schaft, die abdrif­tet. Die Kir­che durch­lebt eine Zeit der Kri­se, ist aber auch reich an geist­li­chen Res­sour­cen und an Hei­lig­keit, die in vie­len See­len leuch­ten. Die Stun­de der Fin­ster­nis wird in der Geschich­te immer von der Stun­de des Lichts beglei­tet, das aufleuchtet.

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, u.a. Autor der Kon­zils­ge­schich­te: „Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil – eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te“, Edi­ti­on Kirch­li­che Umschau, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: „Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on – Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti“, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017.

Text: Der bereits 2012 von Katho​li​sches​.info ver­öf­fent­lich­te Text wird wegen sei­ner Bedeu­tung und Aktua­li­tät erneut veröffentlicht.
Bild: MiL

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