„Konzil stürzte Kirche und Gläubige in eine doppelte Krise“ – Interview von Benedikt XVI.


Interview der Tageszeitung Avvenire mit Benedikt XVI.
Interview der Tageszeitung "Avvenire" mit Benedikt XVI.

(Rom) Papst Bene­dikt XVI. durch­brach sein Schwei­gen, das er sich selbst im Zusam­men­hang mit sei­nem uner­war­te­ten Amts­ver­zicht auf­er­leg­te. Seit 2013 lebt er zurück­ge­zo­gen im Klo­ster Mater Eccle­siae im Vati­kan. Nun gab er dem Avve­ni­re, der Tages­zei­tung der Ita­lie­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz ein lan­ges Inter­view, das in der heu­ti­gen Aus­ga­be ver­öf­fent­licht wurde.

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„Las­sen wir uns von Chri­stus for­men“, lau­tet der Titel eines geist­li­chen Inter­views, in dem es um Glau­ben und Theo­lo­gie geht. Tages­ak­tu­el­les und Kir­chen­po­li­tik kom­men dar­in nicht vor.

Das Inter­view führ­te der bel­gi­sche Jesu­it Jac­ques Ser­vais, der Direk­tor der Casa Bal­tha­sar in Rom. Pater Ser­vais war unter Kar­di­nal Ratz­in­ger von 1985–1990 Offi­zi­al an der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on und von 1993–1996 Pro­fes­sor für Dog­ma­tik am Insti­tut Johan­nes Pauls II. in Rom. Er publi­zier­te über Kar­di­nal New­man, Hans Urs von Bal­tha­sar und Adri­en­ne von Speyr.

„Ohne Bindung an das Heil wird auch der Glauben grundlos“

Die zen­tra­le Fra­ge des Inter­views ist: „Was ist der Glau­ben und wie kommt man dazu, zu glauben?“

Der eme­ri­tier­te Papst Bene­dikt XVI. sag­te im Inter­view zur Kirchenkrise:

„Die Mis­sio­na­re des 16. Jahr­hun­derts waren über­zeugt, daß der Unge­tauf­te für immer ver­lo­ren ist. Nach dem Kon­zil wur­de die­se Über­zeu­gung auf­ge­ge­ben. Dar­aus ent­stand eine tie­fe Kri­se. Ohne Bin­dung an das Heil wird auch der Glau­ben grundlos.“

Zum anthro­po­lo­gi­schen Aspekt von Mensch, Tech­nik und Liebe:

„Die Men­schen erwar­ten sich in ihrem Inner­sten, daß der gute Sama­ri­ter ihnen zu Hil­fe kommt. In der Här­te der tech­ni­sier­ten Welt, in der Gefüh­le nichts mehr zäh­len, nimmt die Erwar­tung einer ret­ten­den Lie­be zu, die unei­gen­nüt­zig geschenkt wird.“

Zur zuneh­men­den Bedeu­tung der Barmherzigkeit:

„Es ist ein Zei­chen der Zeit, daß die Idee der Barm­her­zig­keit aus­ge­hend von Schwe­ster Faus­ty­na immer zen­tra­ler und domi­nan­ter wird.“

Pater Ser­vais befrag­te Bene­dikt XVI. zum Recht­fer­ti­gungs­streit um Mar­tin Luther und dem Bestre­ben des hei­li­gen Franz von Sales, der im Gefol­ge des Apo­stels Pau­lus in der Seel­sor­ge davon ange­trie­ben war, so vie­le „Ungläu­bi­ge“ wie mög­lich vor dem „schreck­li­chen Schick­sal des ewi­gen Ver­lo­ren­seins“ zu bewah­ren. Bene­dikt XVI. geht in sei­ner Ant­wort aus­führ­lich auf die „Ent­wick­lung die­ses Dog­mas“ extra Eccle­si­am nulla salus ein, weil sich seit Beginn der Neu­zeit die histo­ri­schen Per­spek­ti­ven gegen­über dem Mit­tel­al­ter „auf radi­ka­le Wei­se“ geän­dert hätten.

Durch die Aufgabe der kirchlichen Heilsnotwendigkeit löste das Konzil eine „doppelte Krise“ aus

"Doppelte Krise" von Kirche und Glauben
„Dop­pel­te Kri­se“ von Kir­che und Glauben

Dadurch, daß das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil die Über­zeu­gung „defi­ni­tiv“ auf­ge­ge­ben habe, daß es für Unge­tauf­te kein Heil gebe, sei die Kir­che und der Glau­ben in eine „dop­pel­te Kri­se“ geraten.

„Einer­seits scheint das einem künf­ti­gen mis­sio­na­ri­schen Ein­satz jede Moti­va­ti­on zu ent­zie­hen. War­um soll­te man Per­so­nen davon über­zeu­gen, den christ­li­chen Glau­ben anzu­neh­men, wenn sie sich auch ohne die­sen ret­ten können?
Aber auch für die Chri­sten tauch­te eine Fra­ge auf: die Not­wen­dig­keit des Glau­bens und sei­ner Lebens­form wur­de unsi­cher und pro­ble­ma­tisch. Wenn es jene gibt, die sich auch auf ande­re Wei­se ret­ten kön­nen, ist es letzt­lich nicht mehr evi­dent, war­um der Christ an die Not­wen­dig­keit des christ­li­chen Glau­bens und sei­ner Moral gebun­den sein soll. Wenn aber der Glau­ben und das Heil nicht mehr von­ein­an­der abhän­gig sind, wird auch der Glau­ben grundlos.
In jüng­ster Zeit wur­den ver­schie­de­ne Ver­su­che unter­nom­men, die uni­ver­sa­le Not­wen­dig­keit des christ­li­chen Glau­bens mit der Mög­lich­keit, sich ohne sie zu ret­ten, mit­ein­an­der in Ein­klang zu bringen.“

Rahners „anonyme Christen“ und die „Oberflächlichkeit“ pluralistischer Religionstheorien keine Lösungen

Bene­dikt XVI. geht dann auf zwei die­ser „Ver­su­che“ ein, dar­un­ter auf die The­se Karl Rah­ners vom „anony­men Chri­sten“, bei dem Christ­sein zum Syn­onym für Mensch­lich­keit wer­de. „Es stimmt, daß die­se The­se fas­zi­nie­rend ist“, doch klam­me­re sie „das Dra­ma der Ver­än­de­rung und der Erneue­rung, das zen­tral für das Chri­sten­tum ist“, aus.

„Noch weni­ger akzep­ta­bel ist die von den plu­ra­li­sti­schen Reli­gi­ons­theo­rien vor­ge­schla­ge­ne Lösung, für die alle Reli­gio­nen, jede auf ihre Wei­se, Heils­we­ge sei­en und in die­sem Sinn in ihren Wir­kun­gen als gleich­wer­tig zu betrach­ten sei­en. Die Reli­gi­ons­kri­tik von der Art wie sie im Alten Testa­ment und von der Ur-Kir­che geübt wird, ist wesent­lich rea­li­sti­scher, kon­kre­ter und wah­rer in ihrer Prü­fung der ver­schie­de­nen Reli­gio­nen.“ Die plu­ra­li­sti­schen Reli­gi­ons­theo­rien sei­en „ober­fläch­lich“ und der „Grö­ße der Fra­ge nicht angemessen“.

Schließ­lich nennt Bene­dikt XVI. noch einen drit­ten Lösungs­vor­schlag, jenen von Hen­ri de Lubac „und eini­ger ande­rer Theo­lo­gen“, die ihre Beto­nung auf den stell­ver­tre­ten­den Ersatz, die vika­ri­sche Sub­sti­tu­ti­on gelegt hät­ten. Damit sei das „Pro­blem nicht zur Gän­ze gelöst“. Es hand­le sich aber um eine „wesent­li­che Intui­ti­on“, wobei ins­ge­samt aber „klar“ sei, „daß wir über die gesam­te Fra­ge nach­den­ken müssen“.

Das voll­stän­di­ge Inter­view im ita­lie­ni­schen Ori­gi­nal (Avve­ni­re).

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Avve­ni­re (Screenshot/​Vaticanva/​OR

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