Die „Amazonas-Kirche“ als Neuauflage des gescheiterten „Chiapas-Experimentes“


Amazonas-Bischöfe stellten Dokument mit Vorschlägen an Papst Franziskus fertig
Amazonas-Bischöfe stellten Dokument mit Vorschlägen an Papst Franziskus fertig

(Rom) Am 21. Dezem­ber ver­öf­fent­lich­te Tier­ras de Ame­ri­ca einen Arti­kel über die von Kar­di­nal Clau­dio Hum­mes und dem eme­ri­tier­ten Bischof Erwin Kräut­ler geför­der­te „Kir­che mit Ama­zo­nas-Wur­zeln“. Das Nach­rich­ten­por­tal steht dem Pro­jekt sehr wohl­wol­lend gegen­über und berich­te­te für dei­nen Kata­log von Vor­schlä­gen, den die Ama­zo­nas-Bischö­fe dem­nächst dem Vati­kan über­mit­teln werden.

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Tier­ras de Ame­ri­ca ist ein pro­gres­si­ves Nach­rich­ten­por­tal für und über Latein­ame­ri­ka, das vom ita­lie­ni­schen Jour­na­li­sten Alver Metal­li gelei­tet wird. Metal­li lebt in Bue­nos Aires und ist Mit­ar­bei­ter von Vati­can Insi­der, der mehr­spra­chi­gen Nach­rich­ten­platt­form, die vom päpst­li­chen Haus­va­ti­ka­ni­sten Andrea Tor­ni­el­li gelei­tet wird. Mit­ar­bei­ter von Tier­ras de Ame­ri­ca ist unter ande­rem der Links­au­ßen Luis Badil­la Mora­les, der unter Sal­va­dor Allen­de Mini­ster in Chi­le war und seit dem Sturz Allen­des in Rom lebt. Er ist Lei­ter der Nach­rich­ten­rund­schau Il Sis­mo­gra­fo, die offi­zi­ell dem vati­ka­ni­schen Staats­se­kre­ta­ri­at unter­steht und täg­lich 9000 Medi­en auswertet.

„Was haben wir uns demnächst zu erwarten?“

Die Aus­gangs­fra­ge von Rafa­el Mar­coc­cia, Pro­fes­sor für Sozi­al­wis­sen­schaf­ten an der Tech­ni­schen Hoch­schu­le Cen­tro Uni­ver­si­ta­rio FEI des Jesui­ten­or­dens in San Ber­nar­do do Cam­po und Sao Pau­lo in Bra­si­li­en und Mit­ar­bei­ter von Tier­ras de Ame­ri­ca lau­tet: „Was haben wir uns dem­nächst [in Sachen Kir­che mit Ama­zo­nas-Wur­zeln] zu erwarten?“

Mit Bezug auf „das Hei­li­ge Jahr der Barm­her­zig­keit und die Zukunft die­ses Pon­ti­fi­kats“ hege die bra­si­lia­ni­sche Kir­che des Amazonas-Beckens

„die Hoff­nung, daß Papst Fran­zis­kus bald eini­ge Initia­ti­ven bekannt­gibt zur Erleich­te­rung der Evan­ge­li­sie­rungs­ar­beit und einer häu­fi­ge­ren Meß­ze­le­bra­ti­on in einer immensen Regi­on mit einem gro­ßen Priestermangel“.

„Erleich­tun­gen“ für eine „häu­fi­ge­re Meß­ze­le­bra­ti­on“? Es genü­ge dar­auf hin­zu­wei­sen, so Mar­coc­cia, daß laut Anga­ben der Bra­si­lia­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz 70 Pro­zent der loka­len Gemein­schaf­ten „nur ein­mal im Jahr an einer eucha­ri­sti­schen Zele­bra­ti­on teilnehmen“.

2014 habe Papst Fran­zis­kus um „muti­ge und kon­kre­te Lösun­gen“ für „die Pro­ble­me“ gebe­ten.  Mar­coc­cia erwähnt es nicht. Die­se päpst­li­che Auf­for­de­rung ver­brei­te­te der öster­rei­chi­sche Mis­si­ons­bi­schof Erwin Kräut­ler nach sei­ner Audi­enz in Rom. „Die Bischö­fe der Regi­on berei­ten ein Doku­ment mit eini­gen Vor­schlä­gen für den Vati­kan vor. Das Ergeb­nis der Tagung über das Ama­zo­nas-Gebiet, die im ver­gan­ge­nen Monat stattfand.“

„Die Idee des Doku­ments“ sei es, „mehr als revo­lu­tio­nä­re Lösun­gen vor­zu­schla­gen, die bereits geleb­ten Erfah­run­gen in den Ama­zo­nas-Diö­ze­sen zu ver­bes­sern“, so Marcoccia.

„Die wich­tig­sten Vor­schlä­ge ent­spre­chen den The­sen, die von Dom Clau­dio Hum­mes bei wie­der­hol­ten Gele­gen­hei­ten vor­ge­bracht wur­den. Das Ziel ist die Aus­bil­dung von loka­len, ordi­nier­ten Amts­trä­gern, vor allem aber die Bil­dung eines auto­chtho­nen, indi­ge­nen Kle­rus, der Gemein­schaf­ten aus­bau­en kann sowohl in den ent­le­gen­sten Gegen­den als auch an den Rän­dern der Ama­zo­nas-Städ­te, wo es der­zeit eine star­ke evan­ge­li­ka­le Prä­senz pflings­t­le­ri­scher Prä­gung gibt.“

 Autochthoner Klerus

„Alle Bischö­fe der Regi­on sind sich dar­in einig, daß die wich­tig­ste Ent­schei­dung die För­de­rung einer ‚ama­zo­ni­schen Ver­wur­ze­lung‘ der Kir­che ist aus­ge­hend von einem in der Regi­on gebo­re­nen Kle­rus, der wirk­lich in die Kul­tur, die Geschich­te, die Pro­ble­me, die Träu­me und die Pro­jek­te des Ama­zo­nas-Vol­kes ein­ge­bun­den ist, beson­ders auch in die Welt der indi­ge­nen Völker.“

Kardinal Hummes und die Amazonas-Werkstatt
Kar­di­nal Hum­mes und die Amazonas-Werkstatt

Der­zeit gibt es nur weni­ge Diö­ze­sen mit einer „nen­nens­wer­ten Anzahl auto­chtho­ner Prie­ster“, so Mar­coc­cia. Der Groß­teil des Kle­rus bestehe aus Mis­sio­na­ren aus ande­ren bra­si­lia­ni­schen Diö­ze­sen oder aus dem Aus­land. „Der auto­chtho­ne Kle­rus ist eine gro­ße Her­aus­for­de­run­gen“ zitiert der Autor den Vor­sit­zen­den der Pasto­ral­kom­mis­si­on für die Mis­si­on der Bra­si­lia­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz, Dom Esme­ral­do Barreto.

Die Lai­en­mis­sio­na­re aus den bra­si­lia­ni­schen Küsten­ge­bie­ten „wol­len oder kön­nen“ nicht auf Dau­er in den ent­le­ge­nen Ama­zo­nas-Gebie­ten leben.

„Absicht ist es, die Prie­ster­aus­bil­dung abzu­kür­zen und in Modu­len block­wei­se direkt an den Orten durch­zu­füh­ren, wo die Kan­di­da­ten woh­nen, und das mit einer Dau­er, die weit unter der übli­chen Aus­bil­dungs­zeit liegt.“

Zusam­men mit die­ser „schnel­le­ren Aus­bil­dung“ wird „auch vor­ge­schla­gen, daß die qua­li­fi­zier­ten Aus­bil­der des gan­zen Lan­des, vor allem die Theo­lo­gie­pro­fes­so­ren, das gan­ze Jahr hin­durch zu die­sen ent­fern­ten Gemein­schaf­ten rei­sen kön­nen, um bei der Aus­bil­dung zu helfen“.

Mar­coc­cia zitiert Dom Giu­lia­no Fri­ge­ni, den Bischof von Par­in­tis im Staat Ama­zo­nas, der sagt, daß „die Lösung viel öko­no­mi­scher“ sei. Die ört­li­chen Gemein­schaf­ten sei­en es nicht gewöhnt, für den Unter­halt eines Prie­sters auf­kom­men zu müs­sen, weil sie in den ver­gan­ge­nen 80–90 Jah­ren nur mit aus­län­di­schen Mis­sio­na­ren zu tun hat­ten, die über ihre Orden durch Spen­den selbst für ihre Ver­sor­gung auf­ka­men. Eine Aus­bil­dung an einer katho­li­schen Hoch­schu­le oder einem bestehen­den Prie­ster­se­mi­nar bedeu­te eine wei­te Rei­se und Kosten. Über­haupt wür­den die hohen Trans­port­ko­sten weg­fal­len, die der Kle­rus der­zeit habe, um sich stän­dig von einem Ort zum ande­ren zu bewe­gen. Der auto­chtho­ne Kle­rus brau­che nur Kost und Logis, die er in sei­ner Gemein­schaft ohne­hin habe.

Den Vor­wurf, daß die­ser auto­chtho­ne Kle­rus weni­ger gut aus­ge­bil­det und qua­li­fi­ziert sein könn­te, läßt Fri­ge­ni nicht gel­ten. „Aus Erfah­rung“ wis­se man, daß die „Inkul­tu­ra­ti­on“ ent­schei­dend sei. Wich­tig sei es, den „Geruch der Scha­fe“ zu haben, zitiert er Papst Fran­zis­kus. „Es ist wich­tig, daß das Volk die Schön­heit die­ses auto­chtho­nen Kle­rus spürt.“

Mit die­ser Begrün­dung nennt Kar­di­nal Hum­mes auch einen Gegen­vor­schlag ab, der im ver­gan­ge­nen Som­mer vor­ge­legt wur­de. Statt der „Erleich­te­rung“ einer ver­kürz­ten Prie­ster­aus­bil­dung und der Schaf­fung eines nicht­zö­li­ba­t­ä­ren, indi­ge­nen Kle­rus durch Wei­he einer gro­ßen Zahl von ver­hei­ra­te­ten Dia­ko­nen soll­ten die Mis­si­ons­or­den um Ent­sen­dung von jeweils zwei Prie­stern gebe­ten wer­den. Das wür­de genü­gen, um den Prie­ster­man­gel zu behe­ben. Davon woll­te Kar­di­nal Hum­mes jedoch nichts hören. Den Gegen­vor­schlag lehn­te er mit dem Hin­weis ab, daß das Papst Fran­zis­kus nicht wol­le. Mar­coc­cia erwähnt den Gegen­vor­schlag nicht.

Indigener Klerus

Ein wei­te­rer zen­tra­ler Vor­schlag der Bischö­fe, so Mar­coc­cia, ist es, inner­halb des „auto­chtho­nen Kle­rus einen indi­ge­nen Kle­rus zu stär­ken“. Es gebe dazu nur wenig Erfah­rung, doch hal­te man den Punkt für „fun­da­men­tal“, damit die Indi­os selbst „zu Prot­ago­ni­sten ihrer Geschich­te“ wer­den. Frü­her hät­ten sich vie­le Indi­os, die in Kon­takt mit den Mis­sio­na­ren kamen, zum katho­li­schen Glau­ben bekehrt. „Heu­te ist das anders.“ Heu­te wür­den vie­le vor allem Kon­takt zu Pfingst­ler­ge­mein­schaf­ten erhal­ten und sich die­sen anschlie­ßen, da die­se eine „inten­si­ve Akti­vi­tä­ten“ ent­fal­ten. Sie haben kei­ne Prie­ster und kön­nen damit immer Got­tes­dienst fei­ern, wäh­rend das für die Katho­li­ken nicht gel­te, weil es an Prie­stern feh­le, und die Hei­li­ge Mes­se in den Gemein­schaf­ten nur sel­ten zele­briert wer­den kön­ne. „Es braucht mehr kon­stan­te Prä­senz unse­rer Seel­sor­ger in den indi­ge­nen, katho­li­schen Gemein­schaf­ten“, so Dom Eds­om Dami­an, Bischof von San Gabri­el da Cachoeira.

Ein wei­te­rer Vor­schlag sei die Zele­bra­ti­on in den Indio­spra­chen. Man wol­le dem Bei­spiel im mexi­ka­ni­schen Staat Chia­pas fol­gen. Dort habe Papst Fran­zis­kus von der Not­wen­dig­keit einer „wirk­li­chen, indi­ge­nen pasto­ra­len Akti­on“ gespro­chen, so Dom Eds­on. „Der Papst unter­stützt eine wirk­li­che indi­ge­ne Mission.“

Ein Vor­schlag betref­fe daher eine erleich­ter­te Aus­bil­dung indi­ge­ner Dia­ko­ne „wie das im Chia­pas der Fall ist“.  Der Ein­satz die­ser „indi­ge­nen Dia­ko­ne“ sei „kosten­los“, da sie in ihren Gemein­schaf­ten für die Gemein­schaf­ten leben und wirken.

Es sol­le sich um einen nicht­zö­li­ba­t­ä­ren Kle­rus han­deln, „weil die indi­ge­ne Kul­tur kei­nen Zöli­bat“ ken­ne, so der Bischof von San Gabri­el da Cachoeira.

Die „indi­ge­nen [ver­hei­ra­te­ten] Dia­ko­ne“ wür­den von den Bischö­fen geweiht und von „Pasto­ral­ver­tre­tern begleitet“.

Differenzierte Ämter

Die Bil­dung eines „auto­chtho­nen und indi­ge­nen Kle­rus“ wür­de, so Mar­coc­cia, „dif­fe­ren­zier­te Wei­he­äm­ter stär­ken“. „War­um nicht unse­re Lai­en, Frau­en und Män­ner, in die Ver­ant­wor­tung neh­men, prak­ti­zie­ren­de und vor­bild­li­che katho­li­sche Ehe­paa­re, damit sie sich in Anfüh­rer mit dif­fe­ren­zier­ten Wei­he­äm­tern und Auf­ga­ben ent­wickeln als Koor­di­na­to­ren, Hir­ten, Evan­ge­li­sie­rer, Frie­dens­stif­ter und Lie­bes­dien­sten?“, so Bichof Fri­ge­ni. Mar­coc­cia erwähnt nicht, daß man auch dar­in dem „Chia­pas-Expe­ri­ment“ von Bischof Ruiz Gar­cia der Diö­ze­se San Cri­sto­bal de Las Casas folgt, das fak­tisch aber nicht mehr exi­stiert. Dort ging man bei der Schaf­fung eines „indi­ge­nen Kle­rus“ auch soweit, ver­hei­ra­te­te Ehe­paa­re zu „wei­hen“. Den Ehe­frau­en wur­de eine Art „Wei­he“ zuteil. Mit der Eme­ri­tie­rung von Bischof Gar­cia setz­te der Rück­bau des „Expe­ri­men­tes“ ein, das von sei­nem Nach­fol­ger Feli­pe Ariz­men­di Esqui­vel ein­ge­stellt wurde.

Im Ama­zo­nas ver­su­chen die Ver­fech­ter eines „neu­en Kle­rus“ eine Neu­auf­la­ge des „Chia­pas-Expe­ri­men­tes“, ohne zu sagen, daß das befrei­ungs­theo­lo­gi­sche Expe­ri­ment im Chia­pas geschei­tert ist. Mar­coc­cia erwähnt nicht die Sor­ge in Tei­len der Kir­che, daß der neue „Ama­zo­nas-Kle­rus“ als Brech­ei­sen zur Auf­he­bung des Prie­ster­zö­li­bats die­nen könn­te. Durch die Zulas­sung einer „Aus­nah­me“ in einer ent­le­ge­nen Welt­ge­gend wer­de ver­sucht, so die Befürch­tung, einen neu­en Angriff zur Abschaf­fung des Zöli­bats zu starten.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: MiL (Screen­shots)

 

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