(Berlin) Kardinal Marx, „das Gesicht der katholischen Kirche in Deutschland“ (BR), nannte Martin Luther – ganz ohne Anflug von Ironie – eine „bombastische Gestalt“. Ende des vergangenen Jahres betätigte er sich als Augur, der eine Renaissance des Marxismus ankündigte. Vor kurzem würdigte er den im Widerspruch zur Kirche entstandenen Verein Donum vitae. Am vergangenen Samstag erklärte er gegenüber dem Bayerischen Rundfunk: Die „Segnung homosexueller Paare ist möglich“. Arbeitet der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz an der Abschaffung der kirchlichen Lehre? Oder gar an der Abschaffung der katholischen Kirche in Deutschland – zumindest ihrer Identität?
Den Eindruck könnte man auch bei manch anderem Bischof gewinnen, wenn man bedenkt, daß der Erzbischof von Berlin, Heiner Koch, ein „engagierter“ Synodale der Bischofssynode über die Familie für die Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur Kommunion, seine Bischofskirche, die St. Hedwigs-Kathedrale, umbauen und dabei auch gleich das Kreuz von der Kuppel entfernen lassen will. So sieht es jedenfalls der Umbauplan vor. Das Erzbistum wollte sich Anfang Januar nicht dazu äußern. In Berlin ist man offenbar der Meinung, daß sich die Kirche wegen der „anderen“ Religionen in einer durch Einwanderung multireligiös gewordenen Hauptstadt möglichst unsichtbar machen müsse, um niemanden durch das Kreuz zu stören. Das sei „demütig“.
Allerdings hat Kardinal Reinhard Marx im konkreten Fall nicht gesagt, was der Bayerische Rundfunk in die Welt posaunte. Die in der Überschrift zitierten Worte: „Segnung homosexueller Paare ist möglich“, eine Schlagzeile, die inzwischen rund um die Welt ging, sind so nicht gesagt worden.
Die Interviewerin Karin Wendlinger fragte den Kardinal in einem 08/15-Interview, was Journalisten Kirchenvertreter wenig originell seit Jahrzehnten eben so fragen, konkret: Warum geht bei Segnungen Homosexueller, dem Frauendiakonat und der Abschaffung des Pflichtzölibats nichts weiter. Bei den Homo-Segnungen fragte sie eigens nach.
Kardinal Marx war sichtlich bemüht, sich um eine konkrete Antwort zu drücken. Was er, so direkt angesprochen, vermeiden wollte, war ein „Nein“. Ja nicht den Eindruck erwecken, zu Zeitgeistthema „konservativ“ zu sein. Gott bewahre.
Stattdessen lieferte er mehr oder weniger inhaltslose Sprechblasen, daß es „keine Regeln“ geben könne, alles müsse „einzelfallbezogen“ betrachtet werden und jedem Priester und Seelsorger überlassen werden. Was das im konkret Fall, ob die Segnung von Homosexuellen möglich sei oder nicht, sagte er nicht.
In Summe gab der Kardinal also keine Antwort und doch eine. Auch seine Absicht, nicht nein sagen zu wollen, war letztlich eine Art von bescheidener Antwort.
Eine solches Lavieren läßt natürlich Tür und Tor für allerlei Interpretationen und Spekulationen offen. Genau das wurde von der Journalistin und dem Bayerischen Rundfunk genützt, frei nach dem Motto: Kein Nein könne ja ein Ja bedeuten. Aus einer solch eigenmächtigen Interpretation die zitierte Schlagzeile in direkter Rede zu machen, ist allerdings eine ziemlich unseriöse Verzerrung.
Da Kardinal Marx offenbar auch nach zwei Tagen noch keine Richtigstellung verlangte, kann sich der Bayerische Rundfunk allerdings bestätigt fühlen. Das heißt auch, daß den Gläubigen Zweifel kommen müssen, ob die BR-Auslegung nicht wirklich der Meinung des Kardinals entspricht. Was er nicht direkt sagen wollte, ließ er die Journalistin sagen. Diese Interpretation wäre zumindest nicht gewagter, als die vom BR konstruierte Schlagzeile.
Vatican News trat auch in diesem Fall als Verstärker der Marx’schen Gedanken auf und meldetet, daß der Kardinal bei der Segnung Homosexueller „Spielraum“ für „Einzelfälle“ sehe. Womit wir die nächste „Einzelfall“-Front hätten, nachdem Papst Franziskus mit Zustimmung von Kardinal Marx die Einzelfallregelung bei der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten erlaubte. Die Tendenz entspricht dem allgemeinen gesellschaftlichen Trend: keine Generalregeln, sondern individuelle Dienstleistungen. Womit die bisherigen Regeln passé sind und die Einzelfallregelungen das Gegenteil dessen werden, was behauptet wird, nämlich die neue Regel.
Die acht Minuten des Interviews sollte man sich gönnen und dazu ein Gedankenspiel anstellen. Man sollte sich vielleicht fragen, was davon wohl Jesus und die Apostel so und überhaupt gesagt hätten. Dieses Gedankenspiel sollte der Erzbischof von München-Freising, Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal der heiligen Kirche, Vertreter Europas im C9-Kardinalsrat, Vorsitzende der vatikanischen Wirtschaftskommission und Vorsitzende der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE), gelegentlich auch anstellen – und Erzbischof Heiner Koch von Berlin. Immerhin äußerte sich sogar der zuständige Berliner Senator Klaus Lederer (Die Linke) für den Erhalt des jetzigen Zustandes der St. Hedwigs-Kathedrale.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: BR (Screenshot)