Ein deutliches Signal gegen den hessischen Sexualerziehungslehrplan gaben die Teilnehmer einer Info-Veranstaltung in Osthessen.
Ein Gastkommentar von Hubert Hecker.
Die CDU-Ortsvereinigung Fulda hatte am 2. Dezember zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung zu dem umstrittenen Sexualkunde-Erlass eingeladen. Im gut besuchten Esperanto-Saal musste sich Kultusminister R. Alexander Lorz zahlreiche Kritiken anhören. Etwa drei Viertel der 25 Diskussionsredner sprachen sich gegen den Lehrplan aus. Ebenso groß war der Anteil der etwa 300 Zuhörer, vorwiegend CDU-Anhänger und ‑Wähler, die mit ihrem Beifall die Kritiker des Erlasses bestärkten.
Umstrittene Lehrplan- Fokussierung auf sexuelle Vielfalt statt auf Ehe und Familie
Im Verlauf der Diskussion stellten sich zwei Themenkomplexe als besonders umstritten heraus. Prof. Lorz selbst hatte sie in seinem dreiviertelstündigen Statement zum Lehrplan als „kontrovers“ eingeführt. Das war zum einen die „Fokussierung des Lehrplans auf sexuelle Vielfalt“. Mit diesen Worten hatte das Kommissariat der katholischen Bischöfe Hessens die Akzentverschiebung bei der Sexualerziehung kritisiert. Der Kultusminister rechtfertigte die neue Schwerpunktsetzung ab der Pubertät mit rechtlichen und gesellschaftlichen Realitäten. Er verschwieg dabei, dass die breite Behandlung von sexuellen Minderheiten an die Stelle gerückt wurde, die im alten Lehrplan Ehe und Familie als Lebensform der Mehrheitsgesellschaft einnahm.
Etwa ein Dutzend Diskussionsbeiträge verstärkten die Kritik an diesem fundamentalen Mangel des Erlasses. Ein Elternpaar von vier Kindern zeigte sich fassungslos darüber, dass die klassische Familie von Vater, Mutter, Kind/ern in der gesamten Schulzeit nicht behandelt werden soll. Ein Vater von zwei Kindern fragte nach, warum die Familie als optimaler Schutz- und Förderraum für die gesunde Entwicklung der Kinder nicht gewürdigt werde. Eine Großmutter bemängelte, dass den Schülern keine Orientierung auf Ehe und Familie sowie Liebe und Treue während der Schulzeit gegeben werde. Schon die bisherige Konzentration auf Sexualität und der Mangel an Werteerziehung habe zu dem Zerfall vieler Ehen und Familien beigetragen. Ein ehemaliger Lehrer stellte die absurde Verzerrung der Realitätsabbildung heraus: Derzeit gibt es knapp 18 Millionen Ehen in Deutschland. Doch diese verbreitete Lebensform der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft soll in der gesamten Schulzeit nicht ein einziges Mal behandelt werden, während der Promille-Anteil von homosexuellen Partnerschaften schon in der Grundschule Thema ist.
Zusammengefasst lautete die Kritik von Eltern und Lehrern zu diesem Punkt: Sexualunterricht mit Konzentrierung auf die Minderheiten-Sexualitäten ist dem CDU-Minister offenbar wichtiger als Ehe und Familie, Liebe und Treue. Die klassische Familie sowie die Ehe-Partnerschaften der Mehrheitsgesellschaft werden als Unterrichtsthemen durch den Lehrplan ausgegrenzt und diskriminiert. Die hessische CDU hat damit ihr familienpolitisches Programm über Bord geworfen.
Ablenkungsmanöver
Prof. Lorz ging nur teilweise auf diese Kritiken ein. Er betonte mehrfach, dass doch nur jeweils ein Thema in den Altersgruppen zu den Homo‑, Trans- und Intersexualitäten vorgesehen sei. Doch bei der Frage, warum bei der Aufzählung von Familienformen für die Grundschüler statt der klassischen Familie homosexuelle Partnerschaften eingeschmuggelt wurden, bekannte er Farbe: Er habe ganz bewusst die Normalfamilie aus dem Themenplan herausgenommen, um ihre „herausragende Bedeutung an prominenter Stelle am Anfang des Einleitungskapitels“ zu betonen.
Wenn der Kultusminister damit den Eindruck von Unterrichtsrelevanz für das Thema Familie vermitteln wollte, wäre das ein Täuschungsversuch gegenüber dem Publikum. Denn die „prominente Stelle“ erweist sich als Ablage des Themas. Zwar wird am Anfang des Einleitungskapitels die Vermittlung der „grundlegenden Bedeutung von Ehe und Familie“ pflichtmäßig aus dem hessischen Schulgesetz zitiert. Dieser Auftrag für den Unterricht wird aber im weiteren Lehrplan gerade nicht berücksichtigt und erfüllt. Schon bei der Zielbestimmung der Sexualerziehung im letzten Abschnitt der Einleitung sind Ehe und Familie herausgeworfen. Entsprechend dieser Zielvorgabe ist das Thema der ehebasierten Familie im verbindlichen Inhaltskatalog der 29 unterrichtsrelevanten Themen komplett eliminiert.
Der Kultusminister berücksichtigt die Befindlichkeiten der LSBTI-Gruppen …
Beim zweiten strittigen Themenkomplex ging es um die Leitbegriffe Toleranz oder Akzeptanz. Prof. Lorz stellte ‚Toleranz’ in der paternalistischen Lesart von ‚Dulden, Ertragen’ vor. So wurde sie im 18. Jahrhundert von Fürsten angewandt. Nach seiner „Wahrnehmung“ würden die LSBTI-Menschen dieserart Toleranz „mit pejorativem Beigeschmack“ ablehnen. Aus dem Blickwinkel der homo‑, trans- und intersexuellen Gruppen hielt der Kultusminister die Toleranz-Kategorie für nicht angemessen bei der schulischen Sexualerziehung.
Der Kultusminister musste aber zugeben, dass schul- und verfassungsrechtlich der Toleranz-Begriff heute in einem anderen Wortsinn gebraucht wird: Staat und Schule haben mit „Zurückhaltung und Toleranz die verschiedenen elterlichen Wertvorstellungen zu Sexualität zu berücksichtigen“, heißt es in Verfassungsgerichtsentscheiden. Aus dem Ansatz ergibt sich das staatliche Indoktrinationsverbot, nach dem die Schule nicht ein bestimmtes Sexualverhalten befürworten oder ablehnen darf.
In diese Richtung argumentierte ein ehemaliger Lehrer in der Diskussion: Die Schule hat in erster Linie Kenntnisse zu vermitteln. Gelegentlich sind die Lehrgegenstände mit Wertvorstellungen verbunden – wie im politischen und sexualkundlichen Unterricht. Dann muss der Lehrer diese oft gegensätzlichen Wertungen neutral vorstellen, ohne die Kinder zur Akzeptanz der einen oder anderen Wertvorstellung zu drängen. Doch genau dazu würden Schule und Lehrer bei der Sexualerziehung aufgefordert.
… um die Kinder der Mehrheitsgesellschaft zu indoktrinieren
Denn nach dem neuen Lehrplan soll für die Minderheiten-Sexualitäten und ihre Lebensformen „Akzeptanz“ vermittelt werden in der Bedeutung von „wertschätzendem Verständnis“. Eine solche Lehr- und Lernpflicht, bestimmtes Sexualverhalten positiv zu bewerten, erfülle den Tatbestand der Indoktrination, meinte ein weiterer Kritiker.
In diesem Punkt waren sich Diskussionsredner und Zuhörer ziemlich einig: Die Akzeptanz-Forderung des Lehrplans als einseitige Beeinflussung der Schüler/innen in Richtung bestimmter Wertvorstellungen gehört nicht in die Schule. Sie verletzt auch das Recht der Eltern, die Zurückhaltung und Neutralität der Lehrer erwarten dürfen. „Akzeptanz wird nicht akzeptiert“, hieß es tags darauf im Bericht der Fuldaer Zeitung.
Lorz‘ Argumentation wird zum Bumerang
Prof. Lorz warf eine zweite Bedeutung von Akzeptanz in die Waagschale der Debatte: Es sei ihm wichtig, dass Akzeptanz auch im Sinne der menschlichen Anerkennung verstanden werde. Zur Bestätigung dieser Akzeptanz-Bedeutung las er einen Satz aus dem Bundesverwaltungsgerichtsentscheid von 2008 vor: „Die Menschen sollen einander akzeptieren – unabhängig von der jeweiligen sexuellen Orientierung und Lebensweise.“
Danach sind die Menschen in ihrem Personsein zu akzeptieren – unter Absehung von ihren sonstigen Präferenzen, Verhalten und Meinungen. Diese Konzentration auf Personen-Akzeptanz lässt allerdings Vorbehalte gegenüber der Lebensweise zu. Das Gericht betonte ausdrücklich, dass bei einem solchen menschlichen Akzeptieren der Person die sexuelle Orientierung „bei ihrem Gegenüber gerade nicht gebilligt“ werden muss. Diesen Aspekt vergaß Herr Lorz zu zitieren.
Die vermeintlich unterstützende Argumentation für die Position des Kultusministers erwies sich als Bumerang:
- Denn erstens wird im Lehrplan kein ‚gegenseitiges’ Akzeptieren gefordert – etwa von Homosexuellen für Heterosexuelle und Ehe und Familie. Man verlangt die einseitige Akzeptanz der LSBTI-Sexualitäten durch die Mehrheitsgesellschaft – so im 2. Kapitel.
- Zweitens will der Kultusminister die Unterscheidung zwischen menschlicher Achtung einerseits und Vorbehalten gegenüber deren Lebensweisen nicht wahrhaben. Er will die Lehrer und Schüler über die personale Akzeptanz auch auf die Wertschätzung von homosexuellen Orientierungen und Lebensformen verpflichten.
- Damit stellt sich Prof. Lorz – drittens – in Widerspruch zum Gericht, das bei allem menschlichen Respekt gegebenenfalls Missbilligung an der Lebensweise des Gegenübers zulässt.
Die umstrittene Akzeptanz-Forderung gefährdet den Schulfrieden
Den Zuhörern in Fulda vermittelte sich der Eindruck, dass der Kultusminister mit seiner umstrittenen Akzeptanz-Forderung heillose Verwirrung bei Eltern, Lehrern und Schülern stiftet. Denn der Begriff ist mehrdeutig und missverständlich sowie mit einem indoktrinierenden Auftrag versehen.
Ein Lehrer von der Fuldaer Domschule stellte fest, dass mit diesem Streit um ‚Akzeptanz’ der Schulfrieden gefährdet ist. Er und andere Lehrer und Eltern forderten Prof. Lorz auf, den Lehrplan zurückzuziehen und dann zu revidieren.
Ein Diskussionsredner schlug für die Revision vor, statt Akzeptanz wieder den modernen Toleranzbegriff einzuführen, wie er im Schulgesetz vorgeschrieben ist. Auch das Gericht hatte von „Toleranz gegenüber unterschiedlichen sexuellen Orientierungen“ gesprochen.
Nach einem anderen Vorschlag sollte ‚Akzeptanz’ durch die Begriffe ‚Respekt und Achtung’ ersetzt werden. Damit würde dem Anliegen des Kultusministers für einen menschlich wertschätzenden Umgang untereinander in der Schulgemeinde besser entsprochen werden als mit der einseitigen Akzeptanz-Forderung.
In dem Wort ‚Achtung’ ist der Bezug zur fundamentalen Menschenrechtsforderung enthalten, „die Würde des Menschen zu achten“. Mit der Respekt-Haltung werden Menschen anerkannt, ohne dass man ihre Überzeugungen und Lebensweisen persönlich wertschätzen müsste.
Der Kultusminister bestätigte unfreiwillig diese bessere Alternative. In der Diskussion führte jemand das Beispiel Zölibat ein. Prof. Lorz sagte dazu, dass er „als evangelischer Christ großen Respekt“ vor den katholischen Priestern und ihrer zölibatären Lebensweise habe. Diese Respekt-Haltung lässt aber protestantische Vorbehalte durchaus zu.
Es wäre aber verfehlt, wenn Staat und Schule wertschätzende Akzeptanz für den Zölibat einer – im weitesten Sinne – sexuellen Minderheit einfordern würden. Der Staat hat sich aus den Wertvorstellungen und Lebensweisen seiner Bürger gänzlich herauszuhalten. Weder den Eltern noch den Kinder darf er vorschreiben, was sie wertzuschätzen hätten. Staat und Schule müssen daher „Zurückhaltung und Toleranz“ bei unterschiedlichen Wertungen zur Sexualität zeigen. An diese staatlichen Rechtsvorgaben sollte sich auch der hessische Kultusminister halten.
Der Kultusminister braucht mehr Druck und Demonstrationen
Nach zwei Stunden Diskussionsbeiträgen weitgehend gegen den Lehrplan war Prof. Lorz doch leicht verunsichert, ohne jemals seine Contenance zu verlieren. Gleichwohl wollte er (noch) keine Revision des Lehrplans in Aussicht stellen. Er beharrte darauf, weiterhin für den Erlass in seiner Sichtweise zu werben. Die kritischen Lehrer und Eltern vertröstete er auf die Erarbeitung von Handreichungen zum Lehrplan, wo sie ihre Meinungen einbringen könnten.
Von der Fulda-Veranstaltung geht folgendes Signal ins Land:
Eine deutliche Mehrheit von Eltern und Lehrern einer Region lehnt diesen Lehrplan ab. Eltern und Lehrer fordern, dass die aus dem Lehrplan gestrichenen Themen zu Ehe und Familie, Liebe und Treue wieder aufgenommen werden. Abgelehnt wird die Fokussierung in allen Altersstufen auf sexuelle Minderheiten. Wenn die Schule den Schülern einseitig eine wertschätzende Akzeptanz der Lebensweise von marginalen Sexualitäten vorschreiben will, ist das unerlaubte Indoktrination.
Für eine Revision des Lehrplans braucht der Kultusminister allerdings noch mehr Druck und Demonstrationen.
Text: Hubert Hecker
Bild: Demo für alle