„Reißt diesen Tempel nieder“ – Logik einer Abbruchkirche


Ehemalige Pfarrkirche St. Antonius von Padua (in Wien 15), heute Kirche der rumänisch-orthodoxen Kirche
Ehemalige Pfarrkirche St. Antonius von Padua (in Wien 15), heute Kirche der rumänisch-orthodoxen Kirche

(Wien) Unter dem Titel „Reißt die­sen Tem­pel nie­der“ ver­faß­te Pfar­rer Mar­tin Rup­p­recht, Dechant des 15. Wie­ner Gemein­de­be­zir­kes, einen Gast­kom­men­tar in der Wie­ner Zei­tung. Der bezeich­nen­de Unter­ti­tel lau­tet: „War­um wir noch mehr Kir­chen ver­schen­ken soll­ten“. Wenig ver­wun­der­lich, daß der Kom­men­tar sogar dem links­la­sti­gen und „kir­chen­kri­ti­schen“ ORF eine Mel­dung wert war.

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In sei­nem Bezirk waren 1972 von 74.000 Ein­woh­nern 68.700 Katho­li­ken. 2016 sind es bei fast „gleich­blei­ben­der Ein­woh­ner­zahl nur noch 21.000“. Von fast 93 Pro­zent auf weni­ger als 27 Pro­zent in 44 Jah­ren Jah­ren. Durch Pfarr­zu­sam­men­le­gun­gen im Zuge des „Diö­ze­sa­nen Ent­wick­lungs­pro­zes­ses“ des Erz­bis­tums Wien wur­den von den einst sie­ben Pfarr­kir­chen inzwi­schen zwei an ortho­do­xe Kir­chen abge­tre­ten. Die Kir­che St. Anto­ni­us von Padua, bis 1972 samt Klo­ster der Barm­her­zi­gen Schwe­stern, dient seit 2014 als rumä­nisch-ortho­do­xen Kir­che. Die Kir­che Maria vom Sie­ge, die an die Schlacht am Wei­ßen Berg bei Prag 1620 und den Sieg der Katho­li­schen Liga erin­nert, wur­de 2015 der kop­tisch-ortho­do­xen Kir­che geschenkt. Die Nut­zung mag man noch als sinn­voll betrach­ten. Es geht aber um den rapi­den Nie­der­gang der katho­li­schen Kir­che in einer katho­li­schen Groß­stadt mit­ten in Europa.

Der Pfar­rer beklagt den Exodus, der aber nur einen Teil des Schrump­fungs­pro­zes­ses erklärt. Über ande­re Tei­le schweigt sich der Pfar­rer lie­ber poli­tisch kor­rekt aus. Die Abtre­tung der bei­den Kir­chen an ortho­do­xe Gemein­den las­sen es erah­nen. 52 Pro­zent der Bewoh­ner des 15. Wie­ner Gemein­de­be­zir­kes sind laut amt­li­cher Sta­ti­stik „aus­län­di­scher Her­kunft“. Nur eine Min­der­heit stammt aus katho­li­schen Ländern.
Er beklagt auch, und zu recht, die „ver­zwei­fel­te Insti­tu­ti­ons­psy­cho­lo­gie“, wenn es den­noch im kirch­li­chen Jah­res­be­richt heißt: „Unse­re Zah­len blei­ben stabil“.

Wel­chen Lösungs­an­satz benennt Dekan Rup­p­recht aber?

„Die Kir­che kann nicht mehr von der Selbst­ver­ständ­lich­keit aus­ge­hen, dass sie für die Gesell­schaft als not­wen­dig emp­fun­den wird. Dar­um muss sie neu bewei­sen, dass es sinn­voll ist, als Mit­glied dabei zu sein. Sie muss bewei­sen, dass sich ihre Exi­stenz posi­tiv auf die Gesell­schaft aus­wirkt. Sie muss bewei­sen, dass sie das Posi­ti­ve im Men­schen ver­stär­ken kann und ihn nicht in erster Linie als Sün­der definiert.“

Ehemalige Pfarrkirche Maria vom Siege, heute Kirche der koptisch-orthodoxen Kirche.
Ehe­ma­li­ge Pfarr­kir­che Maria vom Sie­ge, heu­te Kir­che der kop­tisch-ortho­do­xen Kirche.

Hört, hört. Der­glei­chen wird man in der Hei­li­gen Schrift und bei den Kir­chen­vä­tern frei­lich ver­geb­lich suchen. Die Kir­che, die ihre Exi­stenz­be­rech­ti­gung „bewei­sen“ muß, ihre Sinn­haf­tig­keit bewei­sen muß, davon spre­chen weder Jesus Chri­stus noch die Apo­stel. Sie spre­chen von der Heils­öko­no­mie, wor­aus sich auto­ma­tisch eine exi­sten­ti­el­le Seins­not­wen­dig­keit der Kir­che ergibt. Von wegen „sinn­vol­ler“ Beweis. Beson­ders wich­tig ist dem Wie­ner Pfar­rer, den Men­schen nicht in erster Linie als Sün­der zu defi­nie­ren. Der Ansatz ist aller­dings nun wirk­lich nicht neu, son­dern der Maß­stab einer schnell geal­ter­ten „neu­en Leh­re“. Sie hat inzwi­schen ein hal­bes Jahr­hun­dert auf dem Buckel, wirkt aber wie ein abge­leb­ter Greis. Mehr noch, er ist die Kehr­sei­te der­sel­ben Medail­le, die Pfar­rer Rup­p­recht mit dem spek­ta­ku­lä­ren Nie­der­gang der Kir­che in sei­nem Bezirk benennt.

Die Wie­ner Zei­tung beschreibt Rup­p­recht als „bekannt für sein Enga­ge­ment im Reli­gi­ons­dia­log“. In sei­ner Pfar­rei schuf er im ver­gan­ge­nen Jahr zudem ein „Flücht­lings­not­quar­tier mit 3.000 Näch­ti­gun­gen“. Bei­de Akti­ons­be­rei­che sind wahr­schein­lich Teil der Suche nach einer Daseins­be­grün­dung für die Kir­che. Ob und wie er damit für die öster­rei­chi­sche Gesell­schaft oder die bun­des­deut­sche, wohin die mei­sten der 2015 ins Land ein­ge­ström­ten „Flücht­lin­ge“ inzwi­schen wei­ter­ge­zo­gen sind, einen Bei­trag gelei­stet haben will, die­se Beweis­füh­rung wäre aller­dings in der Tat inter­es­sant zu hören. Es wäre auch inter­es­sant zu erfah­ren, wie vie­le Flücht­lin­ge und wie­vie­le „Flücht­lin­ge“ er in sei­ner Pfar­re im Dienst der Regie­rung ver­sorg­te. Noch inter­es­san­ter wäre es, zu erfah­ren, wie vie­le davon Chri­sten waren.

Ein „Beweis“, daß die Kir­che auch heu­te noch „sinn­voll“ und „posi­tiv für die Gesell­schaft“ sei, wäre es, so Rup­p­recht, um zum Titel sei­nes Kom­men­tars zurück­zu­kom­men, einen Teil der „Fül­le an wun­der­schö­nen Kir­chen“ abzu­ge­ben. Er sagt nicht wofür. Er sagt nicht an wen. Man kann es nur erah­nen, da er in die­sem Zusam­men­hang einen mus­li­mi­schen Autor zitiert. Zur Begrün­dung einer „ander­wei­ti­gen“ Nut­zung von Kir­chen­ge­bäu­den zitiert er das Her­ren­wort: „Reißt die­sen Tem­pel nie­der“. Bei Rup­p­recht endet das Zitat hier. In der Hei­li­gen Schrift geht es wei­ter: „In drei Tagen wer­de ich ihn wie­der auf­rich­ten. Da sag­ten die Juden: Sechs­und­vier­zig Jah­re wur­de an die­sem Tem­pel gebaut und du willst ihn in drei Tagen wie­der auf­rich­ten? Er aber mein­te den Tem­pel sei­nes Leibes.“

Viel­leicht hat Pfar­rer Rup­p­recht da etwas miß­ver­stan­den. Das wür­de ja in die Zeit und zum Zustand der Kir­che passen.

Das „Abtre­ten“ von Kir­chen für „ander­wei­ti­ge“ Zwecke ist frei­lich kei­ne Lösung für die von Rup­p­recht geschil­der­te Mise­re, son­dern besten­falls die logi­sche Fort­set­zung einer Abbruch­men­ta­li­tät. Auf die­sen Aspekt geht er aller­dings nicht ein. Die Wirt­schaft nennt es „gesund­schrump­fen“ und „ratio­na­li­sie­ren“. Der Zweck ist jedoch rein öko­no­misch und meint Ertrag und Ren­di­te. Die­se kir­chen­steu­er­be­ding­te Wohl­stands­men­ta­li­tät kri­ti­siert Rup­p­recht an ande­rer Stelle.

Rup­p­recht nimmt in Anspruch, sich „selbst­kri­ti­sche Anmer­kun­gen“ zu erlau­ben, doch „selbst­kri­tisch“ sind sie nicht wirk­lich. Es bleibt ein Klop­fen an die Brust ande­rer. Viel­leicht soll­ten auch (oder gera­de) „Enga­gier­te im Reli­gi­ons­dia­log“ etwas mehr über ihr Kir­chen­ver­ständ­nis nach­den­ken und tat­säch­lich selbst­kri­ti­sche Anmer­kun­gen wagen. Es täte ihnen und der Kir­che gut.

Text: Mar­tha Burger-Weinzl
Bild: Wikicommons

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