(Rom) Heute endet in Assisi das Weltgebetstreffen der Religionen und Kulturen in Erinnerung an die erste Veranstaltung dieser Art vor 30 Jahren. 1986 machte Papst Johannes Paul II. das Treffen der Gemeinschaft von Sant’Egidio durch seine Anwesenheit bekannt. Die Bilder haben sich seither eingeprägt. Alle Religionen der Welt versammeln sich auf Einladung des römischen Papstes und akzeptierten diesen symbolisch als Primus inter pares. Die Kehrseite lautet. Für alle anderen Religionen bedeuten die Auftritte in Assisi in der Öffentlichkeit des tonangebenden Westens eine Aufwertung, für die katholische Kirche hingegen eine Abwertung. Die Wahrheitsfrage verschwindet hinter dem Vordergründigen, und das verankerte in den vergangenen 30 Jahren in den Köpfen die Überzeugung, daß alle Religionen gleichwertig und/oder gleichgültig seien. Das ist für die katholische Kirche – da Gastgeberin – nicht nur ein Paradox, sondern ein ernstes Problem, das durch Papst Franziskus noch verstärkt wird.
Korrekturversuche durch Benedikt XVI.
In 30 Jahren kam es zu vier Assisi-Treffen mit päpstlicher Beteiligung: 1986 und 2002 nahm Johannes Paul II. daran teil, 2011 Benedikt XVI., 2016 ist es Franziskus. Der „Geist von Assisi“ wird seit dem ersten Treffen von der Marke „Religionsspektakel“ überschattet. Diese zivilgesellschaftliche Inszenierung der Religion wurde von Joseph Kardinal Ratzinger kritisiert und bekämpft. Das war ein Grund, weshalb er 2011 zur Überraschung seiner engsten Gefährten selbst nach Assisi ging. Er wollte das unter Johannes Paul II. in der Öffentlichkeit entstandene Bild korrigieren. Gelungen ist es ihm nur bedingt. Er unterschätzte die Macht der Bilder, und die unterschieden sich für Außenstehende 2011 kaum von jenen von 2002 und 1986. Mit dem heutigen Tag und der Anwesenheit von Franziskus in Assisi dürften Benedikts Bemühungen endgültig als gescheitert gelten.
Der argentinische Papst beruft sich lieber auf Johannes XXIII. als auf den Polen Wojtyla. Der vormalige Erzbischof von Buenos Aires täte sich schwer, Gemeinsamkeiten mit seinem polnischen Vorgänger zu finden. Eine aber gibt es. Franziskus teilt die Grundausrichtung der Assisi-Treffen. Sie sind ganz nach seinem Geschmack. Wahrscheinlich wundert er sich mehr, daß dies auch für den einstigen Erzbischof von Krakau galt. Gemeint ist die Ausrichtung des ersten Assisi-Treffens, das in der Ideenschmiede der Gemeinschaft Sant’Egidio entwickelt und 1986 als Weltpremiere inszeniert wurde. Johannes Paul II. brachte es eine Kritik ein, die sein ganzes Pontifikat überschattete. Viele Jahre lehnte er eine Wiederholung ab, auf die Sant’Egidio in immer neuen Anläufen drängte. Erst die dramatische Situation und die Kriegsdrohung nach den Ereignissen des 11. September 2001 konnten ihn umstimmen.
Nach 30 Jahren ist Franziskus als erster Papst von der Idee der Assisi-Treffen überzeugt
Ganz anders stellt sich die Situation heute dar. Mit Papst Franziskus ist heute, nach 30 Jahren, der erste Papst nach Assisi gekommen, der die Grundidee des ökumenischen und interreligiösen Dialogs aus „absoluter Überzeugung“ teilt, der Vatikanist Matteo Matzuzzi von Il Foglio. Daher verwundert es nicht, daß das heutige Programm – ganz anders als noch vor fünf Jahren unter Benedikt XVI. – fast ganz dem Schema von 1986 nachempfunden ist. Das gilt vor allem für die Rückkehr zu Gebetsmomenten „an verschiedenen Orten“. Genau diese Inszenierung von Religion als Spektakel, die anderen Religionen Sichtbarkeit verschafft, wurde von Benedikt XVI. abgelehnt. Daher hatte er 2011 verfügt, daß das persönliche Gebet der Teilnehmer unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattzufinden habe, wozu jeder Delegation ein Raum, keine Kirche oder Kapelle, im Gästehaus neben dem Kloster von Santa Maria degli Angeli zugewiesen wurde.
Sant’Egidio hatte auch Benedikt XVI. gleich nach seiner Wahl nach Assisi eingeladen. 2006 sollte des ersten Assisi-Treffens vor 20 Jahren gedacht werden. Der deutsche Papst lehnte jedoch ab. Stattdessen schrieb er dem Bischof von Assisi einen Brief, in dem er seine Ablehnung mit den Worten begründete, daß „nicht mißverstanden werden sollte, was Johannes Paul II. 1986 beabsichtigte“. Aus diesem Grund „ist es wichtig“, daß sich „das interreligiöse Gebetstreffen nicht für synkretistische Interpretationen eignet, die auf einem relativistischen Verständnis gründen“.
Benedikt XVI.: Pflicht „Verwirrung zu vermeiden“
In seinem soeben erschienenen Gesprächsbuch „Letzte Gespräche“ mit Peter Seewald bekräftigte Benedikt XVI. noch einmal seine geringe Begeisterung für das Assisi-Spektakel. Seine Abneigung dagegen war so groß, daß es – nach seinen eigenen Worten – einer der wenigen Punkte war, in denen es zu Unstimmigkeiten mit Johannes Paul II. kam. „Aber wir hatten keine Gegensätze, weil ich wußte, daß seine Absichten gut waren und umgekehrt, weil er wußte, daß ich eine andere Linie vertrat. Vor dem zweiten Treffen von Assisi [2002] sagte er mir, daß er meine Anwesenheit schätzen würde, und so ging ich hin. Das war ein besser organisiertes Treffen. Die Vorbehalte, die ich geltend gemacht hatte, waren aufgegriffen worden, und die Form, die die Veranstaltung dadurch angenommen hatte, erlaubte mir eine Teilnahme.“
In seinem Brief an den Bischof von Assisi schrieb Benedikt XVI. 2006 von der „Pflicht“, „unangemessene Verwirrung zu vermeiden“. Daher ermahnte er: Auch wenn man sich zusammen trifft, um für den Frieden zu beten, gelte, daß dies getrennt zu erfolgen habe. Nichts dürfe den Eindruck eines „Nachgebens gegenüber dem Relativismus vermitteln, der selbst den Sinn der Wahrheit und die Möglichkeit leugnet, sie erkennen zu können“.
Im heutigen Programm findet sich von den Vorbehalten und Mahnungen Benedikts XVI. „keine Spur mehr“, so der Vatikanist Matteo Matzuzzi. Die Religionen werden an „verschiedenen Orten“ beten, während die Christen ein „ökumenisches Gebet“ abhalten, dann folgt das Treffen aller gemeinsam. Reden werden: „ein Opfer des Krieges“, der Patriarch von Konstantinopel, ein Vertrete des Islams, des Judentums, des Buddhismus, der Gründer und „Übervater“ der Gemeinschaft von Sant’Egidio, Andrea Riccardi, und schließlich Papst Franziskus.
„Keine Spur von der Schlußermahnung, die vor fünf Jahren von Kardinal Kurt Koch gehalten wurde“, so Matzuzzi.
Pater Enzo Fortunato, der Pressesprecher des Minoriten am Heiligen Konvent bei der Basilica di San Francesco von Assisi, betonte vor allem die „zutiefst signifikante Anwesenheit von 26 islamischen Delegationen von Ägypten bis Indonesien, der italienischen Gemeinschaft und von sechs Friedensnobelpreisträgern, die persönlich dem Ereignis beiwohnen werden.“
Papst Franziskus ließ seine Teilnahme am Assisi-Treffen nicht durch das Presseamt des Vatikans, sondern durch den Imam von Perugia bekanntgeben, dem er es bei seinem Assisi-Besuch Anfang August „nebenbei“ anvertraut hatte. Diese Bekanntgabe scheint Teil einer PR-Strategie zu sein, die ihr Augenmerk besonders auf den Islam legt, da dieser Imam wenige Stunden später von TV2000, dem Fernsehsender der Italienischen Bischofskonferenz, interviewt wurde, und die ihm vom Papst angekündigte Teilnahme publik machte.
Text: Johannes Thiel
Bild: MiL