Wer glaubt, das Nein von Glaubenspräfekt Luis Ladaria Ferrer SJ zur Kommunion für protestantische Ehepartner, habe den Zug Richtung Interkommunion zum Stehen gebracht, der irrt. Im Gegenteil, er könnte sein blaues Wunder erleben.
Anmerkungen von Giuseppe Nardi
Zu lange schon ist die Kirche in Deutschland nicht nur auf Nebengeleisen statt auf den Hauptstrecken der sicheren Glaubensdoktrin unterwegs, sondern rollt über Abwege.
Kardinal Gerhard Müller, der ehemalige Glaubenspräfekt, brachte es gegenüber der DPA auf den Punkt.
„Hier wurde kurz vor dem Abgrund die Notbremse gezogen. Entgleist ist der Zug trotzdem, weil Rom zu spät und zu zögerlich reagiert hat. Jetzt kommt es darauf an, den Zug sorgfältig wieder auf die Schienen zu setzen.“
Wer aber soll den Zug „wieder auf die Schienen“ setzen, und das auch noch „sorgfältig“?
Kardinal Müller wäre es zugefallen, rechtzeitig und nicht „zu zögerlich“ zu reagieren, wäre er noch Präfekt der Glaubenskongregation. Aus diesem Amt wurde er jedoch vor einem Jahr von Papst Franziskus entlassen. Auch das ist Teil der Entgleisung, von der der ehemalige Bischof von Regensburg sprach. Das eine scheint schwer vom anderen zu trennen.
Kardinal Reinhard Marx, der Anführer der DBK-Mehrheit, zeigte sich „überrascht“. Lockerlassen will er nicht. Hier geht es zunächst um die Abwehr eines möglichen Gesichtsverlustes. Der Erzbischof von München und Freising darf aber beim Wort genommen werden. Die Protestantisierung, die vielleicht noch treffender einfach Programm Verweltlichung genannt werden sollte, bleibt auf der Tagesordnung.
Marx geht weiter. Auch Woelki?
Die Sprachregelung lautet: Die im Februar beschlossene Handreichung sei „nicht zur Veröffentlichung reif“. Es ist damit zu rechnen, daß Kardinal Marx an seinem Ziel der Interkommunion festhält. Ist aber auch damit zu rechnen, daß Kardinal Rainer Maria Woelki, der Erzbischof von Köln und ranghöchste Vertreter der DBK-Minderheit an seiner Position festhält?
Seine Grußworte an die Vollversammlung des Diözesanrats der Katholiken im Erzbistum Köln am 2. Juni in Bensberg lassen einige Zweifel aufkommen.
Er sprach von „Hochachtung gegenüber denjenigen, die nichts vorwegnehmen und den Schmerz der Spaltung auch in ihren Ehen aushalten“.
Kardinal Woelki hob hervor, daß es die „ungeschriebene Regel gibt, diese Ehepartner an der Kommunionbank nicht zurückzuweisen“.
Es sei jedoch ein Fehler, wenn auf Basis der „pastoral begründeten Ausnahmeregelungen eine neue Norm festgeschrieben“ werden solle. Der Empfang der Heiligen Kommunion setze die Kirchengemeinschaft voraus und gehöre, wie auch der Heilige Vater betont hat, zu den „Werten, die mit besonderer Sorgfalt bewahrt werden“ müssten. Deshalb gehörten diese Ausnahmeregelungen in den „Raum der persönlichen Pastoral, der geistlichen Begleitung, der Beichtpastoral und der individuellen Gewissensentscheidung des Gläubigen“ und könnten nicht formal mit dem Status konfessionsverschiedener Eheleute verknüpft werden, so Woelki.
Die päpstliche Empfehlung
Papst Franziskus hat Mehrheit und Minderheit eine umstrittene Empfehlung mitgegeben – die einzige, die direkt von ihm kam: Die beiden Seiten sollten solange über das Thema verhandeln, bis sie „möglichst Einstimmigkeit“ erreichen. Das meinte Kardinal Müller wohl vor allem mit der „zu zögerlichen“ Reaktion Roms.
Werden die deutschen Bischöfe also weiterverhandeln und einen gemeinsamen Nenner zwischen Marx und Woelki suchen?
Auch dazu brachte Kardinal Müller die Sache auf den Punkt:
„Die Wahrheit“ habe „den Sieg über das machtstrategische Kalkül davongetragen“.
Vorerst. Im deutschen Episkopat scheint das „machtstrategische Kalkül“ seit dem Aufstieg von Kardinal Marx zur causa prima geworden zu sein.
Es besteht kein Zweifel, daß es in der Praxis nicht an deutschen Pfarreien fehlen wird, in denen die Interkommunion einfach „praktiziert“ wird. Und kein Bischof wird dagegen einschreiten. Auch an der Basis haben manche verstanden, wie das funktioniert, mit dem „Prozesse anstoßen“, von dem Papst Franziskus wiederholt gesprochen hat. Selbst Kardinal Woelki heißt diese inoffizielle Tür gut. Es muß der „Schrei“ des Volkes sein, den Papst Franziskus anführte, um wiederverheiratete Geschiedene zur Kommunion zuzulassen.
Kardinal Arinze: „Katholisch werden“
Es gibt aber noch einen anderen Weg, den weder Kardinal Marx noch Kardinal Woelki noch Papst Franziskus in der Sache in den Mund nahmen oder zu nehmen wagten. Kardinal Francis Arinze tat es, indem er die Unmöglichkeit der Interkommunion bekräftigte und klarstellte: Wenn ein protestantischer Ehepartner eine solche „Sehnsucht“ nach der eucharistischen Gemeinschaft habe, dann könne er doch Katholik werden, und vor allem habe er dann Katholik zu werden. „Die heilige Eucharistie ist nicht unser Privatbesitz“, so der Kardinal aus Afrika.
Warum wagen höchste Kirchenvertreter diese einfachen Wahrheiten nicht mehr auszusprechen? Papst Franziskus tut sich damit freilich schwerer, nachdem er sich in der Vergangenheit bereits soweit aus dem Fenster lehnte. Eugenio Scalfari sagte er, den Atheisten nicht bekehren zu wollen. Im ersten „Video vom Papst“ lautete die Botschaft von Franziskus, ob Christ, Jude, Muslim oder Buddhist, wir sind alle „Kinder Gottes“. Den Teilnehmern einer Veranstaltung der Fokolarbewegung in Rom sagte er, die Religionszugehörigkeit „ist nicht wichtig“. Da fällt es eher schwer, glaubwürdig von Protestanten die Konversion zur katholischen Kirche zu fordern, selbst wenn dies mehr als naheliegend wäre. Wahrscheinlicher noch scheint, daß Wichtigkeit und Notwendigkeit einer solchen Konversion vielleicht gar nicht gesehen wird.
Das deutsche Dilemma
Das deutsche Dilemma? Der Zug rollt unterschwelliger, verhaltener, geheimer, aber letztlich auf dem falschen Geleis in die falsche Richtung weiter. Der Eindruck: Die Fahrt kann manchmal mit etwas Glück eingebremst oder kurzzeitig sogar zum Stillstand gebracht werden. Eine wirkliche Trendumkehr will aber nicht gelingen. Dazu sind die Eingriffe viel „zu zögerlich“, und das nicht erst seit heute.
Es scheint wie in der Politik, nehmen wir das Beispiel der USA: Die republikanischen Präsidenten bremsen den Zug gesellschaftspolitischer Fehlentwicklungen ein, schaffen aber keinen wirklichen Richtungswechsel. Damit ist es nur eine Frage der Zeit, bis der nächste demokratische Präsident ins Weiße Haus einzieht und mit noch höherem Tempo als sein letzter demokratischer Vorgänger die Fahrt in die falsche Richtung wiederaufnimmt. Bill Clinton, George W.Bush und Barack Obama haben es bewiesen.
Die Auswahl des deutschen Episkopats beweist es, ebenso Versuche von Johannes Paul II. und noch zögerlicher von Benedikt XVI., den österreichischen Episkopat zu erneuern. Wirklicher Erfolg war ihnen nicht beschieden. In ihrer hierarchischen Verfassung ist eine Erneuerung der Kirche ohne gute Bischöfe aber nicht möglich. Die Bischofsernennungen, die Papst Franziskus in Österreich vornahm, an Zahl überschaubarer als in der Bundesrepublik Deutschland, sind mäßig schlecht ausgefallen. Für andere Bischofsernennungen wir man auf einen anderen Papst warten müssen.
Wie geht es also weiter mit der Interkommunion? Die wirkliche Frage scheint derzeit vielmehr nur: Wann geht es also weiter mit der Interkommunion?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Erzbistum Köln (Screenshot)