„Option Benedikt“, das Buch des US-Amerikaners Rod Dreher („The Benedict Option“), hat die Grenzen der USA längst überschritten und weckt weltweites Interesse. Darin geht es um die zentrale Frage, wie die Zukunft der Christen in einer zunehmend entchristlichten Welt aussehen kann. Dreher nennt seine Option „eine Strategie für Christen in einem postchristlichen Staat“.
Der Autor stellt derzeit sein Buch in Frankreich vor. Dem katholischen Monatsmagazin Le Nef gab er aus diesem Anlaß ein ausführliches Interview. Grund für seinen Ausflug nach Europa ist das Erscheinen der französischen Ausgabe seines Buches. Weitere Übersetzungen befinden sich in Vorbereitung. Eine deutsche Ausgabe ist wünschenswert und darf erhofft werden.
Kritik der römischen Jesuitenzeitschrift
Nun kam aber harsche Kritik an Drehers Buch auf, und das nicht von jenen Kräften, die für die Entchristlichung der christlichen Staaten verantwortlich sind, sondern von der römischen Jesuitenzeitschrift La Civiltà Cattolica. Das läßt staunen. Dem Buch ist damit sicher noch mehr Aufmerksamkeit sicher. Was aber stört die römischen Jesuiten an Drehers „Option“? Immerhin gehört der Mann, der auf dem Stuhl Petri sitzt, auch diesem Orden an. Die Civiltà Cattolica ist unter ihrem Chefredakteur Antonio Spadaro SJ direkter denn je, ein apologetisches Sprachrohr des regierenden Papstes geworden.
Rod Dreher ist übrigens kein Katholik, oder besser gesagt, er war Katholik. Heute gehört er der russisch-orthodoxen Kirche an. Seiner katholischen Herkunft, die sein Denken nicht verleugnen kann, und auch nicht verleugnen will, ist es geschuldet, daß sein Buch aber gerade und in erster Linie unter Katholiken das größte Interesse findet. Um genau zu sein, provozierte Drehers Buch in katholischen Kreisen der USA eine heftige Diskussion, die teilweise polemische Züge trägt.
Grund dafür ist seine Gegenüberstellung des derzeitigen Pontifikats von Papst Franziskus mit dem seines Vorgängers Benedikt XVI. Dreher sieht die beiden Pontifikate in einem offensichtlichen Widerspruch zueinander und bemüht sich, diesen mit besonderem Akzent aufzuzeigen.
„Option Benedikt“ von Nursia
Mit der „Option Benedikt“ ist allerdings nicht der deutsche Papst gemeint, der von 2005–2013 in der Nachfolge des Apostels Petrus der Stellvertreter Christi auf Erden war. Die „Option Benedikt“ bezieht sich auf den Mönchsvater Benedikt, den Vater des abendländischen Mönchtums. Der heilige Benedikt von Nursia lebte von etwa 480 bis 547. Seine Vaterschaft gilt aber nicht nur dem Ordenswesen der lateinischen Kirche. Er ist einer der Väter des Abendlandes, nicht zu verwechseln mit den „Gründervätern“ der Europäischen Gemeinschaften alias EU.
Benedikt von Nursia stand am Beginn dieses Abendlandes, als das Römische Reich in Trümmer sank und noch unklar war, was aus dem Chaos hervorgehen würde. Durch große Gestalten wie ihm entstand eine ungeahnte, christliche Kultur, die zur wirklichen Zivilisation wurde. Benedikt XVI. widmete diesem Vater des Abendlandes am 12. September 2008 am Collège des Bernardins in Paris eine seiner denkwürdigen, historischen Reden.
Es ist diese Zivilisation, die mit dem Begriff des Abendlandes mehr als nur eine geographische Verortung hat, die gerade verspielt wird. Genau darum geht es in Drehers Buch.
Kritik aus Rom
„Es verwundert daher nicht, daß von Rom, von einem Papst wie Franziskus, der Bannerträger gegenteiliger Anschauungen ist, das Buch The Benedict Option auf den Index gesetzt wurde, und die durch jenen organischen Lautsprecher von Jorge Mario Bergoglio geschieht, die vom Jesuiten Antonio Spadaro geleitete Civiltà Cattolica.“
So das Urteil des Vatikanisten Sandro Magister.
Bereits am 10. Oktober 2017, als Spadaro an der University of Notre Dame einen Vortrag hielt, attackierte er die „Option Benedikt“. Der Jesuit warf Drehers Buch vor, einem „Masada-Komplex“ zu erliegen. In der Festung Masada über dem Toten Meer hatten sich die letzten Aufständischen, mehrere tausend Juden, nach der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 nach Christus vor den Römern verschanzt und Selbstmord begangen. Seine Strategie bedeute einen Rückzug aus der Welt, und damit das Ende des Christentums. So die Kernbotschaft der Kritik.
Auch in der Civiltà Cattolica-Ausgabe vom 20. Januar 2018 wurde im selben Ton scharf gegen das Buch geschossen. Der belgische Jesuit Andreas Goncalves Lind rückte Dreher in die Nähe der Häresie. „Ohne natürlich in die Häresie zu fallen, läßt sich bei Dreher das Echo der Stimme des Donatus vernehmen.“ Dem US-Amerikaner wird der Häresie-Vorwurf zwar erspart, die Stoßrichtung ist jedoch eindeutig. Die „Option Benedikt“, die Dreher in seinem Buch aufzeigt, komme – so das Verdikt des Jesuiten – der donatistischen Häresie sehr nahe. Donatus, auf den die häretische Abweichung vom Christentum zurückgeht, war einer der bekanntesten Häretiker der Spätantike. Ihm trat kein Geringerer als der heilige Augustinus entgegen.
Dreher widerspricht der Jesuitenkritik energisch und legte eine ausführliche Erwiderung aller von Goncalves Lind vorgebrachten Punkten vor. Auch im La Nef-Interview nahm er dazu Stellung.
Bannerträger des Schönen und des Guten
Magister zitiert zwei Punkte aus der Erwiderung, die einen Bezug zu Benedikt XVI. haben.
1.
„1969 wurde von Joseph Ratzinger die aktuelle Situation vorausgesehen. Er sagte vorher, daß die Kirche eine schmerzliche Phase der Buße durchmachen würde, in der sie ihre Macht und ihre Privilegien verlieren würde; daß viele fallen, aber die mutigen Gläubigen ausharren würden. Er schloß: ‚Wenn die Prüfungen dieser Periode der Gesundung überwunden sein werden, wird die Kirche, bescheidener, aber geistlich reicher, daraus größer und gestärkter hervorgehen‘. Und er fügte hinzu: ‚Dann werden die Menschen die kleine Herde der Gläubigen mit anderen Augen sehen. Sie werden sie als Hoffnung von etwas sehen, das auch an sie gerichtet ist, als eine Antwort, nach der sie insgeheim immer gesucht hatten‘. Die Zukunft des Glaubens im Westen wird von unserer Art und Weise abhängen, diese Prophezeiung zu leben.“
2.
„Immer Benedikt XVI. hatte auch recht, wenn er sagte, daß die beiden stärksten Argumente für die Kirche die christliche Kunst und die Heiligen sind. Die Logik und die Vernunft haben ihren Platz, aber die Bekehrung erwächst vor allem aus der Begegnung mit der Schönheit (der Kunst) und der Liebe (den Heiligen). Halten wir also die Banner des Schönen und des Guten hoch, um diese vernunftfeindliche Welt zu bekehren, denn sie werden sie sicherer als alles andere zur Wahrheit führen. Das ist Gegenstand des neuen Buches, an dem ich gerade arbeite. Darin analysiere ich diese Aussage Benedikts XVI. im Licht der charakteristischsten Stelle des Romans ‚Unterwerfung‘ von Houellebecq: die gelebte, mystische Erfahrung der Hauptfigur, als er nach Rocamadour pilgert und vor der Jungfrau betet. Eine Frage bewegt mich: Wie hätte er sich vorbereiten müssen, um zu dem ‚Ja‘ zu sagen, was er dort empfand? Ich denke, daß Benedikt XVI. die Antwort darauf gegeben hat, und ich will versuchen, diese zu erklären.“
Die falschen Sorgen heutiger Kirchenvertreter
Mit der ausführlichen Replik The Donatist Option antwortete Dreher am 18. Januar auf die Kritik der Civiltà Cattolica. Einige knappe Auszüge daraus.
Dreher macht dem belgischen Jesuiten Goncalves Lind denselben Vorwurf, den er auch Papst Franziskus macht:
„Das Problem ist, und das ist ein Problem, das in den Aussagen von Papst Franziskus mehrfach aufgeworfen wurde: Gibt es strenge, verbitterte und extreme Katholiken? Sicher. Franziskus und seine Unterstützer haben aber die schreckliche und zutiefst ungerechte Angewohnheit, jene Priester und Laien als ‚streng‘ zu denunzieren, die einfach nur den katholische Glauben bekennen und ihn leben wollen, wie er von der Kirche immer verkündet wurde, und das in einigen Fällen auch in seinen überlieferten liturgischen Formen.“
Dreher weiter:
„Für meine Recherchen zur ‚Option Benedikt‘ bin ich viel in den USA und im Ausland gereist und habe Vorträge gehalten. Dabei habe ich wiederholt dieselbe Botschaft gehört, egal wo ich mich befunden habe: Die jungen Erwachsenen, die sich noch als Christen sehen, wissen wenig oder nichts über den christlichen Glauben, sei es, was den Inhalt betrifft, sei es, wie er im täglichen Leben praktiziert werden soll. Der Glaube, den sie noch haben, ist normalerweise völlig emotional.
Wenn ich also Kirchenvertreter wie Pater Spadaro höre, die allen sagen, völlig unbesorgt zu sein, daß alles bestens sei, daß die Sorgen von Christen wie mir ‚keinen Bezug zur Wirklichkeit haben’, dann empört mich das. Das ist ein Versuch, die Gläubigen einzuschläfern. Das ist eine egoistische Lüge. Und es ist eine Lüge, die vielen Menschen ihre Seele kosten wird.“
Den Jesuiten Lind, so Dreher, besorge aber nicht das schwindende Glaubenswissen,ihn besorge nicht ein bloß emotionaler, oberflächlicher Glaube, und ihn besorge auch nicht die Gefahr, daß viele ihr Seelenheil verlieren könnten.
„P. Lind ist über die ‚strengen‘ Katholiken besorgt, die den orthodoxen, katholischen Glauben praktizieren und ihre Kinder als gläubige und treue Katholiken erziehen wollen.“
Der Kapitulation widerstehen
Ihm sei, so Dreher, eine „pessimistische“ Sicht vorgeworfen worden. „Ja, ich habe eine pessimistische Einstellung gegenüber den heutigen Gesellschaften. Wie könnte ein orthodoxer Christ, der aufmerksam ist, nicht pessimistisch sein? […] Natürlich bin ich für eine offene Zusammenarbeit mit jenen Kräften, die unsere gegenkulturelle Haltung gegenüber der Welt teilen. Ich habe aber kein Interesse an den gescheiterten, assimilatorischen Ideen der modernen Jesuiten. Das mag vielleicht 1968 vernünftig geklungen haben, aber wir kennen die Früchte, die dieser Ansatz hervorgebracht hat: den Kollaps.“
„Ich vertraue darauf, daß Katholiken, die ihren Glauben über diese spezielle Apokalypse hinaus leben und den Glauben ihren Kindern und den Kindern ihrer Kinder weitergeben wollen, mit mir und anderen Christen guten Willens versuchen werden, einen neuen Weg aus den Ruinen des heutigen Christentums zu finden. Es wird für viele ein Schock sein, aber es gibt in der katholischen Kirche Traditionen aus der Zeit vor 1965, die den Katholiken – und allen Christen – heute etwas zu sagen haben. Das ist die Hauptaussage der ‚Option Benedikt‘. Mein eigener Ansatz ist zweifellos fehlerhaft, und ich begrüße, daß man mich korrigiert. Aber ich ziehe es vor, etwas Ernstes zu versuchen, um durch fromme Strategien der Kapitulation zu widerstehen.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: theamericanconservative.com/La Nef/Wikicommons/Civiltà Cattolica (Screenshots)