Das Erdbeben und die Strafe Gottes


Die Basilika von Norcia vor dem 24. August (links) und seit dem 30. Oktober 2016.
Die Basilika von Norcia vor dem 24. August (links) und seit dem 30. Oktober 2016.

von Rober­to de Mattei*

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Seit dem 24. August wur­de Ita­li­en von einer gan­zen Rei­he von Erd­be­ben erschüt­tert, die auch nach zwei Mona­ten nicht auf­hö­ren wol­len. Die Seis­mo­lo­gen regi­strier­ten Tau­sen­de von Erd­stö­ßen von unter­schied­li­cher Stär­ke. Die Zahl der Men­schen­le­ben, die ihnen zum Opfer fie­len, hielt sich bis­her im Ver­gleich zu frü­he­ren Erd­be­ben in Gren­zen. Groß sind jedoch die Schä­den an Kir­chen und öffent­li­chen und pri­va­ten Gebäu­den. Zehn­tau­sen­de Ita­lie­ner sind obdach­los geworden.

Der Erd­stoß vom 30. Okto­ber, der stärk­ste nach jenem vom 24. August, war in ganz Ita­li­en und dar­über hin­aus zu spü­ren. Der Ein­sturz der Kathe­dra­le von Nor­cia wur­de zu sei­nem Sym­bol. Die Nach­richt von der Zer­stö­rung der Basi­li­ka ging um die gan­ze Welt. Von der Kir­che, die über dem Geburts­haus des hei­li­gen Bene­dikt, des Vaters des Abend­lan­des, errich­tet wur­de, steht nur mehr die Fas­sa­de. Der gesam­te Rest ist in einer Staub­wol­ke ver­schwun­den. Vie­le Mas­sen­me­di­en, wie die ame­ri­ka­ni­sche CNN, beton­ten den sym­bo­li­schen Cha­rak­ter der Ereig­nis­se und wähl­ten dafür das Bild der zer­stör­ten Kathe­dra­le für die Film­be­rich­te und ihre Internetseiten.

Einst wuß­ten die Men­schen die Bot­schaf­ten Got­tes in allen Ereig­nis­sen zu lesen, die sich ihrem Wil­len ent­zo­gen. In der Tat hat alles, was geschieht, sei­ne Bedeu­tung, die durch die Spra­che der Sym­bo­le zum Aus­druck kommt. Das Sym­bol ist nicht eine kon­ven­tio­nel­le Dar­stel­lung, son­dern Aus­druck einer tie­fe­ren Ebe­ne des Seins der Dinge.

Norcia vor den Erdbeben. In der Mitte das Denkmal für den heiligen Benedikt
Nor­cia vor den Erd­be­ben. In der Mit­te das Denk­mal für den hei­li­gen Benedikt

Der moder­ne Ratio­na­lis­mus, von Des­cra­tes bis Hegel, von Marx bis zum Neo-Szi­en­tis­mus, woll­te die Natur ratio­na­li­sie­ren, indem die Wahr­heit des Sym­bols durch die rein quan­ti­ta­ti­ve Inter­pre­ta­ti­on der Natur ersetzt wur­de. Der Ratio­na­lis­mus befin­det sich heu­te in der Kri­se, aber die post­mo­der­ne Kul­tur, die sich von sei­nen intel­lek­tu­el­len Quel­len nährt, vom Nomi­na­lis­mus bis zum Evo­lu­tio­nis­mus, hat ein neu­es System von Sym­bo­len geschaf­fen, die, im Gegen­satz zu den alten, nicht auf die Rea­li­tät der Din­ge ver­wei­sen, son­dern sie wie in einem Spiel von Spie­ge­lun­gen defor­mie­ren. Der sym­bo­li­sche Code, der sich in allen For­men der post­mo­der­nen Kom­mu­ni­ka­ti­on aus­drückt, von den Tweets bis zu den Talk Shows, zielt auf die Erzeu­gung von Emo­tio­nen und die Erweckung von Gefüh­len, wäh­rend zugleich die Erfas­sung der tie­fe­ren Grün­de der Din­ge abge­lehnt wird.

Die Kathe­dra­le von Nor­cia zum Bei­spiel ist ein Sym­bol der Kunst, der Kul­tur und des Glau­bens. Ihre Zer­stö­rung weckt für und durch die Medi­en ein Gefühl des Ver­lu­stes, den Ver­lust des Kunst­er­bes Mit­tel­ita­li­ens. Ihre Zer­stö­rung ist für die­sel­ben Medi­en aber kein Bild für die Zer­stö­rung des Glau­bens oder der Grund­wer­te der christ­li­chen Kultur.

Das Erd­be­ben, obwohl der Begriff im all­ge­mei­nen Sprach­ge­brauch durch­aus dafür gebraucht wird, um kul­tu­rel­le und sozia­le Umbrü­che zu benen­nen, darf für die­se Medi­en nie­mals auf ein Gött­li­ches Han­deln hin­wei­sen, weil Gott, wenn schon, nur als barm­her­zi­ger, aber nie als gerech­ter Gott dar­ge­stellt wer­den darf.

Wer von einer „Stra­fe Got­tes“ spricht, zieht sich sofort die media­le Dif­fa­mie­rung zu, wie es dem Domi­ni­ka­ner­pa­ter Gio­van­ni Caval­co­li ergan­gen ist, des­sen Wor­te bei Radio Maria vom Sub­sti­tut des vati­ka­ni­schen Staats­se­kre­ta­ri­ats, Msgr. Ange­lo Becciu, als Aus­sa­gen bezeich­net wur­den, die „für die Gläu­bi­gen  belei­di­gend und für nicht Glau­ben­den skan­da­lös“ sein.

Wenn hier etwas ein Ärger­nis ist, dann ist es die Stel­lung­nah­me des vati­ka­ni­schen Prä­la­ten, der unter Beweis gestellt hat, die katho­li­sche Theo­lo­gie und die Leh­re der Päp­ste in die­sem Punkt nicht zu ken­nen, zuletzt von Bene­dikt XVI., der bei der Gene­ral­au­di­enz vom 18. Mai 2011 über das Für­bitt­ge­bet von Abra­ham für Sodom und Gomor­rha, die bei­den bibli­schen Städ­te, die von Gott wegen ihrer Sün­den bestraft wur­den, sagte:

„Der Herr war bereit zu ver­ge­ben, er ver­lang­te danach, es zu tun, aber die Städ­te waren in einem all­um­fas­sen­den, läh­men­den Übel ver­schlos­sen, und es gab nicht ein­mal eini­ge weni­ge Unschul­di­ge, von denen die Ver­wand­lung des Bösen in Gutes aus­ge­hen konn­te. Denn genau das ist der Heils­weg, um den auch Abra­ham bat: Ret­tung bedeu­tet nicht ein­fach, der Stra­fe zu ent­kom­men, son­dern von dem Bösen befreit zu wer­den, das in uns wohnt. Nicht die Stra­fe muß getilgt wer­den, son­dern die Sün­de, die Ableh­nung Got­tes und der Lie­be, die die Stra­fe bereits in sich trägt. Der Pro­phet Jere­mia wird zum abtrün­ni­gen Volk sagen: ‚Dein böses Tun straft dich, dei­ne Abtrün­nig­keit klagt dich an. So erken­ne doch und sieh ein, wie schlimm und bit­ter es ist, den Herrn, dei­nen Gott, zu ver­las­sen‘ (Jer 2,19).“

Wie könn­te man da ver­ges­sen, daß zwi­schen August und Sep­tem­ber 2016 in Ita­li­en die ersten „Homo-Ehen“ geschlos­sen wurden?

Die zerstörte Basilika, die über dem Geburtshaus des "Vaters des Abendlandes" errichtet wurde
Die zer­stör­te Basi­li­ka, die über dem Geburts­haus des „Vaters des Abend­lan­des“ errich­tet wurde

„Wir wer­den alles wie­der­auf­bau­en“, hat Ita­li­ens Mini­ster­prä­si­dent Matteo Ren­zi erklärt. Der­sel­be Ren­zi hat jedoch am 23. Juli 2016 sei­ne Unter­schrift unter das Durch­füh­rungs­de­kret zum Staats­ge­setz Nr. 76/​2016 gesetzt, auch Lex Cirin­nà  genannt, das die „Homo-Ehe“ in Ita­li­en legalisiert.

Die­ses Gesetz ist ein mora­li­sches Erd­be­ben, weil es die Mau­er des gött­li­chen Natur­rechts nie­der­reißt. Wie könn­te man nur den­ken, daß die­ses schänd­li­che Gesetz fol­gen­los blie­be? Wer nicht auf den gesun­den Men­schen­ver­stand ver­zich­tet, wird sich des­sen sofort bewußt. Der Mensch lehnt sich heu­te gegen Gott auf, und die Natur lehnt sich gegen den Men­schen auf. Bes­ser gesagt: Der Mensch lehnt sich gegen das Natur­recht auf, das sein Fun­da­ment in Gott hat, und die Unord­nung der Natur explodiert.

Die Lex Cirin­nà  zer­stört kei­ne Gebäu­de, aber die Insti­tu­ti­on Fami­lie, indem sie eine mora­li­sche und sozia­le Ver­wü­stung pro­vo­ziert, die um nichts weni­ger schlimm ist als die mate­ri­el­le Ver­wü­stung durch das Erd­be­ben. Wer kann uns das Recht abspre­chen, zu den­ken, daß die Unord­nung der Natur von Gott zuge­las­sen wird als Fol­ge der Leug­nung des Natur­rechts durch die herr­schen­de Klas­se des Westens? Und da die Sym­bo­le unter­schied­li­che Les­ar­ten erlau­ben: Wie könn­te man behaup­ten, jemand habe unrecht, der in der ste­hen­ge­blie­be­nen Fas­sa­de der Kathe­dra­le von Nor­cia ein Sym­bol für das sieht, was heu­te nach mensch­li­chem Ermes­sen von der katho­li­schen Kir­che noch über­ge­blie­ben scheint: ein Hau­fen Schutt? Die Erklä­run­gen von Msgr. Becciu, einem der eng­sten Mit­ar­bei­ter von Papst Fran­zis­kus, sind Aus­druck einer zu Rui­nen ver­fal­le­nen kirch­li­chen Welt, die noch wei­te­re Rui­nen auf sich zieht.

Von der Ver­öf­fent­li­chung des nach­syn­oda­len Schrei­bens Amo­ris lae­ti­tia bis zur Ehren­be­zeu­gung für Luther in Lund hat Papst Fran­zis­kus mit Sicher­heit nicht dazu bei­getra­gen, wie­der Ord­nung in die­se Welt in Scher­ben zu bringen.

Die stehengebliebene Statue des heiligen Benedikt von Nursia auf dem Platz vor der Basilika
Die ste­hen­ge­blie­be­ne Sta­tue des hei­li­gen Bene­dikt von Nur­sia auf dem Platz vor der Basilika

Der Papst wie­der­holt, daß man kei­ne Mau­ern errich­ten, son­dern Mau­ern ein­rei­ßen soll: Nun denn, die Mau­ern bre­chen ein, aber mit ihnen bricht auch der Glau­ben und die katho­li­schen Moral ein, mit ihnen stürzt auch die christ­li­che Zivi­li­sa­ti­on ein, die in Nor­cia, der Hei­mat des hei­li­gen Bene­dikt, ihre sym­bo­li­sche Wie­ge hat.

Und doch: Wenn auch die Kathe­dra­le ein­ge­stürzt ist, so ist die Sta­tue des hei­li­gen Bene­dikt auf dem Platz davor ste­hen­ge­blie­ben. Rund um die­se Sta­tue hat sich eine Grup­pe von Mön­chen, Ordens­frau­en und Lai­en ver­sam­melt, und sie haben auf dem Platz kniend den Rosen­kranz gebe­tet. Auch das ist eine sym­bo­li­sche Bot­schaft, die uns von der ein­zig mög­li­chen Form des Wie­der­auf­baus spricht: jener, die kniend und betend erfolgt.

Zum Gebet braucht es aber auch die Akti­on, den Kampf, das öffent­li­che Zeug­nis unse­res Glau­bens an die Kir­che und die christ­li­che Zivi­li­sa­ti­on, die aus den Trüm­mern wie­der­auf­er­ste­hen wird. Die Got­tes­mut­ter hat es in Fati­ma ver­hei­ßen. Doch bevor ihr Unbe­fleck­tes Herz tri­um­phie­ren wird, hat die Aller­se­lig­ste Jung­frau auch eine pla­ne­ta­ri­sche Stra­fe für die reue­lo­se Mensch­heit ange­kün­digt. Man muß den Mut wie­der­fin­den, auch dar­an zu erin­nern und davor zu warnen.

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt erschie­nen: Vica­rio di Cri­sto. Il pri­ma­to di Pie­tro tra nor­ma­li­tà  ed ecce­zio­ne (Stell­ver­tre­ter Chri­sti. Der Pri­mat des Petrus zwi­schen Nor­ma­li­tät und Aus­nah­me), Vero­na 2013; in deut­scher Über­set­zung zuletzt: Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil – eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, Rup­picht­eroth 2011. Die Zwi­schen­ti­tel stam­men von der Redaktion.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana/​MiL

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