Kardinal Müller: „Kleine rechte und linke Fraktionen“ – „Evangelium verkünden, ohne es zu verraten“


Papst Franziskus mit Kardinal Müller
Papst Franziskus mit Kardinal Müller

(Rom) Seit Wochen hal­ten sich Gerüch­te, daß Kar­di­nal Ger­hard Mül­ler von Papst Fran­zis­kus als Prä­fekt der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on abge­löst wer­den könn­te. Der ehe­ma­li­ge Bischof von Regens­burg, den Bene­dikt XVI. acht Mona­te vor sei­nem uner­war­te­ten Amts­ver­zicht nach Rom beru­fen hat­te, ver­sucht den­noch durch schrift­li­che und münd­li­che Stel­lung­nah­men ein Gegen­ge­wicht zur Linie des Pap­stes zu bil­den, der­zeit vor allem zur Fra­ge der Zulas­sung wie­der­ver­hei­ra­te­ter Geschie­de­ner zu  den Sakra­men­te. Per­sön­lich demen­tiert Kar­di­nal Mül­ler das vehe­ment, wie im gestern von La Repubbli­ca ver­öf­fent­lich­ten Inter­view. Die Grat­wan­de­rung zwi­schen der Auf­ga­be als Glau­bens­wäch­ter einer­seits und der Tat­sa­che, daß er die­se Auf­ga­be nur als Mit­ar­bei­ter und Zuar­bei­ter im Auf­trag des Pap­stes ausübt.

„Kein Zögern, sexuellen Mißbrauch bei den Behörden zur Anzeige zu bringen“

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In der gest­ri­gen Sonn­tags­aus­ga­be ver­öf­fent­lich­te Pao­lo Roda­ri ein aus­führ­li­ches Inter­view mit Kar­di­nal Mül­ler. Roda­ri beglei­te­te als Vati­ka­nist der Tages­zei­tung Il Foglio wohl­wol­lend das Pon­ti­fi­kat von Papst Bene­dikt XVI. Mit der Wahl von Papst Fran­zis­kus wech­sel­te er 2013 zu La Repubbli­ca, der „ein­zi­gen“ Tages­zei­tung, die Fran­zis­kus laut eige­ner Anga­be regel­mä­ßig liest. Seit­her wur­de es lei­ser um den Journalisten.

Im Vor­spann zum Gespräch schreibt Roda­ri, daß Kar­di­nal Mül­ler „den Volks­mund demen­tiert, der ihn als ‚rech­ten‘ Wäch­ter gegen die ‚lin­ken‘ Öff­nun­gen von Fran­zis­kus“ sehen will. Anlaß für das Inter­view war das Erschei­nen der ita­lie­ni­schen Aus­ga­be von Kar­di­nal Mül­lers Buch „Die Bot­schaft der Hoff­nung“, so der deut­sche Titel. Das Buch war ori­gi­nal im Früh­jahr 2016 in spa­ni­scher Spra­che erschienen.

Der Kar­di­nal bekräf­tig­te im Gespräch die „Null­to­le­ranz“ für pädo­phi­le Prie­ster. Er for­der­te die Bischö­fe auf, sol­che Prie­ster zur Selbst­an­zei­ge zu drän­gen und sie andern­falls selbst zur Anzei­ge zu brin­gen. Eben­so rief er Ange­hö­ri­ge von betrof­fe­nen Min­der­jäh­ri­gen auf, Fäl­le bei den staat­li­chen Behör­den zur Anzei­ge zu bringen.

„Prie­ster sind Staats­bür­ger wie alle ande­re. Wenn sie eine Straf­tat bege­hen, sind sie dafür zivil- und straf­recht­lich zur Ver­ant­wor­tung zu zie­hen. Das ist der ein­zi­ge Weg, um eine Wie­der­ho­lung zu vermeiden.“

Gibt es an der Römischen Kurie eine Opposition gegen Papst Franziskus?

Roda­ri: Hat Fran­zis­kus Wider­sa­cher an der Römi­schen Kurie?

Kar­di­nal Mül­ler: Alle Kar­di­nä­le haben Theo­lo­gie stu­diert, alle ken­nen die Leh­re vom Papst­tum und vom Epi­sko­pat. Wir sind kom­pe­ten­te Prie­ster, die den Auf­trag des Pap­stes und des­sen Bedeu­tung für alle gut ken­nen. Wir leben mit Fran­zis­kus eine affek­ti­ve und effek­ti­ve Kol­le­gia­li­tät. Lei­der bemer­ken eini­ge Medi­en mehr die legi­ti­men Mei­nungs­un­ter­schie­de und nicht die gro­ße Har­mo­nie. Der Papst ist der 266. Nach­fol­ger des Petrus, und jeder, er ein­schließ­lich, hat sei­ne Geschich­te. Die­se Indi­vi­dua­li­tät ist die Form, in der jeder sei­nen Auf­trag erfüllt. Fran­zis­kus hat die Beson­der­heit, von einem außer­eu­ro­päi­schen Kon­ti­nent zu kom­men. Die­ser Unter­schied von ihm ist kost­bar für uns.

Roda­ri: Vor allem im Inter­net fehlt es nicht an jenen, die Ihre Stel­lung­nah­men zur Glau­bens­leh­re dem ent­ge­gen­set­zen, was der Papst sagt …

Kar­di­nal Mül­ler: Das sind klei­ne rech­te und lin­ke Frak­tio­nen, die mich und den Papst gebrau­chen, um unter­ein­an­der zu strei­ten. Das sind ideo­lo­gi­sche Posi­tio­nen, die ich mit­nich­ten tei­le. Übri­gens wird bald ein Buch von mir über den Papst und das Papst­tum erschei­nen. [Die deut­sche Ori­gi­nal­aus­ga­be ist am 20. Febru­ar erschie­nen, Anm. der Red.] Wir alle die­nen dem Wir­ken des Pap­stes. Wir arbei­ten zusam­men, um sei­nem Auf­trag zu dienen.

Roda­ri: Den­ken Sie, daß Fran­zis­kus bei der Kom­mu­ni­on für die wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen einen neu­en Schritt fordert?

Kar­di­nal Mül­ler: Wir haben die Bot­schaft Jesu und der Bibel, die kla­re Wor­te zum Fun­da­ment der Ehe im Heils­wil­len Got­tes spricht. Die sozio­lo­gi­schen Bedin­gun­gen ändern sich, aber man muß sich auch ver­ge­gen­wär­ti­gen, daß es ver­schie­de­ne Anthro­po­lo­gien gibt, die unse­re, auf dem Wort Got­tes gegrün­de­te, nicht akzep­tie­ren. Das Evan­ge­li­um ist zu ver­kün­den, ohne es zu ver­ra­ten. Fran­zis­kus will mit der Pre­digt und dem Zeug­nis des christ­li­chen Lebens das Volk Got­tes die Nähe des Guten Hir­ten spü­ren lassen.

Roda­ri: Was bedeu­tet, die Barm­her­zig­keit leben?

Kar­di­nal Mül­ler: Gott ist kein kal­ter Gesetz­ge­ber, son­dern ein gegen­wär­ti­ger, naher Gott. Bereits im Alten Testa­ment hat Gott sei­ne Nähe zu sei­nem Volk bewie­sen, indem er es aus der Skla­ve­rei befrei­te und ihm Milch und Honig schenk­te. Jesus war barm­her­zig gegen­über den Bedürf­ti­gen, den Kran­ken … Die Barm­her­zig­keit leben, heißt, das Evan­ge­li­um ganz leben.

Roda­ri: Besteht die Gefahr, daß das Behar­ren auf der Lie­be den Umstand in den Hin­ter­grund drängt, daß die Wahr­heit für die Gläu­bi­gen einen Namen hat: Jesus Christus?

Kar­di­nal Mül­ler: Es besteht kein Wider­spruch. Gott ist der Schöp­fer aller Men­schen und liebt alle. Jeder hat aber eine Iden­ti­tät und ist zu respek­tie­ren. Jesus wird nicht in den Hin­ter­grund gedrängt. Das Behar­ren auf der Lie­be heißt viel­mehr, die Spra­che Jesu zu spre­chen. Jüngst hat Fran­zis­kus die Ver­tre­ter ande­rer Kul­tu­ren getrof­fen. Ihnen hat er gesagt: „Auch wenn wir nicht die­sel­be Spra­che spre­chen, kön­nen wir uns ver­ste­hen, weil wir die Spra­che des Hei­li­gen Gei­stes spre­chen, die Liebe.“

Text/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: La Repubbli­ca (Screen­shot)

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