Wie viel künstliche Implantate verträgt die Identität des Menschen?


Transhumanismus, Hilfe für den Menschen bei körperlichen Gebrechen und gesundheitlichen Problemen oder Überwindung des Menschlichen zugunsten einer „neuen Menschheit“?
Transhumanismus, ein mehrdeutiger Begriff:, berechtigte Hilfe für den Menschen bei körperlichen Gebrechen und gesundheitlichen Problemen oder Überwindung des Menschlichen zugunsten einer „neuen Menschheit“?

Zum jüngst erschie­ne­nen Bericht über eine Frei­mau­rer-Tagung zum The­ma Trans­hu­ma­nis­mus ver­öf­fent­li­chen wir ergän­zend das Essay des Diplom­theo­lo­gen Uwe C. Lay als Bei­trag zur Klä­rung eines mehr­deu­ti­gen Begriffs.

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„Hin­ter dem Begriff Trans­hu­ma­nis­mus ver­birgt sich der eben­so alte wie illu­so­ri­sche Wunsch der Frei­mau­rer und ande­rer gno­sti­scher Krei­se nach einem (gehei­men) höhe­ren Wis­sen zur „Höher­ent­wick­lung“ des Men­schen. Trans­hu­ma­nis­mus meint kon­kret die Ent­wick­lung von bio­tech­no­lo­gi­schen Mög­lich­kei­ten zur Mensch­heits­ver­bes­se­rung. Ob Evo­lu­ti­ons­leh­re, Ras­sen­hy­gie­ne, künst­li­che Intel­li­genz oder Trans­hu­ma­nis­mus, gemein­sam ist die­sen und wei­te­ren Strö­mun­gen in ganz unter­schied­li­chem Maß und Zusam­men­hang ein Stre­ben, die mensch­li­che Natur zu „ver­bes­sern“ oder im Sin­ne einer „höhe­ren Zukunft“ zu über­win­den. Gemein­sam ist ihnen, das Wesen der mensch­li­chen Natur, also die Rea­li­tät, nicht wirk­lich zu akzep­tie­ren und vor allem das Erlö­sungs­an­ge­bot Jesu Chri­sti nicht anneh­men zu wollen.“

Von Uwe C. Lay*

Das The­ma „Frei­mau­rer“ las­se ich hier außer acht, auch das der „Gno­sis“. Denn die „Gno­sis“ als reli­giö­se Bewe­gung streb­te die Erlö­sung des Men­schen an und ver­stand dar­un­ter immer auch die Befrei­ung von dem Kör­per­li­chen, die Befrei­ung der See­le aus dem Leib als sei­nen Ker­ker. Das Ziel einer Höher­ent­wicke­lung des Men­schen war nicht nur das Zen­tral­an­lie­gen der Auf­klä­rung, son­dern ist auch ein Motiv der christ­li­chen Vor­stel­lung vom neu­en Men­schen in Jesus Chri­stus, der den „Alten Adam“ in sich über­win­det. Der Huma­nis­mus mit sei­nem Zie­le der Ver­sitt­li­chung des Men­schen, daß er end­lich ver­nünf­tig wird, ist ja nur die säku­la­ri­sier­te Ver­si­on des Glau­bens an den neu­en Men­schen in Jesus Chri­stus. Spe­zi­fisch frei­mau­re­risch ist dar­an nun gar nichts, hier rezi­piert das Frei­mau­rer­tum nur Gedan­ken der Aufklärung.

Oscar Pistorius, Unterschenkelprothesen aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff
Oscar Pisto­ri­us, mit Unter­schen­kel­pro­the­sen aus koh­len­stoffa­ser­ver­stärk­tem Kunst­stoff zum Paralympics-Sieger.

Völ­lig ver­kannt wird nun aber das erste Anlie­gen des Trans­hu­ma­nis­mus, wenn von dem Ziel der Opti­mie­rung der mensch­li­chen Natur gespro­chen wird. Denn im Focus ste­hen da kran­ke Men­schen, denen durch künst­li­che Implan­ta­te gehol­fen wer­den soll. Der uns bekann­te­ste Fall ist der der Ein­set­zung künst­li­cher Her­zen, der banal­ste, daß Seh­schwa­che Bril­len tra­gen und Geh­be­hin­der­te in Roll­stüh­len fah­ren. Stets wird dabei eine bio­lo­gi­sche Schwä­che und Erkran­kung eines Tei­les des Kör­pers durch künst­li­che Mit­tel abge­mil­dert. Das künst­li­che Pro­dukt ist dabei nicht immer nur äußer­lich, wie eben die Bril­le als Seh­hil­fe, son­dern wird auch in das Inne­re des Men­schen, etwa in sei­nen Mund­raum ein­ge­führt – man den­ke an die Zahn­plom­ben oder an gan­ze Gebisse.

Der Trans­hu­ma­nis­mus reflek­tiert nun die­se Anfän­ge unter der Fra­ge­stel­lung: Wie viel künst­li­che Implan­ta­te ver­trägt die Iden­ti­tät des Men­schen – ab wann ist er ein Cyborg, eine Ein­heit von natür­lich Mensch­li­chem und Künstlichem?

Men­schen zu hei­len, heißt nun nicht, den Men­schen, so wie Gott ihn geschaf­fen hat, nicht zu akzep­tie­ren und durch ein bes­se­res Pro­dukt Über­mensch zu erset­zen – son­dern das Objekt des Trans­hu­ma­nis­mus wie auch gera­de der Medi­zin ist der Mensch nach sei­nem Sün­den­fall, der nun eine Natur auf­weist, die nicht nur zum Sün­di­gen geneigt ist, son­dern auch zum Erkran­ken und zur

Gebrech­lich­keit. Hier heißt The­ra­pie­ren nicht, Über­men­schen züch­ten zu wol­len, son­dern sekun­dä­re Fol­gen des Sün­den­fal­les ein­zu­däm­men. Der erkrank­ten Natur hilft so die Medizintechnik.

Bekann­ter­ma­ßen sagt Jesus Chri­stus ja nicht zu Blin­den: „Ertra­ge dein Schick­sal tap­fer, nimm es an als dei­nen Kreuz­weg!“, son­dern er heilt Blin­de. Daß im christ­lich gepräg­ten Abend­land die Medi­zin so gewal­ti­ge Fort­schrit­te gemacht hat, grün­det sich gera­de in die­ser hei­len­den Pra­xis Jesu. Lei­den gehört nicht not­wen­dig zum mensch­li­chen Leben dazu, ja Leben sei Lei­den, wie der „erleuch­te­te Bud­dha“ es lehr­te und A. Scho­pen­hau­er es dann kon­ge­ni­al in sei­ner Phi­lo­so­phie aus­deu­te­te, son­dern ist etwas, was wie der Tod nur eine Fol­ge der Men­schen­sün­de ist! Christ­lich ist nun nicht eine quie­ti­sti­sche Hin­nah­me des Lei­dens, son­dern die Arbeit an der Reduk­ti­on des Lei­dens. Eine Medi­zin­tech­nik, die zur Lei­d­re­duk­ti­on führt, ist des­halb aus christ­li­cher Sicht mehr als begrüßenswert.

Es gibt Erb­krank­hei­ten. Die Ver­mu­tung liegt nahe, daß sol­che Erkran­kun­gen effek­tiv nur im vor­ge­burt­li­chen Sta­di­um the­ra­pier­bar sind. Das heißt, durch gene­ti­sche Ein­grif­fe. Soll­te nun die Iden­ti­tät eines Men­schen in sei­nen Genen beru­hen, könn­te das als pro­ble­ma­ti­sche Ver­let­zung sei­ner Iden­ti­tät beur­teilt wer­den – aber nach katho­li­scher Leh­re ist die indi­vi­du­el­le See­le das Iden­ti­täts­stif­ten­de und nicht der Kör­per mit all sei­nen Bestandteilen.

 

Von Angesicht zu Angesicht
Von Ange­sicht zu Angesicht

Grund­sätz­lich muß aber gesagt wer­den, daß zur Ent­wicke­lung des Men­schen die Her­vor­brin­gung der Tech­nik gehört, die wie­der­um rück­wirkt auf den Men­schen. Man fra­ge mal nach, wie sehr sich das Gebiß des Men­schen geän­dert hat, seit dem er mit Hil­fe des Feu­ers sei­ne Nah­rung kocht! Und wie hat sich sein Kör­per­haar ver­än­dert, seit dem er es ver­steht, auch für den käl­te­sten Win­ter wär­men­de Klei­der zu pro­du­zie­ren oder am wär­men­den Herd­feu­er zu sit­zen. Zum Mensch­sein gehört so kon­sti­tu­tiv dazu, daß er die Natur durch Tech­nik zu beherr­schen lernt und dadurch sich selbst auch ver­än­dert. Da der Mensch nun als Leib­we­sen auch zur Natur gehört, als See­le aber nicht, son­dern als See­le steht er der Natur gegen­über (denn alles Natür­li­che ent­steht natür­lich, die See­le schafft Gott aber unmit­tel­bar, um sie dann in den sich zum Men­schen ent­wickeln­den Kör­per zu inkar­nie­ren), lernt er auch, sei­nen eige­nen Kör­per durch Tech­nik zu beherrschen.

Als pro­blem­los wird dabei die Kos­me­tik emp­fun­den, daß Men­schen mit ihrer natür­li­chen Schön­heit unzu­frie­den sie künst­lich opti­mie­ren, nicht nur Frau­en tun das, aber als pro­ble­ma­tisch wird die Medi­zin­tech­nik ange­se­hen, auch und gera­de, wenn sie nur hei­lend ein­ge­setzt wird, indem orga­ni­sche Tei­le des Men­schen, die nicht mehr funk­ti­ons­fä­hig sind, durch künst­li­che Orga­ne ersetzt wer­den. Aber will jemand ernst­haft die Ein­set­zung künst­li­cher Augen bei Erblin­de­ten ver­ur­tei­len, wenn er so wie­der sehen kann? Will ein Christ urtei­len, er habe blind wei­ter zu leben, wenn er durch künst­li­che Augen wie­der zu einem Sehen­den wer­den könnte?

Niko­lai Fjo­do­row (Rus­si­scher Kos­mis­mus), von füh­ren­den Kom­mu­ni­sten als Anstoß zur Schaf­fung eines „sowje­ti­schen“ Gott-Men­schen verstanden

Theo­lo­gisch ist dies Pro­blem der Syn­the­se von Natür­lich-Bio­lo­gi­schem und Künst­li­chem in dem Men­schen lös­bar, wenn die Dua­li­tät des Men­schen als See­le und Kör­per bedacht wird. Die See­le ist als das den Men­schen Bestim­men­de zu den­ken, die auch durch einen durch künst­li­che Tei­le ergänz­ten Kör­per ihre Bestim­mungs­funk­ti­on nicht ver­liert! Auch für den Extrem­fall, das Tei­le des mensch­li­chen Gehir­nes funk­ti­ons­un­fä­hig gewor­den, durch künst­li­che Implan­ta­te ersetzt wer­den, sodaß das Gehirn zu einem Cyborg­ge­hirn wür­de, tan­gier­te das nicht das Mensch­li­che des Men­schen, sei­ne See­le. Der Trans­hu­ma­nis­mus, der wohl das See­len­haf­te des Men­schen nicht mit­re­flek­tiert, kommt zu sei­nem Begriff des Men­schen-Über­schrei­tens. Das bezieht sich aber nur auf den Kör­per, der durch künst­li­che Implan­ta­te zu einer Syn­the­se von Orga­ni­schem und Künst­li­chem wird.

Nur, es muß kon­ze­diert wer­den, daß das har­mo­nisch sich in die Ent­wick­lungs­ge­schich­te des Men­schen ein­schreibt, daß er durch Tech­nik sich selbst auch ver­än­dert: vom Bril­len­trä­ger über den Herz­schritt­ma­cher bis zum Gehirnimplantat.

Corollarium 1

Es ist eine genu­in luthe­ri­sche Vor­stel­lung, daß durch Got­tes Recht­fer­ti­gung der Mensch, so wie er als ist Sün­der, bleibt, nur daß ihm Jesu Chri­sti Gerech­tig­keit ange­rech­net wird, als wenn es die sei­ne wäre, ohne daß der so Gerecht­fer­tig­te effek­tiv dadurch ver­än­dert wird. Die vul­ga­ri­sier­te Ver­si­on lau­tet dann schlicht, daß Gott Ja sagt zu jedem, so wie er ist (als Sün­der) und er so auch getrost so blei­ben darf. Dem gegen­über ist der Glau­be an eine Ver­bes­ser­bar­keit des Men­schen dem Christ­li­chen näher als die­ser resi­gna­ti­ve Gestus, daß der Mensch immer nur das bleibt, was er nun mal nach dem Sün­den­fall gewor­den ist.

*Uwe C. Lay, Diplom­theo­lo­ge und Konvertit
Bild: Wikicommons/​popsapiens/​consapevole (Screen­shots)

 

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