(Jerusalem) Im Nahen Osten brodelt es seit Jahrzehnten. Die aktuelle Stimmung wirkt laut zahlreichen Kommentatoren wie der Augenblick vor einem Vulkanausbruch. Er könnte aber, von Israel aus, auch bisher ungeahnte Veränderungen mit sich bringen.
Status von Jerusalem und Giro d’Italia
Der Nahost-Konflikt, der mehrere Staaten brennen läßt, ist Bürgerkrieg, Krieg und Stellvertreterkrieg in einem. US-Präsident Trump hat einseitig Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt. Es ist nur die Anerkennung durch einen einzigen Staat, allerdings der Weltmacht Nummer Eins.
Die katholische Kirche hat ihre Ablehnung dieses Schrittes kundgetan. Einen US-Präsidenten kümmert das natürlich wenig, egal ob er Trump, Obama oder Clinton heißt. Der Standpunkt der Kirche ist wohlbegründet. Jerusalem ist nun eben der Punkt, wo drei Weltreligionen sich kreuzen. Der freie Zugang zu den heiligen Stätten und der Schutz derselben hat für die Christenheit oberste Priorität. Die Abhängigkeit von einer anderen Partei haben die Christen viele Jahrhunderte unter erlebt, um kein gesteigertes Bedürfnis nach einer Neuauflage dieser Untertänigkeit zu verspüren.
Ob die Oberherren Muslime oder Juden sind, ist dabei nur ein Detail. Der internationale Status der Stadt, zumindest der Altstadt, ist das für den Vatikan die Ideallösung. Diese haben es allerdings meist an sich, daß sie realpolitisch kaum durchsetzbar sind. Die nationalen Interessen der einzelnen Staaten wiegen in der Regel mehr, erst recht was Israel und die USA betrifft. Die Situation in der muslimischen Welt ist ebenso eruptiv wie schwer durchschaubar. Zu viele Staaten, Gruppe und Strömungen versuchen Einfluß zu nehmen. Und niemand weiß, wie die Situation morgen sein wird.
Durch die neue Lage in der Hauptstadt-Frage ist auch der Giro d’Italia gefährdet. Der Start dieses weltbekannten Radrennens soll im kommenden Jahr in Jerusalem stattfinden. Dahinter stehen lange Bemühungen und erhebliche jüdisch-israelische Lobby-Arbeit. Was als „Geste des Friedens“ und als Imagewerbung für Israel gedacht ist, droht an Sicherheitsbedenken zu scheitern.
Saudischer Erbprinz nach Israel eingeladen
Sicherheit hat auch für den Judenstaat oberste Priorität. Aus diesem Grund rücken zwei auf den ersten Blick so ungleich wirkende Fast-Nachbarn noch enger zusammen. Die israelische Regierung hat den saudischen Erbprinzen Mohammed bin Salman, den neuen mächtigen Mann des Wahabitenstaates, nach Israel eingeladen.
Der Schritt ist bemerkenswert. Bereits in den vergangenen Jahren gab es geheime Kooperationen. Offiziell davon war kaum etwas. Die beiden Länder pflegen nicht einmal diplomatische Beziehungen zueinander. Doch die geopolitische Landkarte zwingt zur Annäherung. Grund ist ein gemeinsamer Erzfeind: der Iran. Nach dem Motto: „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“, tut sich Unerwartetes in Nahost.
Saudi-Arabien „ist das reichste und einflußreichste Land der arabischen Welt“ ließ Israel Minister für die Geheimdienste, Ysrael Katz, wissen. Damit will er sagen, daß das saudischen Königshaus der ideale Vertreter der Palästinenser sei, die „zu schwach und gespalten“ seien.
Der Umstand, daß ausgerechnet der Minister für die Geheimdienste, den saudischen Thronfolger einlädt, ist bereits ein deutliches Signal.
Die Presseagentur Elaph meldete die Einladung, die von Katz gegenüber dem israelischen Militärsender bestätigt wurde. Der Minister fügte hinzu, daß dieser Besuch „nicht morgen“ stattfinden werde, sprach aber von einem „großen Kooperationspotential“ zwischen beiden Staaten gegen den „absoluten Feind“ Iran.
Beide Regierungen werfen dem Iran vor, die ganze Region kontrollieren zu wollen. Der Kampf der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ist Teil dieses Stellvertreterkrieges, um den schiitischen Einfluß im Nahen Osten einzudämmen. Manche, besonders auf sunnitischer Seite, würden ihn am liebsten ganz vernichten.
„Großes Kooperationspotential“
Auch der ungewöhnliche Rücktritt des sunnitischen, libanesischen Ministerpräsidenten Saad Hariri gehört in diesen Machtkampf. Er hatte zunächst am 4. November in der saudischen Hauptstadt Riad seinen Amtsverzicht erklärt und die libanesische Schiitenpartei Hisbollah und den Iran beschuldigt, die Region zum Pulverfaß zu machen. Die Optik war sehr ungünstig. Hariri hat seither das Image einer saudischen Marionette. Es folgte der Rücktritt vom Rücktritt, sodaß er weiterhin die libanesischen Sunniten anführt. Die seltsame Episode offenbarte, daß nicht nur die Schiiten und der Iran Einfluß auf den Libanon suchen, sondern ebenso die Sunniten und Saudi-Arabien.
Im Libanon geht es auch um die Interessen Israels. Katz sprach daher im Militärradio eine Warnung aus. Sollten die Schiiten einen Krieg gegen Israel vom Zaun brechen, werde „der gesamte Libanon“ zur Zielscheibe der jüdischen Streitmacht. Die Christen des Landes befürchten schon seit längerem im sunnitisch-schiitischen Konflikt aufgerieben zu werden.
Der Wunschpartner, der sich um die Palästinenser kümmern, und deren Interesse gegenüber Israel vertreten sollte, sei Saudi-Arabien. Daran ließ Katz keinen Zweifel:
„Saudi-Arabien erkennt Israel mehr an als die Palästinenser“.
Schon Mitte November ließ ein Interview aufhorchen, das das offizielle saudische Presseorgan Ilaf mit dem israelischen Generalstabschef, General Gadi Eisenkot, veröffentlichte. Dergleichen hatte es noch nicht gegeben. Der General erklärte öffentlich, daß „Saudi-Arabien nie ein Feind war und weder uns bekämpft hat noch wie es bekämpft haben“.
Der wachsende Einfluß des Iran in der Region nähre nicht nur Befürchtungen, sondern fördere auch „Interessenüberschneidungen“ zwischen Israel und Saudi-Arabien, so Katz. Damit könnte bald eine „Revolution“ auf diplomatischer Ebene bevorstehen. Bisher haben nur Jordanien und Ägypten Israel anerkannt. Saudi-Arabien könnte bald der dritte Staat „im Bunde“ sein.
Text: Andreas Becker
Bild: AsiaNews