Weg mit der Sauberkeitsdressur!


Theodor W. Adorno
Das Hessische Kultusministerium wurde 1969-1974 von Ludwig von Friedeburg geleitet.

Im Jah­re 1974 brach­te der hes­si­sche Kul­tus­mi­ni­ster Lud­wig von Frie­de­burg die „Rah­men­richt­li­nie Gesell­schafts­leh­re“ her­aus, die bun­des­weit als links­ideo­lo­gi­sche Indok­tri­na­ti­on bekannt wer­den sollten.

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Ein Gast­bei­trag von Hubert Hecker.

Der dama­li­ge Kul­tus­mi­ni­ster der hes­si­schen SPD/FDP-Regie­rung war vor­her Mit­ar­bei­ter des mar­xi­stisch ori­en­tier­ten Frank­fur­ter Insti­tuts für Sozi­al­for­schung gewe­sen. Er hat­te 1960 bei Ador­no habilitiert.

Die von Ador­no und Hork­hei­mer inspi­rier­ten Schrif­ten über­flu­te­ten seit von Frie­de­burgs Dienst­an­tritt 1969 die hes­si­schen Schu­len und Leh­rer, um sie auf mar­xi­sti­sche Linie zu bringen.

Neo-Marxisten an die Schülerfront

Das Lite­ra­tur­ver­zeich­nis der Rah­men­richt­li­nie liest sich wie ein Gru­sel­ka­bi­nett links­ideo­lo­gi­scher Akti­vi­sten und Pro­pa­gan­di­sten: Karl Marx und Fried­rich Engels natür­lich, Rosa Luxem­burg und Wolf­gang Abend­roth, Wil­helm Reich  und vie­le ande­re Alt-Mar­xi­sten. An aktu­el­len Schrif­ten wur­den die Wer­ke vom „Schü­ler­la­den Rote Frei­heit“ emp­foh­len sowie wei­te­re Neo-Marxisten.

Friedeburgs Rahmenrichtlinien
Frie­de­burgs Rahmenrichtlinien

Der Pädo­phi­len­ak­ti­vist Hel­mut Kent­ler warb für „repres­si­ons­freie Sexu­al­po­li­tik“, Diet­rich Haensch wet­ter­te gegen „repres­si­ve Fami­li­en­po­li­tik“, Her­bert Mar­cuse ver­ur­teil­te „repres­si­ve Tole­ranz“, Peter Brück­ner klär­te über  „Schü­ler­lie­be“ auf, Lud­wig Mar­cuse über „Obszö­ni­tä­ten“, Mar­gret Mead warb mit ihrer gefälsch­ten Feld­ana­ly­se in pri­mi­ti­ven Gesell­schaf­ten für freie Lie­be.

Mit dem neu­ge­schaf­fe­nen Fach „Gesell­schafts­leh­re“ zoll­te man dem damals modi­schen Sozio­lo­gis­mus Tri­but. Dabei wur­den die Fach­in­hal­te der Fächer Geo­gra­phie und Geschich­te, Wirt­schafts­leh­re und Poli­tik unter der kri­ti­schen Gesell­schafts­phi­lo­so­phie der Frank­fur­ter Schu­le ver­ei­nigt und vereinnahmt.

„Dem­entspre­chend bil­det die Befä­hi­gung zur Selbst- und Mit­be­stim­mung das ober­ste Lern­ziel der Gesell­schafts­leh­re“, heißt es in der Ein­lei­tung der Rahmenrichtlinie.

Zu die­sem Ziel soll­te die „Auto­ri­täts­fi­xie­rung“ in allen gesell­schaft­li­chen Dimen­sio­nen und Berei­chen von Poli­tik, Erzie­hung und Wirt­schaft zer­stört wer­den. Mit dem Kampf gegen  „auto­ri­tä­re Cha­rak­ter­struk­tur“ woll­ten die Autoren der Gesell­schafts­leh­re Ador­nos Theo­rie des auto­ri­tä­ren Cha­rak­ters in der schu­li­schen Pra­xis umsetzen.

Die Lehr­plan­ma­cher schrie­ben vor, dass „Auto­ri­täts­fi­xie­rung“ für die Schü­ler der 9. Klas­se „als Ergeb­nis von Trieb­un­ter­drückung“ zu ver­mit­teln sei (S. 150f). Die psy­chi­schen Mecha­nis­men auto­ri­tä­rer Erzie­hung wür­den zu Anpas­sung und  „Herr­schafts­si­che­rung“ des Estab­lish­ments ge- und miss­braucht wer­den. Auf der andern Sei­te führ­ten „nicht rea­li­sier­ba­re Trieb­wün­sche“ zu dif­fa­mie­ren­den „Pro­jek­tio­nen auf Minderheiten“.

Weg mit der Triebunterdrückung!

Unter die­sen psy­cho­ana­ly­ti­schen Theo­rien hat­te auch die Behand­lung der früh­kind­li­chen Sexua­li­täts­ent­wick­lung zu ste­hen. So soll­ten die Schüler/​innnen dahin­ge­hend ori­en­tiert wer­den, dass wäh­rend der soge­nann­ten „ora­len und ana­len Pha­se des Klein­kinds“ auf die „Locke­rung der tra­di­tio­nel­len Ritua­le bei der Ernäh­rung“ sowie die „Abkehr von der Sau­ber­keits­dres­sur“ erfolg­te. Denn nach der Psy­cho­ana­ly­se von Sig­mund Freud wür­de die Sau­ber­keits­er­zie­hung einen anal-auto­ri­tär fixier­ten Cha­rak­ter hervorbringen.

Bei den Ver­hal­tens­wei­sen von Jugend­li­chen soll­ten die Pro­ble­me wie „Ona­nie, Pet­ting, Geschlechts­ver­kehr, Orgas­mus, Potenz­äng­ste, Por­no­gra­phie, Schwan­ger­schafts­ver­hü­tung, Homo­se­xua­li­tät und Part­ner­wahl“ bei den Neunt­kläss­ler frei und offen zwi­schen der kul­tu­rell berech­tig­ten For­de­rung nach Triebsub­li­mie­rung und der abzu­leh­nen­den „Trieb­un­ter­drückung im Sin­ne von Herr­schafts­si­che­rung“ erör­tert werden.

In wei­te­ren Lern­schrit­ten müss­ten die Schü­ler ler­nen, die gesam­te Geschich­te und Gesell­schaft nach irra­tio­na­len Auto­ri­täts­an­sprü­chen und ‑bin­dun­gen durchzukämmen.

Freie Bahn für antiautoritäres Chaos!

Auch im Schul­be­reich selbst sol­len die Schü­ler jeden per­so­na­len und struk­tu­rel­len Auto­ri­täts­an­spruch infra­ge stel­len kön­nen: „Jede Aner­ken­nung von Auto­ri­tät ist an deren kri­ti­sche Prü­fung zu bin­den“. Die Schü­ler wur­den auf­ge­for­dert, jede päd­ago­gi­sche Maß­nah­me der Lehr­per­so­nen unter auto­ri­täts­ideo­lo­gi­schen Gesichts­punk­ten zu prü­fen und auch die Auto­ri­tät des Leh­rers grund­sätz­lich unter kri­ti­sche Beob­ach­tung zu stellen.

Friedeburgs Hessen SPD
Frie­de­burgs Hes­sen SPD

So wur­de das anti­au­to­ri­tä­re Cha­os an den Schu­len der 70er Jah­re pro­gram­miert: Cle­ve­re Schü­ler pro­vo­zier­ten die Leh­rer mit Dau­er­kri­tik als auto­ri­tä­re Staats­büt­tel – nach dem Vor­bild der 68er Stu­den­ten gegen ihrer Leh­rer Ador­no selbst (sie­he Der ‚auto­ri­tä­re Cha­rak­ter’ ist an allem schuld). Des­in­ter­es­sier­te Schü­ler reagier­ten mit Lern­ver­wei­ge­rung und Störungen.

Wenn in die­sem Cha­os Schü­ler nach „stren­gen Durch­grei­fen und Stra­fen“ ver­lan­gen wür­den, um eini­ger­ma­ßen geord­ne­ten Unter­richt zu ermög­li­chen, dann  dürf­te der Leh­rer einer sol­chen irra­tio­na­len Ein­stel­lung nach Auto­ri­täts­for­men kei­nes­falls nachgeben.

„Die man­geln­de Fähig­keit der Schü­ler, ihre Bereit­schaft zur Selbst- und Mit­be­stim­mung und ihrem Wunsch nach ver­nünf­ti­gem Ver­hal­ten auch nach­zu­kom­men, soll­te nicht ledig­lich als Aus­druck für man­geln­de Rei­fe ver­stan­den wer­den“ (S. 154).

Viel­mehr müss­ten sol­che Erfah­run­gen Anlass dafür sein zu fra­gen, was Eltern­haus und Schu­le bis­her ver­säumt hät­ten, um Schü­ler bei der Wahr­neh­mung ihrer Selbst- und Mit­be­stim­mungs­rech­te zu befähigen.

Auch zu den staat­li­chen Insti­tu­tio­nen soll­ten die Schü­ler zu sub­ver­siv-kri­ti­scher Ein­stel­lung ani­miert wer­den: „So braucht also der Unter­richt nicht nach­zu­wei­sen, dass Gerich­te, Poli­zei oder Feu­er­wehr not­wen­dig sind, son­dern Unter­richt setzt dort an, wo bestimm­te Maß­nah­men /​ Ent­schei­dun­gen von Trä­gern öffent­li­cher Auf­ga­ben Kri­tik auslösen“.

Ergänzt wur­de die­ses Kern­stück hes­si­scher Gesell­schafts­leh­re nach dem Geist der Frank­fur­ter Schu­le mit dem The­ma: „Jugend­kri­mi­na­li­tät als Pro­test­hal­tung“.  Dro­gen­miss­brauch, Gewalt­tä­tig­keit, Kör­per­ver­let­zung, Sitt­lich­keits­ver­bre­chen, Eigen­tums­de­lik­te sol­len vor allem nach den sozia­len Bedin­gun­gen und Ver­hält­nis­sen hin unter­sucht wer­den, die zu die­sen Kon­flik­ten und Delik­ten geführt hätten.

Die in dem kri­mi­nel­len Han­deln der Jugend­li­chen zum Aus­druck kom­men­de Pro­test­hal­tung gegen die herr­schen­den gesell­schaft­li­chen Nor­men soll­ten den Schü­lern zum Anlass gege­ben wer­den, eben die­se Nor­men kri­tisch zu prü­fen und gege­be­nen­falls auf Ände­rung zu dringen.

Die­se links­ideo­lo­gi­sche Metho­de der Erklä­rung und Ver­harm­lo­sung von Dro­gen­miss­brauch und Gewalt­tä­tig­kei­ten kommt einer indi­rek­ten Recht­fer­ti­gung und För­de­rung gleich. Im Dro­gen­be­reich jeden­falls schnell­ten die Zah­len von Miss­brauchs­fäl­len Anfang der 70er Jah­re in unge­ahn­te Höhen.

Autoritäre Vorschriften zu herrschaftsfreier Didaktik

In ähn­li­che Rich­tung ging auch die hes­si­sche Rah­men­richt­li­nie Deutsch, nach der den Leh­rern unter­sagt war, schlech­tes Deutsch und die man­geln­de Sprach­kom­pe­tenz der soge­nann­ten Unter­schicht­kin­der zu kor­ri­gie­ren und auf die Ebe­ne der Hoch­spra­che zu heben, weil dadurch die Kin­der dis­kri­mi­niert würden.

Ein­übung von Recht­schrei­bung wur­de als „Aus­übung von Herr­schaft“ ange­se­hen. Sich an die Regeln der Ortho­gra­phie zu hal­ten kri­ti­sier­te man als „Unter­wer­fung unter herr­schen­de Normen“.

Protest gegen Friedeburgs Bildunugspolitik
Pro­test gegen Frie­de­burgs Bildunugspolitik

Wer nun meint, eine sol­ches ver­rück­tes Cha­os und Inef­fek­ti­vi­tät pro­du­zie­ren­des Päd­ago­gik­pro­gramm müss­te doch spä­te­stens nach der Erpro­bungs­pha­se im Papier­korb gelan­det sein, unter­schätzt die Ener­gie der 68er.

Die Schu­le war die erste Sta­ti­on des Gangs durch die Insti­tu­tio­nen und das erste Expe­ri­men­tier­feld einer tota­len „System­ver­än­de­rung“, was in Hes­sen nur teil­wei­se gelang und von zwei CDU-Regie­run­gen wie­der zurück­ge­drängt wer­den musste.

Aber der dama­li­ge Geist ist an hes­si­schen Schu­len immer noch und immer wie­der zu spü­ren, wenn die damals links­ver­dreh­ten Schü­ler heu­te als Eltern ihre Kin­der zu Schü­ler­streiks und fre­chen Unbot­mä­ßig­kei­ten auf­sta­cheln und man­che Leh­rer nur ver­äng­stigt und über­vor­sich­tig ihrer päd­ago­gi­schen Auto­ri­tät und Auf­ga­be gerecht werden.

In ande­ren Bun­des­län­dern behaup­tet die links­la­sti­ge Arro­ganz wei­ter­hin ihre läh­men­den Bür­de. Mit der nord­rhein-west­fä­li­schen Rah­men­richt­li­nie für das Fach Geschich­te von 1993 etwa wird den Leh­rern eine streng herr­schafts­freie Geschichts­di­dak­tik – auto­ri­tär – vorgeschrieben.

Der Lehr­plan unter­sagt ein „leh­rer­zen­trier­tes asym­me­tri­sches Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­hal­ten“, weil das „bei den Schü­le­rin­nen und Schü­lern rezep­ti­ve Lern- und Ver­hal­tens­mu­ster erzeu­gen“ wür­de. Auf Deutsch: Der aus­ge­bil­de­te Fach­leh­rer soll den Stoff nicht leh­ren und die Schü­ler sol­len nicht eif­rig – „rezep­tiv“ – lernen.

Statt­des­sen soll der Leh­rer die jewei­li­gen „Lern­be­dürf­nis­se und Erkennt­nis­in­ter­es­sen der Schü­ler“ her­aus­fin­den und davon aus­ge­hend bei den Schü­lern einen Pro­zess selb­stän­di­ger und selbst­tä­ti­ger Geschichts­er­for­schung evo­zie­ren. Die­ser Lern­pro­zess sei nur über „sym­me­tri­sche Kom­mu­ni­ka­ti­ons­for­men zu errei­chen, in denen Herr­schaft mit­tels der Spra­che durch sprach­li­che Hil­fe ersetzt ist.“

Dabei sei­en die „dif­fe­rie­ren­den Sprach­stra­te­gien und ent­wick­lungs­psy­cho­lo­gi­schen Arti­ku­la­ti­ons­ge­wohn­hei­ten von Jun­gen und Mäd­chen zu berück­sich­ti­gen, … die nicht mit Lei­stungs­ver­wei­ge­rung ver­wech­selt“ wer­den dürften.

Wenn etwa Schü­ler im Geschichts­un­ter­richt äußern: „Wir haben heu­te kein’ Bock auf Mit­tel­al­ter!“, so soll der Leh­rer die­ses aktu­el­le Des­in­ter­es­se als ent­wick­lungs­psy­cho­lo­gi­sche Sprech­stra­te­gie akzep­tie­ren und mit­tels einer sym­me­tri­schen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­form her­aus­fin­den, wel­che Geschichts­epo­che den jun­gen Leu­ten denn aktu­ell ein Lern­be­dürf­nis und für sie im Augen­blick erkennt­nis­in­ter­es­sant wäre.

Der Leh­rer setzt sich also in den Schü­ler­kreis und fragt: Was hät­tet ihr denn heu­te gern mal gemacht? Und wenn die Schü­ler irgend­wann sagen: Müs­sen wir heu­te wie­der machen, was wir wol­len, dann hat der Leh­rer sie über ihren Man­gel an Selbst­be­stim­mungs­be­wusst­sein auf­klä­ren, was durch die elter­li­che Dres­sur in der oral-ana­len Pha­se der früh­kind­li­chen Erzie­hung ent­stan­den sei.

Die Metho­de einer herr­schafts­frei­en Didak­tik, die den Lern­stoff als Ergeb­nis einer kom­mu­ni­ka­ti­ons­sym­me­tri­schen Dis­kus­si­on zwi­schen Leh­rer und Schü­ler setzt, erklärt hin­rei­chend den PISA-Lern­rück­stand von Neunt­kläss­lern in Bun­des­län­dern mit viel­jäh­ri­ger SPD-Herr­schaft. Im roten Bre­men war der Ein­fluss der 68er auf Schu­le und Hoch­schu­le beson­ders nach­hal­tig. Das klei­ne Bun­des­land beleg­te bei dem ersten PISA-Test einen der letz­ten Plät­ze der unter­such­ten OECD-Län­der. Die CDU/C­SU-geführ­ten Län­der Bay­ern und Baden-Würt­tem­berg dage­gen stan­den damals an 9. bzw. 10 Stel­le, direkt hin­ter Schweden.

In der Rei­he bereits veröffentlicht:

Text: Hubert Hecker
Bild: Wikicommons

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