Henda Ayari: „Mit 20 Salafistin. Mit 39 eine freie Muslimin“ – „Salfismus ist eine Gefahr. Dahinter steht Saudi-Arabien“


Henda Ayaris Autobiographie: Ich habe entschieden, frei zu sein"
Henda Ayaris Autobiographie: "Ich habe entschieden, frei zu sein"

Von Jean-Maxi­me Villé

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(Paris) Hen­da Aya­ri ist die Toch­ter einer Alge­rie­rin und eines Tune­si­ers, und sie ist fran­zö­si­sche Staats­bür­ge­rin. Jahr­lang prak­ti­zier­te sie die extrem­ste Form des Islams. Zum Sala­fis­mus kam sie durch die Ehe mit einem fana­ti­schen ara­bi­schen Mus­li­men, eben­falls fran­zö­si­scher Staats­bür­ger. Heu­te ist Aya­ri 39 Jah­re alt und warnt vor dem Sala­fis­mus, der „eine Gefahr für den Islam und die Welt ist“. Hin­ter dem Sala­fis­mus, so Aya­ri, steht der sau­di­sche Waha­bis­mus. Das sau­di­sche Königs­haus för­de­re den Sala­fis­mus welt­weit „aus reli­giö­sen und poli­ti­schen Grün­den“. Den­noch wirkt Aya­ris Auto­bio­gra­phie zu glatt. Sie hat viel, viel­leicht zuviel vom Geschmack des euro­päi­schen Main­stream.

Der „sala­fi­sti­sche Waha­bis­mus“, denn Sala­fis­mus und Waha­bis­mus – so Aya­ri – gehö­ren zusam­men, ist eine „fal­sche Reli­gi­on“, die zum „Haß gegen die Ungläu­bi­gen“ auf­stach­le. Bereits die­se erste Kern­aus­sa­ge ihres Buches weckt Zwei­fel. Eine „fal­sche Reli­gi­on?“ Die­se Distan­zie­rung des Sala­fis­mus und Waha­bis­mus vom Islam zieht sich wie ein roter Faden durch das gan­ze Buch. Bei­de Rich­tun­gen hät­ten, so die Bot­schaft, nichts mit dem Islam zu tun. Sie sei­en nicht Teil des Islams. Eine Aus­sa­ge, die wohl­mei­nen­den euro­päi­schen Ohren schmei­cheln mag, und wohl auch schmei­cheln will, die aber in der Sache falsch und damit unauf­rich­tig sind.

Die fein säu­ber­li­che Tren­nung zwi­schen „rich­ti­gem“ und „fal­schem“ Islam ist unglaub­wür­dig. Das ent­schei­den­de Kri­te­ri­um für die­se Tren­nung, so schim­mert es durch, ist nicht isla­misch, son­dern west­lich. „Rich­tig“ ist dem­nach ein Islam, der den Westen und sei­ne der­zeit dort vor­herr­schen­de Denk- und Lebens­wei­se aner­kennt. „falsch“ jener, der sie ablehnt.

In Aya­ris Auto­bio­gra­phie klingt das so: Nach­dem sie vie­le Jah­re selbst Anhän­ge­rin des radi­ka­len Islams war, sag­te sie sich von ihm los und klagt ihn heu­te an. Eine Mus­li­min ist sie geblie­ben und betont das auch mit Nach­druck. Nun glau­be sie aber an einen ande­ren Islam, den „rich­ti­gen“ Islam, denn „jede Reli­gi­on“, greift Aya­ri weit über den Islam hin­aus, müs­se das Ziel haben, die Men­schen „sich näher zu bringen“.

Ayari 1998 (links) und 2016
Aya­ri 1998 (links) und 2016

Anfang Dezem­ber wur­de ihre Auto­bio­gra­phie „Ich habe ent­schie­den, frei zu sein“(J’ai choi­si d’être lib­re“, Ver­lag Flamma­ri­on) in Paris vor­ge­stellt. Dar­in erzählt sie ihren Aus­stieg aus dem radi­ka­len Islam, der in ara­bi­schen Staa­ten viru­lent ist, aber eben­so in Frank­reich und vie­len ande­ren euro­päi­schen und außer­eu­ro­päi­schen Staa­ten grassiert.

Im Alter von 21 Jah­ren hei­ra­te­te sie einen fana­ti­schen Mus­li­men fran­zö­si­scher Staats­bür­ger­schaft und Migra­ti­ons­hin­ter­grund. Für zehn Jah­re ver­schwand sie mit­ten in Frank­reich unter einer Ganz­kör­per­ver­schleie­rung, wäh­rend ihr Mann von Tag zu Tag gewalt­tä­ti­ger wurde.

Heu­te kri­ti­siert sie vor allem Sau­di-Ara­bi­en. In dem rei­chen Wüsten­kö­nig­reich sieht sie den Haupt­spon­sor des radi­ka­len Islams. Der Waha­bis­mus, der sich außer­halb Sau­di-Ara­bi­ens Sala­fis­mus nen­ne, sei nicht in erster Linie eine kul­tu­rel­le Ver­si­on des Islams, son­dern eine poli­ti­sche Ideo­lo­gie gekop­pelt mit wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen. Die Fäden des inter­na­tio­na­len Sala­fis­mus zie­he im Hin­ter­grund, so Aya­ri,  das sau­di­sche Königs­haus. Es gehe den Sau­dis nicht nur um die Macht­er­hal­tung in Sau­di-Ara­bi­en, son­dern um die Vor­herr­schaft im Islam.

„Mit 20 war ich jung und Sala­fi­stin. Mit 39 bin ich eine freie mus­li­mi­sche Frau. Ich war eine leben­de Tote.“

„Ich habe fast 20 Jah­re gebraucht, um zu ver­ste­hen, daß der Sala­fis­mus eine sehr gefähr­li­che, sek­tie­re­ri­sche Ideo­lo­gie ist, die das Ziel hat, zu spal­ten, eine kol­lek­ti­ve Iso­la­ti­on zu suchen und Haß zwi­schen den Völ­kern zu säen.“

Die Auto­bio­gra­phie wur­de zusam­men mit der fran­zö­si­schen Jour­na­li­stin Flo­rence Bouil­lat geschrie­ben. Dabei dürf­te es sich um ein Pseud­onym han­deln. Wer sich dahin­ter ver­birgt, ist daher nicht bekannt. Wes­halb vor­erst auch eini­ge Zusam­men­hän­ge, was die Ziel­set­zun­gen des Buches anbe­langt, im Dun­keln bleiben.

Die Auto­bio­gra­phie füllt der­zeit die fran­zö­si­schen Gazet­ten. Aya­ri prangt auf den Titel­sei­ten von Illu­strier­ten und Tages­zei­tun­gen. Ihre Bio­gra­phie paßt ins Bild einer ver­un­si­cher­ten Gesell­schaft. Sie reprä­sen­tiert den „guten Islam“ in der edel­sten Vari­an­te, jener einer Aus­stei­ge­rin aus dem „bösen Islam“. Sie sym­bo­li­siert, so die Bot­schaft, einen ver­west­lich­ten Islam: die ehe­ma­li­ge Ganz­kör­per­ver­schlei­er­te, die als „Power Woman“ im Leder-Out­fit por­trä­tiert wird. Teil Eins der Bot­schaft an die euro­päi­sche Leser­schaft: „Eine von uns“, Teil Zwei der Bot­schaft: „Die Isla­mi­sten haben nichts mit dem Islam zu tun, er ist ihr erstes Opfer“.

Ayari, wie sie derzeit für die Vorstellung ihrer Autobiographie dargestellt wird.
Aya­ri, wie sie der­zeit für die Vor­stel­lung ihrer Auto­bio­gra­phie dar­ge­stellt wird.

Die Gesamt­bot­schaft ist durch und durch west­li­cher Main­stream: Kampf der Tole­ran­ten gegen die Into­le­ran­ten. Die Rol­len­ver­tei­lung in die­sem Spiel ist klar. Reli­gi­on aus dem Blick­win­kel des Rela­ti­vis­mus betrach­tet. Aya­ri hat sich nicht nur vom Sala­fis­mus befreit. Sie ist im Buch nach dem Geschmack euro­päi­scher Gut­men­schen ver­packt wor­den. Stut­zig muß spä­te­stens der Ver­gleich machen, daß die Sala­fi­sten „eine der gefähr­lich­sten Sek­ten der Welt sei­en … nach den Zeu­gen Jeho­vas und vie­len ande­ren Sek­ten“. Die Zeu­gen Jeho­vas sind „gefähr­li­cher“ als die Sala­fi­sten? Sol­che Behaup­tun­gen wer­fen die Fra­ge auf, wie fun­diert Aya­ris Refle­xi­on über den Islam gewe­sen sein mag. Vie­le von Aya­ris Aus­sa­gen, auch zum Islam, wir­ken wie auf­ge­setz­te Stan­dard­sät­ze, die in erster Linie ein Ziel­pu­bli­kum bedie­nen sol­len. Die Hand­schrift von Flo­rence Bouil­lat schim­mert an zu vie­len Stel­len des Buches zu deut­lich durch.

Inter­es­san­ter als die­se main­stream-kon­for­me Tei­le des Buches sind Aya­ris Insi­der-Wis­sen zum Sala­fis­mus und des­sen Rück­kop­pe­lung zum Waha­bis­mus. Dar­in geht es um den Haß auf den Westen und alle Nicht-Mus­li­me, um Ver­net­zun­gen, Orga­ni­sa­ti­on und Ideen. Gera­de in die­sem Bereich hät­te man sich mehr erwar­tet von jemand, der von sich sagt, an „meh­re­ren Tref­fen mit sal­fi­sti­schen Exper­ten in Frank­reich, ver­schie­de­nen ara­bi­schen Staa­ten und auch in Sau­di-Ara­bi­en teil­ge­nom­men zu haben“.

„Die waha­bi­tisch-sala­fi­sti­sche Ideo­lo­gie ist eine gro­ße Gefahr für den Frie­den zwi­schen den Völ­kern. Sie ist eine Ideo­lo­gie, die den Ter­ro­ri­sten eine Grund­la­ge bietet.“

Die­se Aus­sa­ge ist Aya­ris glaub­wür­dig­ste Bot­schaft. Anson­sten ist das Buch mit Hap­py End ziem­lich ent­täu­schend. Es ist nicht wirk­lich hilf­reich in einer gro­ßen Her­aus­for­de­rung, zunächst vor allem für Euro­pa, das Buch wen­det sich ja an ein fran­zö­si­sches Publi­kum, in der ein Hap­py End kei­nes­wegs abseh­bar ist. Das Buch wirkt wie eine Nach­er­zäh­lung, im besten Fall eine sich selbst bestä­ti­gen­de Pro­phe­zei­ung, der offi­zi­el­len fran­zö­si­schen Staatspolitik.

Text: Maxi­me Villé
Bild: Verlag/​Asianews/​L’Obs (Screen­shots)

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