(Rom) In seinem ersten Interview mit dem Atheisten Eugenio Scalfari, das am 1. Oktober 2013 in der Tageszeitung La Repubblica veröffentlicht wurde, sagte Papst Franziskus mit Blick auf einige Mitglieder der Römischen Kurie: „Der Hofstaat ist die Lepra des Papsttums“. Franziskus scheint aber „die Aussätzigen und nicht den Aussatz zu bekämpfen“, so Secretum meum mihi. Die Tageszeitung Il Foglio titelte in ihrer gestrigen Ausgabe auf der ersten Seite: „Müller belagert“.
Schönborn statt Müller
Die Distanz, die zwischen dem Papst und dem Glaubenspräfekten Kardinal Gerhard Müller bestehe, sei „von allen“ zu erkennen. „Die Kälte wurde offensichtlich“ durch den Ausschluß des deutschen Purpurträgers von der Präsentation des nachsynodalen Schreibens Amoris Laetitia, obwohl die ganze Diskussion seit zweieinhalb Jahren seinen Arbeitsbereich der Glaubenslehre berührt. Papst Franziskus blieb zwar im deutschen Sprachraum, ließ die Exhortatio aber vom Wiener Erzbischof, Christoph Kardinal Schönborn, vorstellen.
Das war nicht nur eine Form der Zurücksetzung, sondern mehr noch eine Sicherheitsmaßnahme. Kardinal Müller hätte Amoris Laetitia einen Stempel aufgedrückt, den der Papst nach all der langen Mühe, die Scheidung irgendwie zu „katholisieren“, nicht haben wollte.
Da die angestrebten „Öffnungen“ verklausuliert in Fußnoten verpackt wurden, war die Präsentation für die Wirkung entscheidend. Im Vorfeld waren an alle Diözesen Empfehlungen dazu ergangen. Damit stand fest, daß die wichtigste, die römische Präsentation mit großer Sorgfalt vorbereitet würde.
Der Hauptpart dabei kam Wiens Erzbischof zu, der die inhaltliche Bedeutung des Schreibens erläutern sollte. Von Kardinal Müller war keine Spur zu sehen. So war es bereits während der Doppel-Synode. Man denke an die Personalpolitik bei den täglichen Pressekonferenzen. Die Einseitigkeit, mit der Kasperianer dazu geladen wurden, löste unter den Synodalen nur mehr Kopfschütteln aus.
Diametral entgegengesetzte Positionen
Obwohl die umstrittenen Fragen zu Scheidung, Zweitehe und der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene unmittelbar die Glaubenslehre betreffen, blieb der Präfekt der Glaubenskongregation bei allen medienwirksamen Momenten, jenen wo die Kirche mit der Weltöffentlichkeit kommunizierte, unberücksichtigt.
„Tatsache ist, daß der Kardinal Franziskus diametral entgegengesetzte Linien zum Thema vertreten“, so Matteo Matzuzzi in Il Foglio. Es genüge, „die Schriften Müllers mit den Reden Bergoglios zu vergleichen“. Während Müller die Notwendigkeit betont, die „gesunden“ Eckpunkte der kirchlichen Lehre zu bekräftigen, spricht Franziskus ständig von einer Barmherzigkeit, die über das Gesetz hinausgehe.
Die konträren Positionen werden im Paragraphen 311 von Amoris Laetitia deutlich, wo Papst Franziskus schreibt:
„Es ist zum Beispiel wahr, dass die Barmherzigkeit die Gerechtigkeit und die Wahrheit nicht ausschließt, vor allem aber müssen wir erklären, dass die Barmherzigkeit die Fülle der Gerechtigkeit und die leuchtendste Bekundung der Wahrheit Gottes ist. Darum sollte man immer bedenken, ‚dass alle theologischen Begriffe unangemessen sind, die letztlich Gottes Allmacht selbst und insbesondere seine Barmherzigkeit infrage stellen‘“.
Glaubenspräfekt Müller hatte bereits im Herbst 2013 seine Antwort in der Tagespost vorweggenommen, die am 23. Oktober desselben Jahres vom Osservatore Romano übernommen wurde:
„Denn die ganze sakramentale Ordnung ist ein Werk göttlicher Barmherzigkeit und kann nicht mit Berufung auf dieselbe aufgehoben werden. Durch die sachlich falsche Berufung auf die Barmherzigkeit besteht zudem die Gefahr einer Banalisierung des Gottesbildes, wonach Gott nichts anderes vermag, als zu verzeihen. Zum Geheimnis Gottes gehören neben der Barmherzigkeit auch seine Heiligkeit und Gerechtigkeit. Wenn man diese Eigenschaften Gottes unterschlägt und die Sünde nicht ernst nimmt, kann man den Menschen letztlich auch nicht seine Barmherzigkeit vermitteln. Jesus begegnete der Ehebrecherin mit großem Erbarmen, sagte ihr aber auch: ‚Geh und sündige von jetzt an nicht mehr‘ (Joh 8,11). Die Barmherzigkeit Gottes ist keine Dispens von den Geboten Gottes und den Weisungen der Kirche. Sie verleiht vielmehr die Kraft der Gnade zu ihrer Erfüllung, zum Wiederaufstehen nach dem Fall und zu einem Leben in Vollkommenheit nach dem Bild des himmlischen Vaters.“
Nichts davon findet sich in Amoris laetitia.
Korrekturen der Glaubenskongregation blieben unberücksichtigt
Papst Franziskus hatte den Entwurf gemäß vatikanischer Gepflogenheit zwar der Glaubenskongregation zur Prüfung zukommen lassen. Doch nur ein Teil der zahlreichen unter Müllers Leitung ausgearbeiteten Korrekturvorschläge wurde vom Papst berücksichtigt. Papst Franziskus beläßt die Strukturen und auch die Personen an ihrem Platz, läßt sie eifrig arbeiten, ignoriert sie dann aber. Eine effiziente Form, auf unangreifbare Weise Gegenspieler einzubinden und gleichzeitig ins Leere laufen zu lassen.
Diese Marginalisierung der Glaubenskongregation bei der Ausarbeitung und der Vorstellung eines mit solcher Spannung erwarteten päpstlichen Dokuments betrifft nicht nur das nachsynodale Schreiben.
„Das führt dazu, daß mehr als einer jenseits des Tibers soweit geht, von einem möglichen, wenn auch nicht unmittelbaren Wechsel an der Spitze der Kongregation zu sprechen“, so Matzuzzi. Gerüchteweise sei zu hören, Müller könnte angesichts seiner Ausgrenzung selbst das Feld räumen.
Eine solche Flucht vor der Verantwortung, kann dem deutschen Kardinal nur zuschreiben, wer ihn nicht kennt. Müller weiß, gerade wegen seiner Ausbremsung, wie wichtig sein Ausharren im Vatikan ist, um zu verhindern, daß der von Franziskus gebildete Hofstaat, sich völlig der Kirche bemächtigt.
Schönborn „ist ein großer Theologe“ – und Kasper „macht Theologie auf den Knien“
Beim Rückflug von der Insel Lesbos sagte es Franziskus in aller Offenheit: Schönborn „ist ein großer Theologe“. Zur Bestätigung dieser Aussage fügte der Papst hinzu: „Er ist Mitglied der Glaubenskongregation“.
Kardinal Müller ist nicht nur Mitglied, sondern der Leiter der Glaubenskongregation. Doch für ihn hatte Franziskus noch kein vergleichbares Lob übrig. Ganz im Gegenteil: Ein solches Lob gab es bereits, aber für einen anderen deutschen Kardinal, für Ratzingers alten Gegenspieler Walter Kasper, der nach Meinung des Papstes eine „Theologie auf den Knien“ mache. Kasper und Schönborn stehen beide bereit, den wiederverheirateten Geschiedenen die Kommunion zu spenden. In Wien sei das schon „seit 15 Jahren“ Praxis, hatte der österreichische Erzbischof die Öffentlichkeit bei der Vorstellung von Amoris Laetitia in Rom wissen lassen. Das erklärt, warum Schönborn und nicht Müller für diese Aufgabe bestimmt wurde.
Kardinal Schönborn steht derzeit besonders in der Gunst des Papstes. Eine Gunst, die je nach Bereich und Augenblick schnell wechseln kann. Dennoch darf sich Wiens Erzbischof als Sieger der Bischofssynode sehen. Kardinal Kasper warf das Netz aus, Kardinal Schönborn holte den Fisch an Land. Mit seinem diplomatischen Geschick half er Papst Franziskus in der Endphase der Bischofssynode aus der Klemme, als er bei der Schlußabstimmung riskierte, in die Minderheit versetzt zu werden. Eine öffentliche Desavouierung, wie es sie in der Kirchengeschichte, jedenfalls der jüngsten, noch nicht gab.
Schönborn lieferte den Kompromiß, dem Kardinal Müller am Ende zwar zustimmte, um eine Spaltung der Kirche zu vermeiden, aber seine Zweifel über die zweideutigen Formulierungen nicht verhehlte. Synodalen registrierten die sichtliche Genugtuung Kaspers bei jeder Zustimmung Müllers zu umstrittenen Paragraphen.
Worauf läuft das Pontifikat von Franziskus eigentlich hinaus?
In seinem jüngsten Buch legte Müller seine Position unmißverständlich dar und wendet sich damit direkt an Kleriker und Laien. Eine direktere Form der Amtsausübung, da Papst Franziskus ihn in Rom ins Leere laufen läßt. Müller nahm in seinem Buch mehr als nur eine wichtige Präzisierung vor. Eine davon lautet:
„Wir Katholiken haben keinen Grund den 31. Oktober 1517 zu feiern.“
Obwohl Papst Franziskus nicht erwähnt wird, ist die Mißbilligung für die Haltung des Papstes an einer anderen Front unüberhörbar. Franziskus wird am kommenden 31. Oktober nach Stockholm fliegen, um an einem ökumenischen Reformationsgedenken teilzunehmen.
Doch so anders ist die Front zwischen Reformation und Scheidung vielleicht gar nicht. Das päpstliche Reformationsgedenken und der erste Schritt zur Anerkennung der Scheidung sind durch einen gemeinsamen Faden verbunden: den Protestantismus. Als Deutscher ist Kardinal Müller diesbezüglich besonders sensibel und wird sich bereits die Frage gestellt haben, worauf das eigentlich hinauslaufen soll, was seit drei Jahren in Rom im Gange ist.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va/OR (Screenshot)
Es ist keine Marginalisierung, sondern eine Annihilisierung der Glaubenskongregation. Der Papst veröffentlicht Häresien und sagt expressis verbis: „Wiederverheiratete Geschiedene dürfen zur Kommunion“ und Kardinal Müller schweigt. Was hat er schon zu verlieren? Er hat ja nichts verhindert! Es ist doch unmöglich, dass Amoris laetitia ohne seine Mithilfe doch häretischer ausgefallen wäre. Die letzten Enzykliken wohl auch, aber die haben wir nicht gelesen. Es ist wie in Sodom, der Vergleich ist bewußt gewählt, nicht einmal zehn Gerechte finden sich unter den 5100 Bischöfen und 214 Kardinälen. Eine Schande ist es!
Wir schreiben heute darüber aus einer anderen Perspektive: https://traditionundglauben.wordpress.com/2016/04/20/amoris-laetitia-oder-wie-fuhlt-sich-der-profanierte-christus/
Müssen den private Blogger die ganze Arbeit übernehmen, weil die Glaubenskongregation Angst hat? Oder ist denen schon alles gleich? Müller ist doch solch eine agressive Persönlichkeit. Warum setzt er sie jetzt nicht ein?
Es ist wirklich die Zerstörung der Kirche zuerst diese Reform des Ehenichtigkeitsverfahrens, welche eine Annulierung auf Wunsch erlaubt und jetzt noch Amoris laetitia.
Aber:
1. Bei denen, die eine „franziskanische Annulierung“ erhalten bei denen aber keine richtigen Gründe für eine Annulierung vorliegen, die sind weiterhin verheiratet und die nächste, sogar kirchlich geschlossene Ehe, ist ebenfalls ein Ehebruch. Also sie leben weiter in Todsünde mit kirchlich-franziskanischem Segen.
2. Die WvG leben in Ehebruch und kommunizieren in Ehebruch.
Wir haben also bei 1. und bei 2. mit Ehebrechern, schweren Sündern zu tun und ebenson bei all denen, die das Ideal der christlichen Ehe in graduellen Schritten nach Schönborn anstreben und erreichen.
Dies ist doch die theoretische und praktische Aufhebung der Sünde und der Gebote Christi und der Zehn Gebote. Es ist gegen das göttliche Recht!! Und ein Papst beschließt das und alle Kardinäle schweigen!
@ Tradition und Glauben
Das tiefere Drama vollzieht sich doch in der sich immer weiter vollziehenden Entchristlichung unserer gesamten Lebenswirklichkeit. Wo keine Ehe im christlichen Sinne gegründet wird, handelt es sich nur noch um Schein. Die Lebensabschnittspartnerschaften halten lediglich am Brauchtum fest, das Ja-Wort wird zur bloßen Floskel.
Die Frage ist in der Tat, wie man Menschen begegnet, die irgendwann aus diesem heidnischen Dickicht zum christlichen Glauben finden und dabei erkennen, dass all ihr früheres Tun auf Sand gebaut war, weil das Glaubensfundament fehlte.
Barmherzigkeit schlösse hier ein, dass die zum Glauben Gelangenden erkennen, dass sie ein falsches Leben geführt haben. Dies anzunehmen ist die Grundvoraussetzung, um frei zu werden für die Wahrheit. Insofern gehört Leiden immer zum christlichen Glauben. Leiden beruht aber nicht notwendig auf Strafe, sondern entspringt der Tragik des falschen Lebens. Diese Tragik kann man nicht mit einer Zulassung zur Kommunion beheben, im Gegenteil, der Leidende wächst erst im Bewusstsein der eigenen Tragik. Nur wenn er diese annimmt, wird er offen für die Wahrheit.
@ Suarez
Werter Suarez,
Ihre Bemerkungen sind meistens dermaßen fundiert, dass es unhöflich wäre weniger fundiert auf sie zu antworten. Manchmal reicht die Zeit hier auf katholisches.info einfach nicht, deswegen schauen Sie auch bei unserem Blog vorbei, Zwecks Austausch, falls Sie mögen.
Ich sehe hier aber die Schuld nicht bei der Welt, sondern bei der Kirche. Woher sollen denn die Menschen wissen, wie es gehen soll, wenn es ihnen niemand sagt?
1. Es gibt keinen katholischen Religionsunterricht in den Schulen wenigstens nicht seit 1975.
2. Es gibt keinen katholischen Religionsunterricht oder Katechese in den Pfarrgemeinden.
3. Da die Eltern es auch nicht wissen, können sie ihren Kindern kein Glaubenswissen vermitteln.
4. Natürlich von der Kanzel wird auch kein Glaubenswissen vermittelt.
5. Geschweige denn auf katholischen Fakultäten
6. oder in katholischen Akademien und anderen katholischen Bildungseinrichtungen.
Dies ist aber in Deutschland hausgemacht und so gewollt, wenigstens seit 1965. Niemand soll es wissen oder erfahren und „Fundamentalisten“ hält man sich vom Hals.
Ich rede mit vielen Menschen, welchen sich gleich ganz neue Welten eröffnen, als die erfahren, dass sich hinter all diesem „Glaubensgedöns“ irgendein Sinn verbirgt, der noch dazu logisch ist. Aber sie hören es von mir zum ersten Mal. Sie sind doch nicht schuld. Schuld sind die „Hirten“. Der Zustand der deutschen Kirche oder der Kirchen im Westen, im Osten fängt es auch langsam an, da viele im Westen Studieren, ist doch das Werk der deutschen Bischöfe. Wer hat denn die Würzburger Erklärung bzw. Synode verabschiedet? Vgl. https://www.katholisches.info/2016/04/11/das-versagen-des-schulischen-religionsunterrichts-eine-analyse/
Es war doch nicht der Staat. Die Konkordate sind wirklich mehr als großzügig auf dem Papier. Sogar der NS-Staat ließ die Kirche gewähren, was den Religionsunterricht anbelangte und Regierung-Merkel ist doch nicht schlimmer. Hören wir endlich auf alles auf die Welt, die Gesellschaft und die Säkularisierung abzuwälzen. Die Säkularisierung ist doch nach 1965 von der Kirche ausgegangen. „Dialog mit der Welt“, „Inkulturation“ etc. Das hat keine Regierung den Konzilsvätern aufgebürdet. Wir sind schuld, weil wir nicht verkünden! Jeder auf seine Art. Und in diese Leere kommt der Islam, die Esoterik oder was Anderes.
Aber diese Entwicklung war schon 1965 voraussehbar. Romano Amerio hat es 1985, also 20 Jahre nach dem Konzil, in seinem „Iota unum“ mehr als deutlich geschrieben und prächtig analysiert. Michael Davies auch. Es ist doch unmöglich, dass diese Werke im Vatikan nicht gelesen wurden. Benedikt XVI/Ratzinger hat sogar Davies gewürdigt. Aber man hat nicht unternommen und jetzt haben wir Papst Franziskus. Die einzige stringte Lösung ist diese, dass dieselben Menschen im Hintergrund ab 1962 wirkten und jetzt wirken ihre Schüler. Das Ziel ist dasselbe: die Zerstörung.
Sie sagen es ja selbst seit vielen Jahren: Die Kirche in der Form, wie wir sie kennen, wird es nicht mehr geben. Welche wird es denn geben? Keine.
Es fing mit der Ekklesiologie an und zurecht. Zuerst die Aufweichung der katholischen Identität nach Hegel (subsistit in) und jetzt die Aufhebung der katholischen Identität nach Franziskus, obwohl andere es vorbereitet haben.
Hören wir also auf von der Welt zu sprechen.
Verehrter @ Tradition und Glauben,
wir leben in einer konkreten Lebenswirklichkeit, die natürlich auch Rückwirkungen auf den Glauben hat. Die Französische Revolution hat bis heute einen tiefgreifenden Einfluss auf das Denken der Menschen, insbesondere hinsichtlich der Fundamentierung des Säkularismus und seiner Ideologien. Die Aufklärung – und das wird leider immer wieder übersehen – beansprucht einen verabsolutierten Wahrheitsanspruch selbst da, wo sie alles dem Relativismus respektive Positivismus unterwirft. Das Relative wird zum Absoluten und erzeugt so eine Totalität des Irrationalen. Der heutige Mensch wird immer unfähiger zu hören, ihm eignet ein seltsamer Autismus, der ihn in ideologischen Denkmustern verschließt. Tauben kann man aber schlecht das Wort Gottes näherbringen. Damit möchte ich Ihre Erfahrung einer partiellen Bereitschaft zu Hören, wenn man richtig erklärt, nicht infrage stellen, jedoch bleibt dieses Hören leider allzu oft ein temporäres Phänomen. Die Wahrheit wird immer wieder von neuem verschüttet und an ihre Stelle tritt dann wieder die Ideologie der Aufklärung, die Sinn ins beliebig Setzbare verlegt. Dieser Subjektivismus versperrt sich von seinem Wesen her gegen jede konkrete Bestimmung und damit auch gegen eine Lehre, die eindeutige Lehrsätze hat und formuliert. Die Eindeutigkeit wird als Zwang angesehen und so als Ausübung von Herrschaft diskreditiert. Wer heute einmal aufmerksam die Diskussionen in der Kirche verfolgt, der kommt um diesen Befund gar nicht herum.
Es wäre nun die Realität verkennen, wenn man übersieht, dass das Denken der Aufklärung tief in die Lebenswirklichkeit der Kirche eingedrungen ist und die theologische Reflexion stark beeinflusst. Theologen wie Kardinal Newman haben früh erkannt, welche Gefahren von einem unbestimmten Denken, wie es von der Aufklärung hervorgebracht wird, auch für den Glauben ausgehen. In der Kirche sehen wir nun zwei gegenläufige Tendenzen, die eine versucht, die Lehre dem aus der Aufklärung entnommenen Relativismus zu unterwerfen und so Wahrheit in subjektive Setzung aufzulösen, die andere, an der Wahrheit, wie sie vom Lehramt der Kirche erkannt ist, festzuhalten. Da der katholische Glaube ohne eine feste Lehre und ein autorisiertes Lehramt undenkbar ist, weil er sich dann entleeren würde, bin ich mir sicher, dass in fernerer Zukunft die derzeitige relativistische Tendenz in der Kirche ins Leere laufen und korrigiert wird. Wir dürfen da nicht in zu kleinen Zeitabschnitten denken, Wahrheit braucht zu ihrer Entfaltung Zeit und die hat man in der Kirche immer gehabt. Nicht selten wurde über Jahrhunderte um einen Glaubenssatz gerungen. Schon von daher ist die heutige Sucht, Theologie im Schnelldurchgang zu betreiben, wie zum Beispiel Kardinal Kasper es vorexerziert, eine Absurdität.
Mit all dem ist nicht gesagt, dass man den relativistischen Tendenzen in der Kirche nicht entschieden entgegen treten sollte. Nur glaube ich nicht, dass man Glaubende erreicht, die noch nicht wirklich hören wollen respektive können. Der Fanatismus der Sektierer, wie wir ihn immer wieder in der Kirche am Werke sehen, ist eine starke Versuchung und nicht wenige erliegen ihm. Die Politisierung der Kirche befördert den Glaubensverfall und macht so aus Hörende Taube. Wir müssen also unseren Glauben, so wie er in der Kirche als wahr erkannt und gelehrt wird, verkünden und leben, ganz gleichgültig welchen politischen Moden ein Papst gerade nachhängt. Die Einheit der Kirche ist eben immer auch eine Überzeitliche, d.h. kein Papst kann sich gegen die anderen Päpste als Einheit stellen und „sein Ding“ machen.
Papst Franziskus ist doch schon heute in vielerlei Hinsicht gescheitert. Sein Eintreten für die Armen ist längst zur Pose geworden, schon weil er die saturierte deutsche Staatskirche, wie sie von Kardinälen wie Marx repräsentiert wird, einfach unangetastet lässt. Das Pontifikat von Papst Franziskus ist für mich schon heute ein Pontifikat des bloßen „schönen“ Scheines, das man beim besten Willen nicht ernst nehmen kann. Was der Papst da bei seinen „Interviews“ in luftiger Höhe von sich gibt, ist auf einem Niveau, dass man es getrost unter Phrase ablegen kann. Dass nicht alle Päpste Heilige waren, sollte mittlerweile Allgemeingut sein, insofern also nichts Neues unter der Sonne!
Vielleicht wird Kardinal Müller dem emeritierten und wahren Papst Benedikt XVI. bald Gesellschaft leisten können oder müssen. Wie schon seit langem in den deutschsprachigen Ländern üblich, werden offenkundig auch in Rom die Treuen immer mehr an den Rand gedrängt.
Die Anti-Kirche hat das Ruder zur Zeit fest in der Hand. Alle Vorhersagen sind dabei sich zu erfüllen.
Auf dem Foto oben sieht Kardinal Müller dem früheren Kardinal Ratzinger verblüffend ähnlich: Die Haare, die Augenpartie.…ich musste wirklich zwei Mal hinschauen, um den Unterschied zu erkennen.
Kardinal Müller sind die Hände gebunden; wie sollte er es wagen, den Papst oeffentlich zu korrigieren, da sich dieser wieder einmal nur sehr verschwommen äußerte?
Eines lässt sich auch in gebührender Achtung vor dem Papst sagen. Bergolio ist kein sehr tiefschürfender Theologe.
Wenn er sagt: „…dass alle theologischen Begriffe unangemessen sind, die letztlich Gottes Allmacht selbst und insbesondere seine Barmherzigkeit infrage stellen“, so findet sich hier eine Vorstellung von Allmacht und Barmherzigkeit, die man auch durch Willkür ersetzen kann. Gerade die katholische Glaubenslehre hat aber immer daran festgehalten, dass Gottes Liebe gerecht ist, sie also gerade nicht Willkür ist. Manchmal erkennen wir Gottes Liebe nicht in ihrer ganzen Tiefe, was aber nicht heißt, dass sich die göttliche Wahrheit widersprechen könnte. Die Allmacht des sich Widersprechens wäre die Allmacht eines Demiurgen und nicht die Gottes. Barmherzigkeit hebt nicht auf, sondern erfüllt – auch die Gerechtigkeit!
Betrachtet man, was Papst Franziskus bei seinen skurrilen Pressekonferenzen in luftiger Höhe so sagt, dann gerät man zwangsläufig ob der permanenten Verkürzungen der theologischen Reflexion in eine doch recht unangenehme Lage, denn beim besten Willen, kann man solche theologischen Schlichtheiten nicht als Glaubensstärkungen ansehen.
In einem Aufsatz zu Theologie und Lehramt schreibt Joseph Ratzinger: „…Somit ist offensichtlich, dass das Lehramt, das heißt die lebendige Autorität der lehrenden Kirche, die grundlegende und unabdingbare Ebene des Dialogs der Gläubigen mit der Schrift ist; die Theologie ist eine wesentliche Dimension dieses multidimensionalen Dialogs der Kirche mit Gott, der mit uns spricht.
Die Neuheit und die Besonderheit der Theologie, ihr wahres Wesen, gründet in der vernünftigen und methodologischen Teilhabe am großen Dialog zwischen dem Herrn und seiner Kirche. Das »Ich« des Theologen setzt das »Ich« der Kirche voraus, von der er die Synchronie, die Gleichzeitigkeit mit der Schrift empfängt. Wenn dieses »Ich« der Kirche, ihre lebendige, in der Stimme des Lehramts konkretisierte Stimme nicht existiert, fällt auch das eigene Wesen der Theologie weg. Die Schrift wird, wie schon gesagt, eine willkürliche Auswahl aus einer Literatur der Vergangenheit, und das Bemühen der Theologie spaltet sich in zwei unzusammenhängende Teile auf: in einen Historizismus auf der einen Seite (die Exegese wird Literaturgeschichte, handelt von vergangenen Dingen und unterscheidet sich nicht mehr von der Exegese eines Homer oder Vergil usw.) und in Soziologie und Psychologie der glaubenden Gemeinde und in eine Art Politologie von Konstruktionsmodellen der Gemeinschaft auf der anderen Seite, und vielleicht auch in Religionsphilosophie und Moralphilosophie (Ethik). Dem Anschein nach wird die Theologie frei, indem sie sich von der lebendigen Stimme des Lehramts der Kirche emanzipiert; in Wahrheit verliert sie ihren epistemologischen und methodologischen Gehalt und wird zu einem Behälter verschiedener Disziplinen, die untereinander nicht zusammenhängen und größtenteils kein präzises methodologisches Fundament haben. “ (GS BD 9/1 Seite 714–715)
Feigheit, unterwürfige Papsthörigkeit und never criticize the Pope-policy und Komprisse mit Häretikern für eine vorläufige Einheit die in Spaltung mündet zu machen, zahlen sich nicht aus. Der Rückgratschwund ist bei den konservativen Bischöfe derart fortgeschritten, das man nur noch mit dem Kopf schütteln kann. Hätten die konservative Bischöfe mehr Mumm Franziskus hätte es nicht gewagt, sich wie die Axt im Walde aufzuführen. Kardinal Burke ist besonders enttäuschend, da er noch Widerstand gegen den Papst versprach, wenn dieser sich an die Lehre vergreift. Was macht er jetzt kritisiert die Kritiker von Amoris laetitia und flüchtet sich in die Ausrede, dass Amoris laetitia kein lehramtliches Schreiben sei und überhaupt keine Auswirkung auf die Lehre hätte. Bloß nicht aufstehen, Farbe bekennen und HANDELN. Die anderen konservativen Bischöfe wie Müller etc verharren im Schweigen. Die Lehre und die gläubige Herde haben scheinbar kaum Hirten, die sie schützen. Daher schauen wir auf den guten Hirten Christus und setzen wir alle unser Hoffnung auf ihn. Nur er kann uns aus diesem Dilemma, in der uns Franziskus gestürzt hat, befreien.
Vom Bauchgefühl her möchte ich Ihnen recht geben. Aber was sollen Müller, Burke etc. machen? Grosse Pressekonferenz, wo man AL als wider die Lehre einstuft? Soll Müller den Laden einfach hinschmeißen, so dass Bergoglio dann ganz gemütlich einen Kasperianer zum Chef der Glaubenskongregation macht? Sollen sie Sedisvakanz erklären? Wer würde Ihnen folgen?
Ich finde die Reaktion dieser Kardinäle genauso unbefriedigend wie sie, insbesondere Burkes Statement riecht ein wenig nach Taschenspielertrick. Mir ist aber auch noch nichts eingefallen, was Müller & Co. befriedigenderweise machen könnten, was uns dann weiterhilft…
Liebe Zarah,
Sie sollten Ihren Sprachduktus überdenken! Ein Kardinal Sarah ist alles andere als feige und hat sich auch in klarer Weise zur Gültigkeit der Lehre der Kirche geäußert. Ihre Vorstellung, dass er bewaffnet in den Vatikan stürmt und den Papst für abgesetzt erklärt, entspricht nicht theologischem Denken sondern einer bestimmten Form politischer Praxis. Damit stehen Sie den Denken z.B. der Befreiungstheologie viel näher, als Sie wahrhaben möchten. Manchmal habe ich den Eindruck, als korrespondierten hier Strömungen in der Kirche, die beide konsequent am Glauben vorbeigehen. Die Kirche ist keine politische Organisation!
Hochverehrter @ Suarez!
Sie sagen oben mit Recht: „Bergolio ist kein sehr tiefschürfender Theologe“.
Um die Bedeutung dieses Defizits zu erfassen, haben Sie für die Mitleser Joseph Ratzinger/Papst Benedikt zitiert, der unter anderem in weiser Voraussicht gesagt hat:
„Die Neuheit und die Besonderheit der Theologie, ihr wahres Wesen, gründet in der vernünftigen und methodologischen Teilhabe am großen Dialog zwischen dem Herrn und seiner Kirche. Das »Ich« des Theologen setzt das »Ich« der Kirche voraus, von der er die Synchronie, die Gleichzeitigkeit mit der Schrift empfängt. Wenn dieses »Ich« der Kirche, ihre lebendige, in der Stimme des Lehramts konkretisierte Stimme nicht existiert,.…..“(GS BD 9/1 Seite 714–715)
Ja, was ist dann?
Dann, haben wohl einige progressive Kardinäle gehofft, hätten sie leichtes Spiel und könnten sich das reduzierte theologische „Ich“ des neuen Papstes und damit gleichzeitig das „Ich“ der in der Stimme des Lehramts konkretisierten Stimme der Kirche zugunsten von ihren progressistischen Vorstellungen über Kirchenreformen zu eigen machen.
Doch mit dem besonderen „Ich“ der Person ihres argentinischen Favoriten ist offenbar nicht gerechnet worden. Dazu hat am 21.10.2013 eine mexikanische Mathematikerin, Mutter von 9 Kindern, einen persönlichen Sorge-Brief an Papst Franziskus gerichtet, der in diesem Forum eingestellt und ein Jahr später wiederholt worden ist. Sollten Ihnen dieser Brief und die insgesamt fast 160 Kommentare dazu nicht bekannt sein, empfehle ich „Nachlese“.
https://www.katholisches.info/2013/10/21/er-liebt-es-von-allen-geliebt-zu-werden-dramatischer-brief-einer-katholikin-an-papst-franziskus/
https://www.katholisches.info/2014/10/21/er-liebt-es-von-allen-geliebt-zu-werden-vor-einem-jahr-schrieb-lucrecia-rego-de-planas-an-papst-franziskus/
Hochverehrter @ Sophus,
besten Dank für die Erinnerung an diesen, aus heutiger Sicht noch beklemmenderen Brief einer Katholikin an den Papst.
Mir bereitet heute nicht die größte Sorge, dass Papst Franziskus die kirchliche Lehre ändern könnte, sondern dass er ihre Bedeutung sukzessive trivialisiert und damit Katholizität auf ein Niveau reduziert, wo sie sich einfach auflöst. Der Glaube wird durch Trivialisierung nicht gestärkt, sondern geschwächt, weil der zu gehende Weg für den Glaubenden immer undeutlicher zu erkennen ist. Die Aufgabe eines Papstes besteht aber nicht darin, die ihm anvertrauten Schafe ins Dunkel des Unbestimmten zu führen, sondern ans klare Licht des Glaubens der Kirche, wie er zu allen Zeiten die Finsternisse der Welt erhellt hat.
Es mag sein, dass Bergolio berechtigt Überzeichnungen des Liturgischen für ein Übel hält, dem man durch eine gewisse Gelassenheit begegnen sollte, das kann aber doch nicht dazu führen, dass der Sinn des Liturgischen ins Banale aufgelöst wird und alles mit allem gleichgesetzt wird.
Was mich derzeit in der Kirche abstößt, sind die absurden Superlative progressiv gestimmter Bischöfe wie Kardinal Kasper. Wenn dieser über „Amoris Laetitia“ sagt, es handele sich um das wichtigste Schreiben in der Kirche seit 1000(!) Jahren, dann müsste man ob solche Einschätzung eigentlich nur kopfschüttelnd lächeln, denn Kardinal Kasper meint offenbar, das „Amoris Laetitia“ die Schriften von Thomas von Aquin, Duns Scotus und Bonaventura, um nur diese zu nennen, überflügle. Und wenn Papst Franziskus Kardinal Kaspers Thesen als „Theologie auf Knien“ bezeichnet, so kann man über diese Einschätzung theologischer Schlichtheiten ebenfalls nur den Kopf schütteln.
Die Ermangelung des Ernstes in Teilen der Kirche, die Hybris, den Relativismus als Erfüllung der Theologie anzusehen, führt eben zur oben schon angesprochenen Trivialisierung des Glaubens. Der Hang zum Trivialen ist ein Wesensmerkmal unserer Zeit, das sieht man auch in der Politik, ja selbst in der Kunst, in der die Albernheit zum prägenden Stilmerkmal avanciert. Insofern steht dieses Pontifikat für Modernität, wobei damit eben kein Qualitätsmerkmal verbunden ist. Modern sein heißt nichts anderes als der momentanen Mode entsprechen. Die Mode ist aber das jederzeit Austauschbare und beliebig Ersetzbare, denn der im Trivialen verwurzelte Geschmack kennt keine überzeitlich gültigen Qualitätsmaßstäbe.
Wo aber die Mode in den Glauben Einzug hält, wird sie zur Furie des Verschwindens, zur Verbergerin der Wahrheit.
Hochverehrter @Suarez!
Haben Sie noch einmal Dank für Ihre hervorragenden Kommentare, die keiner Ergänzung bedürften.
Dennoch möchte ich auf einen Predigtanfang Kardinal Brandmüllers aus dem Jahr 2012 hinweisen, der mir historische Parallelen in der Reformationszeit aufscheinen ließen:
„Leere Kirchen, viele Kinder, die nicht geboren, geborene, die nicht getauft werden, Ehen, die nicht geschlossen und geschlossene, die nahezu zur Hälfte geschieden werden, Sakramente – ich denke vor allem an die Beichte und die Krankensalbung -, auf die viele Katholiken keinen Wert mehr legen, und zu alledem Hunderte von Priestern, die den Glauben und die Ordnung der Kirche geradezu bekämpfen, und nicht zuletzt die erschütternde religiöse Unwissenheit selbst vieler Gebildeter, die zwischen Wahr und Falsch nicht zu unterscheiden wissen – dann kann man nur noch von einer existenzbedrohenden Krise des Glaubens sprechen, wie die Kirche sie seit der Reformation des 16. Jahrhunderts nicht mehr erlebt hat. Und dieser Krise schauen nicht wenige von denen, die Verantwortung tragen, resigniert, verunsichert, tatenlos zu… Es gilt die Fundamente zu erneuern, zu sichern, damit der Bau selbst nicht einstürzt. Das Fundament, auf dem alles ruht, ist der Glaube“.
Mit dieser Zustandsbeschreibung der gegenwärtigen Kirche hat der Kirchenhistoriker Walter Kardinal Brandmüller am 29.4.2012 eine Predigt in Rom eingeleitet und sich dabei auf vergleichbare Glaubenszustände zur Zeit der Reformation bezogen und damit die heutige Krise des Glaubens mit der Krise des 16. Jahrhunderts in Verbindung gebracht.
Deren Urgrund ist m.E. weniger in den Kirchenzuständen der Zeit zu suchen, als vielmehr in der Individualisierung der römischen Glaubenslehre durch die Reformatoren Luther, Zwingli und Calvin, die allesamt primär keine Theologen waren und vergessen hatten, dass es nicht Aufgabe von Einzelnen, schon gar nicht von Laien sein kann, den Glauben verbindlich auszulegen.
Die Kirche hatte in den 1400 Jahren vor Luther & Co. der individuellen Exegese sehr enge Grenzen gesetzt, denn sie wusste, dass die Auslegung biblischer Texte auch bei Befugten davon abhängt, welchen Standpunkt er einnimmt. Zum Glauben der Kirche gehörte seit Anbeginn, dass die Auslegung des Glaubens nicht aus dem subjektiven Meinen des Einzelnen, sondern aus dem ganzen Glauben der Kirche erwächst. Daher hat die Kirche subjektivistischen Interpretationen immer misstraut und Häresien entschieden ausgesondert.
Die Freigabe der Laienexegese durch Luther geschah in der Absicht, von der Bevormundung der Kirche zu befreien. Aber diese „Befreiung“ von breiten bürgerlichen Kreisen zum freien Bibelstudium hatte eine Kehrseite, die darin bestand, dass protestantische Gläubige zwar die Bibel in ihrer Muttersprache lesen konnten, aber mit einem Schlag von der in lateinischer und griechischer Sprache abgefassten 1400 jährigen Bibelexegse der Kirche abgeschnitten und weitgehend sich selbst überlassen waren – mit der Folge, dass sie für ihre Fragen immer freimütigere Antworten fanden, so dass mit der Individualisierung der 1400 Jahre alten kirchlichen Lehre ihre Trivialisierung einherging, bis der Glaube verloren war.
Wie noch zu Luthers Zeiten, die individualistische Exegese und die einhergehende Trivialisierung des Glaubens zum Glaubensabfall führen konnte, zeigte der hl. Petrus Faber SJ (1506–1546, der noch zu Lebzeiten Martin Luthers die Gefahren einer subjektivistischen Laienexegese erkannt hatte. Unter Punkt 218 seines Memoriale schreibt er:
„ Hier vermerkte und erkannte ich, wie jene, die von der Kirche abfallen, zuerst in jenen Werken und Übungen erlahmen, die Gottes Gnade und seinen « verschiedenen Geistesgaben» (Röm I 2, 6) entstammen; so dass sie in der Folge all das geringzuschätzen und abzutun beginnen, was sie nicht als Erwerb aus eigener Einsicht verteidigen.
So fangen sie an, Vernunftgründe für ihren Glauben und ihre Hoffnung zu suchen und ziehen dabei alles in Zweifel – und so verschütten sie, was ihnen der Heilige Geist eingegossen, und gehen des echten Glaubens verlustig, der im Glauben der Kirche und in der Gemeinschaft der Heiligen gründet.
Ist das alles verschüttet, dann fangen sie an, einen eigenen Glauben nach eigenem Gutdünken aufzustellen und zu suchen: Jeder sucht sich Glaubensgründe zusammen und beurteilt sie; er sucht sich Schriftstellen, sucht ihre Auslegung, urteilt darüber – und so suchen sie sich ihren Glauben oder besser: ihre Privatmeinungen und Irrtümer selbst zusammen“.