Mary Jean wurde entlassen, weil sie nicht töten wollte – Kanadas gnadenlose Euthanasielogik


Mary Jean Martin: Weil die Krankenschwester und Gesundheitsmanagerin nicht töten wollte, wurde sie entlassen.
Mary Jean Martin: Weil die Krankenschwester und Gesundheitsmanagerin nicht töten wollte, wurde sie entlassen.

(Otta­wa) Mary Jean Mar­tin ist eine kana­di­sche Kran­ken­schwe­ster. Sie wur­de ent­las­sen, weil sie sich gewei­gert hat, Pati­en­ten zu töten.

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In ihren fast 30 Arbeits­jah­ren ist die heu­te 59 Jah­re alte Kran­ken­schwe­ster vie­len Men­schen begeg­net, die ster­ben woll­ten, weil sie dar­in die letz­te Hoff­nung sahen, ihrem Lei­den und oft uner­träg­li­chen Schmer­zen zu ent­rin­nen. Sie war nicht ent­setzt dar­über, son­dern ver­dop­pel­te ihre Haus­be­su­che, hör­te ihnen zu, such­te den mensch­li­chen Kon­takt und spe­zia­li­sier­te sich in der Pal­lia­tiv­me­di­zin. Leo­ni Grot­ti vom Wochen­ma­ga­zin Tem­pi sprach mit Mary Jean Martin.

„Und wissen Sie, was jedesmal geschehen ist? Der Wunsch zu sterben, war weg“

„Und wis­sen Sie, was jedes­mal gesche­hen ist? Nach eini­ger Zeit bat nie­mand mehr, ster­ben zu kön­nen. Der Wunsch, getö­tet zu wer­den, war ein­fach weg. Ich bin über­zeugt, daß Selbst­mord der größ­te nur denk­ba­re Hil­fe­schrei ist. Jeder Ver­such ist wie ein lau­ter Schrei: ‚Ret­tet mich‘.“

Kanadische Flagge mit Terry-Fox-Denkmal
Kana­di­sche Flag­ge mit Terry-Fox-Denkmal

Im Juni 2016 wur­de für Mary Jean Mar­tin mit einem Schlag alles anders. Damals lega­li­sier­te Kana­da die Eutha­na­sie. Unter dem seit Novem­ber 2015 regie­ren­den Pre­mier­mi­ni­ster Justin Tru­deau, der sich als Katho­li­ken bezeich­net, wur­de eines der libe­ral­sten Eutha­na­sie­ge­set­ze ein­ge­führt. Sein Vater, Pierre Tru­deau, der von 1968–1984 kana­di­scher Pre­mier­mi­ni­ster war, hat­te die Abtrei­bung legalisiert.

Seit April gehört Eutha­na­sie zu den „Behand­lungs­me­tho­den“, die auch bei Haus­be­su­chen ange­bo­ten wer­den. Damit war die Eutha­na­sie im Arbeits­be­reich von Mary Jean Mar­tin ange­kom­men. Sie koor­di­niert die medi­zi­ni­schen Haus­dien­ste für die Stadt Onta­rio, eine Stel­le mit gro­ßer Ver­ant­wor­tung für vie­le Mit­ar­bei­ter und noch viel mehr Pati­en­ten. Auch die neue „Dienst­lei­stung“ fällt in ihre Zustän­dig­keit. Als sie aus Gewis­sens­grün­den um Ent­bin­dung für die­sen Bereich bat, wur­de kein Ver­ständ­nis gezeigt. Ihre lang­jäh­ri­ge her­vor­ra­gen­de Arbeit zähl­te mit einem Schlag nichts mehr. Die Uner­bitt­lich­keit der Büro­kra­ten for­der­te ihren Zoll. Mary Jean Mar­tin wur­de gekündigt.

Als das Eutha­na­sie­ge­setz beschlos­sen wur­de, konn­te sie sich noch gar nicht vor­stel­len, daß es auch ihre Leben betref­fen wür­de. Sie dach­te, daß man die Todes­sprit­ze in Spe­zi­al­kli­ni­ken set­zen wer­de, wie es auch bei Abtrei­bun­gen weit­ge­hend der Fall ist.

„Als die Eutha­na­sie in die Liste der Haus­be­hand­lun­gen ein­ge­reiht wur­de, waren wir sehr überrascht.“

Als Lei­te­rin mit Mana­ger­auf­ga­ben wäre sie in die Tötungs­pra­xis mit­ein­be­zo­gen wor­den, „wenn auch als Schreibtischtäterin“.

„Ich will aber mit die­sem Tötungs­sy­stem nichts zu tun haben.“

Eine Gewissensfreiheit „gibt es nicht“

Nach ihrer Ent­las­sung wand­te sie sich an die vor­ge­setz­ten Dienst­stel­len und an die Gewerk­schaft. Sie muß­te doch ein Recht auf Ver­wei­ge­rung aus Gewis­sens­grün­den haben. Doch eine Gewis­sens­ver­wei­ge­rung wur­de im Gesetz nicht vorgesehen.

„Man hat mir geant­wor­tet, daß es das im Gesetz nicht gibt, daß das Recht auf Eutha­na­sie vor mei­nen per­sön­li­chen Über­zeu­gun­gen kom­me, und ich mich die­sem Pro­zeß nicht ent­zie­hen kön­ne, weil es vom Gesund­heits­sy­stem so vor­ge­se­hen ist. Ich hät­te auf die ‚Wün­sche‘ der Pati­en­ten nicht nach mei­ner Über­zeu­gung zu han­deln, son­dern die Unter­neh­mens­po­li­tik umzusetzen.“

In jenem Monat wur­de das Gesund­heits­sy­stem von Onta­rio direkt der Kro­ne unter­stellt, wes­halb Mary Jean Mar­tin zur Staats­be­am­tin wer­den sollte.

„Man woll­te, daß ich zwei Eide lei­ste: einen Treue­eid auf die Kro­ne (Kana­da ist eine kon­sti­tu­tio­nel­le Mon­ar­chie, Staats­ober­haupt ist Köni­gin Eli­sa­beth II.) und einen Eid auf die Geset­ze des Staa­tes, ein­schließ­lich des Eutha­na­sie­ge­set­zes, das für mich kei­ne Ver­wei­ge­rung aus Gewis­sens­grün­den vor­sieht. Ich erklär­te mei­nem Direk­tor, daß ich die Eutha­na­sie nicht unter­stüt­zen und die­ses Gesetz nicht anwen­den kann. Er ant­wor­te­te mir, daß dann auto­ma­tisch mei­ne Ent­las­sung fol­gen wer­de, und so war es.“

Seit Juni ist Mary Jean Mar­tin arbeits­los. Der Schock sitzt tief. Erholt habe sie sich noch nicht davon, wenn sie auch kei­ne Zwei­fel dar­an hat, daß ihre Wei­ge­rung rich­tig war.

„Ich bin katho­lisch und glau­be aus gan­zem Her­zen, daß die Eutha­na­sie nicht nur falsch, son­dern unmensch­lich ist. Sie wider­spricht dem gött­li­chen Gesetz und dem Natur­recht, aber auch dem posi­ti­ven Recht. Das Wesen der Medi­zin ist es, den Schwäch­sten und Ver­wund­bar­sten zu hel­fen und ihnen bei­zu­ste­hen und nicht sie zu eli­mi­nie­ren. Der Eid des Hip­po­kra­tes sagt ein­deu­tig, daß ein Arzt nie­mals einem Pati­en­ten absicht­lich Scha­den zufü­gen darf. Das gilt auch für Kran­ken­schwe­stern. Ich habe an das Justiz­mi­ni­ste­ri­um geschrie­ben und an das Gesund­heits­mi­ni­ste­ri­um, um gegen mei­ne Ent­las­sung zu pro­te­stie­ren. Sie haben mir geant­wor­tet, daß von mir nicht ver­langt wer­de, direkt an einer Tötung mit­zu­wir­ken. Aber ich müß­te ja die vor­be­rei­ten­den Gesprä­che füh­ren, die Mit­ar­bei­ter ein­tei­len und die ent­spre­chen­den Eutha­na­sie­rungs­auf­trä­ge bearbeiten.“

Verletzung der Freiheit

Euthanasie ist tödlich
Eutha­na­sie ist tödlich

Der Fall von Mary Jean Mar­tin ist einer der ersten sei­ner Art. Der Kon­flikt zwi­schen Eutha­na­sie und Gewis­sens­frei­heit ist eine direk­te Fol­ge der Eutha­na­sie­frei­ga­be. Die Kran­ken­schwe­ster erhielt Tau­sen­de von Unter­stüt­zungs­zu­schrif­ten, sogar von Kol­le­gen, die kei­ne Pro­ble­me mit dem „guten Tod“ haben. Eine Grup­pe von Rechts­an­wäl­ten hat sich ange­bo­ten, sie kosten­los zu ver­tre­ten, falls sie gegen den Staat wegen reli­giö­ser Dis­kri­mi­nie­rung vor­ge­hen wol­le. Das hat sie aber vor­erst abge­lehnt. Sie fühlt sich nicht für einen sol­chen Kampf.

Mary Jean Mar­tin ist ver­hei­ra­tet und Mut­ter von drei Kin­dern. Für die Fami­lie bedeu­te­te es etli­che Opfer, daß sie im Alter von 30 Jah­ren die Arbeit als Kran­ken­schwe­ster auf­neh­men konn­te. Auch des­halb sind sie aus der Groß­stadt in den klei­nen Ort Pal­mer Rapids gezo­gen, der mit­ten in der Natur liegt und wo nicht ein­mal alle Häu­ser flie­ßen­des Was­ser haben.

„Ich füh­le mich zu 100 Pro­zent dis­kri­mi­niert. Unser Land war immer sehr frei. Alle wur­den respek­tiert und nun plötz­lich wer­den genau jene aus­ge­grenzt, die nicht töten wol­len. Damit ver­letz­ten sie die Reli­gi­ons­frei­heit. Aber wer so etwas tut, der setzt erst den ersten Schritt. Mor­gen wer­den dann wei­te­re Frei­hei­ten besei­tigt. Aber sogar wenn sie hier halt­ma­chen wür­den, ist das inak­zep­ta­bel. Eine Demo­kra­tie ohne Reli­gi­ons­frei­heit gibt es nicht. Wenn wir uns also nicht jetzt wider­set­zen, wo wir noch das Recht der Mei­nungs­frei­heit haben, wer­den wir es mor­gen bit­ter bereu­en. In den Nie­der­lan­den und in Bel­gi­en wer­den bereits vie­le Men­schen eutha­na­siert, sogar wenn sie es gar nicht wol­len. Vie­le Ärz­te pro­te­stie­ren bei uns. Der Pro­test nimmt zu, und ich den­ke, das ist genau der rich­ti­ge Weg.“

Töten, um zu sparen

Am 3. Juli ende­ten die Fei­er­lich­kei­ten zum 150. Jah­res­tag der Kana­di­schen Kon­fö­de­ra­ti­on. Mary Jean Mar­tin, die unter dem Ban­ner des roten Ahorn­blat­tes gebo­ren wur­de, fei­er­te nicht.

„Frü­her war ich ein­mal stolz auf Kana­da. Heu­te bin ich es nicht mehr. Ich kann kei­nen Staat fei­ern, der sei­ne Kran­ken tötet, um bei den Kosten für das Gesund­heits­sy­stem zu spa­ren. Durch mei­nen Fall haben auch vie­le Kol­le­gen Mei­nung geän­dert. Sie sagen heu­te: ‚ Mary Jean wur­de ent­las­sen, weil sie nicht töten will. Ist es wirk­lich das, was wir von unse­rer Gesell­schaft wollen?‘.“

Ihre per­sön­li­che Zukunft liegt im Unge­wis­sen. In Kür­ze wird sie 60. „Ich muß mir eine Arbeit suchen. Ich bin nicht so wohl­ha­bend. Ich kann es mir nicht lei­sten, nicht zu arbei­ten.“ Eine Arbeit zu fin­den ist aber nicht leicht. „Mir feh­len noch eini­ge Jah­re zur Pen­si­on. Mit einem gewis­sen Alter ist es nicht mehr so leicht, neu zu begin­nen. Vor allem für mich, wo ich doch mit mei­ner Arbeit zufrie­den war und mit dem, was ich erreicht hat­te.“ Nach einer Nach­denk­pau­se fügt sie hin­zu: „Ich weiß noch nicht, was ich machen wer­de. Ich bin noch zu ver­letzt durch das, was mir zuge­sto­ßen ist. Ich fra­ge mich, war­um Gott mich auf die­sen Weg geführt hat und bit­te Ihn, mir zu zei­gen, was ich tun soll. Ich bete auch für Kana­da. Wir haben Gott den Rücken gekehrt, und das rich­tet sich nun gegen uns. Zum 150jährigen Jah­res­tag der Kon­fö­de­ra­ti­on haben die Bischö­fe eine Wei­he­er­neue­rung Kana­das an das Unbe­fleck­te Herz Mari­ens durch­ge­führt. Ich den­ke, das ist unse­re ein­zi­ge Hoffnung.“

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Tempi/​Wikipedia

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5 Kommentare

  1. Genau das ist es, was Men­schen wie Mary Jean Mar­tin für Spit­zen­äm­ter im Dien­ste der Men­schen qua­li­fi­zie­ren würde. 

    Statt des­sen haben wir eine völ­lig ver­fehlt sozia­li­sier­te Eli­te. Die­se Aus­sa­gen, kann ich aus eige­ner Erfah­rung zu hun­dert Pro­zent bestä­ti­gen. Man fühlt sich nicht mehr recht wohl in einer Gesell­schaft, die der­art wert­vol­le Menschen
    aus­grenzt, anstatt auf ihre Vor­bild­funk­ti­on zu bauen.

    Schlei­chend ent­wickelst sich die west­li­che Welt verabscheuungswürdig. 

    Klar, dass sich Men­schen Ster­be­hil­fe wün­schen, wenn ihnen in Kran­ken­häu­sern sogar die Not­klin­gel ein­fach abge­steckt wird,
    damit das Per­so­nal „sei­ne Arbeit machen kann“.

  2. Eine Mord­dik­ta­tur in Kana­da. Schreck­lich, dass dort unglück­li­che Men­schen Recht auf Hil­fe zum Selbst­mord haben.

    Das es Men­schen gibt, die sol­chen Mord auch noch nor­mal finden.

    Wie ver­kom­men sind die Men­schen inzwischen?

    Frei­heit ohne Moral aus Got­tes- und Näch­sten­lie­be (also der besten Reli­gon der Welt – dem Katho­li­zis­mus) ist eine Katastrophe.

  3. Dan­ke, Mary Jean Martin!
    Sie und Ihres­glei­chen haben Jesu Wor­te ver­wirk­licht, daß die Kir­che ewi­gen Bestand haben wird. Sie viel eher, als die Päp­ste unse­rer Zeit.
    „Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf die­sen Fel­sen wer­de ich mei­ne Kir­che bau­en und die Mäch­te der Unter­welt wer­den sie nicht über­wäl­ti­gen.“ (Mt 16,18)

    • Viel­leicht soll­te der Vati­can einen Fonds für sol­che Men­schen schaf­fen, die auf­grund ihres Glau­bens ver­folgt, und daher mit
      wirt­schaft­li­chen Exi­stenz­äng­sten zu kämp­fen haben. Das wäre
      doch mal ange­bracht. Ein Soli­dar­fonds, in dem alle Gläu­bi­gen die inter­res­siert sind, sich betei­li­gen könnten.

  4. Wel­che Freu­de zu sehen, dass auch die Kran­ken­pfle­ge­rin Mary Jean das erkannt hat. In die­ser Zeit, wo die Mäch­te der Fin­ster­nis und deren Freun­de und Hel­fer auf allen Gebie­ten zu herr­schen schei­nen, ist die Zuflucht zu unse­rem Herrn und zu unse­rer aller­se­lig­sten Mut­ter Maria unse­re ein­zi­ge und letz­te Hoff­nung. Schon in der Gene­sis lesen wir die Wor­te des All­mäch­ti­gen: „Du wirst ihrer Fer­se nach­stel­len, doch sie (unse­re aller­se­lig­ste Mut­ter) wird dir den Kopf zertreten.“

    Und sie hat uns ver­spro­chen: „Am Ende wird mein Unbe­fleck­tes Herz tri­um­phie­ren.“ Mit ihr wer­den sich auch die Her­zen ihrer wah­ren Kin­der ewig freuen.

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