Die für dieses Pontifikat unbequemen „verborgenen Christen“ Japans


Kreuzigung von Christen in der langen Verfolgungszeit in Japan.
Kreuzigung von Christen in der langen Verfolgungszeit in Japan.

(Rom/​Tokio) Am 23. Dezem­ber 2016 kam der Spiel­film „Silence“ von Mar­tin Scor­se­se in die US-Kinos. Im Vati­kan hat­te der italo-ame­ri­ka­ni­sche Regis­seur den Film bereits am 29. Novem­ber meh­re­ren hun­dert Jesui­ten in einer Son­der­pre­mie­re im Vati­kan vor­ge­führt und war von Papst Fran­zis­kus emp­fan­gen wor­den. Damit rück­ten die „ver­bor­ge­nen Chri­sten“ Japans stär­ker ins Blick­feld der Öffent­lich­keit – ein fast unbe­kann­tes Kapi­tel der japa­ni­schen Geschich­te und des Christentums.

Die Kakure Kirishitan - Japans Untergrundchristen

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„Papst Fran­zis­kus hat mehr­fach sei­ne Bewun­de­rung für die ‚ver­bor­ge­nen Chri­sten‘ Japans zum Aus­druck gebracht, die in der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts, nach mehr als zwei­ein­halb Jahrh under­ten der gewalt­sa­men Ver­nich­tung, wun­der­sam wie­der auf­tauch­ten und ihren Glau­ben bewahrt hat­ten“, so der Vati­ka­nist San­dro Magister.

Das Tagungsprogramm an der Gregoriana
Das Tagungs­pro­gramm an der Gregoriana

Das Kapi­tel ist selbst unter Katho­li­ken außer­halb Japans kaum bekannt, weil die Geschichts­schrei­bung seit dem 18. Jahr­hun­dert von ande­ren Gei­stes­strö­mun­gen beherrscht wird. So wur­de, nicht nur was Japan betrifft, die histo­ri­sche Wahr­heit über den katho­li­schen Anteil an der Geschich­te auf erheb­li­che Wei­se ver­drängt oder verzerrt.

Scor­se­ses Film kommt das Ver­dienst zu, die Schein­wer­fer auf die Kaku­re Kiris­hit­an gelenkt zu haben, wie die „ver­bor­ge­nen Chri­sten“ in Japan genannt wer­den. Die Dar­stel­lung in sei­nem Film wur­de ihrem Schick­sal aber nicht wirk­lich gerecht. Die Hand­lung und die Dia­lo­ge waren zu sehr vom rela­ti­vi­sti­schen Den­ken unse­rer Tage durch­tränkt. Die­ser Man­gel an Authen­ti­zi­tät könn­te ver­ant­wort­lich dafür gewe­sen sein, daß der Film an den Kino­kas­sen nicht ein­mal die Hälf­te der Pro­duk­ti­ons­ko­sten ein­spiel­te und im deut­schen Sprach­raum beson­ders schnell wie­der aus den Kino­sä­len verschwand.

Tagung an der Gregoriana

Am 12. Okto­ber fand im Fest­saal der Päpst­li­chen Uni­ver­si­tät Gre­go­ria­na in Rom ein Vor­trag des japa­ni­schen Jesui­ten Shin­zo Kawa­mu­ra statt. Kawa­mu­ra, Pro­fes­sor der Kir­chen­ge­schich­te an der Sophia Uni­ver­si­tät von Tokio, gilt als einer der besten Ken­ner der Geschich­te der Kaku­re Kirishitan.

Ein "Fumie", ein "Tret-Bild". Das Kruzifix ist wegen der häufigen Verwendung abgenutzt.
Ein „Fum­ie“ (Tret-Bild): wegen der häu­fi­gen Ver­wen­dung abgenutzt

Kurz die histo­ri­schen Fak­ten: 1549 war der erste katho­li­sche und über­haupt christ­li­che Mis­sio­nar in Japan an Land gegan­gen. Es war der hei­li­ge Franz Xaver aus dem Jesui­ten­or­den. Die Evan­ge­li­sie­rung mach­te schnel­le Fort­schrit­te, fand aber ein schnel­les Ende. 1587 begann die Chri­sten­ver­fol­gung. Sie traf fak­tisch nur Katho­li­ken, da es kei­ne ande­re Mis­si­ons­tä­tig­keit in dem Insel­reich gab. Alle aus­län­di­schen Mis­sio­na­re hat­ten das Land zu ver­las­sen. Ab 1596 wur­den auf­ge­grif­fe­ne Prie­ster und Ordens­leu­te ver­haf­tet und grau­sam hin­ge­rich­tet. 1612 wur­de jede christ­li­che Regung ver­bo­ten und mit dem Tod bestraft.

Nun geschah aber das Unglaub­li­che. Die Chri­sten bewahr­ten ihren Glau­ben im Gehei­men. Sie ent­wickel­ten aus­ge­klü­gel­te For­men, um – obwohl aller Prie­ster beraubt – einer eben­so grau­sa­men wie syste­ma­ti­schen Ver­fol­gung zu ent­ge­hen und doch den Glau­ben bei­be­hal­ten zu kön­nen. Als 1853 erst­mals wie­der Aus­län­der ins Land kom­men durf­ten, kam es am Kar­frei­tag 1865 zu einer uner­war­te­ten Begeg­nung. Ein katho­li­scher Prie­ster aus Frank­reich erkann­te zu sei­ner Ver­wun­de­rung im Ver­hal­ten von Japa­nern christ­li­che Fröm­mig­keits­übun­gen. Nie­mand außer­halb Japans hat­te damit gerech­net, nach zwei­ein­halb Jahr­hun­der­ten ohne jeden Kon­takt mit der Außen­welt noch christ­li­ches Leben auf den Inseln anzu­tref­fen. Erst 1912 hob Japan die anti­christ­li­chen Geset­ze für Japa­ner auf und mach­te es die­sen mög­lich, sich zu Chri­stus zu bekennen.

Kawamura: „Tridentinische Katholizität machte Wunder der verborgenen Christen möglich“

Anlaß für den Vor­trag von Prof. Kawa­mu­ra über „Pius IX. und das Wun­der im Osten“ war die Auf­nah­me von diplo­ma­ti­schen Bezie­hun­gen zwi­schen Japan und dem Hei­li­gen Stuhl vor 75 Jahren.

Das außer­ge­wöhn­li­che, jahr­hun­der­te­lan­ge Über­le­ben des katho­li­schen Glau­bens im Unter­grund erklär­te der Jesu­it und Histo­ri­ker mit einer münd­li­chen Wei­ter­ga­be von Gene­ra­ti­on zu Gene­ra­ti­on von weni­gen, aber wesent­li­chen Glau­bens­wahr­hei­ten, beson­ders was die Sakra­men­te betrifft. Eine Wei­ter­ga­be, die auf der Grund­la­ge des Kon­zils von Tri­ent erfolg­te, so Kawa­mu­ra. Magi­ster dazu:

„Es ist der ‚triden­ti­ni­sche’ Katho­li­zis­mus, der das Wun­der der ‚ver­bor­ge­nen Chri­sten‘ mög­lich machte.“

Prof. Shinzo Kawamura SJ
Prof. Shin­zo Kawa­mu­ra SJ

Dazu gehör­te vor allem das Bewußt­sein von Sün­de und Ver­ge­bung. In Erman­ge­lung eines Beicht­va­ters muß­ten sich die Unter­grund­chri­sten durch wie­der­hol­te Buß­übun­gen begnü­gen, leb­ten aber in der „pro­phe­ti­schen Visi­on, daß er eines Tages end­lich kom­men werde“.

Um die Chri­sten auf­zu­spü­ren, muß­ten alle Bewoh­ner zu einer Über­prü­fung antre­ten, häu­fig in bud­dhi­sti­schen Klö­stern. Kai­ser­li­che Beam­te zwan­gen sie, auf ein Bild von Jesus Chri­stus oder ande­re christ­li­che Sym­bo­le zu tre­ten, das Fum­ie, ein „Tret-Bild“. Wer sich wei­ger­te oder auch nur zöger­te, galt als Christ. Er hat­te dann nur mehr zwei Mög­lich­kei­ten: sich zu Chri­stus zu beken­nen und hin­ge­rich­tet zu wer­den oder Chri­stus zu ver­leug­nen. Wer ver­leug­ne­te, also öffent­li­che Apo­sta­sie voll­zog, wur­de in einem Regi­ster der Per­so­nen ver­zeich­net, die des Chri­sten­tums ver­däch­tig waren. Sie und ihre Fami­li­en stan­den ab die­sem Zeit­punkt für sie­ben Gene­ra­tio­nen unter Beob­ach­tung. In man­chen Gegen­den, die als christ­lich bekannt waren, vor allem im Süden Japans mit der Hoch­burg Naga­sa­ki, wur­de die­se Chri­sten­jagd bis ins 19. Jahr­hun­dert wiederholt.

Bis­her bekannt war, daß es neben der gro­ßen Zahl von Mär­ty­rern auch vie­le Apo­sta­ten gab. Sie spie­len im Film von Scor­se­se eine Rol­le. Neue Stu­di­en zei­gen jedoch, daß in Wirk­lich­keit auch vie­le von ihnen den Glau­ben  nicht auf­ga­ben, son­dern bewahr­ten, aber nicht den Mut zum Mar­ty­ri­um hat­ten. Es gab eige­ne Buß­übun­gen für die­se öffent­li­che Schwä­che der Chri­stus­ver­leug­nung bei staat­li­chen Auf­spür­ak­ti­on. Sün­de und Ver­ge­bung spiel­ten für die Kara­k­u­ne Kiris­hit­an die ent­schei­den­de Rol­le, die mehr als zehn Gene­ra­tio­nen die Kraft gab, Ver­fol­gung und Unter­grund zu ertragen.

Schneller Paradigmenwechsel

„Erstaun­li­cher­wei­se folg­te an der Gre­go­ria­na auf den Vor­trag von Kawa­mu­ra der Vor­trag des por­tu­gie­si­schen Japan-Mis­sio­nars Ade­li­no Ascen­so, der die Fra­ge der Apo­sta­sie aus gegen­tei­li­ger Sicht beleuch­te­te“, so Magister.

P. Adelino Ascenso SMP
P. Ade­li­no Ascen­so SMP

Ascen­sos Vor­trag bil­de­te bereits im Titel einen Kon­trast, indem von „Kon­flikt und Ver­söh­nung“ die Rede war, nicht von Sün­de und Ver­ge­bung. Ascen­so, als Spät­be­ru­fe­ner zum Prie­ster geweiht, gehört der Mis­si­ons­ge­sell­schaft von Boa Nova (Socie­tas Lusi­ta­no pro Mis­sio­ni­bus, SMP) an, deren Gene­ral­obe­rer er seit 2014 ist. Seit sei­ner Prie­ster­wei­he 1998 wirkt er in Japan, wo er mit einer Arbeit über die „trans­kul­tu­rel­le Theo­di­zee“ im lite­ra­ri­schen Werk von Shus­aku Endo pro­mo­vier­te. Von Endo stammt der Roman „Schwei­gen“, den Scor­se­se mit sei­nem Film auf die gro­ße Lein­wand brachte.

P. Ascen­so nahm das Schick­sal des jun­gen por­tu­gie­si­schen Jesui­ten Pater Sebastià£o Rodri­gues als Para­dig­ma, die Haupt­fi­gur in Shus­aku Endos Roman „Schwei­gen“. Auch Rodri­gues war nicht zum Mar­ty­ri­um bereit und ver­leug­ne­te Chri­stus öffentlich.

Ascen­so ver­trat nun die The­se, daß Rodri­gues zwar Chri­stus ver­leug­net, aber im sel­ben Akt sich auch mit ihm ver­söhnt habe, indem er sei­ne Ver­leug­nung als ein sich einem „schwa­chen“ und „zer­brech­li­chen“ Jesus „Gleich­ma­chen“ inter­pre­tier­te. Und die­ser „schwa­che“ und „zer­brech­li­che“ Jesus sei „wahr­haf­ti­ger“ als der „heroi­sche“ Jesus, den die ersten Mis­sio­na­re als „Ste­reo­ty­pe“ des „west­li­chen Katho­li­zis­mus“ nach Japan gebracht hät­ten. Wäh­rend Kawa­mu­ra die histo­ri­schen Fak­ten refe­rier­te, bau­te Ascen­so sei­ne Über­le­gun­gen auf einen fik­ti­ven Roman auf.

„Es ist kein Geheim­nis, daß die­ser Para­dig­men­wech­sel – im Namen der soge­nann­ten ‚Inkul­tu­ra­ti­on‘ – heu­te von wei­ten Tei­len der Kir­che und auch von Papst Fran­zis­kus geteilt wird, wie sich im Zuge der Dis­kus­si­on über den Scor­se­se-Film gezeigt hatte.“

Und Magi­ster weiter:

„Es ist aber auch unschwer zu erah­nen, daß weder ein sol­ches Para­dig­ma noch der Pro­te­stan­tis­mus, wie Kawa­mu­ra anmerk­te, die Kraft gehabt hät­ten, ein ‚exce­e­din­gly Catholic‘-Wunder wie das der ‚ver­bor­ge­nen Chri­sten‘ hervorzubringen.“

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: AsiaNews/​Boa Nova/​Santa Sede (Screen­shots)

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