(Rom) Ein Papst ist ein Mensch wie andere, und wie andere kann er kleinere und größere Laster haben. Johannes XXIII. zum Beispiel war Raucher. Aus seiner Zeit als Kardinal sind Bilder überliefert, die ihn mit einer Zigarette in der Hand zeigen. Als Papst vermied er solche Auftritte in der Öffentlichkeit. Er wollte anderen Menschen kein schlechtes Beispiel geben, da Rauchen bekanntlich die Gesundheit gefährdet. Um wieviel wichtiger muß einem Papst erst das Seelenheil sein?
Am 15. Februar traf sich Papst Franziskus in der Lateranbasilika, der Kathedralkirche des Bistums, mit den „Pfarrern von Rom“. Trotz der Bezeichnung nahmen nicht nur Pfarrer daran teil, sondern auch andere Priester. Nach Altersgruppen gestaffelt, beantwortete der Papst drei Fragen. Eine Frage „der jungen“ Priester, eine „der älteren“ und eine dritte „der alten“.
Auf der Internetseite des Heiligen Stuhls wurden die Antworten des Papstes mit dem Hinweis veröffentlicht, daß das Vikariat des Bistums zu einem späteren Zeitpunkt „eine organischere Redaktion“ der Antworten vornehmen werde. Es könnte also noch zu einigen Glättungen der spontanen Antworten des Papstes kommen. Einen Aspekt der Antworten berichteten offizielle Medien der Bischöfe im deutschen Sprachraum, diesseits und jenseits des Inns, mit offenkundiger Genugtuung. Er hat mit der Beantwortung der zweiten Frage zu tun.
Dabei ging es darum, daß „das Alter ca. zwischen 40 und 50 Jahren für einen Priester entscheidend ist“. Die eigentliche Frage lautete: „[Heiliger] Vater, können Sie uns dazu Hinweise geben? Wie soll man sich auf diese Etappe des Lebens vorbereiten? Was sind die unerläßlichen Hilfsmittel?“
Papst Franziskus: Eh, le démon de midi! Der Dämon der Mittagsstunde… [gemeint ist das sexuelle und emotionale Verlangen im mittleren Alter] Wir in Argentinien nennen das „el cuarentazo“. Mit 40, zwischen 40 und 50 kommt das… Das ist eine Realität. Einige, wie ich gehört habe, nennen das „jetzt oder nie mehr“. Man stellt alles in Frage und [sagt sich]: „Jetzt oder nie“. Es gibt zwei Schriften, die ich kenne – es gibt viele schöne von den Wüstenvätern, in der Philokalie findet ihr viele Dinge dazu –: Es gibt ein modernes Buch, das uns näher ist, auch in Dialogform mit einer Psychologin, von jenem österreichischen Psychologenmönch Anselm Grün, über „Die Midlife-Crisis“. Das kann helfen. Es ist ein psychologisch-spiritueller Dialog über diesen Augenblick. Und es gibt eine zweite Schrift, von der ich möchte, daß sie alle lese würden: „Der zweite Ruf“ von René Voillaume.“
Die Abwege des Anselm Grün
Daß der Benediktiner Anselm Grün ein Bayer und kein Österreicher ist, kann großzügig übergangen werden. Wäre er nicht ausgerechnet Franke, könnte man die päpstliche Zuordnung ja noch als gemeinbairisch durchgehen lassen. Etwas bedenklicher ist, daß die päpstliche Angabe keinen Rückschluß auf ein bestimmtes Buch von Anselm Grün zuläßt. Keines seiner rund 300 Bücher trägt einen solchen Titel. Was also bleibt, wie die Medienberichte zeigen, ist eine generelle Empfehlung des Papstes, Anselm Grün zu lesen. Das aber erscheint wegen der Meinungen, die der Münsterschwarzacher Benedikiner so von sich gibt, gerade für die „psychische Hygiene“, von der Franziskus vor kurzem sprach, ziemlich bedenklich.
Nur am Rande sei erwähnt, daß der Text von René Voillaume, dem Gründer der Kleinen Brüder Jesu, nur einen kleinen Teil des Buches umfaßt, das Papst Franziskus „allen“ empfiehlt. Das Buch erschien etliche Jahre nach Voillaumes Tod und ist eine Anthologie von Texten ganz unterschiedlicher Autoren, unter denen Kardinal Carlo Maria Martini, der damals bereits emeritierte Erzbischof von Mailand und Mitbruder des Papstes im Jesuitenorden, hervorsticht. Herausgeber des Sammelbandes ist Renato Corti, damals Bischof von Novara. Corti machte sich nicht nur durch eine besondere Nähe zu Kardinal Martini, sondern auch als Verfolger von Priestern seines Bistums einen Namen, die nach dem Motu proprio Summorum Pontificum zur überlieferten Form des Römischen Ritus zurückkehren wollten. Papst Franziskus erhob ihn 2016 in den Kardinalsstand. Solche Signale prägen das derzeitige Pontifikat.
Die Frage, die sich aufdrängt, außer den offiziellen Kirchenmedien, lautet: Wie kann es sein, daß zwei so grundverschiedene Texte wie die Philokalie, ein Klassiker der Wüstenväter, und ein Buch von Anselm Grün von einem Papst im selben Atemzug genannt und empfohlen werden können? Um genau zu sein, empfiehlt Franziskus Anselm Grün sogar mehr als die Philokalie. Zu Anselm Grün siehe Anselm Grüns Abwege.
Wie steht es bei solchen Empfehlungen mit der Sorge um die Gesundheit und vor allem das Seelenheil?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va/Pro Mariana (Screenshots)