NDR-Missbrauchskampagne gegen die Kirche – 2015 wie 2010 – medienethisches Versagen ARD (10)


Heuchelei Kindesmissbrauch: Empörung über Missbrauchsfälle durch Kleriker, Anti-Missbrauchsaktionen der Polizei (links), während die Politik zugleich die Homosexualisierung fördert (Homo-Fahne, gehisst von der Stadtverwaltung vor dem Kölner Dom)
Heuchelei Kindesmissbrauch: Empörung über Missbrauchsfälle durch Kleriker, Anti-Missbrauchsaktionen der Polizei (links), während die Politik zugleich die Homosexualisierung fördert (Homo-Fahne, gehisst von der Stadtverwaltung vor dem Kölner Dom)

In einer bei­spiel­lo­sen Kam­pa­gne im Sin­ne von Schwarm­jour­na­lis­mus hat­ten die Medi­en im Früh­jahr 2010 die Kir­che wegen Miss­brauchs­vor­fäl­len an den Pran­ger gestellt. Damit ver­brei­te­ten sie in der Bevöl­ke­rung die absurd irri­ge Mei­nung, Kin­des­miss­brauch sei unter Prie­stern in der katho­li­schen Kir­che weit ver­brei­tet. So lau­te­te damals der Vor­halt des Allens­bach-Insti­tuts, dem 47 Pro­zent der Befrag­ten zustimm­te. Fünf Jah­re nach dem ruf­schä­di­gen­den Kam­pa­gnen-Jour­na­lis­mus, an dem sich auch der NDR betei­lig­te, schlägt der Sen­der mit einem neu­en Film­be­richt in die glei­che Kerbe.

Anzei­ge

Ein Gast­bei­trag von Hubert Hecker. 

Im Jah­re 2011 hat­te das Kri­mi­no­lo­gi­sche For­schungs­in­sti­tut Nie­der­sach­sen in einer reprä­sen­ta­ti­ven Stu­die 11.428 Per­so­nen zwi­schen 16 und 40 Jah­ren nach Miss­brauchs­er­fah­run­gen befragt. Dar­aus ergab sich, dass 683 Per­so­nen (knapp sechs Pro­zent der Befrag­ten) vor dem 16. Lebens­jahr min­de­stens ein­mal Opfer von Miss­brauch gewor­den waren. Bei mehr als drei Vier­tel der den Opfern „bekann­ten“ Miss­brauchs­tä­tern mit Kör­per­kon­takt (473 Betrof­fe­ne) han­delt es sich um männ­li­che Täter aus dem engen Fami­li­en­kreis oder aus dem Umfeld der Eltern. Zuge­ord­net nach gesell­schaft­li­chen Berei­chen kamen fast ein­hun­dert Miss­brauchs­tä­ter bezüg­lich aller Sexu­al­de­lik­te aus dem Schul­be­reich, jeweils um die vier­zig aus dem Freizeit/​Sportbereich sowie dem Heim- und Pfle­ge­kon­text. Von den elf­tau­send Befrag­ten gab eine Per­son an, von einem katho­li­schen Prie­ster miss­braucht wor­den zu sein.

Die­ser extrem nied­ri­ge Wert von unter einem Pro­mil­le kann aller­dings unter ver­schie­de­nen Gesichts­punk­ten rela­ti­viert und damit höher gewich­tet wer­den. Gleich­wohl zei­gen die­se empi­ri­schen Daten, dass das Gegen­teil der medi­al ver­brei­te­ten The­se rich­tig ist: Miss­brauchs­hand­lun­gen sind in kirch­li­chen Ein­rich­tun­gen eher sel­ten ver­brei­tet, jeden­falls weni­ger häu­fig als im säku­la­ren Schul‑, Frei­zeit- oder Pfle­ge­be­reich. Die­ses Ergeb­nis bestä­tig­te der Kri­mi­no­lo­ge Prof. Hans-Lud­wig Kör­ber. Nach sei­nen Stu­di­en sind zöli­ba­t­ä­re Prie­ster signi­fi­kant weni­ger in Miss­brauchs­ver­hal­ten ver­wickelt sind als die ent­spre­chen­de nicht zöli­ba­t­är leben­de Män­ner­grup­pe. Schließ­lich  spre­chen Ver­gleichs­zah­len aus Hes­sen für die­se Ten­den­zen: Nach dem Auf­ruf der drei hes­si­schen Bis­tü­mer von 2011 hat­ten sich 65 Opfer gemel­det, die anga­ben, in den Jah­ren seit 1945 von kirch­li­chen Mit­ar­bei­tern miss­braucht wor­den zu sein. Das war weni­ger als die Hälf­te der Miss­brauchs­op­fer an einer ein­zi­gen hes­si­schen Heim­schu­le, der Oden­wald­schu­le, im Zeit­raum von 1970 bis 1990.

Mit die­ser Rich­tig­stel­lung der sta­ti­sti­schen Zah­len soll kei­nes­falls eine Mar­gi­na­li­sie­rung von mora­li­scher Schuld ein­her­ge­hen oder gar eine Ent-Schul­di­gung. Jedes ein­zel­ne von einem Kle­ri­ker miss­brauch­te Kind ist eine Ankla­ge, die sexu­el­le Ver­füh­rung einer Anzahl von Schutz­be­foh­le­nen schreit zum Him­mel. Die Feh­ler der Bischö­fe bei der Behand­lung der Miss­brauchs­tä­ter im letz­ten Jahr­hun­dert beklag­te kürz­lich der austra­li­sche Kar­di­nal Geor­ge Pell.

Die­se ethi­sche Per­spek­ti­ve, also die Com­pas­si­on mit den Opfern und die Ankla­ge gegen die Täter, darf in der öffent­li­chen Debat­te über die ver­brei­te­ten Miss­brauchs­fäl­le nicht ver­drängt wer­den. Zugleich muss die gesell­schaft­li­che Dis­kus­si­on dar­über auch sach­lich und rea­li­täts­ge­recht geführt wer­den, damit die miss­brauchs­be­gün­sti­gen­den Struk­tu­ren erkannt sowie insti­tu­tio­nel­le und prä­ven­ti­ve Kor­rek­tu­ren ein­ge­lei­tet wer­den können.

NDR-Anklage gegen katholische Kirche
NDR-Ankla­ge gegen katho­li­sche Kirche

Unter die­sen Prä­mis­sen und auf dem Hin­ter­grund der oben gege­be­nen Sach­in­for­ma­tio­nen  ist die fol­gen­de Unter­su­chung zu lesen, in der der Film­be­richt des NDR über das Bemü­hen der deut­schen Bischö­fe und Bischofs­kon­fe­renz bei der Auf­ar­bei­tung und Bewer­tung der Miss­brauchs­fäl­le kri­tisch unter die Lupe genom­men wird. Dabei soll aus­drück­lich berech­tig­te Kri­tik der Sen­dung gewür­digt wer­den, etwa wenn auf das ver­ein­zel­te Fehl­ver­hal­ten von kirch­li­chen Auto­ri­tä­ten in der Zeit vor 2010 hin­ge­wie­sen wird. Ande­rer­seits sind eine Rei­he von Pas­sa­gen und The­men des Sen­de­bei­trags zu bean­stan­den, die ein­sei­tig, ten­den­zi­ös und vor­ein­ge­nom­men, nicht neu­tral und objek­tiv behan­delt wer­den: Ein wei­te­rer Fall von medi­en­ethi­schem Ver­sa­gen eines ARD-Senders.

Die Deut­sche Bischofs­kon­fe­renz hat­te erst­mals im Juni 2011 ein wis­sen­schaft­li­ches For­schungs­pro­jekt zu Miss­brauchs­vor­fäl­len in der katho­li­schen Kir­che in Auf­trag gege­ben. Nach dem Schei­tern des ersten Ansat­zes konn­te die DBK am 23. 3. 2014 in Bonn ein neu­es inter­dis­zi­pli­nä­re For­schungs­pro­jekt vor­stell­ten unter dem The­ma: Sexu­el­ler Miss­brauch an Min­der­jäh­ri­gen durch katho­li­sche Prie­ster, Dia­ko­ne und männ­li­che Ordens­an­ge­hö­ri­ge im Bereich der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz. Bischof Dr. Ste­phan Acker­mann (Trier), der Beauf­trag­te der Bischofs­kon­fe­renz für Fra­gen sexu­el­len Miss­brauchs, prä­sen­tier­te das For­schungs­kon­sor­ti­um unter der Lei­tung von Prof. Dr. Harald Dreß­ing vom Zen­tral­in­sti­tut für See­li­sche Gesund­heit in Mann­heim als Ver­bund­ko­or­di­na­tor. Dane­ben sind wei­te­re sie­ben For­scher aus den kri­mi­no­lo­gi­schen Insti­tu­ten von Gie­ßen und Hei­del­bergs sowie des Insti­tuts für Geron­to­lo­gie der Uni­ver­si­tät Hei­del­berg beteiligt.

Ein neues Forschungsprojekt für Klarheit und Transparenz zu Missbrauchsfällen

Bischof Dr. Ste­phan Acker­mann beton­te bei der Vor­stel­lung des neu­en Pro­jek­tes, dass die Kir­che Klar­heit und Trans­pa­renz über den Miss­brauch – um der Opfer wil­len anstre­be.  Mit dem nun inter­dis­zi­pli­nä­ren For­schungs­ver­bund schöp­fe die Katho­li­sche Kir­che neu­es Ver­trau­en in die Koope­ra­ti­ons­part­ner. Die­se wer­den wis­sen­schaft­lich und ethisch beglei­tet durch einen Bei­rat aus Betrof­fe­nen, Wis­sen­schaft­lern und Kir­chen­ver­tre­tern, der auch die­ses For­scher­kon­sor­ti­um aus drei Bewer­ber­grup­pen aus­ge­wählt hat.

Prof. Dr. Harald Dreß­ing erklär­te, Ziel der auf drei­ein­halb Jah­re ange­leg­ten Stu­die sei es, den sexu­el­len Miss­brauch inner­halb der katho­li­schen Kir­che sowohl für die Betrof­fe­nen als auch für die Öffent­lich­keit so trans­pa­rent wie mög­lich auf­zu­ar­bei­ten. Man wol­le die Opfer von Anfang an mit­ein­be­zie­hen. Im Mit­tel­punkt stün­den die Opfer, die­se sei­en die eigent­li­chen Exper­ten, so Dreß­ing. Auch wer­de es der Sache nicht gerecht, den Miss­brauch auf eine Zahl zu redu­zie­ren. Daher wer­de neben der quan­ti­ta­ti­ven Daten­er­he­bung vor allem die qua­li­ta­ti­ve Ana­ly­se der Täter-Opfer-Insti­tu­tio­nen-Dyna­mik im Fokus ste­hen, die sich auf bio­gra­fi­sche Inter­views stützt. Die­ser psy­cho­lo­gi­sche Kon­text sei der wesent­lich neue Aspekt. Genau­so wie die Täter-Opfer-Bezie­hung wird die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem trau­ma­ti­schen Tat­er­le­ben hin­ter­fragt wer­den. Hier­durch sol­len Ein­blicke in Täter­stra­te­gien und das Ver­hal­ten von Kir­chen­ver­ant­wort­li­chen gewon­nen werden.

Als Unter­su­chungs­ge­gen­stand der empi­ri­schen Erhe­bung die­nen Per­so­nal­un­ter­la­gen seit 1945. Das Pro­jekt will sich zunächst einen Über­blick über die bestehen­den Akten­be­stän­de ver­schaf­fen, denn die­se sei­en kir­chen­recht­li­chen Vor­ga­ben zufol­ge nach zehn Jah­ren zu ver­nich­ten, wie es auch in Kli­nik und For­schung der Fall sei, so Dreß­ing. Alles, was an Mate­ri­al zur Ver­fü­gung ste­he, wer­de ausgewertet. 

Jugendtrainer gesteht Missbrauch von Jungen
Jugend­trai­ner gesteht Miss­brauch von Jungen

Aus daten­schutz­recht­li­chen Grün­den wird die Aus­wer­tung der Per­so­nal­ak­ten durch Kir­chen­mit­ar­bei­ter vor­ge­nom­men, so dass Daten in anony­mi­sier­ter Form an das Kon­sor­ti­um wei­ter­ge­lei­tet wer­den. Um Trans­pa­renz zu wah­ren, wird die­ser Vor­gang unter Auf­sicht einer juri­sti­schen Per­son doku­men­tiert und aufgezeichnet.

Prof. Dr. Die­ter Döl­ling vom Kri­mi­no­lo­gi­schen Insti­tut der Uni­ver­si­tät Hei­del­berg ver­wies zusätz­lich auf den Insti­tu­tio­nen­ver­gleich, der die Beson­der­hei­ten der Katho­li­schen Kir­che im Ver­gleich zu ande­ren Insti­tu­tio­nen her­aus­ar­bei­ten soll. Hier­zu wer­den auch außer­kirch­li­che Straf­ak­ten deut­scher Staats­an­walt­schaf­ten aus­ge­wer­tet, um eine ver­glei­chen­de Ana­ly­se zu ermöglichen.

Mit die­sem The­men-Kom­plex beschäf­tigt sich der NDR-Film Das Schwei­gen der Män­ner – Die katho­li­sche Kir­che und der Kin­des­miss­brauch im ersten Teil. Die Sen­dung wur­de am 16. März 2015 aus­ge­strahlt. Dazu im Fol­gen­den eine kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung, die auch als Beschwer­de an den NDR ging.

Film-Recherche unter der Hermeneutik des Verdachts

Der NDR-Film klei­det alle sei­ne Anfra­gen und Dar­stel­lun­gen zu dem DBK-For­schungs­auf­trag in eine Her­me­neu­tik des Ver­dachts. Er

  • stellt die Ehr­lich­keit der katho­li­schen Kir­che bei der Auf­ar­bei­tung durch die­sen neu­en For­schungs­an­satz in Frage,
  • fragt, wie frei die Wis­sen­schaft­li­cher wirk­lich for­schen könn­ten,
  • unter­stellt durch ver­schie­de­ne Mei­nungs­äu­ße­run­gen, dass die Bischö­fe dabei Ver­tu­schung betrei­ben wollten,
  • stellt in den Raum, die Bischö­fe wür­den dem For­schungs­pro­jekt kein Ver­trau­en ent­ge­gen­brin­gen und
  • befürch­tet, dass die ange­kün­dig­te wis­sen­schaft­li­che Auf­ar­bei­tung nicht viel mehr als ein PR-Akti­on der Bischö­fe sei.

In der schrift­li­chen Ein­lei­tung zur Film­do­ku­men­ta­ti­on heißt es, dass die Film­au­toren die Fra­ge stel­len: Wie ehr­lich meint es die katho­li­sche Kir­che wirk­lich mit der Auf­ar­bei­tung? Die­se Recher­chefra­ge nach der inne­ren Wahr­haf­tig­keit der auf­trag­ge­ben­den Kir­che zur Miss­brauchs­auf­ar­bei­tung ist jour­na­li­stisch kaum objek­ti­vier­bar. Daher zie­hen sich durch den gan­zen Film zahl­rei­che Äuße­run­gen von sub­jek­ti­ven Spe­ku­la­tio­nen um Moti­ve und Ein­stel­lun­gen von ande­ren Prie­stern und Bischö­fen – etwa als Schutz­me­cha­nis­men, Repu­ta­ti­ons­sor­ge, Ver­tu­schung, Aus­gren­zung, Blocka­de­hal­tung, Ver­drän­gung und was man sonst noch an Nega­tiv-Hal­tun­gen für mög­lich hal­ten kann (Bischof Bode). Ein gewis­ser Höhe­punkt in die­ser Mei­nun­gen­rei­he ist die im Film unwi­der­spro­che­ne apo­dik­ti­sche Tat­sa­chen­be­haup­tung eines Miss­brauchs­op­fer: Die Bischö­fe haben seit 2010 alles dafür getan, dass kei­ne Auf­ar­bei­tung zustan­de kam.  Teil­wei­se schei­nen die Inter­view­part­ner zu sol­chen Ver­mu­tun­gen ermun­tert wor­den zu sein.  Gele­gent­lich wer­den sub­jek­ti­ve Ansich­ten der Inter­view­ten von den Film­au­toren als Tat­sa­chen-Behaup­tun­gen wei­ter­ge­führt. Die­se Art von jour­na­li­sti­scher Auf­be­rei­tung eines The­mas läuft eher in Rich­tung von Mei­nungs- und Stim­mungs­ma­che hin­aus – jeden­falls dann, wenn die sub­jek­ti­ven Mei­nun­gen nicht mit Fak­ten, objek­ti­ven Aus­sa­gen oder wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­en belegt wer­den kön­nen. Das ist in die­sem Film viel­fach der Fall, wie an ver­schie­de­nen Bei­spie­len gezeigt wer­den wird.

Die Wissenschaftler arbeiten ganz frei und ohne Einschränkungen

Jour­na­li­stisch ange­mes­sen ist die wei­te­re Fra­ge­stel­lung der Ein­lei­tungs­pas­sa­ge, wie frei die Wis­sen­schaft­ler wirk­lich for­schen könn­ten.   Bei der Beant­wor­tung die­ser Fra­ge wäre es sinn­voll gewe­sen, die Ver­fah­rens­wei­sen und Stu­di­en­zie­le des For­schungs­ver­bun­des zu skiz­zie­ren. Aber auf die Moda­li­tä­ten des For­schungs­pro­jekts wird in dem drei­vier­tel­stün­di­gen Film genau­so wenig ein­ge­gan­gen wie die For­scher selbst zu Wort kom­men – auch nicht zu der obi­gen Film­fra­ge. Statt­des­sen reden dazu in meh­re­ren  Bei­trä­gen zwei Kir­chen­recht­ler, die mit dem Pro­jekt direkt nichts zu tun haben und des­halb die Fra­ge nach den Bedin­gun­gen der For­scher nur vom Hören­sa­gen beant­wor­ten kön­nen, jeden­falls unge­nau und feh­ler­haft. Statt gesi­cher­ter Infor­ma­tio­nen wer­den auch in die­sem Punkt sub­jek­ti­ve Ver­mu­tun­gen und Unter­stel­lun­gen zu Lasten der Kir­che ins Feld geführt – auch das kein Jour­na­lis­mus der Sorgfalt.

Die Redak­ti­on hat offen­sicht­lich bei ihrer Recher­che mit den Wis­sen­schaft­lern gespro­chen. Denn einer der Film­au­toren, Seba­sti­an Bell­win­kel, gibt in der Film-Begleit­sen­dung ndr Kul­tur am 16. 3. 19 Uhr deren Ant­wort wie­der, dass sie ganz frei arbei­ten und kei­ner­lei Ein­schrän­kun­gen bei ihrer For­schung haben. Auch in die­sem Fall passt der Redak­ti­on die objek­ti­ve Aus­sa­ge der For­scher zu einer von der Kir­che völ­lig unbe­ein­fluss­ten Pro­jekt­füh­rung anschei­nend nicht ins Kon­zept, so dass sie die­se Ant­wort in der aus­ge­strahl­ten Sen­dung unterschlägt.

Suggerieren und Verdächtigen

In der Sen­dung wird mehr oder weni­ger sug­ge­riert, die Bischö­fe woll­ten im Rah­men des wis­sen­schaft­li­chen For­schungs­pro­jek­tes Ver­tu­schung betrei­ben. Die­se Ver­däch­ti­gung wird zum Ersten an den Begriff Akten­ver­nich­tung gekoppelt.

Bei dem mehr­ma­li­gen Vor­kom­men die­ses Wor­tes wird jeweils sug­ge­riert, dass gezielt bela­sten­de Akten ver­nich­tet wor­den sei­en. Erst nach­dem sich die­ser Ein­druck ver­fe­stigt hat, wird am Schluss die­ser The­men­be­hand­lung bei­läu­fig erwähnt, dass nach kir­chen­recht­li­cher Rege­lung Akten nach zehn Jah­ren ver­nich­tet wer­den kön­nen. Die gan­ze ent­la­sten­de Wahr­heit aber besteht dar­in, dass die­se Archi­vie­rungs­re­gel kein kirch­li­ches Son­der­recht ist, son­dern auch in ande­ren säku­la­ren Insti­tu­tio­nen wie Kli­ni­ken oder Uni­ver­si­tä­ten so vor­ge­schrie­ben ist und ent­spre­chend gehand­habt wird. Die­se all­ge­mei­ne Archiv­re­gel der Akten­ver­nich­tung nach zehn Jah­ren beschreibt also eine Rechts­kon­for­mi­tät und hat somit grund­sätz­lich erst­mal nichts mit Ver­tu­schung zu tun. Jeden­falls ist das mehr­ma­li­ge Sug­ge­rie­ren von Ver­tu­schung durch geziel­te Akten­ver­nich­tung, ohne das bele­gen und bewei­sen zu kön­nen, ein unlau­te­res jour­na­li­sti­sches Vorgehen.

Den zwei­ten Ver­däch­ti­gungs­strang mit dem Unter­ton der Ver­tu­schung treibt der Film über die pri­mä­re Daten­er­he­bung vor­an. Vor­ab sind zwei Punk­te klar­zu­stel­len, auf die der Pro­jekt­spre­cher des For­schungs­kon­sor­ti­ums hinwies:

  • Aus daten­schutz­recht­li­chen Grün­den wer­den die Sich­tung und Erfas­sung der Per­so­nal­da­ten von Mit­ar­bei­tern des jewei­li­gen Bis­tums vor­ge­nom­men. Die so auf­be­rei­te­ten Daten wer­den in anony­mi­sier­ter Form an das For­scher­kon­sor­ti­um weitergeleitet.
  • Zur Ver­mei­dung von Mani­pu­la­tio­nen und zur Wah­rung der Trans­pa­renz wird die­ser Vor­gang unter Auf­sicht einer neu­tra­len, juri­sti­schen Per­son doku­men­tiert und auf­ge­zeich­net. Der Lei­ter des For­schungs­kon­sor­ti­ums, Prof. Dreß­ing, erklär­te auf der Bon­ner Pres­se­kon­fe­renz die­se Rege­lung als ein recht­lich und wis­sen­schaft­lich abge­si­cher­tes Verfahren.
Kinderarzt gesteht Missbrauch von Jungen
Kin­der­arzt gesteht Miss­brauch von Jungen

Statt die­se Sach­in­for­ma­tio­nen aus erster Hand an die Zuschau­er wei­ter­zu­ge­ben, lässt der Film einen Kir­chen­recht­ler zu Wort kom­men, der den Vor­gang nur aus zwei­ter Hand vom Hören­sa­gen kennt. Prof. Nor­bert Lüdicke ist mit der befrag­ten Sach­la­ge nicht ver­traut und kann daher nur Unge­fäh­res und Feh­ler­haf­tes aus­sa­gen. Die bei­den oben aus­ge­führ­ten Eck­punk­te der pri­mä­ren Daten­er­he­bung erwähnt er gar nicht. Daher kommt er dann zu der fal­schen Fol­ge­rung feh­len­der Kon­trol­le bei der Mate­ri­al­sich­tung. Aller­dings drückt er sich sehr vor­sich­tig aus mit For­meln wie: So scheint es mir etc.

Ein der Sorg­falt ver­pflich­te­ter  Jour­na­lis­mus hät­te die­se Signa­le der Unsi­cher­heit zum Anlass genom­men, wei­ter­ge­hend zu recher­chie­ren auf die oben erwähn­ten Eck­da­ten hin. Die Redak­ti­on macht das Gegen­teil. Sie erwei­tert und ver­fe­stigt die bedenk­li­chen Ver­mu­tun­gen des Kir­chen­recht­lers zu Behaup­tun­gen wie: Die mit der Mate­ri­al­sich­tung befass­ten Bis­tums­an­ge­stell­ten sei­en in die­ser Sache dem Bischof zum Gehor­sam ver­pflich­tet. Abge­se­hen davon, dass die­se For­mel der Gehor­sams­ver­pflich­tung nur für geweih­te Prie­ster gilt, ste­hen die kirch­li­chen Mit­ar­bei­ter in die­sem Fall unter von den Wis­sen­schaft­lern for­mu­lier­ten Arbeits­auf­trä­gen, deren Aus­füh­rung wie­der­um von einer neu­tra­len juri­sti­schen Per­son beauf­sich­tigt wird. Daher ist auch die wei­te­re Film-Behaup­tung falsch, dass alle Mate­ri­al­wei­ter­ga­be im Ermes­sen des Bischofs lie­ge. Mit die­ser Falsch-Behaup­tung soll wohl wie­der der Ein­druck einer bischöf­li­chen Ver­tu­schung den Zuschau­ern über­mit­telt wer­den. Ähn­lich falsch lau­tet die Schluss­be­haup­tung des Fil­mes, bei der Miss­brauchs­auf­ar­bei­tung gebe es kei­ner­lei Kontrolle.

Dass die­se Falsch- oder Sug­ge­stiv­be­haup­tun­gen bei den Zuschau­ern Wir­kung zei­gen, kann man an einem TV-Bericht der Frank­fur­ter Rund­schau erse­hen: Der angeb­lich  feh­len­de Wil­le der Bischö­fe zur Auf­klä­rung wird zur Tat­sa­che erklärt, die Auf­klä­rung selbst sei nicht glaub­wür­dig. Auf­grund der feh­ler­haf­ten Film-Dar­stel­lung von der Mate­ri­al­erhe­bung kommt die Zei­tung zu dem Ergeb­nis, sogar die Wis­sen­schaft­lich­keit des For­schungs­pro­jek­tes infragezustellen.

Nach die­sen Aus­füh­run­gen muss der Film-Sug­ge­sti­on von einer Ver­tu­schungs­ab­sicht der Bischö­fe als unbe­wie­sen und unbe­grün­det zurück­ge­wie­sen wer­den. Im Übri­gen bringt der Film selbst ein Bei­spiel dafür, dass die Ver­tu­schungs­ab­sicht der Bischö­fe nicht zutrifft. Bischof Bode, der ein­zi­ge Bis­tums­lei­ter, der zu die­sem Punkt befragt wur­de, stell­te klar, dass er dafür sor­gen wer­de, dass alle ver­füg­ba­ren Akten – auch aus dem Geheim­ar­chiv – den For­schern zur Ver­fü­gung gestellt wür­den. Damit ist nach den Regeln des empi­ri­schen For­schens die The­se gesetzt, dass alle ande­ren Bischö­fe auch so han­deln.  Wenn man trotz­dem die Behaup­tung des Ver­tu­schens auf­recht­erhal­ten woll­te, müss­te man das bei ande­ren Bischö­fen und Bis­tü­mern bewei­sen, was die Film­au­toren aber nicht tun. Sie blei­ben dage­gen im vagen Bereich des Mei­nens und Unter­stel­lens. Das ist ein unred­li­ches jour­na­li­sti­sches Vorgehen.

Die Missbrauchszahlen sind bei Zölibatären 36 Mal niedriger als beim männlichen Durchschnitt der Bevölkerung

Ein wei­te­rer zen­tra­ler The­men­block der Sen­dung besteht in der Fra­ge nach den Tätern, ihren Moti­ven und Ver­mu­tun­gen zu wei­ter­ge­hen­den insti­tu­tio­nel­len Bedin­gun­gen für die Miss­bräu­che wie etwa dem Zölibat.

Zu die­sem Fra­gen­kom­plex lie­gen schon aus dem Jah­re 2010 Unter­su­chun­gen von nam­haf­ten Wis­sen­schaft­lern vor wie die von dem foren­si­schen Psych­ia­ter Prof. Hans-Lud­wig Kör­ber und dem Kri­mi­no­lo­gen Prof. Chri­sti­an Pfeif­fer. Bei­de For­scher kom­men auf­grund von sta­ti­sti­schen Stu­di­en unab­hän­gig von­ein­an­der zu dem Ergeb­nis, dass die Grup­pe der zöli­ba­t­ä­ren Prie­ster signi­fi­kant weni­ger häu­fig in Miss­brauchs­ver­hal­ten ver­wickelt ist als ande­re Män­ner der ent­spre­chen­den Alters­grup­pen. Nach Prof. Kör­ber sind die Miss­brauchs­zah­len bei katho­li­schen Geist­li­chen 36 Mal nied­ri­ger als beim männ­li­chen Durch­schnitt der Bevöl­ke­rung. Prof. Pfeif­fer stütz­te sei­ne Aus­sa­ge, dass nur 0,1  Pro­zent (= 1 Pro­mil­le) der gesam­ten Miss­brauchs­tä­ter aus dem kirch­li­chen Bereich stam­men, auf eine Befra­gung von 11.500 Personen.

Mit­te 2010 ver­tra­ten laut Allens­bach 47 Pro­zent der Befrag­ten die absurd irri­ge Mei­nung: „Kin­des­miss­brauch ist unter Prie­stern in der katho­li­schen Kir­che weit ver­brei­tet“. Wie oben erwähnt, lag der tat­säch­li­che Anteil von Miss­brauchs­op­fer durch kath. Prie­ster bei 0,1 Pro­zent, bei säku­la­ren Lehr­per­so­nen bei 25 Pro­zent. Der völ­lig feh­ler­haf­te Ein­druck in der Öffent­lich­keit zum Ruf­scha­den der Kir­che war durch die Mei­nungs- und Stim­mungs­ma­che der Medi­en im Früh­jahr 2010 ent­stan­den, an der sich auch der NDR betei­ligt hat­te. Fünf Jah­re nach die­sen Fehl­in­for­ma­tio­nen durch Kam­pa­gnen-Jour­na­lis­mus hät­te die öffent­lich-recht­li­che Anstalt die Pflicht gehabt, etwas gut­zu­ma­chen und dem fal­schen Ein­druck in der öffent­li­chen Mei­nung ent­ge­gen­zu­wir­ken. Zumin­dest hät­te man vom NDR erwar­ten müs­sen, dass der Sen­der einen objek­ti­ven, neu­tral-aus­ge­wo­ge­nen Bericht vor­stellt, wie das die ARD-Leit­li­ni­en ver­lan­gen. Statt­des­sen haut der Film­be­richt in die glei­che Ker­be wie damals, indem er erneut den fal­schen Ein­druck ver­mit­telt, Miss­brauch sei im Bereich der kath. Kir­che weit verbreitet.

Man wird eher vom Küssen schwanger als vom Zölibat pädophil

Dage­gen stel­len in einer Stu­die aus dem Jah­re 2012 renom­mier­te For­scher fest, dass bis­her kei­ne empi­ri­schen Befun­de den Zöli­bat als ein erhöh­tes Risi­ko für Sexu­al­de­lik­te bele­gen kön­nen. Prof. Kör­ber kommt zu dem Ergeb­nis, man wer­de eher vom Küs­sen schwan­ger als vom Zöli­bat pädophil. 

Der Film will uns Gegen­tei­li­ges weis­ma­chen: Dem­nach wäre der Zöli­bat gera­de die haupt­säch­li­che Ursa­chen-Bedin­gung für miss­bräuch­li­ches Han­deln. Der Film­be­richt sug­ge­riert die empi­risch wider­leg­te Fol­ge­rung, dass zöli­ba­t­ä­re Prie­ster stär­ker als sexu­ell akti­ve Män­ner ver­gleich­ba­rer Grup­pen in Miss­brauchs­han­deln ver­wickelt wären.

Journalistische Fokussierung auf den Zölibat seit dem Pfaffenspiegel vor 150 Jahren

Miss­bräu­che in der Kir­che mit dem Zöli­bat zusam­men­zu­brin­gen scheint für Jour­na­li­sten eine reflex­haf­te – und daher gedan­ken­lo­se – Reak­ti­on zu sein. Jeden­falls legt das der Schwarm-Jour­na­lis­mus im Früh­jahr 2010 nahe, als die Medi­en uni­so­no Miss­brauch und Zöli­bat zusam­men­brach­ten. Spä­te­stens aber nach den empi­ri­schen Stu­di­en von Prof. Pfeif­fer und Prof. Kör­ber hät­ten seriö­se Jour­na­li­sten die­sen Kon­nex infra­ge­stel­len müs­sen. Ins­be­son­de­re die Fest­stel­lung des letz­te­ren, dass die Miss­brauchs­quo­te bei zöli­ba­t­ä­ren Prie­stern signi­fi­kant nied­ri­ger ist als bei ver­gleich­ba­ren Män­ner­grup­pen, hät­te vor­ur­teils­freie Jour­na­li­sten zum Umden­ken ver­an­las­sen müs­sen. Denn die­ser Befund macht die ganz ande­re Fol­ge­rung plau­si­bel, dass das Zöli­bats- oder Keusch­heits­ver­spre­chen kath. Prie­ster stär­ker vor Miss­brauchs­hand­lun­gen bewahrt als sexu­ell akti­ve Män­ner. Aber wenn man die wis­sen­schaft­li­chen Ergeb­nis­se von Prof. Kör­ber aus­blen­det, wie das der NDR-Bericht tut, dann kann man natür­lich auch nicht auf den schlüs­si­gen Zusam­men­hang von Zöli­bat und ver­min­der­ten Miss­brauchs­zah­len kom­men. Dafür spre­chen eben­falls die Tat­sa­chen, dass ver­hei­ra­te­te Män­ner – auch evan­ge­li­sche Pfar­rer – mas­sen­haft in Miss­bräu­che ver­wickelt sind, jähr­lich in der Grö­ßen­ord­nung von zig­tau­send Mal.

Inhaftungnehmen der Institution Kirche

Schließ­lich ist eine wei­te­re Kon­ne­xi­on der Medi­en – und auch des NDR-Berichts – zu kri­ti­sie­ren, näm­lich bei der Ver­ant­wor­tung für sexu­el­le Miss­brauchs­hand­lun­gen die gan­ze Insti­tu­ti­on in Haf­tung zu neh­men, wie es in der media­len Bericht­erstat­tung  häu­fig der Fall ist (Prof. Kör­ber). Auch dar­in besteht eine Ein­sei­tig­keit der Medi­en (ein­schließ­lich des NDR) gegen­über der Kir­che, wäh­rend sie bei Miss­brauchs­fäl­len in ande­ren Berei­chen kaum oder gar nicht die Insti­tu­tio­nen dafür ver­ant­wort­lich machen: So wur­de auf­grund der Miss­bräu­che in der Oden­wald­schu­le nicht die Reform­päd­ago­gik infra­ge­ge­stellt, obwohl schon die reform­päd­ago­gi­schen Grün­der­vä­ter Wyne­ken und Geheep Miss­brauch prak­ti­ziert hat­ten. Auch bei den rela­tiv häu­fig vor­kom­men­den Miss­brauchs­hand­lun­gen bei Lehr- und Trai­ner­per­so­nen stel­len Jour­na­li­sten nicht deren Pro­fes­si­on und Lehr­be­din­gun­gen in Fra­ge. Bei der Miss­brauchs­pro­pa­gan­da und ‑pra­xis der Grü­nen hat man nicht den basis­de­mo­kra­ti­schen Ansatz dafür ver­ant­wort­lich gemacht. Schließ­lich wird bei dem mas­sen­haf­ten Miss­brauch von Fami­li­en­vä­tern nicht die Insti­tu­ti­on Fami­lie auf den Prüf­stand gestellt.

Statt Spe­ku­la­tio­nen über den Zöli­bat anzu­stel­len oder die Kir­che als gan­ze anzu­pran­gern ist es aller­dings not­wen­dig, insti­tu­tio­nel­le Bedin­gun­gen und per­so­na­le Ver­flech­tun­gen auf­zu­spü­ren, die Miss­brauch begün­sti­gen kön­nen oder die Auf­deckung behin­dern. Die­sen Fra­gen will das For­schungs­kon­sor­ti­um der DBK in sei­ner Stu­die nach­ge­hen, auch im Ver­gleich mit ande­ren Insti­tu­tio­nen. In dem NDR-Film­be­richt fin­det man die­se not-wen­di­ge Fra­ge­stel­lung dage­gen nicht.     

Selbst­ver­ständ­lich kann ein Medi­um als Hypo­the­se die sub­jek­ti­ve Mei­nung ver­tre­ten, der Zöli­bat  wür­de Miss­bräu­che beför­dern. Bei einem seriö­sen Pres­se­or­gan ist es aber gebo­ten, für die­se The­se stich­hal­ti­ge Bewei­se bei­zu­brin­gen, wie das auch Bischof Acker­mann von den Film­au­toren for­dert. Ins­be­son­de­re eine öffent­lich finan­zier­te und nor­mier­te Anstalt wie der NDR steht unter der Ver­pflich­tung, nicht ein­sei­tig an einen Sach­ver­halt her­an­zu­ge­hen, son­dern nach Hören der ande­ren Sei­te eine aus­ge­wo­ge­ne, objek­ti­ve und unab­hän­gi­ge Dar­stel­lung zu bieten.

Keine Einbeziehung von gesicherten Forschungsergebnissen

Die­sem gebo­te­nen Anspruch genügt der Film­be­richt nicht. Er setzt sich weder mit den oben genann­ten gesi­cher­ten For­schungs­er­geb­nis­se aus­ein­an­der, noch zieht er für sei­ne eige­ne The­se wis­sen­schaft­li­che Stu­di­en her­an, son­dern stützt sich aus­schließ­lich auf die Behaup­tun­gen eines ein­zi­gen Sexu­al­psy­cho­lo­gen. Dem wird in meh­re­ren Ein­spie­lun­gen brei­ter Raum ein­ge­räumt für sei­ne The­sen vor allem gegen den Zöli­bat und all­ge­mein die kirch­li­che Moral­leh­re, wäh­rend die oben genann­ten Wis­sen­schaft­ler sowie wei­te­re For­scher und Stu­di­en, die gezielt zu die­sem The­ma Stu­di­en erstellt haben, nicht ein­mal erwähnt wer­den, auch nicht in all­ge­mei­ner Form wie: Ande­re For­schen sehen das anders. Übri­gens sehen das auch ganz unver­däch­ti­ge Per­so­nen des öffent­li­chen Lebens anders – wie etwa die Frau­en­recht­le­rin Ali­ce Schwar­zer: Ich glau­be ganz ehr­lich gesagt nicht an den Zusam­men­hang von Zöli­bat und Miss­brauch, über­haupt nicht. Aber so eine Gegen­po­si­ti­on passt den Film­au­toren offen­bar nicht ins Kon­zept. In ihrer Her­me­neu­tik der Ver­däch­ti­gung blen­den sie alle Kon­tra-Posi­tio­nen aus.

Empirische Studie: Kein Kausalzusammenhang zwischen Zölibat und Pädophilie

b) Zum Zeit­punkt der Film­re­cher­che lag eine reprä­sen­ta­ti­ve Unter­su­chung zu Täter­pro­fi­len und Miss­brauchs­stra­te­gien im kirch­li­chen Bereich vor, mit der nam­haf­te Pro­fes­so­ren 2012 den wis­sen­schaft­li­chen Stan­dard in der For­schung zu dem The­ma: Sexu­el­le Über­grif­fe durch katho­li­sche Geist­li­che in Deutsch­land gesetzt haben. Dabei han­delt es sich um die Zusam­men­schau von foren­si­schen Gut­ach­ten aus den Jah­ren 2000 bis 2010, die von drei uni­ver­si­tä­ren Insti­tu­ten erstellt wor­den waren. Nach der Unter­su­chung von 664 Delik­ten kom­men die Wis­sen­schaft­ler bezüg­lich Tätern und kirch­li­chem Umfeld zu fol­gen­dem Ergebnis:
Bis­her lie­gen kei­ne empi­ri­schen Befun­de vor, die bele­gen könn­ten, dass ein gewoll­ter oder unge­woll­ter Ver­zicht auf Sexua­li­tät und/​oder Part­ner­schaft das Risi­ko für Sexu­al­de­lik­te erhöht. Vie­le Men­schen, ob sie nun in Paar­be­zie­hun­gen leben oder allein­ste­hend sind, haben kei­ner­lei, weni­ge oder unbe­frie­di­gen­de Sexu­al­kon­tak­te, ohne dabei sexu­ell grenz­ver­let­zen­de Ver­hal­tens­wei­sen zu zei­gen oder eine Stö­rung der Sexu­al­prä­fe­renz zu ent­wickeln. Die grund­le­gen­de Sexu­al­struk­tur wird im Jugend- oder jun­gen Erwach­se­nen­al­ter fest­ge­legt, also in der Regel Jah­re vor dem Gelüb­de des Zöli­bats, sodass ein direk­ter Kau­sal­zu­sam­men­hang zwi­schen dem Zöli­bat und einer pädo­phi­len Stö­rung der Sexu­al­prä­fe­renz wenig plau­si­bel erscheint. 

Auch die Hypo­the­se, dass Män­ner mit einer pädo­phi­len Prä­fe­renz­stö­rung eher dazu nei­gen, den Prie­ster­be­ruf zu ergrei­fen, lässt sich weder auf Basis inter­na­tio­na­ler Befun­de (z. B. Ter­ry et al., 2011; Deet­man et al., 2011) noch anhand der hier vor­lie­gen­den Ergeb­nis­se bestä­ti­gen. Sexu­el­le Miss­brauchs­hand­lun­gen an Min­der­jäh­ri­gen wer­den auch inner­halb der katho­li­schen Kir­che aus Beweg­grün­den began­gen, die sich über­wie­gend dem nor­mal­psy­cho­lo­gi­schen Bereich zuord­nen las­sen (Kör­ber, 2009) und nicht einer krank­haf­te oder gestör­ten Pscho­pa­tho­lo­gie ent­sprin­gen. Man mag dem Zöli­bat kri­tisch gegen­über­ste­hen, aber eine Kop­pe­lung der Debat­te um sexu­el­len Miss­brauch durch Geist­li­che und dem Zöli­bat ent­behrt jeg­li­cher wis­sen­schaft­li­che Grundlage. 

Die Ver­ant­wor­tung für sexu­el­le Miss­brauchs­hand­lun­gen ist bei den Tätern zu suchen und kann nicht auf die Insti­tu­ti­on ‚katho­li­sche Kir­che’ über­tra­gen wer­den, wie es in der der­zei­ti­gen media­len Bericht­erstat­tung häu­fig der Fall ist. Sexu­al­de­lik­te wer­den von den unter­schied­lich­sten Berufs­grup­pen began­gen (z. B. auch Poli­zi­sten, Rich­tern, Ärz­ten, Päd­ago­gen u.v.a.m), den­noch stellt man nicht das Rechts­sy­stem oder eine ganz Pro­fes­si­on in Fra­ge (zitier­te Pas­sa­gen aus der oben genann­ten Stu­die S. 9).

Sexualberater als Frontmann der Meinungsmache

Ent­ge­gen die­sen wis­sen­schaft­lich fun­dier­ten Erkennt­nis­sen geht die Redak­ti­on von der frei­schwe­ben­den The­se aus: Der Zöli­bat zie­he Män­ner mit gestör­ter Sexua­li­tät an (Prä­fe­renz­tä­ter) und selbst bei see­lisch gesun­den Prie­stern kön­ne der Zöli­bat zu see­li­scher Unter­ernäh­rung füh­ren. Dazu wird der Sexu­al­be­ra­ter Dr. Chri­stoph Ahlers als ein­zi­ger Kron­zeu­ge her­an­ge­zo­gen. Dabei ist zu fra­gen, wie­so Herr Ahlers, nach Eigen­aus­kunft sexu­al­psy­cho­lo­gi­scher Bera­ter bei part­ner­schaft­li­chen und sexu­el­len Bezie­hungs­stö­run­gen sowie Behand­lung von Libi­do­stö­run­gen aller Art, der geeig­ne­te Exper­te sein soll, Geist­li­che mit Zöli­bats­ge­löb­nis beur­tei­len zu kön­nen. Außer­dem sind von ihm kei­ne Unter­su­chun­gen bekannt, in denen er sich als Fach­mann für den Bereich von Miss­brauchs­tä­tern aus­ge­wie­sen hät­te. Wenn Herr Ahlers aber nicht wegen beson­de­rer Qua­li­fi­ka­ti­on für das infra­ge­ste­hen­de Spe­zi­al­the­ma aus­ge­sucht wur­de, dann ist zu fra­gen, ob er viel­leicht des­halb so brei­ten Raum in der Sen­dung bekam, weil er vor­ge­fass­te The­sen der Redak­ti­on bestä­ti­gen und ihnen den Nim­bus von sexu­al­me­di­zi­ni­scher Plau­si­bi­li­tät geben soll­te? 

Aus den Aus­füh­run­gen von Ahlers ergibt sich, dass er eine mecha­ni­sti­sche Trieb-Über­druck­theo­rie ver­tritt, nach der die sexu­el­le Trie­b­e­ner­gie nicht sub­li­miert wer­den kann, son­dern aus­schließ­lich in sexu­el­ler Befrie­di­gung und Bezie­hun­gen Ent­la­dung sucht. Bei dem zöli­ba­t­ä­ren Trieb­stau käme es dann öfters zu  Miss­bräu­chen an Min­der­jäh­ri­gen in Form von Ersatzhandlungen.

Mechanische Triebüberdrucktheorie aus der Steinzeit der Sexualwissenschaft

Die­se Theo­rie ist höchst umstrit­ten. Ins­be­son­de­re die Dar­stel­lung der Sexua­li­tät in Ana­lo­gie zu mecha­ni­stisch-bio­lo­gi­schen Abläu­fen wird von der Gestalt­psy­cho­lo­gie und ande­ren Schu­len kri­ti­siert. Selbst der Psy­cho­lo­gen-Urva­ter Sieg­mund Freud wür­de einer Anti-Sub­li­mie­rungs­fol­ge­rung wider­spre­chen. Denn gera­de die Sub­li­mie­rung der sexu­el­len Trie­b­e­ner­gie ist nach Freud Grund­la­ge für alle Kul­tur­ent­wick­lung. Auch alle empi­risch-wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­en spre­chen dage­gen, dass die­se Theo­rie ein zutref­fen­der Erklä­rungs­an­satz für Miss­brauchs­tä­ter im Bereich der Kir­che wäre.

Nur Behauptungen, keine Streitkultur

In einer zwei­ten Ein­spie­lung wider­spricht Ahlers sei­nen vor­he­ri­gen Aus­füh­run­gen, wenn er behaup­tet, Miss­bräu­che von Prie­stern sei­en nicht vor­wie­gend dem Typus der Ersatz­hand­lun­gen zuzu­ord­nen. Im Gegen­teil. Wir müs­sen davon aus­ge­hen, dass pro­ble­ma­ti­sche Sexu­al­prä­fe­ren­zen vor­lie­gen, also Prä­fe­renz­tä­ter am Werk sei­en. Mit die­sem Begriff meint Ahlers ins­be­son­de­re pädo­phil ver­an­lag­te Men­schen, wie aus sei­nen Aus­füh­run­gen in einer drit­ten Ein­spie­lung zu ent­neh­men ist.

Er spricht auch nur von kli­ni­schen Ein­drücken. Dar­aus kön­nen aber höch­stens Hypo­the­sen gestellt wer­den, aber nicht sol­che apo­dik­ti­sche Behaup­tun­gen, wie Ahlers sie ver­tritt. Empi­ri­sche Stu­di­en dage­gen – etwa die des Esse­ner Gerichts­psych­ia­ter Nor­bert Ley­graf – kom­men zu gegen­tei­li­gem Ergeb­nis: Bei der Aus­wer­tung von 78 Gut­ach­ten über auf­fäl­lig gewor­de­ne Prie­ster stell­te er fest, dass bei ihnen nur eine Min­der­heit von zehn bis fünf­zehn Pro­zent pädo­phi­le Prä­fe­renz­tä­ter waren.

Ephebophilie – vorwiegend von homosexuell ausgerichteten Tätern ausgehend

Ahlers The­se von den vor­wie­gend (pädo­phi­len) Prä­fe­renz­tä­tern im kirch­li­chen Bereich steht auch im Wider­spruch zu den auf­ge­führ­ten Film­bei­spie­len von Miss­bräu­chen. Bei den etwa ein Dut­zend dar­ge­stell­ten Ver­füh­run­gen Min­der­jäh­ri­ger ist kein ein­zi­ges Bei­spiel von Pädo­phi­lie dabei. Es wer­den – bis auf eine Aus­nah­me von einem neun­jäh­ri­gen Mäd­chen – aus­schließ­lich Miss­bräu­che an geschlechts­rei­fen Jun­gen dar­ge­stellt. Die­ser Befund von  ‚Ephe­b­o­phi­lie’ ist nach Täter­pro­fil, Dia­gno­se und The­ra­pie­an­satz fach­lich und sach­lich von ‚Pädo­phi­lie’ zu unter­schei­den. Bei den ver­gleich­ba­ren Miss­bräu­chen von acht Leh­rern an der Oden­wald­schu­le han­del­te es sich eben­falls um Ephe­b­o­phi­lie. Die­se Delik­te gehen vor­wie­gend von homo­se­xu­ell aus­ge­rich­te­ten Tätern aus, wie bei den Leh­rer-Tätern an der Oden­wald­schu­le nachweisbar.

Die Film­au­toren woll­ten anschei­nend kei­ne sach­li­che Erör­te­rung ihrer The­sen durch ande­re Wis­sen­schaft­ler, Gegen­ar­gu­men­te und sach­lich-fach­li­che Dif­fe­ren­zie­run­gen. Sie machen sich die Anschau­un­gen Ahlers voll­stän­dig zu eigen und for­mu­lie­ren als wei­te­re The­se: Sexu­al­psy­cho­lo­gen wei­sen dar­auf hin, dass der Zöli­bat Män­ner mit gestör­ter Sexua­li­tät anzie­he. Aben­teu­er­lich ist die Begrün­dung die­ser ten­den­ziö­sen The­se durch Chri­stoph Ahlers: Orga­ni­sa­tio­nen mit Sexua­li­täts­ver­bot (kirch­li­ches Zöli­bat für Prie­ster) üben eine Anzie­hungs­kraft auf Per­so­nen aus, die mit pro­ble­ma­ti­scher Sexu­al­prä­fe­renz zu Tätern wer­den kön­nen. Allein schon aus logi­schen Grün­den ist Ahlers The­se wenig plau­si­bel, näm­lich dass ein Sexua­li­täts­ver­bot Sexu­al­tä­ter beson­ders anzie­he. Dar­über hin­aus ist die The­se – wie vor­her gezeigt – auch empi­risch fal­si­fi­ziert wor­den. Die Film­au­toren setz­ten sich über sol­che Beden­ken und Gegen­po­si­tio­nen ein­fach hin­weg mit der pau­scha­len Behaup­tung: Ande­re For­scher bestä­ti­gen das. Bei einer aus­ge­wo­ge­nen, neu­tra­len und objek­ti­ven Bericht­erstat­tung hät­te die End­aus­sa­ge lau­ten müs­sen: Von ande­ren For­schern wird die­se The­se bestritten.

Vorurteile gegenüber der kirchlichen Moraltheologie

Es zeugt nicht von jour­na­li­sti­scher Sorg­falt und Ver­ant­wor­tung, wenn die Film­ma­cher die für den Bereich Kin­des­miss­brauch aner­kann­ten For­scher wie die Foren­si­ker-Pro­fes­so­ren Kör­ber, Pfeif­fer, Ley­graf, Pfäff­lin und König und deren ein­schlä­gi­ge Stu­di­en nicht zu Rate zie­hen, statt des­sen sich allein auf einen ein­zi­gen Sexu­al­be­ra­ter bezie­hen. In den drei län­ge­ren Ein­spie­lun­gen stei­gert sich Ahlers in eine stark emo­tio­na­li­sier­te Spra­che, die die gebo­te­ne wis­sen­schaft­li­che Nüch­tern­heit ver­mis­sen lässt. Zum Schluss zeigt der Sexu­al­psy­cho­lo­ge, dass er offen­sicht­lich in Vor­ur­tei­len gegen­über der Kir­che befan­gen ist, wenn er das völ­lig über­zo­ge­ne Urteil fällt: Die kirch­li­che Moral­theo­lo­gie und Sexu­al­mo­ral ist seit Jahr­tau­sen­den (!) falsch, unge­sund, schäd­lich und ris­kant. Allein schon wegen die­ses extre­men Nega­tiv-Urteils über die kirch­li­che Sexu­al­mo­ral im All­ge­mei­nen  hät­te es sich für die öffent­lich-recht­li­che Sen­de­an­stalt ver­bie­ten müs­sen, den Mann zu dem The­ma Zöli­bat und Miss­brauch als allei­ni­gen ‚Exper­ten’ auf­tre­ten zu lassen.

Vereinnahmung von Pater Mertes

Auch bei der wei­te­ren Behand­lung des Zöli­bats-The­mas im inner­kirch­li­chen Bereich zeigt die Redak­ti­on Ein­sei­tig­keit, Ten­denz­aus­sa­gen und man­geln­de Sorg­falt in der Darstellung.

Im Film wird der Jesui­ten­pa­ter Klaus Mer­tes mit dem Satz zitiert: Dem wür­de ich hun­dert­pro­zen­tig zustim­men. Die­ser Satz ist aber so an die Ahlers-Rede her­an­ge­schnit­ten wor­den, dass die Zuschau­er den Ein­druck bekom­men, als ob er mit des­sen Theo­rie über­ein­stim­me. Doch Mer­tes stell­te nach­träg­lich klar: Die­ser Satz von mir bezog sich aber nicht auf die Äuße­rung des Exper­ten, son­dern erschließt sich aus dem Zusam­men­hang der Inter­views mit mir. Mei­ne Kern­aus­sa­ge war und ist: Es gibt kei­nen direk­ten Zusam­men­hang zwi­schen Zöli­bat und Miss­brauch. … (sie­he Kir­che – Miss­brauch – Medi­en). Gegen­über die­ser kla­ren Aus­sa­ge im O‑Ton Mer­tes behaup­tet die Spre­che­rin im Film Gegen­tei­li­ges: Mitt­ler­wei­le sage Mer­tes, hal­te er den Pflicht­zö­li­bat aus Prä­ven­ti­ons­grün­den für ein Risi­ko. Nach der film­tech­ni­schen Fehl-Ver­ein­nah­mung von Mer­tes für die Ahlers-The­sen liegt auch in die­sem Fall die Ver­mu­tung nahe, dass die Film­au­toren die Aus­sa­ge von Mer­tes mani­pu­liert, jeden­falls feh­ler­haft wie­der­ge­ge­ben haben, damit sie mit der vor­ge­fass­ten Redak­ti­ons­the­se über­ein­stim­men soll­te. Denn wenn es nach Mer­tes aus­drück­li­cher Über­zeu­gung kei­nen direk­ten Zusam­men­hang zwi­schen Zöli­bat und Miss­brauch gibt, dann stellt der Zöli­bat logi­scher­wei­se auch kein Risi­ko dar.

Der NDR lässt sich parteiisch vor den Karren der ‚Progressiven’ spannen

Die Ein­sei­tig­keit und Par­tei­lich­keit der Film­au­toren wird auch durch fol­gen­den Kom­men­tar bestä­tigt: Bei unse­ren Recher­chen bekom­men wir den Ein­druck: Die pro­gres­si­ven Stim­men in der katho­li­schen Kir­che sind zwar nur ver­ein­zelt zu hören, aber es wer­den mehr. Aus dem Zusam­men­hang ergibt sich, dass mit den Pro­gres­si­ven die Kräf­te in der Kir­che gemeint sind, die für eine Infra­ge­stel­lung oder Abschaf­fung des Zöli­bats ein­tre­ten. Mit der wer­ten­den  Wort­wahl pro­gres­siv ver­ra­ten die Film­au­toren, dass sie sich auf die Sei­te der ‚fort­schritt­li­chen’ Zöli­bats­geg­ner schla­gen. Es gehört aber nicht zu den Auf­ga­ben eines öffent­lich-recht­li­chen Sen­ders, bei Streit­fra­gen in der katho­li­schen Kir­che zwi­schen ‚Pro­gres­si­ven’ und ‚Kon­ser­va­ti­ven’ sich par­tei­isch auf eine Sei­te zu schla­gen und sich damit vor deren Kar­ren span­nen zu las­sen. 

Verleumdung der kirchlichen Orden

Der Film beschäf­tigt sich im Schluss­teil mit Miss­brauch in kirch­li­chen Ordens­ein­rich­tun­gen und deren Auf­ar­bei­tung. Zunächst behaup­tet man, dass nur in eini­gen weni­gen der Hun­der­te von katho­li­schen Orden die Ver­gan­gen­heit auf­ge­ar­bei­tet wür­de. Doch dann wird selbst die­se ‚nur in eini­gen’ wie­der zurück­ge­nom­men mit den Wor­ten:  Die Auf­ar­bei­tung der Miss­bräu­che in kirch­li­chen Ein­rich­tun­gen geschieht nur im Macht­be­reich der Bischö­fe. Was hin­ge­gen in den Orden pas­siert mit ihren Schu­len, Hei­men und Inter­na­ten, wird nicht ein­mal unter­sucht. Was da an Miss­brauch pas­sier­te,  bleibt im Dun­keln. Dabei gibt es bun­des­weit Hun­der­te von Orden. Von deren Auf­ar­bei­tung hört man nichts. Nach unse­ren Recher­chen gibt es allein 60 Tat­or­te von Miss­brauchs­an­zei­chen im Bereich der Orden. Die Dun­kel­zif­fer dürf­te weit­aus höher liegen.

Die Film-Behaup­tung der Untä­tig­keit von Orden bezüg­lich der Auf­klä­rung und Auf­ar­bei­tung von Miss­bräu­chen ist ein­deu­tig falsch und damit verleumderisch:

Eine unvor­ein­ge­nom­me­ne Recher­che wür­de neben dem Jesui­ten­or­den leicht zahl­rei­che, sogar hun­der­te Bestä­ti­gun­gen dafür fin­den, dass alle betrof­fe­nen Orden sich um die Miss­brauchs-Auf­ar­bei­tung küm­mern. Genannt sei­en eini­ge exem­pla­ri­sche Bei­spie­le der grö­ße­ren Orden, die sich schon bei einer vier­tel­stün­di­gen Inter­net­su­che ergeben:

Klosterschule Ettal – vorbildlich für Kirche und Welt

Die Bene­dik­ti­ner-Klo­ster­schu­le Ettal war im Früh­jahr 2010 eben­falls wie das Cani­sius-Kol­leg der Jesui­ten  im Fokus der media­len Miss­brauchs-Bericht­erstat­tung. Die Höl­le von Ettal titel­te damals die Welt. Heu­te loben Miss­brauchs­op­fer vor allem den nach per­sön­li­chen Gesprä­chen erfolg­ten Gesin­nungs­wan­del der Klo­ster­lei­tung. Ins­be­son­de­re das unbü­ro­kra­ti­sche Vor­ge­hen sei vor­bild­lich für die gesam­te Kir­che (Chri­sti­an Wöl­fel: Vom Ver­drän­gen und Aner­ken­nen, katho​lisch​.de, 1. März 2012). Ähn­li­ches darf man für die wei­te­ren 25 Bene­dik­ti­ner-Nie­der­las­sun­gen anneh­men. Sie alle haben unab­hän­gi­ge Miss­brauchs­be­auf­trag­te ernannt, so wie es in den Diö­ze­sen gesche­hen ist.

Die Sale­sia­ner Don Bos­cos, heißt es im fünf­ten Bericht der ordens­ei­ge­nen Auf­klä­rungs-Arbeits­grup­pe vom 2. 2. 2011, sehen sich in beson­de­rer Wei­se der Auf­klä­rung und Auf­ar­bei­tung der schwer­wie­gen­den Vor­wür­fe und Vor­fäl­le ver­pflich­tet, die in einem deut­li­chen Wider­spruch zu den Idea­len der Ordens­ge­mein­schaft und zu den Auf­ga­ben, Zie­len und Wer­ten der sale­sia­ni­schen Päd­ago­gik ste­hen. Die Sale­sia­ner haben nach dem glei­chen Muster wie die deut­schen Bischö­fe die Miss­brauchs­auf­ar­bei­tung sowie Prä­ven­ti­on organisiert.

In glei­cher Wei­se haben die Orden der Fran­zis­ka­ner, Kapu­zi­ner und Redempto­ri­sten Arbeits­grup­pen und Leit­li­ni­en für die Auf­klä­rung von Miss­brauchs­fäl­len eingerichtet.
Für das von Dern­ba­cher Schwe­stern betreu­te St. Vin­cenz­stift Aul­hau­sen am Rhein wur­de 2013 eine wis­sen­schaft­li­che Auf­klä­rungs­stu­die vorgestellt.
Die pau­scha­le Unter­stel­lung der Film­au­toren: Was aber in den Orden pas­siert mit ihren Schu­len, Hei­men und Inter­na­ten, wird nicht unter­sucht. Was da an Miss­brauch geschieht,  bleibt im Dun­kelnist offen­sicht­lich eine Falsch-Behauptung.

Die ca. 160 Män­ner- und Frau­en-Orden haben sich in Deutsch­land zu der Deut­schen Ordens­obe­ren-Kon­fe­renz (DOK) zusam­men­ge­schlos­sen. Zu der Miss­brauchs­auf­klä­rung und ‑prä­ven­ti­on heißt es auf der Sei­te der Deut­schen Ordens­obe­ren Konferenz:

In enger Abstim­mung mit der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz hat die Deut­sche Ordens­obe­ren-Kon­fe­renz (DOK) die Leit­li­ni­en über­ar­bei­tet und im Herbst 2010 den Obe­ren der Ordens­ge­mein­schaf­ten in Deutsch­land zur Inkraft­set­zung emp­foh­len. Ordens­ge­mein­schaf­ten in Deutsch­land haben sich der not­wen­di­gen Auf­ar­bei­tung gestellt und vor allem Maß­nah­men zur Prä­ven­ti­on ver­stärkt. Die DOK war am Run­den Tisch „Sexu­el­ler Kin­des­miss­brauch“ betei­ligt und ist bezüg­lich der Umset­zung sei­ner Ergeb­nis­se mit den betei­lig­ten Bun­des­mi­ni­ste­ri­en im Gespräch.

Auf der DOK-Sei­te sind für alle Orden in Deutsch­land und dar­über hin­aus für ein­zel­ne Ordens­schu­len und ‑Inter­na­te sowie für ordens­ei­ge­ne Hei­me unab­hän­gi­ge Miss­brauchs­be­auf­trag­te benannt, an die sich die Miss­brauchs­op­fer der ein­zeln Orden mel­den kön­nen. Da sind ins­ge­samt 350 Namen aufgeführt.

Einseitige Verdächtigungsrecherche

Die Film­au­toren machen die ver­rä­te­ri­sche Aus­sa­ge, dass nach ihren Recher­chen im Bereich der Orden Miss­brauchs­an­zei­gen für 60 Tat­or­te vor­lä­gen. Doch von deren Auf­ar­bei­tung höre man bis­lang kaum etwas.

Vorurteile, Vereinnahmung, Verleumdung, einseitige Recherche
Vor­ur­tei­le, Ver­ein­nah­mung, Ver­leum­dung, ein­sei­ti­ge Recherche

Man kann aus die­ser Bemer­kung ent­neh­men, dass die Redak­teu­re nach Miss­brauchs-Tat­or­ten in den Orden recher­chiert haben, nicht aber danach, was die betref­fen­den Orden an Auf­ar­bei­tung und Auf­klä­rung nach 2010 getan haben. Die Aus­sa­ge: Von deren Auf­ar­bei­tung hört man kaum was – ist ent­lar­vend für die Film­re­dak­teu­re, inso­fern sie einer­seits die ein­sei­ti­ge Ver­däch­ti­gungs­re­cher­che  der NDR-Jour­na­li­sten belegt, ande­rer­seits deren Unwil­len aus­drückt, in glei­cher Inten­si­tät nach den öffent­lich bekann­ten Auf­ar­bei­tungs­maß­nah­men der Orden jour­na­li­stisch zu for­schen. Die­se Fest­stel­lun­gen bele­gen ein­mal mehr die The­se, dass die Film-Jour­na­li­sten offen­sicht­lich mit Vor­ur­tei­len und nicht unpar­tei­isch an ihre Recher­chen her­an­ge­gan­gen sind und daher auch kei­ne aus­ge­wo­ge­ne und objek­ti­ve Doku­men­ta­ti­on vor­le­gen. Die gebo­te­ne Unab­hän­gig­keit und Sorg­falt beim jour­na­li­sti­schen Vor­ge­hen ist auch in die­sem Punkt nicht gegeben.

Stets die gleiche Formel: Programmbeschwerde abgewiesen!

Mit Schrei­ben vom 23. Mai 2016 wies der Rund­funk­rat die vor­lie­gen­de Pro­gramm­be­schwer­de zurück: Der Rund­funk­rat konn­te kei­nen Ver­stoß gegen die für den NDR gel­ten­den Rechts­vor­schrif­ten erken­nen.

Damit bestä­tigt sich ein­mal mehr, dass man sich bei dem der­zei­ti­gen Kon­strukt des ARD-Beschwer­de­ver­fah­rens jede noch so gut begrün­de­te Pro­gramm-Beschwer­de spa­ren kann. Die ARD-Sen­der könn­ten sich aller­dings auch die Beschwer­de- und Kon­troll-Aus­schüs­se selbst spa­ren. Denn die Ergeb­nis­se ste­hen prak­tisch in allen Beschwer­de­fäl­len schon vor der angeb­lich inten­si­ven Dis­kus­si­on und sorg­fäl­ti­ger Prü­fung des Sach­ver­hal­tes fest: Ihre Pro­gramm­be­schwer­de wird abge­wie­sen. (Ende der Serie)

Text: Hubert Hecker
Bild: Poli­zei-dein-Part­ner/Y­ou­tube (Screenhots/Montage)/NDR (Screenshots)/Wikicommons

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2 Kommentare

  1. Ich lebe schon seit 63 Jah­re im aktiv Katho­li­schen Umfeld und bin noch nie von einem Katho­li­schen Geist­li­chen miss­braucht worden.Ich habe nur gelernt dass Sex in der Ehe gehoert,und so gefaellt es mir.Leider sind vie­le ande­re Leu­te nicht damit einig.

  2. Das Risi­ko eines sexu­el­len Miss­brauchs dürf­te sich aller­dings auch auf eine rela­tiv eng begrenz­te Lebens­span­ne in der Kind­heit und (frü­hen) Jugend beziehen. 

    Anson­sten Zustimmung.

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