Minimalismus – die Krankheit der heutigen Katholizität


Don Fredo Olivero bei der Mitternachtsmette, als er erklärte, das Glaubensbekennntnis auszulassen, weil er nicht daran glaube.
Don Fredo Olivero bei der Mitternachtsmette, als er erklärte, das Glaubensbekennntnis auszulassen, weil er nicht daran glaube.

Von Rober­to de Mattei*

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In die­sen Tagen sind im Inter­net zwei Vide­os zu sehen, die Anlaß zum Nach­den­ken geben. Das erste Video gibt die Wor­te von Don Fre­do Oli­vero, Rek­tor der Kir­che zum hei­li­gen Rochus in Turin, wäh­rend der Weih­nachts­met­te wieder.

„Wißt ihr, war­um ich das Cre­do nicht spre­che? Weil ich nicht dar­an glaube.“

Unter dem Geläch­ter der Gläu­bi­gen sag­te er dann:

„Wenn es jemand ver­steht…. Ich aber habe nach vie­len Jah­ren ver­stan­den, daß ich es nicht ver­ste­he und es nicht akzep­tie­ren kann. Sin­gen wir irgend etwas ande­res, das die wesent­li­chen Din­ge des Glau­bens sagt.“

Der Prie­ster ersetz­te das Glau­bens­be­kennt­nis durch den Gos­pel „Dol­ce sen­ti­re“ aus dem Film „Schwe­ster Son­ne, Bru­der Mond“[1]Das Lied wur­de vom Film­kom­po­ni­sten Riz Orto­la­ni für den 1972 von Fran­co Zef­fi­rel­li gedreh­ten Film „Bru­der Son­ne, Schwe­ster Mond“ über den hei­li­gen Fran­zis­kus kom­po­niert. Der Film brach­te „das … Con­ti­n­ue rea­ding

Das Cre­do faßt alle Arti­kel des katho­li­schen Glau­bens zusam­men. Das Leug­nen eines ein­zi­gen Arti­kels stellt eine Häre­sie dar. Das Cre­do als Gan­zes zu leug­nen, ist ein Akt der öffent­li­chen Apo­sta­sie. Es in der hei­li­gen Mes­se zu leug­nen, ist ein nicht tole­rier­ba­rer Skandal.

Don Salvatore Priola
Don Sal­va­to­re Priola

Die Abset­zung, die Sus­pen­die­rung a divi­nis, ja die Exkom­mu­ni­ka­ti­on des Prie­sters hät­te sofort statt­zu­fin­den. Nichts davon ist gesche­hen. Wäh­rend die Medi­en die unglaub­li­che Nach­richt ver­brei­te­ten, kam kirch­li­cher­seits die ein­zi­ge Reak­ti­on aus dem ent­ge­gen­ge­setz­ten Ende Ita­li­ens, aus Sizi­li­en. Dort brach­te Don Sal­va­to­re Prio­la, der Pfar­rer und Rek­tor der Mari­en­wall­fahrts­kir­che von Alta­vil­la Mili­cia, in einer Pre­digt sei­ne Empö­rung über die Wor­te des Prie­sters aus Pie­mont zum Aus­druck und for­der­te sei­ne Gläu­bi­gen und jeden Getauf­ten auf, öffent­lich auf Skan­da­le die­ser Art zu reagieren.

Ein Video gibt sei­ne lei­den­schaft­li­chen Wor­te wieder:

„Brü­der und Schwe­stern, wenn Ihr einen Prie­ster Din­ge sagen hört, die dem katho­li­schen Glau­ben wider­spre­chen, müßt Ihr den Mut haben, auf­zu­ste­hen und es dem Prie­ster zu sagen, auch wäh­rend der Mes­se: ‚Das ist Ihnen nicht erlaubt!‘ Es ist Zeit, auf­zu­ste­hen, wenn Ihr Din­ge hört, die gegen unser Glau­bens­be­kennt­nis sind. Auch wenn sie ein Bischof sagt, auch wenn sie ein Prie­ster sagt. Steht auf und sagt es: ‚Vater, Exzel­lenz, das ist Ihnen nicht erlaubt!‘ Weil es ein Evan­ge­li­um gibt. Weil wir alle dem Evan­ge­li­um unter­ste­hen, vom Papst abwärts. Wir sind alle unter dem Evangelium.“

Die bei­den so gegen­sätz­li­chen Pre­dig­ten zwin­gen zu eini­gen Über­le­gun­gen. Wenn ein Prie­ster soweit ist, das katho­li­sche Glau­bens­be­kennt­nis vom Altar aus zu leug­nen, ohne daß von der kirch­li­chen Auto­ri­tät Sank­tio­nen gegen ihn ver­hängt wer­den, befin­den wir uns wirk­lich in einem uner­hört schwer­wie­gen­den Moment der Kir­chen­kri­se. Um so mehr, weil Don Oli­vero kein Ein­zel­fall ist. Tau­sen­de von Prie­stern welt­weit den­ken so ähn­lich und ver­hal­ten sich ent­spre­chend. Außer­ge­wöhn­lich an die­sem Fall ist und alle Aner­ken­nung der wirk­li­chen Katho­li­ken ver­dient die Auf­for­de­rung des sizi­lia­ni­schen Pfar­rers, auf­zu­ste­hen, und das sogar in der Kir­che, um einen Prie­ster und sogar einen Bischof öffent­lich zu ermah­nen, daß er Ärger­nis gibt. Die­se öffent­li­che Zurecht­wei­sung ist nicht nur erlaubt, son­dern kann manch­mal sogar Pflicht sein.

Das ist ein Punkt, der zu beto­nen ist. Der wah­re Grund für die aktu­el­le Kri­se ist nicht so sehr die Arro­ganz derer, die den Glau­ben ver­lo­ren haben, son­dern die Schwä­che jener, die ihn bewahrt haben, aber es vor­zie­hen, zu schwei­gen, anstatt ihn öffent­lich zu ver­tei­di­gen. Die­ser Mini­ma­lis­mus ist die gegen­wär­ti­ge geist­li­che und mora­li­sche Krank­heit. Vie­le Katho­li­ken sind der Ansicht, daß Wider­stand gegen Irr­tü­mer nicht zu lei­sten sei, weil es genü­ge „sich gut zu ver­hal­ten“ oder den Wider­stand auf die blo­ße Ver­tei­di­gung des nega­ti­ven mora­lisch Abso­lu­ten zu beschrän­ken, also das, was immer und unter allen Umstän­den dem natür­li­chen und gött­li­chen Gesetz widerspricht.

Das ist sakro­sankt, aber wir soll­ten nicht ver­ges­sen, daß es nicht nur nega­ti­ve Gebo­te gibt, die uns sagen, was wir nie tun dür­fen. Es gibt auch posi­ti­ve Gebo­te, die uns sagen, was wir tun sol­len, wel­che Wer­ke und Hal­tun­gen Gott wohl­ge­fäl­lig sind und mit denen wir den Näch­sten lie­ben kön­nen. Wäh­rend die nega­ti­ven Gebo­te (nicht töten, nicht steh­len, nichts Unrei­nes tun) kon­kret for­mu­liert sind, weil sie eine bestimm­te Hand­lung immer, an jedem Ort und in jeder Situa­ti­on, aus­nahms­los ver­bie­ten, sind die posi­ti­ven Gebo­te (das Gebet, das Opfer, die Kreu­zes­lie­be) unbe­stimmt, weil sie nicht fest­schrei­ben kön­nen, was in den ver­schie­de­nen, kon­kre­ten Situa­ti­on zu tun ist. Den­noch ver­pflich­ten auch sie je nach Situation.

Die Moder­ni­sten deh­nen die „Situa­ti­ons­ethik“ völ­lig unan­ge­mes­sen, im Namen der Lie­be Got­tes, von den posi­ti­ven Gebo­ten auf die nega­ti­ven aus und ver­ges­sen, daß die Lie­be untrenn­bar mit der Ein­hal­tung des Moral­ge­set­zes gekop­pelt ist, weil Jesus gesagt hat:

„Wer mei­ne Gebo­te hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer mich aber liebt, wird von mei­nem Vater geliebt wer­den und auch ich wer­de ihn lie­ben und mich ihm offen­ba­ren“ (Joh 14,21).

Die Kon­ser­va­ti­ven begnü­gen sich oft mit Posi­tio­nen eines mora­li­schen Mini­ma­lis­mus und ver­ges­sen ihrer­seits, daß ein Katho­lik Gott mit gan­zem Her­zen, gan­zer See­le, allen Gedan­ken und aller Kraft (Mk 12,30; Mt 22,37) zu lie­ben hat.

Des­halb lehrt der hei­li­ge Tho­mas von Aquin, daß wir alle nicht zum Guten, son­dern zum Bes­se­ren ver­pflich­tet sind, nicht nur auf der Ebe­ne des Han­delns, son­dern jener der Lie­be (In Evang. Mat­th. 19,12).

Die erste mora­li­sche Wahr­heit ist die Lie­be. Der Mensch hat Gott vor allen Geschöp­fen zu lie­ben, und die Geschöp­fe gemäß der von Gott fest­ge­leg­ten Ord­nung. Es gibt nega­ti­ve Hand­lun­gen, die man nie tun darf, unter kei­nen Umstän­den. Es gibt aber auch posi­ti­ve Hand­lun­gen, die man unter bestimm­ten Umstän­den zu tun ver­pflich­tet ist. Die­se mora­li­sche Pflicht hat ihre Grund­la­ge nicht in einem nega­ti­ven Gebot, son­dern in der Lie­be Gottes.

Die Gebo­te haben dem­nach eine Unter­gren­ze, das, was man nicht tun darf. Sie haben aber kei­ne Ober­gren­ze, weil die Lie­be zu Gott und dem Näch­sten kei­ne Gren­zen kennt, und wir in dem Maß voll­kom­men sind, wie groß unse­re Lie­be ist. Johan­nes Paul II. erklärt dies in Nr. 52 der Enzy­kli­ka Veri­ta­tis sple­ndor:

„Auch wenn nur die nega­ti­ven Gebo­te immer und unter allen Umstän­den ver­pflich­ten, heißt das ande­rer­seits nicht, daß im sitt­li­chen Leben die Ver­bo­te wich­ti­ger wären als das Bemü­hen, das von den posi­ti­ven Gebo­ten auf­ge­zeig­te Gute zu tun. Der Grund ist viel­mehr fol­gen­der: Das Gebot der Got­tes- und der Näch­sten­lie­be hat in sei­ner Dyna­mik kei­ne obe­re Gren­ze, wohl aber hat es eine unte­re Gren­ze: unter­schrei­tet man die­se, ver­letzt man das Gebot. Zudem hängt das, was man in einer bestimm­ten Situa­ti­on tun soll, von den Umstän­den ab, die sich nicht alle von vorn­her­ein schon vor­aus­se­hen lassen“.

Der Theo­rie des „klei­ne­ren Übels müs­sen wir jene des „grö­ße­ren Guten“ ent­ge­gen­set­zen. Auf der Ebe­ne des Han­delns, kann man das Gute nicht a prio­ri fest­schrei­ben, weil die guten Taten, die wir set­zen könn­ten, vie­le sind, sie also unbe­stimmt und nicht abseh­bar sind. Wenn das grö­ße­re Gute sich in unse­rem Gewis­sen klar und deut­lich zeigt, so daß es hic et nunc getan wer­den kann, wird die Unter­las­sung zur Schuld. Wir haben eine mora­li­sche Pflicht, es zu tun.

Das Gebot der brü­der­li­chen Zurecht­wei­sung gehört zu den posi­ti­ven, mora­li­schen Gebo­ten. Man ist nicht immer gehal­ten, sie zu machen, und man kann sie nicht von ande­ren ver­lan­gen. Aber jeder von uns muß sich ver­pflich­tet füh­len, bei öffent­li­cher Leug­nung der katho­li­schen Wahr­hei­ten zu reagie­ren. Wer Gott wirk­lich liebt, muß dem Bei­spiel des Euse­bi­us fol­gen, einem Lai­en, der dann Bischof wur­de, der 423 sich öffent­lich gegen Nesto­ri­us erhob, der die Got­tes­mut­ter­schaft Mari­ens leugnete.

Die Auf­for­de­rung von Don Sal­va­to­re Prio­la, auf­zu­ste­hen, wenn wir Din­ge hören, die dem katho­li­schen Glau­ben wider­spre­chen, ist eine Ein­la­dung, unse­ren Maxi­ma­lis­mus in der Lie­be zu Gott zu zei­gen und die Flam­me unse­res Glau­bens nicht unter den Schef­fel, son­dern auf den Leuch­ter zu stel­len, und damit durch unser Bei­spiel die Dun­kel­heit unse­rer Zeit zu erhel­len (Mk 4, 21,25).

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017.

Bild: Radioromalibera/​Youtube (Screen­shots)

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1 Das Lied wur­de vom Film­kom­po­ni­sten Riz Orto­la­ni für den 1972 von Fran­co Zef­fi­rel­li gedreh­ten Film „Bru­der Son­ne, Schwe­ster Mond“ über den hei­li­gen Fran­zis­kus kom­po­niert. Der Film brach­te „das Lebens­ge­fühl und Sehn­süch­te von Hip­pies und Pop­künst­lern der 1960er-Jah­re zum Aus­druck“ (Wiki­pe­dia). Das Besin­gen der Schöp­fung wur­de zum Ersatz für das Glau­bens­be­kennt­nis, das den Kern des Beken­nens und Bezeu­gens im Glau­ben bildet.
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1 Kommentar

  1. Lei­der hat aber auch schon Papst Pius XI. wäh­rend der Papst­mes­se am 07.10.1930 im Cre­do das ‚fili­o­que‘ – anwe­sen­den Rus­sen zulie­be – aus­ge­las­sen. Dies hängt mit der Ost­po­li­tik des Hei­li­gen Stuh­les zusammen.

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