Fünf Jahre Amtsverzicht von Benedikt XVI. und viele offene Fragen


Benedikt XVI.
Am Rosenmontag 2013 gab Benedikt XVI. seinen Amtsverzicht bekannt. Ein Paukenschlag, wie ihn die Kirche in dieser Form noch nicht gekannt hatte. Am Abend desselben Tagen schlug ein Blitz in den Petersdom ein, als wollte der Himmel seine Mißbilligung zum Ausdruck bringen. So wurde es von vielen jedenfalls gedeutet. Fünf Jahre danach lebt Benedikt noch und ist "geistig völlig frisch", während ein anderes Pontifikat eine "irreversible Revolution" in Gang zu bringen versucht, die ohne den Rücktritt so nie möglich geworden wäre. Es gibt daher mehr als eine offene Frage. Im Bild der Abschied Benedikts am 28. Februar 2013 aus dem Vatikan.

(Rom) Eigent­lich war es schon gestern, 11. Febru­ar, doch heu­te ist der Rosen­mon­tag. Am Rosen­mon­tag vor fünf Jah­ren schlug ein Blitz aus hei­te­rem Him­mel in die Kir­che ein – im über­tra­ge­nen und im wört­li­chen Sinn. Papst Bene­dikt XVI. gab völ­lig über­ra­schend sei­nen Amts­ver­zicht zum Monats­en­de bekannt. Ein Ereig­nis, von dem sich die Kir­che bis heu­te nicht erholt hat, und das in Gesprä­chen immer neu the­ma­ti­siert wird.

Der Blitz in Sankt Peter

Anzei­ge

Am Abend jenes 11. Febru­ar 2013 schlug tat­säch­lich ein mäch­ti­ger Blitz in den Peters­dom ein. Ein Natur­schau­spiel, das vie­le Men­schen erschüt­ter­te. Beschwich­ti­ger vom Dienst ver­such­ten zu kal­mie­ren. Das gesche­he sicher öfter und sei des­halb rei­ner Zufall. Natur­phä­no­me­ne sind schwer zu deu­ten, und den­noch sind sie ein pro­ba­tes Mit­tel, mit dem Gott im Lau­fe der Geschich­te zu den Men­schen gespro­chen hat.

Der Blitz am Abend des 11. Februar 2013
Der Blitz am Abend des 11. Febru­ar 2013

Soviel kann jeden­falls gesagt wer­den und hat sei­nen Aus­sa­ge­wert: Alle Recher­chen seit jenem Tag und Ereig­nis konn­ten kei­nen Nach­weis eines ver­gleich­ba­ren Blitz­ein­schla­ges in den Peters­dom erbrin­gen. Die Behaup­tung eines sol­chen Phä­no­mens nach jenem 11. Febru­ar vor fünf Jah­ren erwies sich als „Fake News“, wie man heu­te sagen wür­de. Ein sol­ches Ereig­nis vor jenem Datum konn­te bis­her nicht nach­ge­wie­sen werden.

Ledig­lich für das Jahr 1870 wird ähn­li­ches, aber nicht glei­ches über­lie­fert. Wäh­rend des Ersten Vati­ka­ni­schen Kon­zils, als das Unfehl­bar­keits­dog­ma beschlos­sen (nicht ver­kün­det) wur­de, ging ein so hef­ti­ges Gewit­ter über Rom nie­der, daß beim Don­ner die Kir­chen­fen­ster von Sankt Peter beb­ten und eines sogar zu Bruch ging. Das Ereig­nis beein­druck­te der­ma­ßen, daß es Ein­gang in die Chro­ni­ken fand. Ein Blitz­ein­schlag im Peters­dom war damit aber nicht verbunden.

Die Schlüs­se kann jeder selbst dar­aus zie­hen, doku­men­tiert soll das Phä­no­men jeden­falls werden.

Der „geistig völlig frische“ Bewohner von Mater Ecclesiae

Seit fünf Jah­ren berich­ten Besu­che im vati­ka­ni­schen Klo­ster Mater Eccle­siae das­sel­be, zuletzt der Sub­sti­tut im vati­ka­ni­schen Staats­se­kre­ta­ri­at, Kuri­en­erz­bi­schof Ange­lo Becciu: Bene­dikt XVI. habe eini­ge Schwie­rig­kei­ten mit der Moto­rik sei­ner Bei­ne, mache aber sei­nen täg­li­chen Spa­zier­gang und, was das Wich­tig­ste scheint, er ist gei­stig bei bester Ver­fas­sung: „fre­schis­si­mo“ sag­te Msgr. Becciu vor weni­gen Tagen wört­lich. Mehr geht eigent­lich nicht.

Damit steht auch 2018 die Fra­ge im Raum, war­um ein auf Lebens­zeit gewähl­ter Papst im Wider­spruch zu einer zwei­tau­send­jäh­ri­gen Tra­di­ti­on aus hei­te­rem Him­mel beschließt, amts­mü­de zu sein und sich in die Pen­si­on zu verabschieden.

Das ist mensch­lich nach­voll­zieh­bar und die von ihm selbst gege­be­ne Ant­wort ist selbst­ver­ständ­lich zur Kennt­nis zu neh­men. Den­noch geht es um weit mehr als die per­sön­li­chen Befind­lich­kei­ten. Es ist daher die Dürf­tig­keit sei­ner Begrün­dung, die im Ver­gleich zur Bedeu­tung des ihm anver­trau­ten Amtes, einen so unbe­frie­di­gen­den Geschmack hinterläßt.

Die Fra­ge hat nichts damit zu tun, daß ihm nicht ein ruhi­ger Lebens­abend gegönnt wer­den soll. Ein so welt­li­ches, gera­de­zu bie­de­res Den­ken wird der Sache aber mit­nich­ten gerecht. Tat­sa­che ist, daß Bene­dikt XVI. sich der Bedeu­tung und Grö­ße des Petrus­am­tes zu sehr bewußt ist, und zu deut­lich beton­te (etwa im Gegen­satz zum amtie­ren­den Kir­chen­ober­haupt, der sich in Äuße­run­gen bis­her nicht in das The­ma ver­tief­te), wie sehr die Per­son des Amts­in­ha­bers hin­ter das Amt, und die damit ver­bun­de­ne Ver­ant­wor­tung als Stell­ver­tre­ter Chri­sti auf Erden, zurück­zu­tre­ten habe.

Vor fünf Jah­ren setz­te sich Bene­dikt XVI. zu die­sem Anspruch in offe­nen Wider­spruch, indem er sich selbst plötz­lich und auf so unge­wöhn­li­che und letzt­lich unty­pi­sche Wei­se in den Vor­der­grund stell­te. Ist er an sei­nem eige­nen Anspruch geschei­tert? Es deu­tet eigent­lich nichts dar­auf hin.

Der Papst der Tradition und ein absolutes Novum?

Das Älter­wer­den mit sei­nen phy­si­schen Gebre­chen ist Teil des Mensch­seins. Auch dazu klafft eine selt­sa­me Lücke zwi­schen der Natur des Men­schen, von der die Kir­che mehr weiß als jede ande­re Insti­tu­ti­on die­ser Erde, und dem plötz­li­chen Han­deln Bene­dikts. Zu grund­ver­schie­den ist das Amt des Pap­stes von jedem welt­li­chen Amt, selbst den höch­sten Ämtern, um sich auf die Nie­de­run­gen bana­ler Alters­gren­zen und gewerk­schaft­li­cher Pen­si­ons­an­sprü­che zu begeben.

Benedikt XVI. gibt seinen Amtsverzicht bekannt
Bene­dikt XVI. gibt sei­nen Amts­ver­zicht bekannt

Der ein­zi­ge Zusatz, den Bene­dikt seit jenem 11. Febru­ar zur Rück­tritts­er­klä­rung ergänz­te, war ein miß­glück­ter: 2013 sei der Welt­ju­gend­tag in Rio de Janei­ro bevor­ge­stan­den, an dem er aus phy­si­schen Grün­den nicht mehr teil­neh­men hät­te kön­nen. Johan­nes Paul II. habe aber an allen Jugend­ta­gen teil­ge­nom­men. In der Tat. Johan­nes Paul II. hat­te aber auch erst die Jugend­ta­ge ein­ge­führt, die es 1950 Jah­re in der Kir­che nicht gege­ben hat­te. Der dürf­ti­gen Recht­fer­ti­gung wur­de damit ledig­lich eine noch dürf­ti­ge­re draufgepackt.

Seit dem Rosen­mon­tag 2013 wird über die­sen in der Kir­chen­ge­schich­te nie dage­we­se­nen Schritt gerät­selt. War­um setzt aus­ge­rech­net ein Papst, der mit Wohl­wol­len in Rich­tung Tra­di­ti­on blick­te, ein abso­lu­tes, aber zwei­fel­haf­tes Novum?

Es gab bereits zwei frei­wil­li­ge Rück­trit­te in der Kir­chen­ge­schich­te, aller­dings in ganz ande­rem histo­ri­schen und per­sön­li­chen Kon­text. Cöle­stin V., auf den im Zusam­men­hang mit Bene­dikt XVI. ger­ne ver­wie­sen wird, war auf den Stuhl Petri gezwun­gen wor­den, nach­dem sich die Kar­di­nä­le selbst nach Mona­ten nicht auf einen Namen eini­gen konn­ten, und die Kir­che schon zu lan­ge ohne sicht­ba­res Ober­haupt war. Der gezwun­ge­ne Ere­mit hat­te sich aus­be­dun­gen, so bald als mög­lich wie­der abtre­ten zu dür­fen, was er dann nach weni­gen Mona­ten auch tat. Im Gegen­satz zu Bene­dikt XVI. wur­de er dann aller­dings sei­ner Bewe­gungs­frei­heit beraubt, weil die Sor­ge zu groß war, daß durch zwei „Päp­ste“ Cha­os und Schis­ma in die Kir­che ein­drin­gen könnten.

Das ist auch der Grund, wes­halb ein Freund Bene­dikts XVI., Kar­di­nal Wal­ter Brand­mül­ler, so vehe­ment gegen die Ver­wen­dung der Bezeich­nung „eme­ri­tier­ter Papst“ Stel­lung nahm. Es kön­ne nur einen Papst geben. Bene­dikt XVI. sei, wie vor ihm schon Cöle­stin V. und  Gre­gor XII. „vor­mals“ Papst gewe­sen. Bei­de erhiel­ten nach ihrem Amts­ver­zicht die Wür­de eines Kardinals.

Die Ver­wir­rung, die Brand­mül­ler seit dem 28. Febru­ar 2013 sieht, geht aller­dings allein auf Bene­dikt XVI. zurück, der – und das ist ein abso­lu­tes Novum – in allen Äußer­lich­kei­ten den Anspruch eines Pap­stes erhebt. Er klei­det sich wei­ter­hin wie ein Papst, läßt sich mit sei­nem Papst­na­men anspre­chen und auf sei­nem Brief­pa­pier steht offi­zi­ell Papa eme­ri­tus. In man­chen Aspek­ten ist er dies­be­züg­lich sogar mehr Papst als sein Amts­nach­fol­ger. Er trägt die roten Schu­he des Papstes.
Wozu das aber? Ein Amts­ver­zicht mit Eitel­kei­ten? Auch die­se Fra­ge wird immer wie­der gestellt.

Der von einem Kardinal prophezeite Tod

Nicht ver­stum­men wol­len Stim­men, die von einem erzwun­ge­nen Rück­tritt spre­chen. Der Nach­weis dafür kann aber nicht erbracht wer­de. Aller­ding las­sen sich eini­ge unge­wöhn­li­che Din­ge berich­ten, von denen eini­ge an die­ser Stel­le in Erin­ne­rung geru­fen wer­den sollen.

Komplott: Innerhalb von 12 Monate ist Benedikt XVI. tot.
Kom­plott: Inner­halb von 12 Mona­te ist Bene­dikt XVI. tot.

In der ersten Janu­ar­hälf­te 2012 über­mit­tel­te Kar­di­nal Dario Cas­tril­lon Hoyos Papst Bene­dikt XVI. eine ver­trau­li­che Sach­ver­halts­dar­stel­lung. Der ein­sti­ge Vor­sit­zen­de der Päpst­li­chen Kom­mis­si­on Eccle­sia Dei war sich der Bri­sanz bewußt, denn er schrieb den Brief auf deutsch, offen­bar um sicher zu gehen, daß der Inhalt uner­wünsch­ten Augen ver­bor­gen bleibt.
In die­sem Brief berich­te­te er Bene­dikt XVI. von der unglaub­li­chen „Pro­phe­zei­ung“ eines andern Kar­di­nals. Pao­lo Romeo, der Erz­bi­schof von Paler­mo, war in Beglei­tung ita­lie­ni­scher Geschäfts­leu­te in die Volks­re­pu­blik Chi­na geflo­gen und hat­te die­sen den Tod Bene­dikts XVI. in den näch­sten zwölf Mona­ten pro­phe­zeit. Die erstaun­ten und ent­setz­ten Ohren­zeu­gen dach­ten an ein Atten­tat. Was kam, war nicht min­der spek­ta­ku­lär: sein Amts­ver­zicht. Ein Papst, der zurück­tritt, lag außer­halb jeder Vorstellungskraft.

Das war 13 Mona­te vor dem uner­war­te­ten Amtsverzicht.

Die Rücktrittsaufforderung von Kardinal Martini

Am 24. Juni 2015 starb der ita­lie­ni­sche Jesu­it Sil­va­no Fausti. Pater Fausti, ein hoch­in­tel­li­gen­ter Mann, leb­te als „Stra­ßen­prie­ster“ oder „Prie­ster an den Rän­dern“, wie sein Ordens­bru­der Papst Fran­zis­kus sagen wür­de. Die letz­ten 37 Jah­re sei­nes Lebens hat­te der Jesu­it in einer Hüt­te am Stadt­rand von Mai­land gehaust. In einer Hüt­te zusam­men mit Tau­sen­den von Büchern, unter denen sich auch sel­te­ne Drucke aus dem 16. und 17. Jahr­hun­dert befanden.

Caro Maria Martini SJ mit Benedikt XVI.
Caro Maria Mar­ti­ni SJ mit Bene­dikt XVI.

Der Cor­rie­re del­la Sera, Ita­li­ens renom­mier­te­ste Tages­zei­tung, ver­öf­fent­lich­te einen Nach­ruf und ein Video­in­ter­view des Jesui­ten. Dar­in ent­hüll­te die­ser eine Epi­so­de, deren Augen- und Ohren­zeu­ge er war.
Am 2. Juni 2012 nahm Papst Bene­dikt XVI. am Welt­fa­mi­li­en­tref­fen in Mai­land teil. Dabei stat­te­te der auch dem eme­ri­tier­ten Erz­bi­schof der Stadt, Car­lo Maria Kar­di­nal Mar­ti­ni, einen Besuch ab. Kar­di­nal Mar­ti­ni, eben­falls Jesu­it, galt seit der Wahl von Johan­nes Paul II. als Sym­bol­ge­stalt der anti­rö­mi­schen, pro­gres­si­ven Kir­chen­krei­se. Er selbst sah sich als Gegen­spie­ler des regie­ren­den Pap­stes und koket­tier­te mit der Selbst­be­zeich­nung als „Ante-Papa“, ein Wort­spiel, das mit „Anti­papst“ in Ver­bin­dung zu brin­gen ist, aber den Anspruch erhob, der künf­ti­ge Papst zu sein.
So wur­de Mar­ti­ni auch von sei­nen Anhän­gern und Ver­eh­rern gese­hen, sobald das Pon­ti­fi­kat des in die­sen Krei­sen unge­lieb­ten Johan­nes Paul II. enden wür­de. Doch des­sen Pon­ti­fi­kat woll­te nicht enden. Der pol­ni­sche Papst harr­te trotz schwe­rer Krank­heit bis zu sei­nem Tod im Jahr 2005 aus. Da war Mar­ti­ni bereits seit eini­gen Jah­ren eme­ri­tiert, wenn auch noch im Kon­kla­ve wahl­be­rech­tigt. Ein eme­ri­tier­ter Kir­chen­ver­tre­ter gilt aller­dings laut einem unge­schrie­be­nen Gesetz als nicht wähl­bar. Das lan­ge Aus­har­ren von Papst Woj­ty­la hat­te Mar­ti­ni regel­recht „über­lebt“. Der erste Wahl­gang mach­te die Aus­sichts­lo­sig­keit sei­ner Kan­di­da­tur offensichtlich.
Am 31. August 2012 ist Mar­ti­ni gestor­ben. Die Begeg­nung am 2. Juni soll­te die letz­te mit Bene­dikt XVI. sein, um so bedeut­sa­mer ist deren Inhalt. Wie Pater Fausti berich­te­te, der an der Begeg­nung an der Sei­te Mar­ti­nis teil­ge­nom­men hat­te, for­der­te Mar­ti­ni Bene­dikt XVI. ener­gisch und direkt auf, zurück­zu­tre­ten. Als Grund für die­se unge­wöhn­li­che Auf­for­de­rung, so Fausti, habe der Jesui­ten­kar­di­nal die Unfä­hig­keit des deut­schen Pap­stes ange­führt, die Römi­sche Kurie, das tra­di­tio­nel­le Feind­ob­jekt pro­gres­si­ver Kir­chen­krei­se, zu refor­mie­ren. Wört­lich habe Mar­ti­ni zu Bene­dikt XVI. gesagt: „Es ist wirk­lich Zeit“, da las­se sich nichts machen. Der Cor­rie­re del­la Sera titel­te: „Du mußt zurücktreten“.

Der Jesuit Silvano Fausti vor seinem Tod über die Rücktrittsforderung von Kardinal Martini
Der Jesu­it Sil­va­no Fausti vor sei­nem Tod über die Rück­tritts­for­de­rung von Kar­di­nal Martini

Andrea Tor­ni­el­li, der Haus- und Hof­va­ti­ka­nist von Papst Fran­zis­kus, schrieb zu die­ser Ent­hül­lung im Juli 2015: „Es besteht kein Zwei­fel, daß mit­ten im Vati­leaks-Skan­dal der eme­ri­tier­te Erz­bi­schof in aller Offen­heit Bene­dikt den Rück­tritt emp­foh­len hat“.
Wie erst im Sep­tem­ber 2015, also weni­ge Mona­te spä­ter und nach Mar­ti­nis Tod bekannt wur­de, war der Kar­di­nal der Anfüh­rer eines inner­kirch­li­chen Geheim­zir­kels gewe­sen, der sich selbst „Mafia“ nann­te. Da sich der Kreis höch­ster Kir­chen­ver­tre­ter im Schwei­ze­ri­schen Sankt Gal­len traf, ist er seit­her als „Mafia von Sankt Gal­len“ bekannt. Sei­ne Exi­stenz wur­de in der Bio­gra­phie des bel­gi­schen Kar­di­nals God­fried Dan­neels ent­hüllt, der selbst Mit­glied die­ses Geheim­zir­kels war, der in den 90er Jah­ren von Kar­di­nal Mar­ti­ni ver­sam­melt wor­den war.
Ziel des Zir­kels war es, gleich­ge­sinn­te Kir­chen­ver­tre­ter auf der höch­sten Ebe­ne zu sam­meln. Der Kreis lehn­te die „Restau­ra­ti­on“ ab, die Johan­nes Paul II. vor­ge­wor­fen wur­de. Statt­des­sen soll­te der angeb­lich abge­bro­che­ne Weg zu einem „neu­en Früh­ling“ der Kir­che voll­endet wer­den, der – ange­sto­ßen von der Rhei­ni­schen Alli­anz – durch das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil begon­nen wor­den war. Der seit über 200 Jah­ren geführ­te Kul­tur­kampf gegen die Moder­ne sol­le been­det wer­den und sich die Kir­che in Ein­klang mit der Auf­klä­rung und der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on bringen.
Das Pon­ti­fi­kat von Johan­nes Paul II. soll­te aus dem Hin­ter­halt behin­dert und boy­kot­tiert, und die Wahl eines eige­nen Kan­di­da­ten zu sei­nem Nach­fol­ger vor­be­rei­tet wer­den. Die­ser soll­te eigent­lich Mar­ti­ni selbst sein, doch das Kon­kla­ve von 2005 kam zu spät für ihn. Als neu­er Kan­di­dat des Geheim­zir­kels war ein ande­rer Jesu­it aus­ge­wählt wor­den, der Erz­bi­schof von Bue­nos Aires, Jor­ge Mario Kar­di­nal Berg­o­glio. Die­ses Detail hat­te bereits ein ande­rer über­zeug­ter Par­tei­gän­ger die­ses Lagers, der Bri­te Austen Ive­reigh, im Novem­ber 2014 ent­hüllt. Die Mehr­heits­ver­hält­nis­se waren zu ein­deu­tig. Berg­o­glio hat­te kei­ne Aus­sicht, gewählt zu wer­den. Die „Mafia von Sankt Gal­len“ ali­as „Team Berg­o­glio“ als deren Exe­ku­tiv­or­gan hat­te jedoch beab­sich­tigt, zumin­dest die Wahl Ratz­in­gers zu ver­hin­dern, was mit einer Sperr­mi­no­ri­tät von einem guten Drit­tel der Stim­men gelun­gen wäre. Dazu hat­te Berg­o­glio nach meh­re­ren Wahl­gän­gen aber nicht die Ner­ven oder woll­te sich nicht ver­hei­zen lassen.
Eine klu­ge Ent­schei­dung, wie sich zei­gen soll­te. Durch den uner­war­te­ten Rück­tritt Bene­dikts wur­de 2013 der Weg für ihn frei, tat­säch­lich den Stuhl Petri zu besteigen.

Die unmiß­ver­ständ­li­che Auf­for­de­rung Mar­ti­nis zum Rück­tritt von Bene­dikt XVI. erfolg­te acht Mona­te vor dem uner­war­te­ten Amtsverzicht.

Obamas Ränkespiel

In der Mai-Aus­ga­be 2017 der links­li­be­ra­len, geo­po­li­ti­schen Zeit­schrift Limes erschien der Auf­satzWar­um wir den Vati­kan brau­chen“ (Per­ché ci ser­ve il Vati­ca­no) von Ger­ma­no Dot­to­ri. Dot­to­ri ist Ordi­na­ri­us für Stra­te­gi­sche Stu­di­en und Inter­na­tio­na­le Sicher­heit an der Link Cam­pus Uni­ver­si­ty und der Inter­na­tio­na­len Frei­en Uni­ver­si­tät für Sozi­al­wis­sen­schaf­ten (LUISS) in Rom. Er ist zudem Gene­ral­se­kre­tär des Zen­trums für Stra­te­gi­sche Stu­di­en und Inter­na­tio­na­le Poli­tik an der LUISS. Wört­lich schrieb er: „Obsku­re Finanz­ma­nö­ver. Ratz­in­ger durch Erpres­sung von Oba­ma zur Abdan­kung gezwungen“.

Rabe jagt Taube (Petersplatz)
Krä­he jagt Tau­be (Peters­platz)

Dot­to­ri nennt den gro­ßen Miß­mut, den Bene­dikt XVI. bei Oba­ma und Hil­la­ry Clin­ton (Oba­mas Außen­mi­ni­ste­rin) durch sei­ne kri­ti­sche Hal­tung gegen­über dem Islam und sei­ne Ver­su­che einer „histo­ri­schen Ver­söh­nung“ in Euro­pa zwi­schen EU und Ruß­land pro­vo­ziert hat­te. In sei­ner berühm­ten Regens­bur­ger Rede hat­te er sich, so Dot­to­ri, nicht nur gegen den Islam, son­dern auch gegen den west­li­chen Rela­ti­vis­mus gewandt, den nie­mand akzen­tu­ier­ter ver­trat als Oba­ma und Clinton.
Dage­gen, so der Wis­sen­schaft­ler für Geo­po­li­tik, hät­ten die USA eine regel­rech­te Ver­schwö­rung in Sze­ne gesetzt. Mit einer koor­di­nier­ten Skan­dal­kam­pa­gne sei die syste­ma­ti­sche, öffent­li­che Dis­kre­di­tie­rung des Kir­chen­ober­haup­tes betrie­ben wor­den. Teil die­ser Kam­pa­gne gegen Bene­dikt XVI. sei Anfang 2013 der Aus­schluß der Vatik­an­bank IOR und des Kir­chen­staa­tes aus dem SWIFT-System gewe­sen. Die Deut­sche Bank, so Dot­to­ri, sei damals ver­an­laßt wor­den, die Ban­ko­mat-Funk­ti­on und die bar­geld­lo­se Bezah­lung in der Vati­kan­stadt, und damit auch in den Vati­ka­ni­schen Muse­en, zu blockie­ren. Wer aber habe die Macht, die Deut­sche Bank zu einer so bei­spiel­lo­sen Akti­on gegen den Kir­chen­staat zu ver­an­las­sen, die zudem nur mit einem aus­ge­spro­chen schlech­ten Vor­wand begrün­det wur­de? Kurio­ser­wei­se wur­de der Aus­schluß sofort nach dem Rück­tritt von Bene­dikt XVI. wie­der auf­ge­ho­ben. Wört­lich schrieb der Pro­fes­sor: „Eine Betei­li­gung der Regie­rung Oba­ma an der Erset­zung von Ratz­in­ger, der sei­ne ‚gro­ße Ver­wei­ge­rung‘ am 11. Febru­ar 2013 for­ma­li­sier­te, durch einen von den US-Demo­kra­ten Wohl­ge­lit­te­ne­ren wie Jor­ge Mario Berg­o­glio, ist ein Ver­dacht, der schon seit eini­ger Zeit in tra­di­tio­na­li­sti­schen Krei­sen gehegt wird.“

Mail von John Podesta
Mail von John Podesta

Eine Initia­ti­ve US-ame­ri­ka­ni­scher Katho­li­ken rich­te­te dar­auf­hin an US-Prä­si­dent Donald Trump den Appell, einen Unter­su­chungs­aus­schuß ein­zu­set­zen, der die Rol­le Oba­mas und der US-Regie­rung beim Amts­ver­zicht von Bene­dikt XVI. klä­ren soll­te. Dabei wur­de auf Doku­men­te von Hil­la­ry Clin­ton ver­wie­sen, die durch Wiki­leaks-Ent­hül­lun­gen bekannt wur­den. Clin­tons Wahl­kampf­lei­ter, John Pode­sta, der unter Oba­ma Stabs­chef im Wei­ßen Haus war, schrieb dar­in von einem „katho­li­schen Früh­ling“, der in Ana­lo­gie zum „Ara­bi­schen Früh­ling“ in der katho­li­schen Kir­che los­ge­tre­ten wer­den sol­le. Dabei gehe es um eine „Revo­lu­ti­on“, mit der die Macht­ver­hält­nis­se in der katho­li­schen Kir­che zugun­sten des pro­gres­si­ven Flü­gels umge­stürzt wer­den sollten.
Dot­to­ri begrün­de­te sei­ne The­se auch damit, daß „weder Ber­lin noch Paris die Macht“ zu sol­chen Ope­ra­tio­nen habe. „Die USA schon.“ Denn wer sonst kön­ne der Deut­schen Bank dik­tie­ren, eine so unge­wöhn­li­che Akti­on durch­zu­füh­ren, die nur vor dem Hin­ter­grund einer poli­tisch gewoll­ten Ope­ra­ti­on einen wirk­li­chen Sinn erge­be. Bereits von ande­rer Sei­te waren die häu­fi­gen, skan­dal­träch­ti­gen Hin­wei­se auf angeb­li­che „Finanz­skan­da­le“ rund um die Vatik­an­bank als lächer­lich kri­ti­siert wor­den, da die­se die Grö­ße einer Klein­bank habe.
Bereits weni­ge Mona­te vor dem Limes-Auf­satz hat­te Dot­to­ri in einem Inter­view zu den Wiki­leaks-Doku­men­ten gegen­über der Pres­se­agen­tur Zenit gesagt:
„Ich habe immer gedacht, daß Bene­dikt XVI. durch eine kom­ple­xe Machen­schaft, betrie­ben von jemand, der ein Inter­es­se hat­te, die Ver­söh­nung mit der rus­si­schen Ortho­do­xie zu blockie­ren, die eine reli­giö­se Säu­le eines Pro­jekts der schritt­wei­sen Kon­ver­genz zwi­schen Kon­ti­nen­tal­eu­ro­pa und Mos­kau ist, zum Rück­tritt ver­an­laßt wur­de“ Dabei sei es nicht nur um den Rück­tritt Bene­dikts gegan­gen, son­dern auch um des­sen Nach­fol­ge. Als „Kan­di­dat“ Bene­dikts sei 2013 Kar­di­nal Ange­lo Sco­la ins Kon­kla­ve gegan­gen. Dazu Dot­to­ri: „Aus ähn­li­chen Grün­den, den­ke ich, wur­de auch das Ren­nen von Kar­di­nal Sco­la um die Nach­fol­ge gestoppt, der als Patri­arch von Vene­dig die Ver­hand­lun­gen mit Mos­kau geführt hatte.“

In die­sem Kon­text dürf­te auch die min­der über­ra­schen­de Abset­zung des dama­li­gen Vatik­an­bank-Prä­si­den­ten Ettor Got­ti Tede­schi ste­hen. Sie erfolg­te im Mai 2012, obwohl der renom­mier­te Finanz­ex­per­te das Ver­trau­en von Bene­dikt XVI. genoß, der offen­bar neun Mona­te vor sei­nem eige­nen Amts­ver­zicht nicht mehr Herr des Vati­kans war. Etto­re Got­ti Tede­schi muß­te eine Durch­su­chung sei­nes Pri­vat­hau­ses und eine Medi­en­kam­pa­gne über sich erge­hen las­sen, ehe ein Gericht 2014 das Ver­fah­ren gegen ihn archi­vier­te. Da regier­te in San­ta Mar­ta bereits ein ande­rer Papst.

Der Aus­schluß aus dem SWIFT-System erfolg­te weni­ge Wochen vor dem uner­war­te­ten Amtsverzicht.

Fragen und Zweifel durch Pontifikat von Franziskus verschärft

Was bleibt, sind Fra­gen, die immer neu auf­tre­ten, wenn Besu­cher in Mater Eccle­siae berich­ten, daß Bene­dikt XVI. „gei­stig völ­lig frisch“ ist, und die eben­so immer neu auf­tre­ten, wenn der Ein­druck ent­steht, daß Papst Fran­zis­kus „Pro­zes­se“ in der Kir­che anstößt, die „irrever­si­bel“ gedacht sind.

Die­se nicht weni­ge Katho­li­ken zer­mür­ben­den Zwei­fel zum letzt­lich unver­ständ­li­chen Amts­ver­zicht wie­gen wegen einer ganz spe­zi­el­len Tat­sa­che beson­ders schwer. Tat­sa­che ist näm­lich, daß Papst Fran­zis­kus ohne den Amts­ver­zicht nie Papst gewor­den wäre. Wäh­rend Bene­dikt XVI. noch immer lebt, voll­ende­te Fran­zis­kus am 17. Dezem­ber 2016 sein 80. Lebens­jahr und wäre als Papst­wäh­ler aus­ge­schie­den.  Bereits zuvor wäre er sehr wahr­schein­lich gemäß der Pra­xis von Bene­dikt XVI. nach Voll­endung sei­nes 77. Lebens­jah­res (17. Dezem­ber 2013) im Lau­fe des Jah­res 2014 eme­ri­tiert wor­den, und damit nicht mehr als Papst wähl­bar gewesen.

Wer auch immer zum Nach­fol­ger Bene­dikts XVI. gewählt wor­den wäre, Jor­ge Mario Berg­o­glio aus Bue­nos Aires wäre es jeden­falls nicht gewesen.

Gläu­bi­ge Katho­li­ken hän­gen noch heu­te mit gro­ßer Dank­bar­keit an Bene­dikt XVI. Den­noch sind auch und gera­de für sie mit dem Amts­ver­zicht vom Rosen­mon­tag 2013 vie­le Zwei­fel und offe­ne Fra­gen ver­bun­den. So ist in Gesprä­chen rund um den Glo­bus von Gläu­bi­gen immer wie­der eine Aus­sa­ge zu hören: Bene­dikt XVI. habe „gro­ße Ver­ant­wor­tung“ auf sich gela­den. Durch sei­nen Amts­ver­zicht laste auch auf ihm, was an Fehl­ent­wick­lun­gen im Pon­ti­fi­kat sei­nes Nach­fol­gers Fran­zis­kus statt­fin­det, eines Pap­stes, für den Bene­dikt XVI., und er ganz allein, den Weg frei­ge­macht hat.

Zumin­dest dar­an besteht kein Zweifel.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: MiL/​Maurzio Blondet

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Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

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