Die Miterlöserschaft Mariens – Ein Paradigma für jeden Christen


Pietà von Giovanni Bellini (1505)
Pietà von Giovanni Bellini (1505)

von Dr. Mar­kus Büning*

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Das ist mal eine gute Nach­richt: Es gibt wie­der eine ernst­haf­te For­de­rung an den Hei­li­gen Vater, die Mit­erlö­ser­rol­le Mari­ens zu dog­ma­ti­sie­ren. Katho​li​sches​.info berich­te­te darüber.

In den letz­ten Jahr­zehn­ten wur­de von den mei­sten Theo­lo­gen des deut­schen Sprach­ge­bie­tes die­ser Titel Mari­ens eher kri­tisch gese­hen. Weit­läu­fig hält man die­sen Titel für inop­por­tun, ins­be­son­de­re im Hin­blick auf die getrenn­ten Brü­der und Schwe­stern. Selbst Papst Bene­dikt XVI. steht die­sem Titel wegen sei­ner begriff­li­chen Miss­ver­ständ­lich­keit kri­tisch gegen­über. In dem im Jahr 2000 erschie­ne­nen Buch „Gott und die Welt“ (Inter­view mit Peter See­wald) äußer­te sich der dama­li­ge Kar­di­nal Joseph Ratz­in­ger im Abschnitt „Von den Dog­men“ wie folgt zum The­ma „Maria Miterlöserin“:

„Die Ant­wort der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on dar­auf lau­tet, dass das, was damit gemeint ist, in ande­ren Titeln Mari­as schon auf bes­se­re Wei­se aus­ge­sagt ist, wäh­rend die For­mel ‚Mit­erlö­se­rin‘ sich von der Spra­che der Schrift und der Väter zu weit ent­fernt und daher Miss­ver­ständ­nis­se her­vor­ruft. Was ist rich­tig dar­an? Nun, rich­tig ist, dass Chri­stus nicht außer­halb von uns oder neben uns ste­hen­bleibt, son­dern mit uns eine tie­fe, neue Gemein­schaft bil­det. Alles, was sein ist, wird unser, und alles, was unser ist, hat er ange­nom­men, so dass es sein wur­de: Die­ser gro­ße Aus­tausch ist der eigent­li­che Inhalt der Erlö­sung, die Ent­schrän­kung des Ich und das Hin­ein­rei­chen in die Gemein­schaft mit Gott. Weil Maria die Kir­che als sol­che vor­weg­nimmt und sozu­sa­gen Kir­che in Per­son ist, ist die­ses ‚Mit‘ in ihr exem­pla­risch ver­wirk­licht. Aber über die­sem ‚Mit‘ darf man nicht das ‚Zuerst‘ Chri­sti ver­ges­sen. Alles kommt von ihm, wie beson­ders der Ephe­ser- und der Kolos­s­erbrief sagen; auch Maria ist alles, was sie ist, durch ihn. Das Wort ‚Mit­erlö­se­rin‘ wür­de die­sen Ursprung ver­dun­keln. Eine rich­ti­ge Inten­ti­on drückt sich in einem fal­schen Wort aus. Für die Din­ge des Glau­bens ist gera­de die Kon­ti­nui­tät mit der Spra­che der Schrift und der Väter wesent­lich; die Spra­che ist nicht belie­big manipulierbar.“

Die­ser Argu­men­ta­ti­on ver­mag ich nicht zu fol­gen. Wenn dem grund­sätz­lich so wäre, dann dürf­te man streng genom­men kei­ne Theo­lo­gie mehr betrie­ben, da unse­re mensch­li­che Aus­drucks­mög­lich­keit immer miss­ver­ständ­lich ist. Das Dog­ma von der Drei­fal­tig­keit Got­tes kann auch miss­ver­stan­den wer­den. Die Theo­lo­gie muss sich aller­dings bemü­hen, den Inhalt die­ses Begrif­fes schrift- und tra­di­ti­ons­ge­mäß zu erklä­ren. Wenn Ratz­in­ger hier Recht hät­te, dürf­te man Maria auch nicht als „Mitt­le­rin aller Gna­den“ anru­fen, ist doch Chri­stus der ein­zi­ge Mittler.

Wor­um geht es hier eigent­lich? Es geht dar­um, mit der Aner­ken­nung des Titels „Mit­erlö­se­rin“ das Mosa­ik über die Got­tes­mut­ter dahin­ge­hend zu ver­voll­stän­di­gen, dass sie als die neue Eva an der Sei­te des neu­en Adams beim Erlö­sungs­werk als Gefähr­tin des Herrn betei­ligt gewe­sen ist. Hier­für strei­tet bereits die Bot­schaft der Hei­li­gen Schrift. Die Erwäh­lung Mari­ens beschränkt sich doch nicht „nur“ dar­auf, dass sie den ewi­gen Logos in ihrem Mut­ter­schoß aus­trägt und zur Welt bringt. Dar­auf hat der Die­ner Got­tes Albi­no Lucia­ni in einem Vor­trag über Maria so hingewiesen:

„Sie wur­de nicht bloß pas­siv von Gott benutzt, son­dern hat in frei­em Glau­ben und Gehor­sam zum Heil der Men­schen mitgewirkt.“

Ja, Maria hat aktiv mit­ge­wirkt. Mit ihrem ganz in Frei­heit gespro­che­nen „Ja!“ gegen­über dem Erz­engel Gabri­el hat sie das Tor zur Mensch­wer­dung auf­ge­macht. Dar­um ist sie ja auch die „Pfor­te des Heils“. Der Hl. Bern­hard von Clairvaux beschreibt die Dra­ma­tur­gie die­ses Momen­tes wie folgt:

„Die gan­ze Welt war­tet auf Dein ‚Ja!‘, Maria!“

Christus krönt Maria im Himmel (Santa Maria Maggiore, Rom, Apsis, 1292)
Chri­stus krönt Maria im Him­mel (San­ta Maria Mag­gio­re, Rom, Apsis, 1292)

Dann die Art und Wei­se, wie der Herr sein erstes Wun­der nach Johan­nes wirkt. Sei­ne Mut­ter ist es, die hier als Ver­mitt­le­rin tätig wird: „Was er euch sagt, das tut!“ Auch hier ist sie wie­der die ganz Mit­wir­ken­de an der Sei­te ihres Soh­nes. Der Höhe­punkt ist dann ihr „Sta­bat!“ unter dem Kreuz. Sie ver­lässt den Sohn nicht. Nein, sie ist stand­haft, sie steht. Sie lei­det mit und nimmt den Schmerz auf sich, ihren unschul­di­gen Sohn am Kreuz elen­dig ster­ben zu sehen. Hier steht sie als die neue Eva unter dem Baum des Kreu­zes, dem Baum des Neu­en Bun­des, an dem das Heil für alle Welt erwirkt wird. An die­sem Pfahl der Schan­de hängt ihr Sohn, der neue Adam. Hier wird dann ganz deut­lich, dass sie durch das Mit-Lei­den auch Anteil hat am Erlö­sungs­werk ihres Soh­nes. Dadurch wird sie zutiefst Mit-Erlö­se­rin, opfert sie doch in die­sem Moment ihren Schmerz dem ewi­gen Vater auf.

Und genau hier kom­men wir zu einem Punkt, der uns alle angeht: Auch wir kön­nen von Gott den Ruf emp­fan­gen, Anteil am Erlö­sungs­werk Chri­sti zu haben. Hier kommt einem unwei­ger­lich das eben­falls schwer ver­ständ­li­che Wort des hl. Pau­lus in den Sinn:

„Jetzt freue ich mich in den Lei­den, die ich für euch ertra­ge. Für den Leib Chri­sti, die Kir­che, ergän­ze ich das, was an den Lei­den Chri­sti noch fehlt.“ (Kol 1,24).

Hat Chri­stus denn nicht alles für uns getan? Der hl. Johan­nes Paul II. hat die­se Stel­le für uns wie folgt ausgelegt:

„Das Lei­den Chri­sti hat das Gut der Erlö­sung der Welt erwirkt. Die­ses Gut ist in sich uner­schöpf­lich und gren­zen­los. Kein Mensch ver­mag ihm etwas hin­zu­zu­fü­gen. Zugleich jedoch hat Chri­stus im Geheim­nis der Kir­che als sei­nes Lei­bes gewis­ser­ma­ßen sein Erlö­ser­lei­den jedem ande­ren Lei­den des Men­schen geöff­net. Inso­fern der Mensch – an jedem Ort der Welt und in jeder Zeit der Geschich­te – an den Lei­den Chri­sti teil­hat, ergänzt er auf sei­ne Wei­se jenes Lei­den, durch das Chri­stus die Erlö­sung der Welt voll­bracht hat.“

Das für uns auf den ersten Blick sinn­lo­se Lei­den kann frucht­brin­gend für die gan­ze Kir­che ein­ge­setzt wer­den, wenn man bereit ist, das Kreuz in die­sem Sin­ne anzu­neh­men. Ganz in die­ser Gesin­nung hat Maria ihr Leid unter dem Kreuz ange­nom­men und in der Ver­bun­den­heit mit dem lei­den­den Erlö­ser auch durch­lebt. Das Lei­den wur­de so für sie zum Ort der Gegen­wart Got­tes. Auch der Welt­ka­te­chis­mus betont den wert­vol­len Aspekt des Lei­dens mit Chri­stus als eine Frucht des Emp­fangs der Krankensalbung:

„Durch die Gna­de die­ses Sakra­men­tes erhält der Kran­ke die Kraft und die Gabe, sich mit dem Lei­den des Herrn noch inni­ger zu ver­ei­nen. Er wird gewis­ser­ma­ßen dazu geweiht, durch die Gleich­ge­stal­tung mit dem erlö­sen­den Lei­den des Hei­lands Frucht zu tra­gen. Das Lei­den, Fol­ge der Erb­sün­de, erhält einen neu­en Sinn: es wird zur Teil­nah­me am Heils­werk Jesu.“

Es geht also um die tie­fe geist­li­che Mög­lich­keit der Teil­nah­me am Heils­werk Jesu Chri­sti. Hier­zu sind wir alle beru­fen! Auch wir kön­nen unse­re Lebens­kreu­ze in die­ser Hal­tung der Frucht­bar­keit des Erlö­sungs­wer­kes Chri­sti zuwen­den. Maria ist uns hier­in durch ihre aus­dau­ern­de Hal­tung unter dem Kreuz das Vor­bild. Ihr, der Mit­erlö­se­rin, kön­nen wir in die­ser Gott­er­ge­ben­heit fol­gen. Dar­um schrieb der Hei­li­ge Gabri­el Pos­sen­ti in sei­nem „Sim­bo­lo del­la Madon­na“ wie folgt:

„Wenn ich dir fol­ge, wer­de ich nicht vom Weg abir­ren; wenn ich dich anru­fe, wer­de ich nicht ver­zwei­feln; wenn du mich hältst, wer­de ich nicht fal­len; unter dei­ner Füh­rung wer­de ich nie­mals ermü­den, und wenn du mir gnä­dig bist, wer­de ich zu dir gelan­gen. Ich glau­be, dass du die Mit­erlö­se­rin bei unse­rer Erlö­sung bist.“

In die­ser Stro­phe bringt Gabri­el sei­ne ver­trau­ens­vol­le Hal­tung gegen­über Maria ganz tief zum Aus­druck. Wer ihr folgt und so ein­stimmt in die Hal­tung ihrer Nach­fol­ge, der kann nicht vom rech­ten Weg abir­ren. Maria ist der Garant dafür, dass man nicht ver­lo­ren­geht. Wer sich an die Hand Mari­ens begibt, der wird nicht fal­len. Die Bin­dung an die Got­tes­mut­ter färbt auf unse­re Lebens­füh­rung ab. Durch sie kön­nen wir den Weg fin­den, uns vom Joch der Sün­de zu lösen. Wer sich der ganz Rei­nen anver­traut, kann von sei­ner Unrein­heit, von sei­nen Schwä­chen immer mehr befreit wer­den. Denn Maria hat ja nichts ande­res im Sinn als unser Heil. Sie will, dass wir durch das Lei­den und Ster­ben unse­res Herrn und Hei­lands zur Erlö­sung gelan­gen. Ganz tref­fend nennt Gabri­el sie daher auch Mit­erlö­se­rin. Gott selbst hat sie als Gefähr­tin sei­nes Heils­wer­kes aus­er­wählt. Sie steht immer an der Sei­te ihres Soh­nes und tritt für uns bei ihm ein. Sie erbit­tet immer wie­der das Wun­der der Hoch­zeit zu Kana (vgl. Joh 2,1–12). Ja, sie selbst steht unter dem Kreuz und lei­det mit ihrem Sohn, sie ist in ihrer Mit­lei­den­schaft ganz prä­sent im gro­ßen Erlö­sungs­werk ihres Soh­nes. Es bleibt zu hof­fen, dass die Kir­che bald auch ganz offi­zi­ell Maria die­sen Titel zuerkennt.

Vor die­sem Hin­ter­grund kann die Aner­ken­nung die­ses maria­ni­schen Titels auch dazu füh­ren, allen Chri­sten die damit ver­bun­de­ne Per­spek­ti­ve der Kreu­zes­nach­fol­ge auf maria­ni­sche Wei­se neu nahe zu brin­gen. Inso­fern ist die­ser Titel para­dig­ma­tisch für die gan­ze Christenheit.

*Mar­kus Büning, gebo­ren 1966 in Ahaus (West­fa­len), stu­dier­te katho­li­sche Theo­lo­gie und Phi­lo­so­phie in Mün­ster in West­fa­len und Mün­chen. Nach sei­nem erfolg­rei­chen Stu­di­en­ab­schluß absol­vier­te er ein Stu­di­um der Rechts­wis­sen­schaf­ten an den Uni­ver­si­tä­ten von Kon­stanz und Mün­ster und wur­de 2001 in Mün­ster zum Dok­tor der Rechts­wis­sen­schaf­ten pro­mo­viert. Nach Tätig­kei­ten als Assi­stent an den Uni­ver­si­tä­ten Kon­stanz und Mün­ster trat er als Jurist in den Ver­wal­tungs­dienst. Der aus­ge­wie­se­ne Kir­chen­recht­ler ver­öf­fent­lich­te zahl­rei­che Publi­ka­tio­nen zu kir­chen­recht­li­chen und theo­lo­gi­schen The­men und über Hei­li­ge. Dr. Mar­kus Büning ist ver­hei­ra­tet und Vater von zwei Kindern.

Bild: Wiki­com­mons

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