„Wenn Ihr in Europa keine Flüchtlinge wollt, setzt Euch für den Frieden in Syrien ein“ – Bischof von Aleppo über die Intervention der USA und Rußlands


Bischof Georges Abou Khazen OFM von Aleppo: Europa soll den Friedensprozeß in Syrien unterstützen
Bischof Georges Abou Khazen OFM von Aleppo: Europa soll den Friedensprozeß in Syrien unterstützen

(Damas­kus) „Die rus­si­sche Inter­ven­ti­on hat die Komö­die der ame­ri­ka­ni­schen Inter­ven­ti­on demas­kiert. Als die Ame­ri­ka­ner und ihre Ver­bün­de­ten bom­bar­dier­ten, expan­dier­te der Isla­mi­sche Staat. Sobald die Rus­sen zu bom­bar­die­ren began­nen, muß­te der Isla­mi­sche Staat end­lich den Rück­zug antre­ten. Las­sen Sie es mich so sagen: Die Rol­le der Ame­ri­ka­ner wäre doch ein biß­chen zu hin­ter­fra­gen.“ Mit die­sen Wor­ten umriß Msgr. Geor­ges Abou Kha­zen, der Apo­sto­li­sche Vikar von Alep­po, die Lage in Syri­en und einen Aspekt des inter­na­tio­na­len Kon­tex­tes des Syrien-Krieges. 

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Bischof Kha­zen gehört dem Fran­zis­ka­ner­or­den an. Sein Amt als Apo­sto­li­scher Vikar in der schwer umkämpf­ten nord­sy­ri­schen Stadt über­nahm er mit­ten im Krieg im Novem­ber 2013. 2012 war der Groß­teil der Wirt­schafts­me­tro­po­le Alep­po von Isla­mi­sten erobert wor­den. Seit Jah­res­be­ginn 2016 konn­te die syri­sche Armee die Nach­schub­li­nie der Isla­mi­sten aus der Tür­kei unter­bre­chen und grö­ße­re Tei­le der Stadt zurück­er­obern. Der Kampf um die Stadt ist noch nicht ent­schie­den. Mit Hil­fe der rus­si­schen Luft­un­ter­stüt­zung konn­ten die regie­rungs­treu­en Trup­pen jedoch das Blatt zu ihren Gun­sten wen­den. Der­zeit herrscht eine Waffenruhe.

Bischof von Aleppo: „Solange die USA interveniert haben, war der IS im Vormarsch“

Bischof Kha­zen hat kei­ne Zwei­fel: daß die Waf­fen end­lich schwei­gen, sei das Ver­dienst der syrisch-rus­si­schen Zusam­men­ar­beit. Er lobt den rus­si­schen Mili­tär­ein­satz in Syri­en und den Vor­marsch der syri­schen Armee: „Der Vor­marsch unse­rer Sol­da­ten garan­tiert grö­ße­re Sicher­heit für alle Bewoh­ner der Stadt und schenkt erst­mals etwas Hoff­nung. Vor die­ser Offen­si­ve gin­gen die Gra­na­ten und Rake­ten der Rebel­len auf die Stadt nie­der und töte­ten jeden Tag mehr als zehn Zivi­li­sten. Ein hal­bes Jahr hat­ten wir kei­nen Strom. Die ordent­li­che Was­ser­ver­sor­gung war zwei Mona­te außer Betrieb. Nun kehrt wie­der alles zur Nor­ma­li­tät zurück.“

Alep­po gilt als Wirt­schafts­zen­trum Syri­ens. Fast 20 Pro­zent der mehr als zwei Mil­lio­nen Ein­woh­ner sind Chri­sten. Nach aktu­el­len Schät­zun­gen leben der­zeit noch etwa 1,4 Mil­lio­nen Men­schen in der Stadt.

Bereits Anfang April hat­te Bischof Kha­zen in einem Inter­view gesagt: „Solan­ge die USA und deren Ver­bün­de­te inter­ve­niert haben, war der Isla­mi­sche Staat stän­dig im Vor­marsch und konn­ten bis zu 50 Pro­zent des Lan­des erobern. Mit der rus­si­schen Inter­ven­ti­on haben der Isla­mi­sche Staat und Al-Nus­ra in weni­ger als zwei Mona­ten vie­le der von ihnen besetz­ten Gebie­te ver­lo­ren. Auf wel­cher Sei­te soll­ten wir Ihrer Mei­nung nach ste­hen? Mit Al-Nus­ra und dem IS oder mit den Rus­sen? Die wich­tig­ste Fol­ge der rus­si­schen Inter­ven­ti­on ist jedoch der Frie­dens­pro­zeß. Erst­mals seit fünf Jah­ren hat ein Dia­log zwi­schen den Kriegs­par­tei­en begon­nen und zu einer Feu­er­pau­se geführt.“

„Europa sollte keine falschen Schlußfolgerungen ziehen“

Auf die Fra­ge, was er dazu sage, daß euro­päi­sche Medi­en die syri­sche Armee beschul­di­gen, Alep­po „zu bela­gern“, ant­wor­te­te Bischof Khazen:

„Ich weiß nicht, ob sie die Wahr­heit nicht ken­nen oder einer Art offi­zi­el­ler ‚Wahr­heit‘ fol­gen: Tat­sa­che ist, daß die syri­sche Armee eine regu­lä­re Trup­pe ist, deren Auf­ga­be es ist, die eige­nen Zivi­li­sten zu schüt­zen. Soll­te sie die Stadt in der Hand des Isla­mi­schen Staa­tes oder von Al-Qai­da las­sen? Für uns bedeu­tet das Ein­tref­fen der syri­schen Armee die Befrei­ung. Wo sie die Kon­trol­le über­nimmt, beginnt wie­der das Leben. In vie­len Orten konn­ten die Kin­der kei­ne Schu­le mehr besu­chen, und das seit drei oder vier Jah­ren. Kaum hat­te die Armee die Orte befreit, begann auch wie­der der regu­lä­re Schul­un­ter­richt. Wenn das eine ‚Bela­ge­rung‘ sein soll, dann soll sie uns will­kom­men sein.“

Sei­ne dama­li­ge Aus­sa­ge habe in vol­lem Umfang ihre Gül­tig­keit behal­ten, bestä­tig­te der römisch-katho­li­sche Bischof nun. Das gel­te auch für die in Euro­pa gezo­ge­ne „fal­sche Schluß­fol­ge­rung“, die Chri­sten von Alep­po sei­en für Baschar al-Assad.

„Wir Chri­sten sind nicht für Baschar al-Assad. Wir sind für die grund­le­gen­den Wer­te des Zusam­men­le­bens und der Tole­ranz, für ein Syri­en, das im Nahen Osten eine Oase der Viel­falt dar­stellt, in dem 23 ver­schie­de­ne, histo­ri­sche eth­ni­sche und reli­giö­se Gemein­schaf­ten zusam­men­le­ben kön­nen. Wollt Ihr in Euro­pa nur eine Far­be? Wollt Ihr die schwar­ze [des Isla­mi­schen Staates]?

„Wo die syrische Armee hinkommt, flüchten die Menschen nicht mehr, sondern kehren nach Hause zurück“

Nicht die rus­si­sche Mili­tär­in­ter­ven­ti­on habe die Flücht­lings­wel­le pro­vo­ziert, die Euro­pa im ver­gan­ge­nen Jahr betrof­fen hat.

„In Euro­pa soll­tet Ihr Euch bes­ser infor­mie­ren … Hier ist das genaue Gegen­teil wahr: Dort wo die regu­lä­re syri­sche Armee hin­kommt, flüch­ten die Men­schen nicht mehr, son­dern keh­ren in ihre Hei­mat­or­te zurück.“

Wel­che Zukunft wünscht sich der Bischof für Alep­po und für Syrien?

„Es ist not­wen­dig, daß sich alle für die Fort­set­zung des nun begon­ne­nen Frie­dens­pro­zes­ses ein­set­zen. Die Regie­run­gen, die Grup­pen unter­stützt haben, die nach Syri­en gekom­men sind, um zu kämp­fen, müs­sen die­se nun auf­for­dern, damit auf­zu­hö­ren. Sie müs­sen sie dazu drän­gen, eine fried­li­che Lösung durch Dia­log zu suchen.
Die rus­si­sche Mili­tär­in­ter­ven­ti­on dräng­te vie­le Kämp­fer den Weg des Dia­logs und der Ver­söh­nung ein­zu­schla­gen. Heu­te geben vie­le Rebel­len den bewaff­ne­ten Kampf auf und arbei­ten mit der Regie­rung zusam­men. Ihr Euro­pä­er soll­tet end­lich begrei­fen: Wenn hier in Syri­en Frie­den herrscht, dann habt Ihr auch kein Flücht­lings­pro­blem mehr.“

Aus die­sem Grund rich­te­te Bischof Kha­zen einen Appell an die Euro­pä­er und beson­ders die Chri­sten Europas:

„Ihr müßt wis­sen: Syri­en hat in der Ver­gan­gen­heit kei­ne Flücht­lin­ge her­vor­ge­bracht, son­dern Flücht­lin­ge aus ande­ren Staa­ten auf­ge­nom­men. Wenn Ihr Euro­pä­er also wirk­lich das Flücht­lings­pro­blem lösen wollt, dann über­denkt Eure Nah­ost­po­li­tik und arbei­tet für den Frie­den in Syrien.“

Gergijew-Konzert „ein schönes Zeichen der Hoffnung“

Bischof Geor­ges Abou Kha­zen hät­te ger­ne am Kon­zert „Ein Gebet für Pal­my­ra“ des rus­si­schen Star­di­ri­gen­ten Wale­ri Ger­gi­jew in der vor kur­zem durch syri­sche und rus­si­sche Trup­pen zurück­er­ober­ten Oasen­stadt Pal­my­ra teil­ge­nom­men, was auf­grund der Situa­ti­on in sei­ner Stadt aber nicht mög­lich war. Das Kon­zert des Chef­di­ri­gen­ten der Münch­ner Phil­har­mo­ni­ker „war ein schö­nes Zei­chen der Hoff­nung für unser Land“, so der Bischof.

Im Som­mer 2015 hat­te der Isla­mi­sche Staat (IS) die anti­ke Rui­nen­stadt ein­ge­nom­men und war dar­in mit blin­der Zer­stö­rungs­wut vor­ge­gan­gen. Der Chef­ar­chäo­lo­ge von Pal­my­ra, Kha­led Assad, wur­de dabei von den Isla­mi­sten hin­ge­rich­tet. Ger­gi­jew gab am ver­gan­ge­nen Don­ners­tag, dem Fest Chri­sti Him­mel­fahrt, mit dem Sym­pho­nie­or­che­ster des Sankt Peters­bur­ger Mari­in­ski-Thea­ters ein Kon­zert, an dem eine Rei­he von Bischö­fen der ver­schie­de­nen christ­li­chen Kir­chen Syri­ens teilnahm.

Text: Andre­as Becker
Bild: Il Giorn­a­le (Screen­shot)

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1 Kommentar

  1. Frie­den für Syri­en aber auch für den Irak. Das hängt wohl lei­der nicht allein von den Men­schen vor Ort ab, son­dern von den Inter­es­sen der Nach­bar­staa­ten sowie ins­be­son­de­re der außer­re­gio­na­len Groß­mäch­te. Euro­pa könn­te eine wesent­li­che Rol­le spie­len, aber dafür müß­ten sei­ne Reprä­sen­tan­ten wie auch die Völ­ker christ­lich ori­en­tiert sein.
    Ein lang­fri­sti­ger Frie­den aber wür­de m.Er. die Bekeh­rung der Moham­me­da­ner voraussetzen.

    Bekannt­lich hat­te Papst Bene­dikt XVI. einen guten Weg in sei­ner Regens­bur­ger Rede ange­sto­ßen und sich ein Stück weit von „Nost­ra Aet­a­te“ im Hin­blick auf den Islam distanziert.

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