Stößt Papst Franziskus an seine Grenzen? – Amoris laetitia und die Dubia (Zweifel) der Kardinäle


Dubia der vier Kardinäle: Stößt Papst Franziskus an seine Grenzen?
Dubia der vier Kardinäle: Stößt Papst Franziskus an seine Grenzen?

(Rom) Obwohl die gro­ßen Medi­en das The­ma mei­den: Das Ereig­nis ist von histo­ri­scher Trag­wei­te. Das nach­syn­oda­le Schrei­ben Amo­ris lae­ti­tia von Papst Fran­zis­kus wur­de von vier nam­haf­ten Kar­di­nä­len, Wal­ter Brand­mül­ler, Ray­mond Bur­ke, Joa­chim Meis­ner und Car­lo Caf­farra, in Fra­ge gestellt.

Einspruch bei Glaubenskongregation eingebracht

Anzei­ge

Am 19. Sep­tem­ber brach­ten die vier Pur­pur­trä­ger bei der von Ger­hard Kar­di­nal Mül­ler gelei­te­ten Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on einen offi­zi­el­len Ein­spruch in der klas­si­schen Form von Dubia (Zwei­fel) ein. Damit ver­lan­gen sie eine ent­we­der posi­tiv oder nega­ti­ve, in jedem Fall eine offi­zi­el­le Ant­wort in der Spra­che der Evan­ge­li­en: „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles ande­re stammt vom Bösen“ (Mt 5,37).

Das Sche­ma aller fünf von den Kar­di­nä­len auf­ge­wor­fe­nen Fra­gen ist – wie Abbé Clau­de Bar­the in L’Hom­me Nou­veau fest­stell­te – „von einer Ein­fach­heit, daß man es wirk­lich evan­ge­li­ums­ge­mäß nen­nen könn­te: ‚Ist nach dem nach­syn­oda­len Apo­sto­li­schen Schrei­ben Amo­ris lae­ti­tia die auf die Hei­li­ge Schrift und die Tra­di­ti­on der Kir­che gegrün­de­te Leh­re noch gül­tig?‘ Es han­delt sich um Fra­gen des Glau­bens und der Moral zu den wich­tig­sten Berei­chen, die dem Nach­fol­ger des Petrus von Mit­glie­dern des Hei­li­gen Kol­le­gi­ums gestellt werden.“

„Nor­ma­ler­wei­se“, so der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster, der die Dubia als Erster ver­öf­fent­lich­te, „erwäh­nen die Ant­wor­ten, die von den Kon­gre­ga­tio­nen gege­ben wer­den, aus­drück­lich die Appro­ba­ti­on durch den Papst.“ Laut Audi­enz­li­sten wur­de Kar­di­nal­prä­fekt Mül­ler von Papst Fran­zis­kus emp­fan­gen, nach­dem die vier Kar­di­nä­le ihren Ein­spruch ein­ge­bracht hat­ten. „Zwangs­läu­fig haben die bei­den dar­über gespro­chen“, so Magi­ster. Die Kar­di­nä­le haben aber kei­ne Ant­wort erhal­ten, weder von Kar­di­nal Mül­ler noch von Papst Fran­zis­kus, weil es „offen­sicht­lich Letz­te­rer so woll­te“. Ohne Zustim­mung des Pap­stes kann Kar­di­nal Mül­ler nicht auf die Dubia ant­wor­ten, die an den Papst gerich­tet sind.

Wachsender Unmut

Papst Fran­zis­kus hüllt sich wei­ter in Schwei­gen, doch der Unmut wächst. Magi­ster erin­ner­te dar­an, daß es sich bei den vier Kar­di­nä­len, die ihren Ein­spruch öffent­lich gemacht haben, nicht um die­sel­ben han­delt, die vor einem Jahr am Beginn der zwei­ten Bischofs­syn­ode über die Fami­lie Papst Fran­zis­kus jenen berühm­ten „Brief der drei­zehn Kar­di­nä­le“ über­ga­ben. Die drei­zehn Unter­zeich­ner waren aus­nahms­los Syn­oda­len und beklei­de­ten zu die­sem Zeit­punkt hohe Kuri­en­äm­ter, wie die Kar­di­nä­le Robert Sarah, Geor­ge Pell und auch Ger­hard Mül­ler, oder lei­te­ten Erzbistümer.

Die vier Unter­zeich­ner der Dubia haben kei­ne akti­ven insti­tu­tio­nel­len Auf­ga­ben mehr in der Lei­tung der Kir­che. Damit ver­fü­gen sie über die nöti­ge Frei­heit, offen spre­chen zu kön­nen, ohne Säu­be­rungs- und Straf­maß­nah­men befürch­ten zu müssen.

Ihr Appell wird von ande­ren Pur­pur­trä­gern geteilt, die noch akti­ve Ämter beklei­den, und die sich daher im Moment noch zurück­hal­ten. Als wei­te­re Unter­zeich­ner sei­en, wie es in gut­in­for­mier­ten Krei­sen heißt, der deut­sche Kar­di­nal Paul Josef Cor­des und der ukrai­ni­sche grie­chisch-katho­li­sche Groß­erz­bi­schof Swja­tis­law Schewtschuk bereit­ge­stan­den. Man habe es aber bei den vier Unter­zeich­nern belas­sen. Die genü­gen, um die Dubia öffent­lich vor­zu­brin­gen, die Papst Fran­zis­kus nicht mehr igno­rie­ren kann, ohne sei­ne eige­ne Auto­ri­tät in Fra­ge zu stellen.

Ist die Lehre noch gültig oder nicht?

Der zen­tra­le Punkt des Appells ist nicht die Zulas­sung der wie­der­ver­hei­ra­tet Geschie­de­nen zur Kom­mu­ni­on, son­dern von viel grund­sätz­li­cher Bedeu­tung: Es geht um die Leh­re der Kir­che „über die Exi­stenz abso­lu­ter mora­li­scher Nor­men, die ohne Aus­nah­me gel­ten und in sich schlech­te Hand­lun­gen ver­bie­ten“ (Dubi­um 2).

Soll „nach den Aus­sa­gen von ‚Amo­ris lae­ti­tia‘ “, die immer­wäh­ren­de Leh­re der Kir­che geän­dert wer­den, nach der „die Umstän­de oder die Absich­ten nie­mals einen bereits in sich durch sein Objekt sit­ten­lo­sen Akt in einen ’sub­jek­tiv‘ sitt­li­chen oder als Wahl ver­tret­ba­ren Akt ver­wan­deln“ kön­nen (Dubi­um 4)?

Eben­so die Leh­re, laut der „das Gewis­sen nie­mals dazu auto­ri­siert ist, Aus­nah­men von den abso­lu­ten mora­li­schen Nor­men zu legi­ti­mie­ren, wel­che Hand­lun­gen, die durch ihr Objekt in sich schlecht sind, ver­bie­ten“ (Dubi­um 5)?

Nie­mand, nicht ein­mal der römi­sche Papst, hat die Auto­ri­tät und die Voll­macht, die Tra­di­ti­on der Kir­che zu ver­än­dern oder sogar auf den Kopf zu stel­len. Bereits etli­che frü­he­re Aus­sa­gen und Hand­lun­gen leg­ten die Ver­mu­tung nahe, daß aber Papst Fran­zis­kus genau die­se Absicht ver­fol­ge. Sein nun­meh­ri­ges Schwei­gen setzt ihn end­gül­tig dem Ver­dacht aus, daß er von den Kar­di­nä­len genau dabei ertappt wurde.

Dubia zusammen mit vorhergehenden Appellen lesen

Maria Gua­ri­ni, Lei­te­rin des tra­di­ti­ons­ver­bun­de­nen Initia­ti­ve Chie­sa e post­con­ci­lio, schrieb, daß die Dubia der vier Kar­di­nä­le in Zusam­men­hang mit dem vor­her­ge­hen­den Appell der 45 Theo­lo­gen und Phi­lo­so­phen zu lesen ist, den sie an das Kar­di­nals­kol­le­gi­um gerich­tet hat­ten. Sie for­der­ten die Kar­di­nä­le auf, Papst Fran­zis­kus dazu zu bewe­gen, die umstrit­te­nen und für irrig erkann­ten Tei­le von Amo­ris lae­ti­tia zurückzunehmen.

Hin­zu­kommt die Bit­te, die mit Blick auf die Bischofs­syn­ode 2015 von ins­ge­samt fast einer Mil­li­on Katho­li­ken unter­zeich­net wur­de, „die katho­li­sche Leh­re kate­go­risch zu bestä­ti­gen, nach der geschie­de­ne und ‚wie­der­ver­hei­ra­te­te‘ Katho­li­ken die Hei­li­ge Kom­mu­ni­on nicht emp­fan­gen dür­fen und homo­se­xu­el­le Ver­bin­dun­gen im Wider­spruch zu den Gebo­ten Got­tes und der Natur ste­hen“; das „Treue­be­kennt­nis von 80 katho­li­schen Per­sön­lich­kei­ten zur unver­än­der­li­chen Leh­re der Kir­che über die Ehe und zur ihrer unun­ter­bro­che­nen Dis­zi­plin“ und nicht zuletzt die erste gewich­ti­ge For­de­rung nach einer Klä­rung durch Weih­bi­schof Atha­na­si­us Schnei­der und die kri­ti­sche Ana­ly­se von Amo­ris lae­ti­tia durch den Phi­lo­so­phen Josef Seifert.

Der Rechts­phi­lo­soph Pao­lo Pas­qu­aluc­ci schrieb, zu den Dubia, daß füh­ren­de Mit­glie­der des Kar­di­nals­kol­le­gi­ums in Ver­tre­tung wei­te­rer Kar­di­nä­le vom Papst eine defi­ni­ti­ve Klä­rung der schwer­wie­gen­den Zwei­deu­tig­kei­ten ver­lan­gen, die in Amo­ris lae­ti­tia – einem lehr­amt­li­chen Doku­ment –  ent­hal­ten sind. Die­se Zwei­deu­tig­kei­ten betref­fen die Mög­lich­keit, grund­le­gen­de Nor­men der christ­li­chen Ethik zu miß­ach­ten oder ihnen sogar zuwiderzuhandeln.

„Wer hier klä­ren und sich recht­fer­ti­gen muß, ist also der Papst selbst, auch wenn die Ant­wort an die Kar­di­nä­le offi­zi­ell durch den Kar­di­nal­prä­fek­ten der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on erfolgt. Wird er ewig schwei­gen und sich der dok­tri­nel­len Klä­rung ent­zie­hen kön­nen, die immer uner­läß­li­cher und not­wen­di­ger wird?“, so Pasqualucci.

Im Vatikan macht die „Hypothese eines häretischen Papstes“ die Runde

Im Vati­kan macht zudem die Stu­die „Theo­lo­gi­sche Hypo­the­se eines häre­ti­schen Pap­stes“ des bra­si­lia­ni­schen Juri­sten Arnal­do Xavier da Sil­vrei­ra die Run­de, die im ver­gan­ge­nen Juni vom Ver­le­ger Mar­co Sol­fa­nel­li in ita­lie­ni­scher Über­set­zung her­aus­ge­ge­ben wur­de und von Theo­lo­gen und Prä­la­ten in Rom auf­merk­sam stu­diert wird.

Die Dubia der vier Kar­di­nä­le sind Teil eines Wider­stan­des, der immer wei­te­re Krei­se zieht und gera­de vom Vor­sta­di­um in eine neue Pha­se über­ge­gan­gen ist. Soll­te Papst Fran­zis­kus das Para­dox nicht been­den, ein kla­res Bekennt­nis zur unver­än­der­li­chen Leh­re der Kir­che zu ver­wei­gern, deren Ober­haupt er ist, dann kün­di­gen sich dra­ma­ti­sche Mona­ten an.

Papst Fran­zis­kus stößt drei­ein­halb Jah­re nach Beginn sei­nes Pon­ti­fi­kats an sei­ne Gren­zen. Der durch Gesten und Wor­te ver­mit­tel­te Ein­druck einer laten­ten Absicht, die Leh­re der Kir­che ändern zu wol­len, muß sich irgend­wann kon­kre­ti­sie­ren oder in sich zusam­men­bre­chen. Es ist Fran­zis­kus selbst, der sich durch die von ihm pro­vo­zier­te Stim­mung in die Enge getrie­ben hat. Es geht nicht mehr um ein spon­ta­nes Wort zu die­sem oder jenem, das eben­so impro­vi­siert wie unver­bind­lich bleibt. Sei­ne Pasto­ral und sei­ne Füh­rungs­fä­hig­kei­ten, die Ver­ant­wor­tungs­be­wußt­sein und Vor­bild­cha­rak­ter ver­lan­gen, sto­ßen an ihre Gren­zen. Fran­zis­kus könn­te dar­an scheitern.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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