Die Migranten und die vielschichtige Fernsteuerung – Neues Schengen-Abkommen notwendig


Flüchtlingsansturm aus Albanien (Bari 1991)

von Andre­as Becker

Anzei­ge

(Brüssel/​Istanbul) Es ist längst klar, daß die nicht auto­ri­sier­ten Migra­ti­ons­flüs­se Rich­tung EU ein Phä­no­men sind, das nichts mehr mit dem zu tun hat, was es ursprüng­lich viel­leicht ein­mal sein moch­te. Es han­delt sich nicht mehr um eine Not­si­tua­ti­on, die ent­spre­chen­de Not­maß­nah­men der Poli­tik erfor­dert. Jemand, kon­kret die Tür­kei, hat die Kon­trol­le über einen Groß­teil des Phä­no­mens über­nom­men und es zynisch in ein Instru­ment sei­ner Außen­po­li­tik ver­wan­delt. Anka­ra zöger­te kei­nen Augen­blick, obsku­ren Kräf­ten im Grau­be­reich zwi­schen Ter­ro­ris­mus und inter­na­tio­na­ler Kri­mi­na­li­tät Raum zu geben, die bereit­wil­lig und mit gro­ßem finan­zi­el­len Pro­fit die Migra­ti­ons­flüs­se in allen ihren undurch­sich­ti­gen Pha­sen logi­stisch „ver­wal­ten“.

Medien liefern verzerrte Bilder

Kein Zwei­fel: gäbe es nicht schwe­re Kri­sen und Krie­ge, wären nicht Tau­sen­de von Men­schen unter schwie­ri­gen Bedin­gun­gen und Gefah­ren für Leib und Leben zur Aus­wan­de­rung bereit. Das alles ist aber sozu­sa­gen nur der Roh­stoff für das Phä­no­men. Unter den heu­ti­gen Bedin­gun­gen ist nicht ein­mal für den Ärm­sten der Armen ein Exodus mög­lich, bei dem er sich ein­fach nur mit sei­nen Füßen fort­be­wegt, sich von Feld­früch­ten ernährt und Schutz unter Bäu­men sucht. Ohne Ver­pfle­gung, ohne moto­ri­sier­te Trans­port­mit­tel und ohne Etap­pen­punk­te kann man die Flucht eines Tages­mar­sches zurück­le­gen, nicht aber die Ein­wan­de­rung von Asi­en oder Afri­ka nach Euro­pa bewerk­stel­li­gen. Nie­mand kann das.

Die viel­fach und offen­bar gern gezeig­ten Film­auf­nah­men von Men­schen, meist ohne Gepäck, zu Fuß unter­wegs oder hin­ter Grenz­zäu­nen, zei­gen nur sehr kur­ze und sehr spe­zi­fi­sche Momen­te der Wan­de­rungs­rou­te. Vor allem aber sind sie nicht reprä­sen­ta­tiv für die Migra­ti­on. Wenn die aus­ge­schick­ten Jour­na­li­sten und Kame­ra­teams kom­pe­ten­ter oder wenig ideo­lo­gi­siert wären, wür­den wir im Fern­se­hen auch Bil­der aus den Etap­pen­punk­ten zu sehen bekom­men, auch Bil­der von Hun­der­te und Tau­sen­den Kilo­me­tern, die per Flug­zeug, Eisen­bahn, Auto­bus oder PKW zurück­ge­legt wer­den, auch Bil­der von den beque­men Taxi-Fahr­ten von den Bahn­hö­fen zu den gezielt emp­foh­le­nen Grenz­über­gän­gen, und auch Bil­der von den flie­gen­den Märk­ten zur Ver­sor­gung der Migran­ten mit allem, was man so brau­chen kann. Sogar die Film­be­rich­te über den Exodus von der tür­ki­schen Küste auf die in Sicht­wei­te lie­gen­den grie­chi­schen Inseln wären plötz­lich weit weni­ger spek­ta­ku­lär, als es die meist unse­ri­ös dra­ma­ti­sier­ten Mel­dun­gen von „Flücht­lin­gen aus dem Mit­tel­meer geret­tet“ sug­ge­rie­ren sollen.

 „Migrationsdienstleister“ bleiben im Dunkeln

Die Berich­te der Fern­seh­an­stal­ten und Nach­rich­ten­agen­tu­ren wären viel­leicht doch ein biß­chen seriö­ser, wenn sie auch aus den Baza­ren der tür­ki­schen Städ­te berich­ten wür­den, wo an jeder Ecke „Migra­ti­ons­dienst­lei­ster“ mit Teil- und Kom­plett­pa­ke­ten ihre Dien­ste feil­bie­ten oder Boo­te aller Art und allem Drum und Dran ver­kauft wer­den; oder wenn sie auch Bil­der von der tür­ki­schen Poli­zei zei­gen wür­den, die kei­nen Fin­ger rührt, um den blü­hen­den Migra­ti­ons-Schwarz­markt zu unter­bin­den. Ihr Weg­schau­en ist so demon­stra­tiv, daß von einer ent­spre­chen­den Regie­rungs­an­wei­sung aus­zu­ge­hen ist. Über tür­kisch-alba­ni­sche Ver­bin­dun­gen wur­de jüng­ste ein neue, alte Rou­te wie­der­eröff­net. Über die Stra­ße von Otran­to gab es schon in den 1990er Jah­ren eine von der alba­ni­schen Kri­mi­na­li­tät gut orga­ni­sier­te ille­ga­le Ein­wan­de­rungs­rou­te nach Ita­li­en. Der See­weg beträgt an die­ser Stel­le gera­de ein­mal 70 Kilo­me­ter, die Adria ist der ruhig­ste Teil des Mit­tel­meers, so daß ganz­jäh­rig ohne beson­de­res Risi­ko über­ge­setzt wer­den kann.

Das ist der Stand der Din­ge, ob er nun von den „seriö­sen“ und steu­er­geld­be­zahl­ten Redak­tio­nen der öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk­an­stal­ten gezeigt oder unter­schla­gen wird. Die­ses Migra­ti­ons­phä­no­men ver­langt nicht Soli­da­ri­tät und „Will­kom­mens­kul­tur“. Die Soli­da­ri­tät muß viel­mehr dem Rech­nung tra­gen, daß hier Men­schen unge­be­ten anrücken, die ohne Zwei­fel per­sön­li­che Plä­ne und Bedürf­nis­se haben, die sich jedoch kei­nes­wegs mit den Plä­nen und Bedürf­nis­sen der euro­päi­schen Län­der decken müs­sen. Mehr noch ist zu berück­sich­ti­gen, daß es sich um Men­schen han­delt, die instru­men­ta­li­siert und miß­braucht werden.

Migranten mit falschen Informationen und Illusionen gefüttert

Die anrücken­den Migran­ten, nicht erst jene, die heu­te über die Gren­ze drücken, sind mit fal­schen Infor­ma­tio­nen und Illu­sio­nen gefüt­tert wor­den. Das galt auch schon für jene, die gestern und vor­ge­stern und vor einem hal­ben Jahr gekom­men sind, als sich die Bun­des­re­gie­run­gen in Ber­lin und Wien, die „gro­ßen“ Medi­en und die staats­a­li­men­tier­ten Kul­tur­schaf­fen­den in einen „Will­kom­men­s­tau­mel“ fasel­ten und jede kri­ti­sche Stim­me mit gespen­sti­schem Gleich­schritt äch­te­ten. Obwohl in Wien inzwi­schen ganz ande­re Töne zu hören sind und auch in Ber­lin ande­re Stim­men sich Gehör ver­schaf­fen, ist ein kri­ti­scher Jour­na­lis­mus dünn gesät. Die mei­nungs­bil­den­den Medi­en hän­gen am Rock­zip­fel der Regie­ren­den und betä­ti­gen sich als deren Sprach­rohr. Übri­gens, wo jemand mit fal­schen Infor­ma­tio­nen gefüt­tert wird, gibt es auch jeman­den der füttert.

Massenkommunikation spiegelt Wirklichkeit deformiert wider

In einer Welt, in der die Mas­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on die Wirk­lich­keit immer defor­mier­ter wider­spie­gelt, muß jede Initia­ti­ve, die in Sachen Migra­ti­on unter­nom­men wird, auch den den dadurch aus­ge­lö­sten Medi­en­ef­fekt mit all sei­nen Kon­se­quen­zen ein­kal­ku­lie­ren. Das ver­langt Ver­ant­wor­tungs­be­wußt­sein, bie­tet aber auch Chan­cen. So wie Hun­dert­tau­sen­de Migran­ten mit „Mer­kel, Merkel“-Rufen ille­gal in die EU ein­dran­gen, weil sie mit ent­spre­chen­den Infor­ma­tio­nen gefüt­tert wor­den waren, so kön­nen unter Ein­satz der Medi­en Gegen­maß­nah­men abschrecken­de Wir­kung entfalten.

Gestern setz­te die ehe­ma­li­ge kom­mu­ni­sti­sche Tages­zei­tung Ita­li­ens, die Unità  ein Bild auf die Titel­sei­te, das zwei Migran­ten­kin­der zeig­te, wie sie unter einem Maschen­draht­zaun durch­kro­chen, der von einem Erwach­se­nen hoch­ge­ho­ben wur­de. Ein berüh­ren­des Bild, obwohl es mit aller Wahr­schein­lich­keit gestellt ist. Der „pas­sen­de“ Titel dazu lau­te­te: „Las­sen wir sie her­ein“. Ein Lehr­bei­spiel der Instru­men­ta­li­sie­rung und der Mani­pu­la­ti­on, von denen sich im ver­gan­ge­nen Jahr Dut­zen­de in jeder deutsch­spra­chi­gen Tages­zei­tung bis hin­un­ter zu den Lokal­blät­tern fanden.

Ein sug­ge­sti­ves Bild und ein sug­ge­sti­ver Text sol­len alle berech­tig­ten Fra­gen zum The­ma vom Tisch fegen. Fra­gen wie: Ist eine schran­ken­lo­se Öff­nung unse­rer Gren­zen die beste Ant­wort für die­se Kin­der und ihre Ange­hö­ri­gen? Ist es die beste Lösung für Euro­pa? Und das ist erst den Anfang.

Falsche Botschaft: Einwanderung nach Europa als Allheilmittel für alle Probleme der Welt

Die fal­sche, welt­weit ver­brei­te­te Bot­schaft sol­cher Titel­sei­ten lau­tet: „Die Ein­wan­de­rung nach Euro­pa ist das All­heil­mit­tel für alle Pro­ble­me die­ser Welt.“ Ver­ant­wor­tungs­lo­ser könn­te eine Bot­schaft kaum sein. Damit wird eine Idee in Umlauf gesetzt, die jeder Ver­nunft spot­tet sowohl für Euro­pa als auch für jedes Land die­ser Welt, aus dem Migran­ten­strö­me aus­ge­hen, heu­te die­ses Land, mor­gen eben ein ande­res. Irgend­wel­che Län­der fin­den sich immer, denn immer herrscht irgend­wo Krieg, immer gibt es irgend­wo Natur­ka­ta­stro­phen und immer läuft irgend­wo die Wirt­schaft nicht so, wie es sollte.

Gefor­dert ist aber detail­lier­te Ursa­chen­for­schung und Hil­fe vor Ort. Dazu gehört die Chri­sten­ver­fol­gung im Nahen und Mitt­le­ren Osten und in Nord­afri­ka. Doch auf die­sem Ohr ist die „Will­kom­mens-EU“ auf­fal­lend schwer­hö­rig. So schwer­hö­rig, daß man dar­an zwei­fel könn­te, daß der euro­päi­sche Eini­gungs­ge­dan­ken nach dem Zwei­ten Welt­krieg von drei Katho­li­ken, Kon­rad Ade­nau­er, Robert Schu­man und Alci­de Degas­pe­ri, als christ­li­ches Frie­dens­werk gedacht war. So wur­de es bis­her auch gehal­ten, bis die euro­päi­schen Län­der zu weni­ge Kin­der hat­ten. Der Gedan­ken hat etwas für sich, wenn man annimmt, daß hin­ter der euro­päi­schen Kin­der­lo­sig­keit letzt­lich eben­so eine Steue­rung steckt, wie hin­ter dem Phä­no­men der ille­ga­len Migran­ten­flüs­se, die inter­es­san­ter­wei­se erst seit dem Zusam­men­bruch des kom­mu­ni­sti­schen Ost­blocks auf­tre­ten. Zuerst in Schü­ben, wäh­rend sie nun zu einem Dau­er­phä­no­men zu wer­den scheinen.

Wann setzt sich Schwarzafrika in Bewegung? Neues Schengen-Abkommen notwendig

Wel­che Ant­wor­ten man immer geben will, um das Phä­no­men kon­kret und sofort ein­zu­däm­men, die eigent­li­che Ant­wort muß lang­fri­stig sein. Die ver­langt zuoberst eine Lösung des Nah­ost-Pro­blems und eine Klä­rung des euro­pä­isch-tür­ki­schen Ver­hält­nis­ses, da es nicht sein kann, daß Euro­pa von der Tür­kei am Nasen­ring geführt wird und dafür auch noch Mil­li­ar­den­be­trä­ge bezahlt. Vor allem ist der näch­sten gigan­ti­schen Migra­ti­ons­wel­le vor­zu­beu­gen, die bereits heu­te abseh­bar ist, wenn sich in näch­ster Zukunft Schwarz­afri­ka in Bewe­gung setzt. Noch kann die­se Wel­le abge­wen­det wer­den. Sie wird aber sicher kom­men, wenn die bis­he­ri­ge von Ber­lin dik­tier­te Will­kom­mens­po­li­tik fort­ge­setzt wird. Das bedeu­tet auch, daß es ein neu­es Grenz­ab­kom­men braucht, das jenes von Schen­gen ersetzt, das unter Bedin­gun­gen unter­zeich­net wur­de, die mit der heu­ti­gen Situa­ti­on nichts mehr zu tun haben.

Text: Andre­as Becker
Bild: Wikicommons

Print Friendly, PDF & Email
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!