Ex-Jesuitengeneral: „Evangelisierung Japans nur durch Allianz mit Buddhismus und Shintoismus“ – „Keine Jesuiten mehr als Bischöfe“


Der ehemalige Jesuitengeneral Adolfo Nicolás mit Papst Franziskus: "Keine Jesuiten mehr als Bsichöfe"
Der ehemalige Jesuitengeneral Adolfo Nicolás mit Papst Franziskus: "Keine Jesuiten mehr als Bischöfe"

(Tokio) Für den frü­he­ren Ordens­ge­ne­ral der Jesui­ten, Adol­fo Nicolás Pachon, ist eine Evan­ge­li­sie­rung in Japan nur in einem Bünd­nis mit dem Bud­dhis­mus und dem Shin­to­is­mus mög­lich. Zudem sei es für den Orden „gut“, daß Papst Fran­zis­kus kei­ne Jesui­ten mehr zu Bischö­fen ernen­nen will.

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Der Spa­ni­er Adol­fo Nicolás war von 2008–2016 30. Ordens­ge­ne­ral der Gesell­schaft Jesu. Obwohl auf Lebens­zeit gewählt, kün­dig­te er nach Rück­spra­che mit Papst Fran­zis­kus, der selbst dem Jesui­ten­or­den ange­hört, im Mai 2014 sei­nen Rück­tritt an, der im Herbst 2016 voll­zo­gen wur­de. Zugleich wur­de im ver­gan­ge­nen Okto­ber von der 35. Gene­ral­kon­gre­ga­ti­on des 1534 gegrün­de­ten Ordens der Vene­zo­la­ner Arturo Sosa zum 31. Ordens­ge­ne­ral gewählt.

„Wie können wir von neuer Evangelisierung sprechen, ohne die Fehler der alten zu erkennen?“

In einem Inter­view mit der Wochen­zei­tung Alfa y Ome­ga nahm Adol­fo Nicolás zur Fra­ge der Chri­stia­ni­sie­rung Japans Stel­lung. Die Fra­ge stand in direk­tem Zusam­men­hang mit den seit Anfang Febru­ar im deut­schen Sprach­raum gezeig­ten Kino­film Silence von Mar­tin Scor­se­se. Der Film schil­dert die bru­ta­le Chri­sten­ver­fol­gung in Japan in der ersten Hälf­te des 17. Jahr­hun­derts. Die Haupt­fi­gu­ren des Films sind Jesui­ten. Der Orden trug maß­geb­lich die im 16. Jahr­hun­dert begon­ne­ne Mis­sio­nie­rung Japans. Wäh­rend der Jesui­ten­or­den den Film posi­tiv bewer­tet, und Scor­se­se von Papst Fran­zis­kus in Audi­enz emp­fan­gen wur­de, sehen ande­re Katho­li­ken den Film kri­tisch als Pro­dukt des moder­nen Rela­ti­vis­mus, der auf ein histo­ri­sches The­ma rück­pro­ji­ziert wird und des­sen Dar­stel­lung verzerrt.

Im Inter­view sprach der ehe­ma­li­ge „Schwar­ze Papst“, wie der Ordens­ge­ne­ral der Jesui­ten auch genannt wird, von „Feh­lern, die wir wie über­all began­gen haben“. Der „Haupt­feh­ler“ bei der Evan­ge­li­sie­rung Japans sei es gewe­sen, „nicht ver­stan­den zu haben, in die Kul­tur und das Leben sei­ner Men­schen einzutreten“.

„Ohne Allianzen mit Buddhismus und Shintoirmus ist keine Evangelisierung Japans möglich“

Buddha in japanischem Tempel
Bud­dha in japa­ni­schem Tempel

Adol­fo Nicolás geht im Zusam­men­hang mit dem Scor­se­se-Film auf den Roman ein, auf den der Film auf­baut. Als der Roman „Schwei­gen“ des japa­ni­schen Katho­li­ken Shus­aku Endo 1966 erschien, löste er in Japan hef­ti­ge Kon­tro­ver­sen aus. Es sei­en weni­ger die Jesui­ten gewe­sen, die ihn kri­ti­siert hät­ten, so Adol­fo Nicolás, son­dern der Diö­ze­san­kle­rus. „Weil der Diö­ze­san­kle­rus pro­ble­ma­ti­siert, daß die Japa­ner das Chri­sten­tum nicht ver­ste­hen. Das Buch reg­te aber zum Nach­den­ken an, und alles was zum Nach­den­ken anregt, ist gut“, so Nicolás.

„Ich glau­be, daß kei­ne Evan­ge­li­sie­rung nicht mög­lich ist ohne Alli­an­zen mit dem Bud­dhis­mus und dem Shin­to­is­mus.“ Der Vor­wurf Nicolás an die christ­li­chen Mis­sio­na­re in Japan lau­tet, den Bud­dhis­mus und Shin­to­is­mus zu wenig stu­diert zu haben und jeden­falls nicht auf die Wei­se, die sie „ver­die­nen“. Er habe an der Syn­ode über die Neue­van­ge­li­sie­rung (2012) teil­ge­nom­men, doch es sei „nie über die Feh­ler der alten Evan­ge­li­sie­rung gespro­chen“ wor­den. „Wie kön­nen wir von einer Neue­van­ge­li­sie­rung spre­chen, ohne zu erken­nen, daß etwas bei der alten Evan­ge­li­sie­rung gefehlt hat? Ich den­ke, daß das Inter­es­se von ‚Schwei­gen‘ dahin geht.“

„Buddhismus hat tiefe christliche Wurzeln“ – „Sie brauchen keinen gerechten Gott“

Alfa y Ome­ga frag­te den ehe­ma­li­gen Jesui­ten­ge­ne­ral wel­che mög­li­chen Ver­bin­dun­gen er zwi­schen dem Chri­sten­tum und der japa­ni­schen Kul­tur sehe.

Statue in einem Shinto-Tempel
Sta­tue in einem Shinto-Tempel

„Der Bud­dhis­mus, glau­be ich, hat tie­fe christ­li­che Wur­zeln“, so Nicolás. Das gel­te vor allem für das „Los­las­sen, die Über­zeu­gung, daß alles vor­über­ge­hend ist, und die Din­ge in sich eine Schön­heit haben“. Und wei­ter: „Der Bud­dhis­mus ist vor allem Medi­ta­ti­on und Tod, wäh­rend der Shin­to­is­mus Leben und Zele­bra­ti­on ist. Des­halb sagt man, daß die Japa­ner als Shin­toisten gebo­ren wer­den, als Katho­li­ken hei­ra­ten und als Bud­dhi­sten sterben.“

Ein latein­ame­ri­ka­ni­scher Kar­di­nal habe ihm bei einem Japan-Besuch gesagt, daß die Japa­ner die Barm­her­zig­keit Got­tes nicht ver­ste­hen kön­nen. Nicolás sieht hin­ge­gen gera­de dar­in eine „Ver­bin­dung“ zwi­schen der japa­ni­schen Kul­tur und dem Chri­sten­tum: „Denn das Mit­leid ist die tief­ste bud­dhi­sti­sche Tugend. Sie brau­chen kei­nen gerech­ten Gott. Für sie war es die beste Sache von [Papst] Fran­zis­kus als er auf die Fra­ge zu den Homo­se­xu­el­len ant­wor­te­te: ‚Wer bin ich, um über ande­re zu urtei­len‘. Wenn eine Per­son von der Gesell­schaft bereits beur­teilt und ver­ur­teilt wur­de, ist es wich­tig, daß der Papst das sagt. Das Evan­ge­li­um sagt uns, daß wir nicht ver­ur­tei­len sol­len, damit wir nicht ver­ur­teilt werden.“

Buddhismus „kein Produkt des Teufels, sondern ein Werk des Geistes“

Der „Schlüs­sel die­ses Pon­ti­fi­kats“ ist die „Unter­schei­dung“, das habe Papst Fran­zis­kus gegen­über den pol­ni­schen Jesui­ten ange­mahnt. Es brau­che mehr „Vor­be­rei­tung“ für die Unter­schei­dung. Es gebe noch zu vie­le, die der Mei­nung sei­en, daß der Wil­le Got­tes schon fest­ste­he, der aber sei „offen“. Das habe zur Fol­ge, daß das „Licht in ande­ren Reli­gio­nen immer als Schat­ten gese­hen“ wer­de, „und das bringt uns eini­ge Pro­ble­me“. Dazu gehö­re es „zu ver­ste­hen, daß die ande­ren Reli­gio­nen das Beste sind, das uns eine Kul­tur bie­ten kann. Die asia­ti­schen Kul­tu­ren zum Bei­spiel haben den Bud­dhis­mus her­vor­ge­bracht: Das ist ihre beste Frucht. Und doch gab es eine Zeit, da wir dach­ten, und ich dach­te es auch, daß die­se Reli­gi­on ein Pro­dukt des Teu­fels sei, in Wirk­lich­keit ist sie das Werk des Gei­stes. Heu­te ver­ste­hen wir das besser.“

Wie aber kön­ne man unter­schei­den, wel­che Tei­le einer Reli­gi­on „ein Pro­dukt der Men­schen und wel­che gött­li­che Bewe­gun­gen sind“, will die Wochen­zei­tung vom ehe­ma­li­gen Jesui­ten­ge­ne­ral wissen:

„Die Syn­the­se liegt in den mensch­li­chen Bezie­hun­gen. Dar­über den­ke ich viel nach: Wenn ich nach Asi­en rei­se, füh­le ich mich in Hong Kong, Bang­kok oder Tokio sofort zu Hau­se, wäh­rend ich mich in Euro­pa nicht zu Hau­se fühle.“

In Anspie­lung auf das Her­ren­wort „Ich bin der Weg, die Wahr­heit und das Leben“ sag­te Nicolás: Euro­pa stüt­ze sich „in sei­nen Bezie­hun­gen viel­leicht auf die Wahr­heit“. Die Reli­gio­nen Asi­ens „sind der Weg“. Die Mis­sio­na­re sei­en nach Asi­en gekom­men und hät­ten von der Wahr­heit gespro­chen, aber die Men­schen nicht getrof­fen. Asi­en sei der Weg, wäh­rend Euro­pa und die USA sich um die Wahr­heit sor­gen „und wie sie defi­nie­ren“. Latein­ame­ri­ka und Afri­ka hin­ge­gen sei­en „das Leben“ und hät­ten Wer­te, „die wir ver­ges­sen haben wie die Fami­lie, die Kin­der, die Freund­schaft … Wir brau­chen die gan­ze Welt, um der Fül­le Chri­sti zu begegnen.“

„Habe versucht“, in meiner Amtszeit „offen“ zu sein.

Er habe in sei­ner Amts­zeit als Ordens­ge­ne­ral „kein spe­zi­el­les Pro­gramm“ ver­folgt, son­dern ver­sucht „offen“ zu sein für alle Kon­ti­nen­te und Kul­tu­ren. „Denn in allem ist Gott, und in allem kön­nen wir Zei­chen sei­ner Gegen­wart begeg­nen. Die­se Offen­heit hat mir am mei­sten geholfen.“

Zum beson­de­ren Cha­ris­ma der Jesui­ten sag­te Nicolás, daß Papst Fran­zis­kus als Jesu­it und Bischof den Prä­fek­ten der Bischofs­kon­gre­ga­ti­on geru­fen und ihm gesagt habe:

„Kei­ne Jesui­ten mehr!“

Die Beru­fung eines Jesui­ten füh­re ihn an die Gren­zen, die Beru­fung des Bischofs sei es hin­ge­gen, die Her­de zu wei­den. Aus die­sem Grund soll­ten Jesui­ten kein Bischofs­amt inne­ha­ben. „Und ich glau­be, daß das gut ist für die Gesell­schaft (den Jesui­ten­or­den)“, so der ehe­ma­li­ge Ordensgeneral.

Der Tod von Kar­di­nal Car­lo Maria Mar­ti­ni (2012), eines „gro­ßen Jesui­ten des 20. Jahr­hun­derts“, so Alfa y Ome­ga, sei neben der Wahl von Papst Fran­zis­kus eine wei­te­re „wich­ti­ge Etap­pe für den Orden“ gewe­sen. Dazu Pater Nicolás:

„Natür­lich. Kar­di­nal Mar­ti­ni ist eine der Per­so­nen, die die gan­ze Kir­che beein­flus­sen, kon­kret durch sei­ne Offen­heit, sei­ne Fähig­keit Fra­gen und Pro­ble­me auf­zu­wer­fen und vor nichts zurück­zu­wei­chen. Die Schei­dung. zum Bei­spiel, beein­druck­te ihn nicht, weil er sei­ne geschie­de­ne Schwe­ster hat­te und per­sön­lich wuß­te, daß die Schei­dung nicht das letz­te Wort ist, daß es ande­res in einer Per­son gibt, das viel mehr zählt.“

Und sein Nachfolger Arturo Sosa?

„Ich wün­sche ihm, in Offen­heit und mit Ver­trau­en sich mit den The­men zu befas­sen, die auf ihn zukom­men, denn er ist sehr qua­li­fi­ziert, um auf die Pro­ble­me zu reagie­ren.“ Nicolás habe sich mit dem vene­zo­la­ni­schen Pro­vin­zi­al aus­ge­söhnt. Der sei strikt gegen die Wahl Sosas zum neu­en Gene­ral gewe­sen, weil er ihn in Vene­zue­la gebraucht habe. Inzwi­schen habe der Pro­vin­zi­al erkannt, daß Pater Sou­sa dem gan­zen Orden die­nen müsse.

„Er ist ein sehr effi­zi­en­ter Mann. Ich nen­ne ihn ‚Feu­er­wehr­mann Num­mer Eins‘, weil er vie­le Feu­er gelöscht hat. Wenn er eine Sache in die Hand nimmt, dann läßt er sie nicht mehr los, bis er nicht eine Lösung gefun­den hat. Des­halb glau­be ich, daß sei­ne Wahl sehr gut war.“

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Infovaticana/​Asianews

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