Papst Franziskus: Von Dubia habe ich aus der Zeitung erfahren


Papst Franziskus im Reuters-Interview über Dubia, China, Trump, Masseneinwanderung und Papstkritik.
Papst Franziskus im Reuters-Interview über Dubia, China, Trump, Masseneinwanderung und Papstkritik.

(Rom) Papst Fran­zis­kus gewähr­te Reu­ters, einer der Big Three der glo­ba­len Pres­se­agen­tu­ren, ein „Exklu­siv-Inter­view“. Nicht das ita­lie­nisch geführ­te Inter­view wur­de jedoch ver­öf­fent­licht, son­dern ein von Phil­ip Pul­lel­la, dem berg­o­glia­nisch gesinn­ten Reu­ters-Kor­re­spon­den­ten in Rom, ver­faß­ter Arti­kel. Reu­ters ver­öf­fent­lich­te inzwi­schen auch eine spa­ni­sche Ver­si­on des Arti­kels, nicht aber das Inter­view selbst. Das berei­tet eini­ge Interpretationsprobleme.

Papst Franziskus als Trump-Kritiker

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Die Haupt­bot­schaft der Über­schrift prä­sen­tiert Papst Fran­zis­kus als Poli­ti­ker, der auf den jüng­sten Zug der Trump-Kri­tik aufspringt:

„Der Papst kri­ti­siert Trumps Regie­rungs­po­li­tik wegen der Tren­nung von Migrantenfamilien“.

In der spa­ni­schen Version:

„Der Papst kri­ti­siert die Trump-Regie­rung für die Tren­nung von Fami­li­en an der Grenze“

Fran­zis­kus kri­ti­sier­te auch den neu­en ita­lie­ni­schen Innen­mi­ni­ster Matteo Sal­vi­ni von der Lega:

„Ich glau­be, daß Sie die Leu­te, die ankom­men, nicht ableh­nen kön­nen. Man muß sie will­kom­men hei­ßen, ihnen hel­fen, sie betreu­en, sie beglei­ten und dann sehen, wo man sie hin­stellt, aber in ganz Europa.“

Im Klar­text: Wer nach Euro­pa will, habe auf­ge­nom­men und „auf ganz Euro­pa“ ver­teilt zu wer­den. Nie­mand aus­ge­nom­men. So hat­te es Fran­zis­kus bereits auf dem Höhe­punkt der Ein­wan­de­rungs­wel­le von 2015 gesagt:

„Nehmt alle auf, Gute wie Schlechte“.

Pulllella mit Papst Franziskus beim Interview
Pul­lel­la (Reu­ters) mit Papst Fran­zis­kus beim Interview

Die Dis­kus­si­on über Här­te­fäl­le ist rich­tig, kann aber nicht dar­über hin­weg­täu­schen, daß es bei der jüng­sten Anti-Trump-Kam­pa­gne um eine jener Emo­tio­na­li­sie­run­gen geht, die eine sach­li­che Dis­kus­si­on ver­hin­dern wol­len. Ein quan­ti­ta­tiv mar­gi­na­ler Aspekt wird dem Gesamt­the­ma über­ge­stülpt, um in der Öffent­lich­keit eine ver­zerr­te Wahr­neh­mung zu för­dern. Die­se Vor­ge­hens­wei­se ist auch aus der Abtrei­bungs­de­bat­te bekannt. Dort kon­zen­triert sich die Dis­kus­si­on auf Ver­ge­wal­ti­gungs­op­fer und Lebens­ge­fahr für die Mut­ter, obwohl sich die­se Fäl­le im Pro­mil­le­be­reich bewe­gen. Das Ziel ist es, von den ande­ren 99,9 Pro­zent abzu­len­ken, wo unge­bo­re­ne Kin­der des­halb getö­tet wer­den, „weil es gera­de nicht (mehr) paßt“. Doch zu den Mil­lio­nen von unschul­di­gen Kin­dern, die jähr­lich durch Abtrei­bung getö­tet wer­den, fand Papst Fran­zis­kus noch in kei­nem Reu­ters- oder son­sti­gem Inter­view ver­gleich­bar deut­li­che Wor­te wie nun zu den – laut Medi­en­be­rich­ten – knapp über 2.000Kindern von Ein­wan­de­rer­fa­mi­li­en, die zur Unter­brin­gung an der Gren­ze von ihren Eltern getrennt werden.

Im Reu­ters-Inter­view tritt Papst Fran­zis­kus vor allem als Kri­ti­ker und damit Gegen­spie­ler des amtie­ren­den US-Prä­si­den­ten auf. In die­ser Rol­le sahen ihn eini­ge Medi­en bereits unmit­tel­bar nach dem Trump-Wahl­sieg im Herbst 2016. Das Wall Street Jour­nal schrieb zu Weih­nach­ten 2016, daß Fran­zis­kus der neue „Anfüh­rer der Glo­ba­le Lin­ken“ sei. Eine Rol­le, die Fran­zis­kus kein Unbe­ha­gen zu ver­ur­sa­chen scheint.

Populisten  „erzeugen Psychose“

Viel­mehr kri­ti­sier­te das Kir­chen­ober­haupt auch den „Popu­lis­mus“, der „kei­ne Ant­wort auf das Ein­wan­de­rungs­pro­blem sei“. Laut Fran­zis­kus wür­den Popu­li­sten in Sachen Ein­wan­de­rung eine „Psy­cho­se erzeu­gen“. Zugleich sprach er sich für eine wei­te­re Ein­wan­de­rung aus, denn in Euro­pa herr­sche „ein gro­ßer demo­gra­phi­scher Win­ter“. Euro­pa brau­che daher „vie­le Einwanderer“.

„Ohne Ein­wan­de­rung, füg­te er hin­zu, wird Euro­pa ‚leer‘.“

Auf die Fra­ge, war­um in Euro­pa ein „gro­ßer demo­gra­phi­scher Win­ter“ herrscht, ging Fran­zis­kus nicht ein.

Bilderberger-Thema: „Populismus“
Bil­der­ber­ger-The­ma: „Popu­lis­mus“

Erst vor zwei Wochen fand in Turin die dies­jäh­ri­ge Bil­der­ber­ger-Kon­fe­renz statt, an der erst­mals und sicher mit päpst­li­cher Ein­wil­li­gung auch Kar­di­nals­staats­se­kre­tär Pie­tro Paro­lin teil­nahm. Das erste, also wich­tig­ste The­ma auf einer lan­gen The­men­li­ste, die vom Sekre­ta­ri­at der Bil­der­berg-Kon­fe­renz ver­öf­fent­licht wur­de, lau­te­te: „Popu­lis­mus in Europa“.

Zu den „popu­li­sti­schen“, will sagen, uner­wünsch­ten Wahl­sie­gen gehört zual­ler­erst der Wahl­sieg von Donald Trump.

Fran­zis­kus signa­li­sier­te im Reu­ters-Inter­view, ob nun in einem direk­ten Zusam­men­hang mit der Tagung der Bil­der­ber­ger oder auch nicht, daß er jeden­falls in der Sache die­sel­be Agen­da ver­tritt. Das nennt man einen Schul­ter­schluß mit jenen noch immer über Trumps Wahl­sieg schockier­ten Eli­ten, die sich zuneh­mend auch über uner­wünsch­te Wahl­sie­ge in Euro­pa sorgen.

In den USA sehen die Men­schen übri­gens so man­ches anders. Das renom­mier­te Mei­nungs­for­schungs­in­sti­tut Ras­mus­sen Reports ver­öf­fent­lich­te vor zwei Tagen eine Umfra­ge, laut der 51 Pro­zent der befrag­ten US-Bür­ger über­zeugt sind, daß hohe und höch­ste Bun­des­be­am­te des FBI, das Recht gebro­chen haben, um die Wahl Trumps zu ver­hin­dern. Das ist der bis­her höch­ste Stand seit dem Wahl­sieg des amtie­ren­den US-Prä­si­den­ten. Ledig­lich 39 Pro­zent hal­ten dies für unwahr­schein­lich oder unglaub­wür­dig. Euro­päi­sche Leit­me­di­en sug­ge­rie­ren stän­dig einen ande­ren Eindruck.

Schelte für Trump, Lob für China

Wäh­rend Fran­zis­kus auf der einen Sei­te dem US-Prä­si­den­ten erneut eine Schel­te erteil­te – im Vor­wahl­kampf 2016 hat­te er ihm wegen sei­ner Hal­tung zur ille­ga­len Ein­wan­de­rung sogar das Christ­sein abge­spro­chen, ein knall­har­tes Urteil für jemand, der von sich sagt: „Wer bin ich, um zu urtei­len?“ –, schmei­chel­te er auf der ande­ren Sei­te den kom­mu­ni­sti­schen Macht­ha­bern in Peking. Er sei „Opti­mist“, was die Gesprä­che über ein „histo­ri­sches Abkom­men“ über die Ernen­nung von Bischö­fen in Chi­na betrifft. Man sei an einem „guten Punkt“.

Zudem bestä­tig­te Fran­zis­kus, so Pul­lel­la, daß er wegen des sexu­el­len Miß­brauchs­skan­dals in Chi­le noch „mehr Rück­trit­te von Bischö­fen akzep­tie­ren“ könn­te. Offi­zi­ell wur­den bis­her drei Bischö­fe von Fran­zis­kus eme­ri­tiert. Von Medi­en wur­den aber bereits Listen von acht Bischö­fen veröffentlicht.

Papst betet für „konservativen“ Klerus, „auch wenn sie schlecht über ihn reden“

Pul­lel­la erwähnt in sei­nem Arti­kel, daß Fran­zis­kus nach fünf Jah­ren Pon­ti­fi­kat von „Kon­ser­va­ti­ven in- und außer­halb der Kir­che“ kri­ti­siert wer­de, weil sie ihm eine „zu libe­ra­le Inter­pre­ta­ti­on der katho­li­schen Leh­ren“ vorwerfen.

Der Reu­ters-Kor­re­spon­dent stellt der „kon­ser­va­ti­ven“ Kri­tik ent­ge­gen, daß Fran­zis­kus in Zukunft „mehr Frau­en für höch­ste Ämter in der Vati­kan­ver­wal­tung ernen­nen will“.

Wei­ter unten im Arti­kel bestä­tigt Pul­lel­la aller­dings die „kon­ser­va­ti­ve“ Kri­tik wortwörtlich:

„Seit er 2013 das Papst­amt über­nahm, hat Fran­zis­kus eine libe­ra­le Inter­pre­ta­ti­on der katho­li­schen Leh­ren ange­regt in einem Moment, in dem sich in vie­len Tei­len des Westens die Poli­tik in Rich­tung wirt­schaft­li­chen Natio­na­lis­mus ver­scho­ben hat.“

Fran­zis­kus sto­ße auf den Wider­stand des „kon­ser­va­ti­ven Kle­rus“, wegen sei­ner Hal­tung zur Sexua­li­tät und sei­ner Nach­sicht mit geschie­de­nen Katho­li­ken. Fran­zis­kus beton­te, für die­sen „kon­ser­va­ti­ven“ Klerus

„‚zu beten‘, auch wenn sie manch­mal ’schlecht‘ über ihn reden“.

Von Dubia „aus der Zeitung erfahren“

Dann wird es irri­tie­rend. Wört­lich steht in der eng­li­schen Fas­sung des Reu­ters-Arti­kels:

„Der Papst äußer­te sich auch zur inter­nen Kri­tik an sei­nem Papst­tum durch Kon­ser­va­ti­ve, ange­führt vom ame­ri­ka­ni­schen Kar­di­nal Ray­mond Leo Burke.“

Kardinal Burke
Kar­di­nal Burke

Auch in der spa­ni­schen Fas­sung des Arti­kels wird Kar­di­nal Bur­ke im glei­chen Kon­text erwähnt. Da nicht das Inter­view ver­öf­fent­licht wur­de, geht dar­aus nicht klar her­vor, ob Pul­lel­la den US-Kar­di­nal als „Anfüh­rer“ der „kon­ser­va­ti­ven“ Kri­tik am der­zei­ti­gen Pon­ti­fi­kat sieht, oder ob es Fran­zis­kus selbst ist. Die gleich zwei­fa­che Degra­die­rung, sprich Bestra­fung, des Kar­di­nals durch Fran­zis­kus (2014 und 2017), zeigt aller­dings, daß es wohl tat­säch­lich Fran­zis­kus ist, der in Bur­ke sei­nen gefähr­lich­sten Gegen­spie­ler sieht.

Pul­lel­la nennt Kar­di­nal Bur­ke ein zwei­tes Mal nament­lich im Zusam­men­hang mit den Dubia (Zwei­fel), die Bur­ke zusam­men mit drei wei­te­ren Kar­di­nä­len zum umstrit­te­nen nach­syn­oda­len Schrei­ben Amo­ris lae­ti­tia ver­faßt hat­te. Die Reak­ti­on des Pap­stes ist das, was man umgangs­sprach­lich ham­mer­hart nennt. Pul­lel­la schreibt:

„Fran­zis­kus sag­te, er habe von dem Brief der Kar­di­nä­le, in dem er kri­ti­siert wird, ‚aus den Zei­tun­gen‘ erfahren.“

Stephen Walford von Papst Franziskus empfangen
Ste­phen Wal­ford von Papst Fran­zis­kus emp­fan­gen: Dubia ein „sata­ni­scher Mißbrauch“

Aus den Zei­tun­gen? Die Kar­di­nä­le hat­ten ihre Dubia dem Papst unter Aus­schluß der Öffent­lich­keit zukom­men las­sen. Erst als kei­ne Reak­ti­on erfolg­te, sahen sie sich genö­tigt, damit an die Öffent­lich­keit zu gehen. Dafür wur­den sie vom päpst­li­chen Umfeld mas­siv ange­grif­fen. Sogar die Aberken­nung der Kar­di­nals­wür­de wur­de in den Raum gestellt. Fran­zis­kus wei­ger­te sich, die Kar­di­nä­le in Audi­enz zu emp­fan­gen. Auch ein zwei­ter Anlauf blieb erfolg­los. Für einen unbe­kann­ten Autor, der die Kar­di­nä­le wegen der Dubia des „sata­ni­schen Miß­brauchs“ bezich­tig­te, fand Fran­zis­kus hin­ge­gen die Zeit, um ihn in Audi­enz zu empfangen.

Die nun­meh­ri­ge Behaup­tung des Pap­stes, der seit bald zwei Jah­ren jede Ant­wort auf die Dubia schul­dig geblie­ben ist, „aus den Zei­tun­gen“ irgend­wie irgend etwas von dem Schrei­ben gehört zu haben, wirft nicht nur neue Fra­gen auf, son­dern einen wei­te­ren, ern­sten Schat­ten auf die­ses Pontifikat.

Zur Sache selbst gibt Pul­lel­la als Ant­wort von Fran­zis­kus nur fol­gen­de Wor­te wieder:

„Wir müs­sen respekt­voll und tole­rant sein“.

Über einen Rücktritt: „darüber denke ich derzeit nicht einmal nach“

Die Zukunft der Kir­che, davon sei der Papst über­zeugt“, sei „die Stra­ße“. „Auf der Stra­ße“ lie­ge die Zukunft der Kirche.

Gesund­heit­lich gehe es ihm, abge­se­hen von einem Schmerz im Bein, das mit einem Rücken­pro­blem zu tun habe, gut, so das Kir­chen­ober­haupt. Den­noch „wie­der­hol­te“ er, mut­maß­lich auf eine Fra­ge Pul­lel­las, sei­ne schon bald nach sei­ner Wahl getä­tig­te Aus­sa­ge, sich einen Rück­tritt wie Bene­dikt XVI. vor­stel­len zu kön­nen, soll­te die Gesund­heit es verlangen.

„Der­zeit den­ke ich aber nicht ein­mal dar­über nach.“

Und zum Abschluß noch ein­mal Trump. Für den US-Prä­si­den­ten hat­te Fran­zis­kus gleich noch eine gan­ze Liste wei­te­rer Kri­tik­punk­te zur Hand. Er sei „betrübt“ über die Ent­schei­dung Trumps, die von sei­nem Vor­gän­ger Barack Oba­ma gelocker­ten Rei­se- und Han­dels­er­leich­te­run­gen mit Kuba wie­der ein­zu­schrän­ken. Die bes­se­ren Bezie­hun­gen zwi­schen Washing­ton und Havan­na, die der Vati­kan ver­mit­telt hat­te, waren „ein guter Schritt vor­wärts“ so Franziskus.

Auch die Ent­schei­dung Trumps, sich aus dem Kli­ma­ab­kom­men von Paris 2015 zurück­zu­zie­hen, habe ihm „etwas Schmerz berei­tet, weil die Zukunft der Mensch­heit auf dem Spiel steht“.

Da wur­de der „Opti­mist“ Fran­zis­kus dann doch noch zum „Unheils­pro­phe­ten“.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Reuters/​AsiaNews/​Bilderberg Meetings/​Cardinal Bur­ke Blog (Screen­shots)

 

 

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