Unterscheidung der Geister in der Überflußgesellschaft von heute


Die Unterscheidung der Geister heute
Die "Unterscheidung der Geister" heute. Nachforschungen von Prof. Endre Bárdossy in einer Zeit, in der ein Jesuitenpapst in einem grundsätzlich dogmen- und traditionsfreien Vakuum nicht müde wird, die Kaspersche Relativitätstheorie, die Rahnersche Situationsethik sowie die Schönbornsche Hypothese der Gradualität jenseits des schlichten Guten zu untermauern.

von End­re A. Bár­d­os­sy* (1)

Anzei­ge

„Man darf nichts Unmög­li­ches wollen.“
(Igna­ti­us von Loyola)

Einleitung

Das vor­an­ge­stell­te Lem­ma des hl. Igna­ti­us müß­te man heut­zu­ta­ge weni­ger als Aus­sa­ge, son­dern viel­mehr als Fra­ge­satz beden­ken: Darf eine für unmög­lich gehal­te­ne, anti­quiert emp­fun­de­ne Sache oder Hal­tung wirk­lich nicht mehr von den Chri­sten ver­langt wer­den? Kön­nen wir in der einen, glo­ba­li­sier­ten Welt mit libe­ra­len Grund­sät­zen und einem auto­no­men Gewis­sen nach Jesui­ten­art unter­schei­den und ent­schei­den, was noch gera­de inner­halb der mög­lichst schwe­re- und sub­stanz­lo­sen Alter­na­ti­ven zu ertra­gen sei? Ent­sa­gung, Buße, Süh­ne, Opfer sind in der Über­fluß­ge­sell­schaft, aber auch in der moder­ni­sti­schen Kir­chen­spra­che Fremd­wör­ter geworden.

Papst Franziskus, selbst Jesuit, mit dem neuen Jesuitengeneral Arturo Sosa (2016)
Papst Fran­zis­kus, selbst Jesu­it, mit dem neu­en Jesui­ten­ge­ne­ral Arturo Sosa (2016)

Als ich einem hoch­ge­bil­de­ten, pro­gres­siv den­ken­den, intel­lek­tu­el­len Katho­li­ken die vage Andeu­tung mach­te, daß ich gera­de über die „Unter­schei­dung der Gei­ster“ Nach­for­schun­gen anzu­stel­len geden­ke, blick­te er mich nach­sich­tig, bei­na­he mit Bei­leid an: „Aber laß das The­ma! In der Welt von mor­gen…, in den Wis­sen­schaf­ten…, in der Öku­me­ne…, [und dann zu allem Unglück!] in der Uni­on von Jean-Clau­de Jun­cker und Ange­la Mer­kel wer­den die alten Gegen­sät­ze abge­tra­gen! Über­hol­te Gren­zen wer­den auf­ge­ho­ben, Defi­ni­tio­nen wer­den ad acta gelegt, die Dog­men geglät­tet – wozu soll die Tren­nung der Gei­ster noch gut sein, wenn wir in Frei­heit und Gleich­heit ver­brü­dert sind?“

Ein ande­rer kon­ser­va­ti­ver, getreu­er Katho­lik mein­te dage­gen bloß, als ich ihm mein Ansin­nen erwähn­te, daß er sich in die­sem Fra­gen­kreis nicht auskennt.

Hie und da ist also das Wis­sen klein und das Inter­es­se küm­mer­lich. In die­ser dün­nen Luft wird unter Moder­ni­sten das Geschäft der „Unter­schei­dung der Gei­ster“ eher noch den „cha­ris­ma­ti­schen“ Pfingst­lern und dem Jesui­ten­papst über­las­sen. Berg­o­glio und sei­ne Kon­sor­ten wer­den in einem grund­sätz­lich dog­men- und tra­di­ti­ons­frei­en Vaku­um nicht müde, die Kas­per­sche Rela­ti­vi­täts­theo­rie, die Rahn­ersche Situa­ti­ons­ethik sowie die Schön­born­sche Hypo­the­se der Gra­dua­li­tät jen­seits des schlich­ten Guten zu untermauern.

Aus aktu­el­lem Anlaß muß­te Katho​li​sches​.Info gleich drei­mal Haar­sträu­ben­des berich­ten. Wozu sich der Jesui­ten­papst und sei­ne Gene­rä­le hin­rei­ßen las­sen, brau­chen wir aus Platz­grün­den an die­ser Stel­le nicht alles wie­der­ho­len. Der geneig­te Leser kann sel­ber die Skan­dal­ge­schich­ten nach­schla­gen, die unter ande­rem bin­nen eines kur­zen Zeit­raums von 10 Tagen wie folgt verliefen:

  • 13. Febru­ar: Adol­fo Nicolás Pachón S.J., der abge­tre­te­ne Ex-Gene­ral, erklärt, daß die Evan­ge­li­sie­rung Japans nur durch eine Alli­anz mit dem Bud­dhis­mus und Schin­to­is­mus mög­lich sei;
  • 17. Febru­ar: Päpst­li­che Anpas­sung an das luthe­ri­sche Gewis­sen ohne kirch­li­che Normierung;
  • 22. Febru­ar: Der aktu­el­le Gene­ral, Arturo Sosa Abas­cal S.J., will Jesus neu inter­pre­tie­ren… Nach sei­nen eige­nen Wor­ten mag er das Wort Glau­bens­leh­re nicht besonders.

Was kön­nen wir von Jesui­ten erwar­ten, wenn sie die Glau­bens­leh­re nicht mögen? Dabei plau­dert der immer noch ein­fluß­rei­che Adol­fo Nicolás Pachón red­se­lig wie folgt weiter:

Adol­fo Nicolás Pachón: Der „Schlüs­sel die­ses Pon­ti­fi­kats“ ist die „Unter­schei­dung“, das habe Papst Fran­zis­kus gegen­über den pol­ni­schen Jesui­ten ange­mahnt. Es brau­che mehr „Vor­be­rei­tung“ für die Unter­schei­dung. Es gebe noch zu vie­le, die der Mei­nung sei­en, daß der Wil­le Got­tes schon fest­ste­he, der aber sei „offen“ [?!]. Das habe zur Fol­ge, daß das „Licht in ande­ren Reli­gio­nen immer als Schat­ten gese­hen“ [?!] wer­de, „und das bringt uns eini­ge Pro­ble­me“. Dazu gehö­re es „zu ver­ste­hen, daß die ande­ren Reli­gio­nen das Beste sind, das uns eine Kul­tur bie­ten kann [?!]. Die asia­ti­schen Kul­tu­ren zum Bei­spiel haben den Bud­dhis­mus her­vor­ge­bracht: Das ist ihre beste Frucht [?!]. Und doch gab es eine Zeit, da wir dach­ten, und ich dach­te es auch, daß die­se Reli­gi­on ein Pro­dukt des Teu­fels sei, in Wirk­lich­keit ist sie das Werk des Gei­stes [?!]. Heu­te ver­ste­hen wir das besser.“

Fra­ge: Wie aber kön­ne man unter­schei­den, wel­che Tei­le einer Reli­gi­on „ein Pro­dukt der Men­schen und wel­che gött­li­che Bewe­gun­gen sind“, will [der fra­gen­de Jour­na­list der…] Wochen­zei­tung [Alfa y Ome­ga] vom ehe­ma­li­gen Jesui­ten­ge­ne­ral wissen:

Adol­fo Nicolás Pachón: „Die Syn­the­se liegt in den mensch­li­chen Bezie­hun­gen [?!]. Dar­über den­ke ich viel nach: Wenn ich nach Asi­en rei­se, füh­le ich mich in Hong Kong, Bang­kok oder Tokio sofort zu Hau­se, wäh­rend ich mich in Euro­pa nicht zu Hau­se füh­le. [Wie schade!!]“

In Anspie­lung auf das Her­ren­wort „Ich bin der Weg, die Wahr­heit und das Leben“ sag­te Nicolás Pachón:

Euro­pa stüt­ze sich „in sei­nen Bezie­hun­gen viel­leicht auf die Wahr­heit“. Die Reli­gio­nen Asi­ens „sind der Weg“ [?!]. Die Mis­sio­na­re sei­en nach Asi­en gekom­men und hät­ten von der Wahr­heit gespro­chen, aber die Men­schen nicht getrof­fen. Asi­en sei der Weg, wäh­rend Euro­pa und die USA sich um die Wahr­heit sor­gen „und wie sie defi­nie­ren“. Latein­ame­ri­ka und Afri­ka hin­ge­gen sei­en „das Leben“ [?!]

„Inhalts­ana­ly­se“ nennt man das Ver­fah­ren, wenn man sta­ti­sti­sche Über­le­gun­gen über die Ver­tei­lung und Häu­fig­keit der fixen Ideen anstellt, die in einem ideo­lo­gisch bela­ste­ten Dis­kurs das tra­gen­de Gerüst dar­stel­len. So zum Bei­spiel unter­such­te der ame­ri­ka­ni­sche Geheim­dienst sei­ner­zeit Hit­lers Reden, um aus der Kon­zen­tra­ti­on der Wort­wahl mög­li­cher­wei­se eini­ge Rück­schlüs­se auf kom­men­de Tat­hand­lun­gen zu zie­hen. Die Denk- und Aus­drucks­wei­se eines jeden Ent­schei­dungs­trä­gers ist ein ver­läß­li­ches Men­ü­blatt sei­ner künf­ti­gen Hand­lungs­spiel­räu­me – aber auch ein pro­ba­tes Mit­tel für die Gehirn­wä­sche der Zuhö­rer. Die abson­der­li­chen Ansich­ten von Pater Nicolás Pachón ver­dien­ten wohl so drin­gend wie mög­lich eine ein­ge­hen­de Inhalts- und Gewissensanalyse!

Die schäkernden Schlagworte der Verwirrung

Statue in einem Schinto-Tempel
Sta­tue in einem Schinto-Tempel

Für das leicht­fer­ti­ge Tän­deln mit Got­tes Barm­her­zig­keit sind „Unter­schei­dung, Mün­dig­keit, Auto­no­mie, Gewis­sen, Offen­heit“ die Schlag­wor­te, wel­che für eine all­ge­mei­ne Ver­wir­rung unters Volk gestreut wer­den. Das Lehr­amt wird klein­ge­re­det. Das Tri­um­vi­rat Berg­o­glio, Kas­per, Rein­hard Marx – stets vom ein­stim­mi­gen Chor der moder­ni­sti­schen Jesui­ten­kom­pa­nie beglei­tet –, über­rascht uns bei­na­he schon täg­lich mit den neue­sten Gags. Aus dem Vati­ka­ni­schen Pres­se­amt, den Medi­en der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz und aus den locke­ren Inter­views von höch­sten Stel­len erfah­ren wir lau­fend etwas Sen­sa­tio­nel­les. Brau­chen wir einen Euge­nio Scal­fa­ri, der sei­nes Zei­chens Frei­mau­rer und Chef­re­dak­teur der lin­ken ita­lie­ni­schen Zei­tung La Repubbli­ca ist, als Inter­pre­ten des päpst­li­chen Lehr­am­tes? Dür­fen wir uns auf die zwei­deu­ti­gen Demen­tis von Pater Feder­i­co Lom­bar­di S.J. oder Pater Anto­nio Spa­da­ro S.J. ver­las­sen? Was nützt uns die „Offen­heit“ von Pater Adol­fo Nicolás Pachón S.J., wenn er sich für die Wahr­heit nicht inter­es­siert? Wenn er für die graus­li­chen Gestal­ten des Bud­dhis­mus und Schin­to­is­mus mehr übrig hat als für die grie­chisch-römi­sche Über­lie­fe­rung? Um die Wahr­heit muß es ja gehen, sonst ist alles ande­re sinnlos.

Auch ein Nicht­fach­mann in Theo­lo­gie, wie mei­ne Wenig­keit, merkt dabei den Pfer­de­fuß und möch­te mei­nen, daß Ìñigo López Oñaz de Recal­de y Loyo­la, ein Edel­mann, Sol­dat und Ordens­grün­der aus dem Bas­ken­land, sich wohl wun­dern müß­te über die Weich­lin­ge, die zur Zeit in sei­nem Gene­ra­lat schal­ten und wal­ten. Viel­leicht sind aber die Nach­fol­ger die­ses wahr­haft Hei­li­gen gar kei­ne „Weich­lin­ge“, son­dern knall­har­te Kon­spi­ra­to­ren, per­sön­lich durch­aus aske­tisch und arbeitsstark.

Die Problemstellung

Die Unter­schei­dung der Gei­ster ist ein Schlüs­sel­be­griff bei Johan­nes mit der breit gefä­cher­ten exi­sten­ti­el­len Auf­for­de­rung „…prüfet die Gei­ster“ (1 Joh 4,1–6) zwecks kri­ti­scher Dif­fe­ren­zie­rung von Gedan­ken und Gefühls­re­gun­gen, ob sie wirk­lich von Gott stam­men oder nicht. Aber auch im Ersten Korin­ther­brief (12,8–11) gilt das Unter­schei­dungs­ver­mö­gen als eine der dra­ma­tisch­sten, cha­ris­ma­ti­schen Gaben, die seit den ersten, vom hl. Pau­lus selbst gegrün­de­ten Gemein­den bis heu­te für Hoch­span­nung sor­gen. Aber gera­de an die­ser sen­si­blen Stel­le setzt eine gro­ße Ver­wir­rung ein. Daher ist es rat­sam, das deutsch­spra­chi­ge Zitat aus dem Ersten Korin­ther­brief direkt mit der Vul­ga­ta – die bis heu­te gül­ti­ge latei­ni­sche Voll­ver­si­on der Bibel, wel­che nach 382 ent­stand, – in der Spra­che des hl. Hie­ro­ny­mus zu vergleichen:

8 ALII QUIDEM   PER SPIRITUM DATUR   SERMO SAPIENTIÆ
ALII AUTEM   SERMO SCIENTIÆ   SECUNDUM SPIRITUM

Dem einen näm­lich   wird durch den Geist   das Wort der Weis­heit   gegeben,
einem ande­ren dage­gen   das Wort der Erkennt­nis   nach dem­sel­ben Geist.  (2)

9 ALTERI   FIDES   IN EODEM SPIRITU
ALII   GRATIA SANITATUM   IN UNO SPIRITU

Einem andern   der Glau­be   in dem näm­li­chen Geist,
einem andern wie­der   Hei­lungs­ga­ben   in ein und dem­sel­ben Geist.

10 a) ALII   OPERATIO VIRTUTUM
b) ALII PROPHETATIO
c) ALII DISCRETIO [!] SPIRITUUM
d) ALII GENERA LINGUARUM
e) ALII SERNONUM

a) Wie­der einem andern die Gabe, Wun­der zu wir­ken,
b) einem andern die Pro­phe­ten­ga­be,
c) einem andern Unter­schei­dung [!] der Gei­ster,
d) einem andern man­cher­lei Zun­gen­re­de,
e) einem andern die Aus­le­gung der Zun­gen­re­den.

11 HAEC AUTEM OMNIA   OPERATUR
UNUS ATQUE IDEM SPIRITUS
DIVIDENS SINGULIS   PROUT VULT.

All das aber wirkt
der eine und sel­be Geist,
indem er jedem nach sei­ner Eigen­art zuteilt   je nach­dem, wie er will.

Aus die­sem Stac­ca­to einer kurz hin­ge­spiel­ten latei­nisch-deut­schen Über­set­zungs­übung geht bereits unser Grund­pro­blem der „Dis­cretio spi­ri­tu­um“ her­vor. Jeder­mann weiß, was Dis­kre­ti­on heißt: Ver­schwie­gen­heit, Takt­ge­fühl, Rück­sichts­nah­me. Indis­kre­ti­on ist dage­gen ein takt- und rück­sichts­lo­ses Gere­de mit bösen Zun­gen. Ande­rer­seits „Unter­schei­dung“ heißt schlicht und ein­fach Dif­fe­ren­zie­rung. Wie sol­len aber Dis­kre­ti­on und Dif­fe­ren­zie­rung deckungs­gleich über­ein­stim­men? Es klingt in unse­ren Ohren doch merk­wür­dig nach, ob der Hl. Geist an die­ser Stel­le wirk­lich nur etwas dis­kret Ver­schwie­ge­nes oder etwas tie­fer Grei­fen­des kund­ge­ben woll­te, das Welt- und Heils­ge­schich­te gemacht hat. Die Dis­kre­panz mag uns bereits im Deut­schen spon­tan auf­fal­len. Noch grö­ber wird jedoch der Ver­dacht einer unprä­zi­sen Über­set­zung, wenn man im Spa­ni­schen an der betref­fen­den Stel­le (1 Kor 12,10) noch ein­mal etwas ande­res lesen kann:

c) EL SABER DISTINGUIR [!] ENTRE LOS ESPÌRITUS FALSOS Y EL ESP̍RITU VERDADERO: (3)
Anstel­le der Dis­kre­ti­on oder Dif­fe­ren­zie­rung der Geister
steht hier das „Distin­gu­ie­ren kön­nen zwi­schen den fal­schen Gei­stern und dem wah­ren Geist“.
d) EL HABLAR LENGUAS EXTRAÑAS:
Anstel­le man­cher­lei Zungenredens
steht hier das „Spre­chen mit son­der­ba­ren Zun­gen (= Sprachen)“.
e) EL SABER INTERPRETARLAS:
Anstel­le der Aus­le­gung des Zungenredens
steht hier die Aus­le­gung (= Inter­pre­ta­ti­on) der son­der­ba­ren Sprachen.

Selbst­ver­ständ­lich kön­nen wir Bibel­tex­te nur unter der Vor­aus­set­zung einem idio­ma­ti­schen Ver­gleich unter­zie­hen, wenn sie alle katho­lisch appro­biert sind. Dabei müs­sen wir ver­wun­dert zuge­ben, daß nicht nur die Ver­fas­ser son­dern auch die Über­set­zer unter der beson­de­ren Ägi­de des Hl. Gei­stes ste­hen, wenn sie der mensch­lich uner­füll­ba­ren Auf­ga­be, in Hun­der­ten Idio­lek­ten über­ein­stim­mend das­sel­be zu sagen, erfolg­reich ent­spre­chen kön­nen. Sprach­be­ding­te Nuan­cen (nicht Irr­tü­mer!) kön­nen frei­lich auftreten.

– So wirkt im Deut­schen das Item d etwas befrem­dend, weil der bereits all­zu abge­grif­fe­ne Topos von „man­cher­lei Zun­gen­re­de“ (anstel­le „einer son­der­ba­ren Spra­che“, Dis­kurs, Mund­art oder der­glei­chen) den Sinn der Aus­sa­ge völ­lig verstellt.

Das spa­ni­sche Item d „HABLAR“ (spre­chen) „LENGUAS EXTRAÑAS“ (mit son­der­ba­ren Zun­gen) ist dage­gen ein unmit­tel­bar ver­ständ­li­cher Voll­tref­fer der Sache, da in den mei­sten Spra­chen das ent­spre­chen­de, hom­ony­me Wort zugleich „Zun­ge & Spra­che“ bedeu­tet. Zum Bei­spiel: „lin­gua ± /​ glos­sa“, lat. „lin­gua“, spa­nisch „len­gua“, eng­lisch „ton­gue“, unga­risch „nyelv“. Viel sel­te­ner gibt es dage­gen, – zum Bei­spiel im Schwe­di­schen wie im Deut­schen, – eine punkt­ge­naue Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen „tun­ga“ und „språk“.

Das bar­ba­ri­sche Theo­lo­gen-Kunst­wort „Zun­gen­re­de“ ist eine deut­sche Pedan­te­rie der buch­sta­ben­ge­rech­ten Über­set­zung, denn Glos­sal­gie (Lin­gua ±, eine unmä­ßi­ge Geschwät­zig­keit, Red­se­lig­keit) oder Glos­so­la­lie, d. h. mit ver­schie­de­nen Zun­gen zu reden besagt nicht, den Ver­stand mit lal­len­dem Bla­bla zu ver­lie­ren, – wie dies die Pfingst­ler, aber auch ande­re Leu­te mit gro­ßer Vor­lie­be tun, – son­dern ledig­lich zu einer ande­ren „Zun­ge“ (= Spra­che oder Mund­art) zu wech­seln, deren Sinn bewußt oder unbe­wußt, gewollt oder unge­wollt ver­deckt wer­den kann. So ver­lie­ren die Lal­len­den meist doch nicht den Ver­stand. Man hat öfter den Ein­druck, daß sie eine bewuß­te Show abziehen.

Wir wech­seln nicht nur von einer Fremd­spra­che zu einer ande­ren Fremd­spra­che im enge­ren Sin­ne, wie vom ver­trau­ten Deut­schen zu etwas, was uns völ­lig „spa­nisch“ (unver­ständ­lich) vor­kommt, son­dern öfters noch zu etwas, was auch inner­halb ein und der­sel­ben Spra­che die „Zun­gen“ aufs Kreuz legt: Goe­the spricht Deutsch, Hit­ler spricht Deutsch – sie spre­chen den­noch ver­schie­de­ne Spra­chen! Frei­lich, selbst Goe­the, Fidel Castro, Jean-Clau­de Jun­cker oder Ange­la Mer­kel brau­chen Inter­pre­ten für die Aus­le­gung ihrer poli­ti­schen „Zun­gen­re­den“ (Mund­ar­ten; 1 Kor 12,10 cf. die Items d–e). Damit hät­ten wir die­ses nebu­lö­se Wort für unse­re Zwecke zurei­chend geklärt.

– Das Item c bleibt jedoch auch (bei der vor­aus­ge­setz­ten Irr­tums­frei­heit aller katho­li­schen Über­tra­gun­gen) wei­ter­hin schwer erklä­rungs­be­dürf­tig und erfor­dert eine inten­si­ve­re Nach­for­schung. Unse­re Fra­ge lau­tet: Dür­fen die bibel­kun­di­gen Theo­lo­gen und Über­set­zer für einen und den­sel­ben Topos so aus­ein­an­der­stre­ben­de Wor­te ver­wen­den wie Dis­kre­ti­on, Unter­schei­den, Distinktion?

Die Sprache ist das Erinnerungsvermögen der Völker

Ich bin kein Phi­lo­lo­ge, habe mir aber das Spa­ni­sche im Erwach­se­nen­al­ter ana­ly­tisch-gram­ma­tisch, also mehr lesend-schrei­bend-den­kend mit gro­ßer Hin­ga­be, Begei­ste­rung, und weni­ger im plat­ten Plau­der­ton ange­eig­net. Das klei­ne Latein aus dem Real­gym­na­si­um war dabei natür­lich mein stän­di­ger Beglei­ter. Daher füh­le ich mich auf mei­ne alten Tage auto­ri­siert, fol­gen­der­ma­ßen zu argu­men­tie­ren und zu hof­fen, daß mei­ne Deu­tung sowohl für die Fach­leu­te aus Theo­lo­gie wie aus Phi­lo­lo­gie, und mehr noch für ein­fa­che Lai­en – wie ich sel­ber einer bin – stich­hal­tig genug sei. Glück­li­cher­wei­se stimmt das betref­fen­de spa­ni­sche Voka­bu­lar ety­mo­lo­gisch mit sei­ner grie­chisch-latei­ni­schen Her­kunft klar und deut­lich über­ein. Somit möch­te ich ver­su­chen, mei­ne schlich­te Erfah­rung aus dem Spa­ni­schen ins Grie­chisch-Latei­ni­sche rück­ver­setzt so vor­zu­tra­gen, daß sie einer deutsch­spra­chi­gen Leser­schaft, wenn sie die zurei­chen­den Klas­si­ker auf Matu­ra­ni­veau noch nicht ver­ges­sen hat, ver­ständ­lich wird. Die Stamm­wor­te für unse­re Unter­su­chung lau­ten: (4)

I.) κρίσις‚ (kri­sis)

  1. Schei­dung, Zwie­spalt, Streit;
  2. (Aus)wahl;
  3. (gericht­li­che) Ent­schei­dung, Unter­su­chung, Urteil, Verurteilung.

κρίμα (kri­ma)

  1. rich­ter­li­che Ent­schei­dung, Urteil;
  2. Rechts­han­del, Verurteilung.

κρίμνον (krim­non) /​ grob geschro­te­nes, gesieb­tes Mehl.

κρίνω (kri­no)

I. act. 1. schei­den, son­dern, sich­ten, unterscheiden;
2. (ab‑, aus-)sondern, auswählen;
3. ent­schei­den, beschlie­ßen, rich­ten, (ver)urteilen.
II. med.  für sich aus­wäh­len, aus­le­gen, deuten.
III. pass. 1. aus­ge­wählt, beur­teilt, ent­schie­den werden;
2. vor Gericht gestellt, zur Ver­ant­wor­tung gezo­gen werden;
3. sich son­dern, sich mes­sen im Kampf oder vor Gericht.

II.) διά-κρισις (dia-kri­sis)

  1. Tren­nung, Son­de­rung, Zwischenraum;
  2. Unter­schei­dung, Ent­schei­dung, Beurteilung.

διακριτικός (dia­kri­ti­kos) /​ der Kunst der Unter­schei­dung dienlich.

διακριτός (dia­kri­tos) /​ unter­schie­den, ausgezeichnet.

διακρίνω (dia­kri­no)

  1. schei­den, son­dern, trennen;
  2. unter­schei­den, vorziehen;
  3. (be)urteilen, ent­schei­den
  4. pass. geschie­den wer­den… etc.

Der grie­chi­schen Wort­sip­pe Kri­sis ent­spre­chen die latei­ni­schen Ver­ben cer­ne­re und de-cer­ne­re nach den bekann­ten Grund­for­men Prä­sens, Infi­ni­tiv, Per­fekt und Par­ti­zip: (5)

I) cer­no, cer­ne­re, cre­vi, cre­tus:
1. schei­den, son­dern, sichten;
2. (deut­lich) sehen, wahr­neh­men, (gei­stig) erken­nen; (Pas­siv erkannt wer­den, sich zeigen);
3. ent­schei­den, beschlie­ßen, kämp­fen (pro patria, vitam /​ um das Leben);
II) decer­no, decer­ne­re, decre­vi, decre­tus
4. ver­ord­nen, anord­nen, beschlie­ßen, ent­schei­den, (im Kampf, Streit) die Ent­schei­dung herbeiführen;

Im Spa­ni­schen behielt das Verb cer­ner (oder cer­nir) die ein­zi­ge Bedeu­tung „tren­nen durch ein Sieb, sie­ben“. Die ursprüng­li­che Infi­ni­tiv­form decer­ner (3. Kon­ju­ga­ti­on) ist dage­gen ver­schol­len, aber ihr dis­so­zi­ier­tes lat. Par­ti­zip decre­tus ver­form­te sich in eine neue ver­ein­fach­te Infin­tiv­form decre­tar (1. Kon­ju­ga­ti­on) samt zuge­hö­ri­gem Sub­stan­tiv decre­to (Dekret, Erlaß).

III) dis­cer­no, dis­cer­ne­re, dis­crevi, dis­cretus ent­spricht wie­der­um der grie­chi­schen Dia­k­ri­sis, und im all­ge­mei­nen paßt gut zu phy­si­ka­li­schen, intel­lek­tu­el­len, aber auch zu spi­ri­tu­el­len Trennungen.

In allen roma­ni­schen Spra­chen erlitt das lat. dis­cer­ne­re eine tief­grei­fen­de Dis­so­zia­ti­on, indem das Ori­gi­nal­sub­stan­tiv dis­cretio (1. Unter­schei­dung, Tren­nung;  2. Ermes­sen, Belie­ben, Gut­dün­ken) bzw. das Ori­gi­nal­par­ti­zip dis­cretus (unter­schie­den, getrennt, etc) sich bereits im Spät­la­tein mit einer neu­en Bedeu­tung ver­selb­stän­dig­ten: näm­lich als „ver­schwie­gen, takt- und rück­sichts­voll“ (beschei­den, höf­lich, diplo­ma­tisch, zurück­hal­tend, etc). Die ent­ste­hen­den Neo­lo­gis­men „Dis­kre­ti­on, dis­kret“ setz­ten sich mit der Zeit in allen euro­päi­schen Haupt­spra­chen durch.

Als Ersatz für die dis­so­zi­ier­ten, seman­tisch ver­wan­del­ten Par­ti­kel rege­ne­rier­te das Spa­ni­sche zum alten, klas­si­schen Infi­nitv (dis­cer­nir) regu­lä­re Vereinfachungen:

  • Die alte dis­cretio (= Unter­schei­dung) wan­del­te sich ins spa­ni­sche dis­cer­ni-mien­to, und das fran­zö­si­sche dis­cer­ne-ment (= Unter­schei­dung) nebst der neu­en Dis­kre­ti­on (Ver­schwie­gen­heit). Die Neu­bil­dung klingt etwa so, um es ein­mal man­gels eines eige­nen deut­schen Wor­tes so aus­zu­drücken, wie wenn man anstel­le der klas­si­schen dis­cretio etwas gekün­stelt „Dis­zer­niert-heit oder Dis­zer­nie­rung“ sagen würde.
  • Dis­cretus wan­del­te sich dem­entspre­chend in dis­cern­ido, das so ähn­lich klingt wie „dis­zer­niert“.

Manch­mal tau­chen jedoch die über­leb­ten, frü­he­ren For­men und Bedeu­tun­gen ana­chro­ni­stisch wie­der auf, wie in den spa­ni­schen Redewendungen:

  • a dis­creción de… zur frei­en Wahl von…;
  • capi­tu­lar a dis­creción del tri­un­fa­dor /​ d. h. kapi­tu­lie­ren auf Dis­kre­ti­on [= auf Gna­de und Ungna­de, auf Ermes­sen, auf Belie­ben und Gut­dün­ken] des Triumphators.
  • dis­crecio­nal /​ belie­big, diskretionär;

Im Fran­zö­si­schen über­leb­ten alle drei Ver­ben cer­ne­re, decen­de­re und dis­cer­ne­re:

I) als cer­ner (ein­krei­sen, umzin­geln, umstellen)
samt cer­ne­ment (mili­tä­ri­sche Ein­schlie­ßung) und
II) als decer­ner (beschlie­ßen, erlas­sen, verfügen)
samt décer­ne­ment (gericht­li­che Entscheidung).
III) als dis­cer­ner (unter­schei­den, erken­nen, einsehen)
samt dis­cer­ne­ment (Unter­schei­dungs­ver­mö­gen, Überlegung).

Der langen Rede kurzer Sinn?

Alle drei Ver­ben zeich­nen sich klar und deut­lich durch einen vol­un­t­a­ri­sti­schen Grund­ton aus. Der Pro­zeß der „Dis­zer­nie­rung“ (Unter­schei­dung, Tren­nung) ist also vor­nehm­lich ein dia­kri­ti­scher Wil­lens­akt, ein Akt höhe­ren (oder für „höher“ gehal­te­nen) Ermes­sens, des­sen patho­lo­gi­sche Kehr­sei­te all­zu oft in Sub­jek­ti­vi­tät, Belie­ben und Gut­dün­ken ver­sin­ken kann.

Wir haben aus dem Ersten Korin­ther­brief mit Hil­fe von grie­chi­schen, latei­ni­schen, fran­zö­si­schen und eng­li­schen Wör­ter­bü­chern unpar­tei­ische Bedeu­tungs­fel­der (Refe­ren­zen) ange­führt, die zwei­fels­oh­ne als objek­ti­ve Quel­len für die Gewin­nung seman­ti­scher Maß­stä­be aner­kannt wer­den müssen:

  • cer­ne­re: heißt zuerst erken­nen, im Pas­siv erkannt wer­den – erst dann folgt ent­schei­den, beschlie­ßen, kämpfen!
  • decer­ne­re: heißt Beschluß, Erlaß, Dekret – etwas mili­tä­risch for­mu­liert Marschbefehl!
  • dis­cer­ne­re: heißt Tren­nung des Kor­nes vom Spelz, wie durch einen Siebsatz!

Die­se Sequenz paßt per­fekt zum gebie­te­ri­schen Cha­rak­ter­bild von Sol­da­ten wie eben die hll. Pau­lus und Igna­ti­us leb­ten und werk­ten, ins­be­son­de­re nach ihrer Bekeh­rung. Frei­lich, wenn Hei­li­ge und Hel­den am Werk sind, kann der Pro­zeß nur mit Klug­heit und Gerech­tig­keit, Maß und Mut an der Wirk­lich­keit aus­ge­rich­tet wer­den. So wur­de bei­spiels­wei­se die deutsch­spra­chi­ge Jesui­ten-Zeit­schrift Der Gro­ße Ent­schluß (1946–1999) mehr als ein hal­bes Jahr­hun­dert lang erfolg­reich ver­trie­ben unter einem Titel, der für die dia­kri­ti­schen Cha­rak­ter­zü­ge des Ordens typisch ist. Im Zuge einer wech­sel­vol­len Geschich­te führ­te die­se Cha­rak­ter­stär­ke in meh­re­ren Län­dern zu zahl­rei­chen Kon­flik­ten und zur Ver­trei­bung des Ordens. Viel­leicht waren aber die Jesui­ten – nicht nur ihr Ordens­grün­der aus dem Bas­ken­land – manch­mal ein wenig kraß und schroff? Oder all­zu „cuco“ (schlau) wie Berg­o­glio es ein­mal von sich sel­ber gesagt hat.

Im Ver­lau­fe der Ordens­ge­schich­te zeich­ne­ten sich die Jesui­ten jeden­falls eines außer­or­dent­lich star­ken Wil­lens und schar­fen Ver­stan­des aus. Sie setz­ten ihre Regun­gen aus dem Inne­ren zwei­fels­oh­ne mit äußer­ster Kon­se­quenz in die Wirk­lich­keit um. Wol­len, ERKENNEN, Han­deln haben sie nicht dis­so­zi­iert, son­dern im Kampf­geist verbunden.

Sein Cha­rak­ter­bild zeich­net Luther eben­falls als Wil­lens­men­schen aus. Aber durch­aus mit patho­lo­gi­schen Zügen. Denn er hat sich sei­ne Wirk­lich­keit selbst gemacht. Das heißt mit sym­bo­li­schen Wor­ten: die Maschen sei­nes Sieb­sy­stems wur­den von ihm selbst ent­wor­fen. Sie wur­den in der Ver­fal­len­heit der mensch­li­chen Schwä­che wei­test­ge­hend sub­jek­ti­ven Leit­ge­dan­ken und allein dem eige­nen Urteils­ver­mö­gen anheimgestellt.

Wenn A nicht B ist, wenn die gute, hei­li­ge Ein­ge­bung in letz­ter Instanz von kei­nem bösen, son­dern von einem guten Geist ein­ge­flößt wor­den ist, dann gibt es auch kei­ne gra­du­el­len Abstu­fun­gen zwi­schen der Wahr­heit und der Unwahr­heit. Die Unter­schei­dung wird zu kei­ner hal­ben Tat redu­ziert, son­dern als Ent­we­der-Oder einer Tren­nung ohne Unschär­fe and­res­siert. Jeder­mann braucht Übung in sei­nen Vor­sät­zen, die ihn zum Mei­ster macht!

Den­noch spielt das Sub­jek­ti­ve immer mit. Sogar in den Unter­schei­dun­gen, Grup­pen und Unter­grup­pen einer natur­wis­sen­schaft­li­chen Syste­ma­ti­sie­rung kom­men unwei­ger­lich vie­le sub­jek­ti­ve Züge zum Durch­bruch. Um ein neu­tra­les Bei­spiel zu neh­men, die Linné’sche Syste­ma­ti­sie­rung der Flo­ra und Fau­na hat sicher­lich objek­tiv geord­ne­te Unter­la­gen und spie­gelt die „wirk­li­che“ Wirk­lich­keit wider. Sie ist kein will­kür­lich errich­te­tes Luft­schloß, aber bei aller Bewun­de­rung muß zuge­ge­ben wer­den, daß die binä­re Nomen­kla­tur der taxo­no­mi­schen Unter­schei­dun­gen (= Tren­nun­gen und Grup­pie­run­gen) hät­te auch hun­dert­fach anders gemacht wer­den können.

Wenn es in einer epo­cha­len Kri­se (cf. oben: 1. Schei­dung, Zwie­spalt, Streit) oder in einem Reli­gi­ons­krieg (der bis zu 30 Jah­ren dau­er­te!) ums Über­le­ben geht, wie zur Zeit der Refor­ma­ti­on, dann nahm die Dia­k­ri­sis (1. Tren­nung, Spal­tung) der vor­mals Einen All­ge­mei­nen Kir­che abson­der­li­che For­men an. Nach den schar­fen Ansich­ten (lat. cer­ne­re) der Refor­ma­to­ren war das ent­schlos­se­ne Han­deln (Dezer­nie­ren & Dis­zer­nie­ren) des Triden­ti­ni­schen Kon­zils unver­meid­bar geworden.

Wohl­tu­end wirkt daher die väter­li­che War­nung des altern­den Pau­lus, daß die aus­ufern­den Unter­schei­dun­gen (Item c) und Son­der­spra­chen (Item d) vor allem auf die mäch­ti­ge Gabe der Inter­pre­ta­ti­ons­kunst (Item e) ange­wie­sen sind. Es fällt uns nicht schwer anzu­er­ken­nen, daß Ortho­do­xie, Refor­ma­ti­on, aber auch die Gegen­re­for­ma­ti­on aus den Son­der­spra­chen (Item d) ent­stan­den sind. Dem Katho­li­schen Lehr­amt ent­spricht daher die emi­nen­te Pflicht, aber auch das Recht der rich­ter­li­chen, unpar­tei­ischen Inter­pre­ta­ti­ons­kunst. Chri­stus hat mit ein­deu­ti­gen Wor­ten nur eine Kir­che gegrün­det. Und wie­vie­le kirch­li­che Gemein­schaf­ten sind ent­stan­den? Allein ihre gro­ße Zahl ist ein nie­der­schmet­tern­des Argument.

Übergang von der trennenden Unterscheidung (discretio, discernimiento)
zur begrenzenden Unterscheidung (distinctio)

Im Ersten Korin­ther­brief spricht der hl. Pau­lus nicht von einer volu­t­a­ri­stisch belie­bi­gen, mehr oder min­der vom Kür­wil­len ange­hauch­ten Dis­zer­nie­rung der Gei­ster, son­dern von einer auf­stei­gen­den Dia­k­ri­sis im Sin­ne von Aus­sor­tie­ren des Guten vom Plun­der, wel­che am Ende in einer stren­gen Defi­ni­ti­on mün­den muß.

Roma locu­ta – cau­sa fini­ta war frü­her ein­mal vom Hoch­mit­tel­al­ter über das Triden­ti­num inklu­si­ve bis zum Ersten Vati­ca­num die Regel. Heu­te dage­gen zeich­net sich das deka­den­te Rom durch beharr­li­ches Schwei­gen, Nach­las­sen und Feil­schen aus, wenn sei­tens der tra­di­ti­ons­be­wuß­ten Gläu­bi­gen berech­tig­te Dubia auftauchen!

In der spa­ni­schen Bibel­über­set­zung haben wir oben an der bean­stan­de­ten Stel­le (1 Kor 12,10 Item c) die wohl­tu­en­de Erläu­te­rung gele­sen. Nicht umsonst sagt der geschick­te Über­set­zer im Spa­ni­schen mit einer klei­nen Zufü­gung: „El saber distin­guer [!] ent­re los espì­ritus fal­sos y el Espì­ritu ver­dade­ro“ – also nicht nur auf das tren­nen­de Unter­schei­den der Gei­ster, son­dern auf das Distin­gu­ie­ren kön­nen zwi­schen den fal­schen Gei­stern und dem wah­ren Geist kommt es an.

„Dis­zer­nie­ren und Distin­gu­ie­ren“ – dar­in liegt des Pudels Kern. „Wenn näm­lich der Leib nur einer ist, jedoch vie­le Glie­der hat“ (1 Kor 12,12), dann gehö­ren sie modo intrin­se­co zusam­men. In einer ein­deu­ti­gen Spra­che bleibt kein Raum mehr für Ambi­gui­tä­ten. Auch der hl. Tho­mas von Aquin ver­wen­det für den­sel­ben Sach­ver­halt im besten scho­la­sti­schen Stil den über­ge­ord­ne­ten, rei­fe­ren Aus­druck: Distinc­tio spi­ri­tu­um [nicht dis­cretio spi­ri­tu­um].

Die Niveau-Unter­schie­de der klas­si­schen Ausdrücke

  • DIFFERENZIERUNG (gr. dia­k­ri­sis, sp. dis­cer­ni­mi­en­to, Unter­schei­dung mit einem eher neu­tra­len Unterton),
  • DISKRIMINATION (Unter­schei­dung mit einem eher abschät­zi­gen Unter­ton), und
  • DISTINKTION (Unter­schei­dung mit einem auf­wer­ten­den, fei­er­li­chen Unter­ton und hoher Präzision)

kann man auf Deutsch nicht ein­mal mit einem Wort über­set­zen, da alle drei Haupt­wör­ter Unter­schei­dung hei­ßen: wenn auch zunächst ein­mal im Streit (Kri­sis), dann im Zuge einer vor­sor­tie­ren­den Tren­nung (Dia­k­ri­sis) und abschlie­ßend als einer mit lehr­satz­mä­ßig über­ge­ord­ne­ten Defi­ni­ti­on. Das Distink­te (was ver­schie­den…) und das Distin­gu­ier­te (was vor­nehm ist), gehen näm­lich auf den grie­chi­schen διορισμός‚ (dio­ris­mos, syn­onym auch dio­ri­sis) (6)  zurück und stam­men wie­der­um von διοριζω (di-ori­zo, abgren­zen, ins Kla­re brin­gen, defi­nie­ren) ab. Alle roma­ni­schen Spra­chen bewahr­ten die klei­nen Dif­fe­ren­zen der Wor­te. Dage­gen wehr­ten sich Luther und sei­ne Lands­leu­te jen­seits der Sprach­gren­ze vehe­ment gegen jede feste, dog­ma­ti­sche Defi­ni­ti­on. Genau so wie heu­te die Jesui­ten und die Deut­sche Bischofs­kon­fe­renz.

Eine Blockie­rung des Den­kens durch die „Zun­ge“ (d. h. Spra­che) spielt oft auch zum Geist des Wider­spruchs bei, wenn sie für einen evi­den­ten Sach­ver­halt kei­ne pas­sen­den Wor­te fin­den kann. Nach­dem die Begrif­fe der fun­da­men­ta­len Unter­schei­dungs­mo­di bis auf eine unkennt­li­che Syn­ony­mie auch im Latei­ni­schen abge­schlif­fen wor­den waren, über­gin­gen sie – völ­lig unre­flek­tiert – sogar ins Eng­li­sche: (7)

  • to dis­cern: see cle­ar­ly with the sen­ses or with the mind;
  • to dis­cri­mi­na­te: see, make, a dif­fe­rence bet­ween; make distinctions;
  • to distin­gu­ish: see, hear, reco­gnize, under­stand well the dif­fe­rence of one thing from other.

Klei­der machen Leu­te – Wor­te machen Din­ge und Hal­tun­gen: Wo das Wort gebricht, dort wird auch die Sache beschä­digt. Das wirk­lich Ent­schei­den­de am desa­strö­sen Wir­ken der Refor­ma­ti­on war nicht nur das Erfin­den eines völ­lig neu­en Systems, das für die klei­nen Leu­te, Sol­da­ten, aber auch für die Obe­ren Zehn­tau­send ver­mut­lich man­gels höhe­rer Bil­dung größ­ten­teils unver­stan­den geblie­ben war. Wir­kungs­vol­ler als das, dürf­te der indi­vi­du­el­le Wil­le Fol­gen nach sich gezo­gen haben, der an die Stel­le der Ver­nunft, an die Stel­le des Defi­nier­ba­ren und Lehr­mä­ßi­gen trat. Im Mor­gen­grau­en der Neu­zeit wur­den alle Theo­rien für „grau“ erklärt und das All­ge­mei­ne vom Beson­de­ren und Nomi­nel­len ver­drängt. Mit Kants boden­lo­sem Kri­ti­zis­mus erreich­te spä­ter der Skep­ti­zis­mus den ersten Höhe­punkt der soge­nann­ten Aufklärung.

Aber der hl. Pau­lus selbst wer­tet in sei­nem Brief alles Reden „mit son­der­ba­ren Zun­gen“ ab und ver­langt von der Gläu­bi­gen­schar die Ein­hal­tung einer Rang­ord­nung der Cha­ris­men aus dem Nut­zen für die Gesamtkirche:

„Seid kei­ne Kin­der an Urteils­kraft (φρεςιν /​ phres­in), son­dern an Bos­heit sollt ihr Unmün­di­ge sein, an Urteils­kraft (φρεςιν /​ phres­in) aber seid rei­fe Men­schen“ (1 Kor 14,20). φρεν (phren) bedeu­tet erstens Ver­stand, Bewußt­sein, Geist; und zugleich Gesin­nung, Wil­le, Gemüt.

In der Vul­ga­ta steht sen­sus (Sinn) dafür:

  1. Sinnes‑, Emp­fin­dungs­ver­mö­gen, Wahr­neh­mung, Besin­nung, Bewußtsein
  2. Ver­stand, Denk­kraft, Urteil, gesun­der Menschenverstand,
  3. Ansicht, Mei­nung, Gedanke,
  4. Bedeu­tung, Begriff eines Wor­tes, Inhalt einer Rede.

Hier­mit wur­de erfolg­reich der Beweis erbracht, daß die DIAKRISIS (dis­cretio im klas­si­schen Sinn) als tren­nen­de Unter­schei­dung eines gei­sti­gen Sieb­sy­stems ein Wil­lens­akt ist. DIORISMOS (distinc­tio) ist dage­gen als eine abgren­zen­de Unter­schei­dung des Ver­stan­des, wel­che sich nicht an dem wer­ten­den Wil­len, son­dern frei von allen vol­un­t­a­ri­sti­schen Erkennt­nis­in­ter­es­sen allein an der zu erken­nen­den Sache ori­en­tiert. Die Distink­ti­on ist eine Defi­ni­ti­on des Dings (oder Sache) A selbst, das nicht B ist. Daher ist die Distinc­tio spi­ri­tu­um eine onto­lo­gi­sche Dif­fe­renz. Wo das nicht mehr wahr­ge­nom­men wird, herrscht Cha­os, und wo es noch nicht wahr­ge­nom­men wird, domi­niert eine ver­stock­te (oder unrei­fe) Belie­big­keit, wel­che der Erfül­lung der geho­be­nen Pflicht­auf­ga­ben harrt.

Mit die­sen Vor­weg­nah­men möch­ten wir im fol­gen­den kurz und bün­dig, aber auch mit gro­ßem Respekt über das Anlie­gen des hl. Igna­ti­us berichten.

Die Unterscheidung der Geister nach Ignatius von Loyola

Hl. Ignatius (1491-1556) nach einem Gemälde von Giacomo del Conte, das heute im Generalat der Jesuiten in Rom bewahrt wird.
Hl. Igna­ti­us (1491–1556) nach einem Gemäl­de von Gia­co­mo del Con­te, das heu­te im Gene­ra­lat der Jesui­ten in Rom bewahrt wird.

Die Igna­tia­ni­schen Exer­zi­ti­en sind blei­ben­de Juwe­len der Tra­di­ti­on der Kir­che. Eine ver­hal­te­ne Kri­tik müß­te jedoch – um es wie­der ein­mal so zu sagen – am „Dis­zer­nie­ren der Gei­ster“ in der Mund­art der Jesui­ten an der seman­ti­schen Ver­en­gung des Spät­la­teins, des Spa­ni­schen und des Bas­ki­schen anset­zen. Der Reich­tum des klas­si­schen Lateins ist in sei­nen Spät­for­men – bis zu Leb­zei­ten des Ordens­grün­ders – merk­lich ärmer, und im Scho­ße des avant­gar­di­stisch geform­ten Ordens ent­lang der Jahr­hun­der­te bis zur Jetzt­zeit noch enger geworden.

Der Üben­de soll folg­lich unter­schei­den kön­nen, was ihn Ad maio­rem Dei glo­ri­am /​ zur grö­ße­ren Ehre Got­tes gelei­tet oder auch nicht. Die Gabe der Unter­schei­dung der gei­sti­gen Ein­flüs­se ist gleich­wohl für den Ein­zel­nen, für Fami­li­en, Schu­le und Erzie­hung, Gemein­schaf­ten und Freund­schaf­ten aller Art als auch fürs öffent­li­che Leben von ent­schei­den­der Bedeu­tung. Das Lem­ma stammt von Papst Gre­gor dem Gro­ßen (540–604). Der 1534 gegrün­de­te Jesui­ten­or­den erhob es zu sei­nem Wahl­spruch. Spä­ter wur­de es öfters in den Beschlüs­sen des Triden­ti­ni­schen Kon­zils (1545–1563) fei­er­lich gebraucht.

Die Maschen eines (aller­dings nicht selbst­ge­mach­ten) Sie­bes sind also die sym­bol­träch­ti­gen Werk­zeu­ge des hl. Igna­ti­us für das Sor­tie­ren, Anneh­men oder Ableh­nen gei­sti­ger Alter­na­ti­ven in einer exi­sten­ti­ell deli­ka­ten, ent­schei­den­den Situa­ti­on sei­nes Lebens, als er tod­krank, mit dem von einer Kano­nen­ku­gel zer­fetz­ten rech­ten Bein ans Kran­ken­la­ger gefes­selt war. Im Zuge der Gene­sung nach einer so schwe­ren Ver­let­zung, die sich Igna­ti­us anläß­lich der Ver­tei­di­gung von Pam­plo­na gegen die Fran­zo­sen (1521) zuzog, erleb­te er Schritt für Schritt eine auf­stei­gen­de, inne­re Dyna­mik. Er ent­deck­te die erhe­ben­de Erfah­rung, daß Gott der­je­ni­ge ist, der in der Tat zu sei­ner See­le spricht.

Ignatius studierte unter anderem an der Universität von Alcalá de Henares
Igna­ti­us stu­dier­te unter ande­rem an der Uni­ver­si­tät von Alcalá de Henares

Die frucht­ba­ren Keim­lin­ge, aber auch die frucht­lo­sen Spel­zen des See­len­le­bens wer­den durch das Dis­cer­ni­mi­en­to espi­ri­tu­al (das Aus­ein­an­der­sie­ben, Tren­nen) der guten und bösen Gei­ser ent­larvt, die ihre Stra­te­gien und Tak­ti­ken nach und nach zu ver­ste­hen geben. Aus den inner­sten Regun­gen der See­le ent­strömt eine Gewiß­heit: die wah­re Defi­ni­ti­on und das Sur­plus der geist­li­chen Ein­ge­bun­gen, die erah­nen las­sen, was Gott wirk­lich von uns will. Die Inspi­ra­ti­on regt uns an, etwas kon­kre­tes zu tun oder zu las­sen. Jede ein­zel­ne Regung bezieht sich auf einen bestimm­ten See­len­zu­stand und impli­ziert ein Urteil. Die Kenn­zei­chen des einen Zustan­des sind: Wohl­be­fin­den, inne­re Ruhe, Freu­de, Frie­de, vor allem Trost und Har­mo­nie. Die gebrann­te Erde am ande­ren Schlacht­feld fühlt sich unwohl an, mit Unru­he, Trau­er, Betrübt­heit, Disharmonie.

Wenn also jemand vor einer Weg­ga­be­lung steht, kann er Freu­de, Frie­den, Ver­trau­en ver­spü­ren, als ob eine inne­re Stim­me sprä­che: Das ist recht so, so tue das! Ande­rer­seits kön­nen ihn Zwei­fel über­kom­men, Fad­heit und Unbe­ha­gen, wie wenn die inne­re Stim­me die­se erhe­ben­de Freu­de ver­hin­dern woll­te. Falls die Unter­schei­dung stol­pert, dann wird sie größ­ten­teils dar­an schei­tern, daß die Regun­gen – die Weg- und Wind­rich­tun­gen – an Mehr­deu­tig­keit lei­den und sich nicht erklä­ren las­sen. Denn sowohl die guten wie die bösen Gei­ster ver­hal­ten sich ambig zur gefor­der­ten Ent­schei­dung, mit einer ver­wir­ren­den Täu­schung. Von allem Anfang an ist jedoch zu beur­tei­len, in wel­cher Groß­wet­ter­la­ge wir uns über­haupt befin­den: Ver­fol­ge ich einen posi­ti­ven Kurs in mei­nem Leben? Gei­stig zuneh­mend und auf­stei­gend in gro­ßen Zügen? Oder in einem Pro­zeß der Schrump­fung und Deka­denz? Was pas­siert? Woher bläst der Wind? Wohin möch­te ich schließ­lich und end­lich gelan­gen? Die beste Erfah­rung macht man im Bett, aller­dings nicht träu­mend. Son­dern im Kran­ken­bett wie wei­land Igna­ti­us, unter dem Druck äußer­ster Nüchternheit.

Die Strategien der Geister bestreiten eine konsequente Logik

Wer exi­sten­ti­ell gut ori­en­tiert ist, dem spen­det der gute Geist noch mehr „Begei­ste­rung“, mehr Ener­gie, Trost, Ein­ge­bung, Gelas­sen­heit, Befrie­di­gung und Ruhe. Er wird im Glau­ben gestärkt, daß die Hin­der­nis­se auf dem Weg über­wind­bar sind. Die gute Lebens­füh­rung paart sich mit Freu­de: „Amo­ris lae­ti­tia“?! Trau­er und Trüb­sal sind Sache des Fein­des! Anfäng­lich dringt somit die Trü­be in die Sphä­re des Hei­li­gen nur mit einem mil­den, rei­ni­gen­den Schwamm ein, um den ver­bor­ge­nen Glanz zum Schei­nen zu brin­gen. Umge­kehrt, flößt der böse Geist auf dem Pil­ger­weg Ent­mu­ti­gung und Trüb­sal ein. Die Hin­der­nis­se wer­den als unüber­wind­ba­re Bar­rie­ren über­zeich­net, die Idea­le zu unrea­li­sier­ba­ren Phan­to­men mit einem schril­len­den Geläch­ter verzogen.

Die Stra­te­gien des guten Gei­stes in auf­stei­gen­den Spi­ra­len pro­mo­vie­ren uns mit Leib und See­le. Dage­gen bremst uns der schmut­zi­ge Geist ein, er hält uns zurück, stellt uns ein Bein. In deka­den­ten Lebens­la­gen wird die Stra­te­gie nicht unähn­li­che Zie­le ver­fol­gen, jedoch mit umge­kehr­tem Vor­zei­chen. Der schmut­zi­ge Beglei­ter prä­sen­tiert dann lau­te Zer­streu­ung, ein irre­füh­ren­des Schul­ter­klop­fen und unech­te Freu­den: „Amo­ris lae­ti­tia“?! – wäh­rend­des­sen der gute Beglei­ter mit einem furcht­ba­ren Gewis­sens­biß die Offen­si­ve eröff­nen und zu Umkehr ansta­cheln wird.

Mystik und /​ oder Dichtung?

Das ist alles gut und schön gesagt. Man wäre aber viel­leicht den­noch ver­sucht ein­zu­wen­den, das gute End­ergeb­nis sei zwar manch­mal oder mei­net­we­gen sogar oft­mals als abso­lut garan­tiert anzu­neh­men, aber der Pro­zeß der „Unter­schei­dung“ sel­ber wäre doch nicht für infal­libel zu hal­ten, den man nach einem fixen Rezept rou­ti­niert durch­füh­ren und risi­ko­los exer­zie­ren kön­ne. So lie­ße sich für ein monu­men­ta­les Cre­scen­do noch ein­mal der Ball­wer­fer von RAINER MARIA RILKE in den Zeu­gen­stand rufen, um der Sache der ehr­wür­di­gen Igna­tia­ni­schen Exer­zi­ti­en jenen Ernst zuspre­chen zu kön­nen, den ihr aus­ge­rech­net der libe­ra­le Rela­ti­vis­mus der füh­ren­den Jesui­ten Berg­o­glio, Nicolás und Sosa strei­tig und lächer­lich gemacht hat:

Solang du Selbst­ge­worf­nes fängst, ist alles
Geschick­lich­keit und läß­li­cher Gewinn –;
erst wenn du plötz­lich Fän­ger wirst des Balles,
den eine ewi­ge Mit-Spielerin
dir zuwarf, dei­ner Mit­te, in genau
gekonn­tem Schwung, in einem jener Bögen
aus Got­tes gro­ßem Brücken-Bau:
erst dann ist Fan­gen-Kön­nen ein Vermögen, –
nicht dei­nes, einer Welt. Und wenn du gar
zurück­zu­wer­fen Kraft und Mut besäßest,
nein, wun­der­ba­rer: Mut und Kraft vergäßest
und schon gewor­fen hät­test.…. (wie das Jahr
die Vögel wirft, die Wandervogelschwärme,
die eine ält­re einer jun­gen Wärme
hin­über­schleu­dert über Mee­re –) erst
in die­sem Wag­nis spielst du gül­tig mit.
Erleich­terst dir den Wurf nicht mehr; erschwerst
dir ihn nicht mehr. Aus dei­nen Hän­den tritt
das Mete­or und rast in sei­ne Räume…
(1922)

Zusammenfassung

Igna­ti­us und Ril­ke bestä­ti­gen ein­an­der gegen­sei­tig auf dem hal­ben Weg. Die letz­te Zei­le mag viel­leicht nach einer dich­te­ri­schen Über­trei­bung klin­gen, aber das Ball­spiel, Got­tes Brücken­bau, die Wan­der­vo­gel­schwär­me sind impo­san­te Meta­phern, die das Wesen der Exer­zi­ti­en erläu­tern. Die­se sind nichts ande­res als eine gewal­ti­ge Gewis­sens­for­schung und -bil­dung jener Chri­sten, die einen star­ken Wil­len und einen kla­ren Ver­stand haben. Mit einem klei­nen phi­lo­lo­gisch-ety­mo­lo­gisch-gram­ma­tisch anklin­gen­den Exkurs haben wir über­dies den wun­den Punkt: eine gewis­se eli­tä­re, bes­ser­wis­se­ri­sche Über­heb­lich­keit des Jesui­ten­or­dens von heu­te ent­deckt, der lei­der Got­tes durch­wegs libe­ral und rela­ti­vi­stisch denkt, im dia­lo­gi­schen Plau­der­ton bereits häre­tisch dif­fe­ren­ziert, und vor allem moder­ni­stisch hyper­ak­tiv ist.

Dazu muß­ten wir aller­dings etwas wei­ter aus­ho­len und die Kate­go­rien der „Igna­tia­ni­schen Unter­schei­dung“ in der spa­ni­schen Mut­ter­spra­che des Ordens bis auf die grie­chisch-römi­schen Wur­zeln zurück­ver­fol­gend unter die Lupe neh­men. Für eine schlüs­si­ge Beweis­füh­rung ist die deut­sche (aber auch die eng­li­sche) Spra­che allein nicht aus­rei­chend, da das genu­in ger­ma­ni­sche Voka­bu­lar in Bezug auf Dif­fe­ren­tia­tio­nen aller Art sehr beschränkt und stets auf latei­ni­sche Lehn­wör­ter ange­wie­sen ist.

Als Fazit kön­nen wir fest­hal­ten, daß im glo­ba­len Brei einer zuneh­mend undurch­sich­ti­gen Welt der Unter­schei­dung: Tren­nung und Defi­ni­ti­on der Gei­ster eine zuneh­men­de Bedeu­tung zukommt. Die­ser zwie­fa­chen Gabe kommt in der lau­fen­den Kri­se eine lebens­wich­ti­ge Rol­le zu, wel­che nur außer­halb des Syn­kre­tis­mus sich ent­fal­ten kann.

Und nun? Was ist die Moral aus der Geschicht’? Von Igna­ti­us führt kein Weg zum aktu­el­len Pon­ti­fi­kat der Zwei­deu­tig­kei­ten. Die Exer­zi­ti­en ori­en­tie­ren sich ja gera­de an der Objek­ti­vi­tät des Katho­li­schen sowohl im Innen­le­ben als auch im Theo­lo­gi­schen: Sie ver­mit­teln Regeln zum Füh­len mit der Kir­che, die heu­te eher steu­er­los in der Berg­o­glia­ni­schen Sub­jek­ti­vi­tät und Will­kür zu ver­sin­ken droht. Zur „Mut­ter Kir­che“ fin­den wir den Rück­weg erst, wenn wir uns mit ihrer rei­chen „Mut­ter­spra­che“ wie­der ver­traut machen und mit dem hl. Pau­lus frei­mü­tig beken­nen wer­den: „Civis roma­nus sum! Ein römi­scher Bür­ger bin ich!“ Ohne Matu­ra­zeug­nis in Latein kön­nen wir nur die Hälf­te ihrer Bot­schaft wirk­lich verstehen.

Die uni­ver­sa­le Ver­brei­tung der Zivi­li­sa­ti­on, die frü­her ein­mal euro­zen­trisch war, ist zwar ein irrever­si­bler, welt­wei­ter Pro­zeß, bedau­er­li­cher­wei­se avan­ciert sie zur Zeit nur auf tech­ni­schem, wirt­schaft­li­chem, kei­nes­falls jedoch auf gei­sti­gem Niveau. Alle Natio­nen und Völ­ker aus den ent­fern­te­sten Win­keln der Erde: wie Anglo- oder His­pa­no-Ame­ri­ka­ner (wie auch Papst Berg­o­glio und sein Gene­ral Arturo Sosa aus Vene­zue­la sel­ber), Euro­pä­er oder Afri­ka­ner, Asia­ten aus dem Nahen oder Fer­nen Osten (wie der Ex-Gene­ral Adol­fo Nicolás aus Japan), müs­sen sich in die grie­chisch-römi­sche Kul­tur, Geschich­te und Tra­di­ti­on invol­vie­ren, um mit festem Wil­len und Ver­stand Chri­sten zu sein bzw. wer­den zu kön­nen. Die ver­kehr­te Inkul­tu­ra­ti­on los­ge­lö­ster, christ­li­cher Ele­men­te und Bräu­che in die Stam­mes­re­li­gio­nen – wie Bud­dhis­mus, Schin­to­is­mus, Islam und der­glei­chen – för­dert dage­gen ledig­lich den Aberglauben.

*End­re A. Bár­d­os­sy war o. Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor in San Sal­va­dor de Jujuy, Argen­ti­ni­en, für Land­wirt­schaft­li­che Betriebswirtschafts­lehre und Lei­ter eines Semi­na­rio de Apli­ca­ción Inter­di­sci­pli­na­ria im Depart­a­men­to de Cien­ci­as Socio-Econó­micas an der Uni­ver­si­dad Nacio­nal de Cuyo, Men­do­za. Bei Katho​li​sches​.info ver­öf­fent­lich­te er u.a. den Auf­satz Kapi­ta­lis­mus ja? Libe­ra­lis­mus nein? – Erwei­ter­te Fas­sung.

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(1) Herrn MMag. Wolf­ram Schrems ist der Ver­fas­ser für zahl­rei­che Anre­gun­gen zu gro­ßem Dank verbunden.

(2) Zitiert nach der voll­stän­di­gen deut­schen Aus­ga­be „Die Hl. Schrift des Neu­en Bun­des“. Impri­matur Frei­burg im Breis­gau, den 24. August 1965. Gene­ral­vi­kar Dr. Föhr. Ver­lag Her­der 19664, S. 182.

(3) La San­ta Biblia. Über­set­zung Eva­ri­sto Martà­n Nieto. Mit Appro­ba­ti­on der Spa­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz vom 11. Febru­ar 1988. Edi­cio­nes Pau­li­nas, Madrid 19898, S. 1629.

(4) Gemoll: Grie­chisch-Deut­sches Schul- und Hand­wör­ter­buch, 1954, Kri­sis S. 453; Dia­k­ri­sis S. 200.

(5) Men­ge-Mül­ler: Lan­gen­scheidts Taschen­wör­ter­buch der latei­ni­schen und deut­schen Spra­che, 1937–195922.

(6) Rit­ter: Histo­ri­sches Wör­ter­buch de Phi­lo­so­phie. Band XI., S. 308.

(7) Horn­by-Parn­well: The Oxford English-Reader’s Dic­tion­a­ry. 1952–1989.

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1 Kommentar

  1. Wir sehen nun die Gefahr eines nicht­eu­ro­päi­schen Pap­stes, der in sei­nen tief­sten Wur­zeln nicht aus der Wie­ge des Chri­sten­tums kommt. Um nicht in die Irre zu gehen, müss­te er zumin­dest der Tra­di­ti­on treu blei­ben. Aber die ist ihm fern, weil sie nicht sei­ne Mut­ter ist. Von Lepan­to bis Les­bos. Was hat ein Euro­pa noch zu erwar­ten, das nun auch kei­ne reli­göse Füh­rung hat, die es und sei­ne Poli­tik an sei­ne Wur­zeln erinnert?

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