Muslimbrüder als Unbekannte der jordanischen Parlamentswahlen


(Amman) Heu­te fin­den in Jor­da­ni­en Par­la­ments­wah­len statt. 4,1 Mil­lio­nen Wäh­ler sind auf­ge­ru­fen, ihre Abge­ord­ne­ten zu wäh­len. Die Mus­lim­brü­der dürf­ten zur stärk­sten Oppo­si­ti­ons­par­tei werden.

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Jor­da­ni­en ist eine kon­sti­tu­tio­nel­le Mon­ar­chie. Das Par­la­ment besteht aus zwei Häu­sern. Der Senat wird allein vom König bestimmt. Das Unter­haus besteht der­zeit aus 130 durch Wahl bestimm­te Abge­ord­ne­ten, ver­fügt aber nur über begrenz­te Zustän­dig­kei­ten. Beherrscht wird das Unter­haus von den Ver­tre­tern zwei­er Stäm­me, die dem hasche­mi­ti­schen Königs­haus treu­er­ge­ben sind.

Die Beson­der­heit der heu­ti­gen Wahl liegt im Antre­ten der Mus­lim­brü­der. Sie hat­ten die bei­den vor­an­ge­gan­gen Par­la­ments­wah­len boy­kot­tiert. Mor­gen wer­den sie in das Par­la­ment zurück­keh­ren. In Ägyp­ten gelang­ten die Mus­lim­brü­der nach dem Sturz von Staats­prä­si­dent Muba­rak im Zuge des „Ara­bi­schen Früh­lings“ an die Macht. 2012/​2013 stell­ten sie die Par­la­ments­mehr­heit und mit Moham­med Mur­si das Staatsoberhaupt.

Im Juli 2013 wur­de Mur­si von der Armee­füh­rung mit Bil­li­gung der USA gestürzt und die Mus­lim­bru­der­schaft in Ägyp­ten als Ter­ror­or­ga­ni­sa­ti­on ein­ge­stuft und verboten.

Damit war die isla­mi­sche Bru­der­schaft aber kei­nes­wegs am Ende. Sie ist in 70 Staa­ten ver­tre­ten und spielt in eini­gen eine nicht uner­heb­li­che Rolle.

In Jor­da­ni­en sind die Mus­lim­brü­der zumin­dest seit 1945 aktiv. Erst seit der Locke­rung des Par­tei­en­geset­zes  von 1992 kön­nen sie öffent­lich und orga­ni­siert als Isla­mi­sche Akti­ons­front auf­tre­ten. Vor­her waren sie als Ein­zel­kan­di­da­ten im Par­la­ment ver­tre­ten. Seit­her ist die Akti­ons­front die wich­tig­ste Oppo­si­ti­ons­kraft des ara­bi­schen König­reichs und die ein­zi­ge orga­ni­sier­te Par­tei im Parlament.

Die Akti­ons­front kan­di­dier­te zuletzt 2003 bei Par­la­ments­wah­len und erreich­te damals 10,3 Pro­zent der Stim­men und 16 von damals 110 Man­da­ten. Der Rest der durch Wahl bestimm­ten Sit­ze wur­de durch Ein­zel­per­so­nen gewon­nen, die von den bei­den königs­treu­en Stäm­men ernannt wur­den.  Sie wer­den offi­zi­ell als „Unab­hän­gi­ge“ bezeich­net. Die Par­la­ments­wah­len von 2010 und 2013 wur­den von den Mus­lim­brü­dern aus Pro­test gegen das die königs­treu­en Stäm­me begün­sti­gen­de Wahl­recht boykottiert.

Dem bis­he­ri­gen Par­la­ment gehör­ten auch neun Chri­sten und drei Ver­tre­ter eth­ni­scher Min­der­hei­ten an. Wie bereits bei den bis­he­ri­gen Wah­len wird eine gerin­ge Wahl­be­tei­li­gung erwar­tet. Das Wahl­ver­hal­ten der mei­sten Wäh­ler ori­en­tiert sich am eige­nen Stamm oder Clan.

Beob­ach­ter schau­en daher mit beson­de­rer Span­nung auf das Abschnei­den der nach drei­zehn Jah­ren erst­mals wie­der kan­di­die­ren­den Mus­lim­bru­der­schaft. In den ver­gan­ge­nen Jah­ren wur­de sie durch inne­re Kon­flik­te und Spal­tun­gen sowie staat­li­che Repres­si­on geschwächt. Den­noch dürf­te sie erneut zur größ­ten Oppo­si­ti­ons­kraft des Lan­des werden.

Jor­da­ni­en ist ein Ver­bün­de­ter der USA, es lebt in Frie­den mit Isra­el und unter­hält gute Kon­tak­te zu Sau­di-Ara­bi­en. In Jor­da­ni­en befin­den sich die größ­ten Flücht­lings­la­ger im anhal­ten­den Syri­en- und Irak-Kon­flikt. Das Land ist zudem Teil der von den USA geführ­ten inter­na­tio­na­len Koali­ti­on gegen den Isla­mi­schen Staat (IS).

Seit eini­ger Zeit spricht Jor­da­ni­en davon, daß Dschi­ha­di­sten ins Land ein­sickern und Ein­fluß im Land gewin­nen. Das hasche­mi­ti­sche Königs­haus, ein­ge­setzt von den west­li­chen Kolo­ni­al­mäch­ten, regiert erst seit 1921 über die­sen Teil der ara­bi­schen Welt.

Die Hasche­mi­ten waren seit dem 10. Jahr­hun­dert Groß­sche­ri­fen von Mek­ka und Medi­na. Ihnen kommt daher im sun­ni­ti­schen Islam eine beson­de­re Rol­le zu. 1924 wur­den sie von waha­bi­ti­schen Königs­haus aus Mek­ka und Medi­na ver­trie­ben. Seit Ata­türk den letz­ten tür­ki­schen Sul­tan absetz­te, erhe­ben die die Hasche­mi­ten Anspruch auf das isla­mi­sche Kalifat.

Text: Andre­as Becker
Bild: AsiaNews

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