Vor 50 Jahren: Der „Holländische Katechismus“ und die Selbstzerstörung der Kirche


De Nieuwe Katechismus (Holländischer Katechismus" von 1966
De Nieuwe Katechismus (Holländischer Katechismus" von 1966

(Amster­dam) Vor 50 Jah­ren, am 1. März 1966, erhielt der soge­nann­te Hol­län­di­sche Kate­chis­mus (De Nieu­we Kate­chis­mus) das Impri­matur durch Kar­di­nal Ber­nard Alf­rink, dem dama­li­gen Erz­bi­schof von Utrecht. Der Kate­chis­mus war das revo­lu­tio­nä­re Mani­fest des katho­li­schen Pro­gres­sis­mus zur Selbst­zer­stö­rung der Kir­che. Er war nicht Fol­ge, son­dern Weg­be­rei­ter von Acht­und­sech­zig. Ver­bun­den ist er vor allem mit einem Namen, dem des Theo­lo­gen Edward Schil­le­be­eckx aus dem Domi­ni­ka­ner­or­den. Der Hol­län­di­sche Kate­chis­mus segel­te auf allen gei­sti­gen Wel­len sei­ner Zeit, vom Femi­nis­mus bis zur sexu­el­len Revo­lu­ti­on, und war mit reli­giö­ser Inbrunst vom End­sieg des Mar­xis­mus überzeugt. 

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Er wur­de in meh­re­re Spra­chen über­setzt, allein die im Her­der-Ver­lag erschie­ne­ne deut­sche Aus­ga­be erleb­te bis 1988 mehr als ein Dut­zend Auf­la­gen. Der Reli­gi­ons­so­zio­lo­ge Mas­si­mo Intro­vi­gne nennt im Zusam­men­hang mit dem Jahr 1968 und dem Ent­ste­hen eines orga­ni­sier­ten Wider­spruch in der katho­li­schen Kir­che drei Phä­no­me­ne: den Wider­stand gegen die Enzy­kli­ka Hum­a­nae vitae, den Hol­län­di­schen Kate­chis­mus und die mar­xi­sti­sche Befrei­ungs­theo­lo­gie. Zum Hol­län­di­schen Kate­chis­mus schreibt er:

Der Holländische Katechismus

Der Pro­test gegen Hum­a­nae vitae ist nicht die ein­zi­ge 68er-Erschei­nung in der Kir­che. Wenn in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka der Angriff gegen die Enzy­kli­ka von Paul VI. als Schlüs­sel­er­eig­nis für die Auf­leh­nung gegen die kirch­li­che Auto­ri­tät gese­hen wird, stand in Euro­pa der theo­lo­gi­sche Pro­test im Vor­der­grund, des­sen Sym­bol der Kon­flikt um den Hol­län­di­schen Kate­chis­mus von 1966 war. Ihm wur­den zwei­deu­ti­ge Aus­sa­gen zur Sün­de, zur Erlö­sung, zur Eucha­ri­stie, zur Jung­fräu­lich­keit Mari­ens, zur Rol­le der Kir­che, zum Papst, mit ande­ren Wor­ten, zu fast allen grund­le­gen­den Punk­ten des katho­li­schen Glau­bens vorgeworfen.

Die deutsche Ausgabe des "Holländischen Katechismus" bei Herder
Die deut­sche Aus­ga­be des „Hol­län­di­schen Kate­chis­mus“ bei Herder

Auch in die­sem Zusam­men­hang wur­de 1968 zum Schlüs­sel­jahr. 1968 schlug eine auf Wunsch von Paul VI. ad hoc gebil­de­te Kom­mis­si­on von Kar­di­nä­len im Gespräch mit den hol­län­di­schen Kar­di­nä­len und Bischö­fen eine Rei­he von Ergän­zun­gen und Ände­run­gen zum Hol­län­di­schen Kate­chis­mus vor. Sie tat das im übri­gen sehr höf­lich, indem sie den gut les­ba­ren und inno­va­ti­ven Stil der Kate­chis­mus-Tex­te lob­te und die guten Absich­ten der Autoren aner­kann­te, die – wie wir heu­te ohne Unter­stel­lung sagen kön­nen – wohl doch nicht gege­ben waren. Gegen die­se zurück­hal­ten­de Kri­tik wur­de den­noch und auf auf­se­hen­er­re­gen­de Wei­se von der Mehr­heit des katho­li­schen nie­der­län­di­schen Estab­lish­ments pro­te­stiert. An der Spit­ze der Auf­leh­nung stand der Erz­bi­schof von Utrecht, Kar­di­nal Ber­nard Jan Alf­rink (1900–1987), ein Spit­zen­ver­tre­ter des inter­na­tio­na­len katho­li­schen Pro­gres­sis­mus und Haupt­ver­tei­di­ger des umstrit­te­nen Hol­län­di­schen Kate­chis­mus. Man kann sagen, daß die Ableh­nung der römi­schen Kor­rek­tu­ren um so gif­ti­ger war, weil die­se Ange­le­gen­heit mit dem Wider­stand gegen Hum­a­nae vitae ver­knüpft wurde.

Niederländische „Unabhängigkeitserklärung“ von Rom

Tagung des Pastoralrats in Noordwijkerhout 1969
Tagung des Pasto­ral­rats in Noor­dwi­jker­hout 1969

Der Miß­er­folg der Gesprä­che wur­de Anfang Janu­ar 1969 mit der soge­nann­ten Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung von Noor­dwi­jker­hout offen­sicht­lich, einem Ort in Süd­hol­land nahe der Nord­see­kü­ste. Dort ver­sam­mel­ten sich 109 Mit­glie­der des nie­der­län­di­schen Pasto­ral­ra­tes, einem erst 1967 geschaf­fe­nen Gre­mi­um, dem Ver­tre­ter der Bischö­fe, der Prie­ster und der Gläu­bi­gen ange­hör­ten. Mit Zustim­mung der neu­en anwe­sen­den Bischö­fe, ein­schließ­lich Kar­di­nal Alf­rink, for­der­te die­ses „Pasto­ral-Kon­zil“ die nie­der­län­di­schen Gläu­bi­gen auf, die Leh­re von Hum­a­nae vitae abzulehnen.

Bei der­sel­ben Gele­gen­heit, dies­mal bei Stimm­ent­hal­tung der Bischö­fe, ergriff der Pasto­ral­rat Par­tei für den Hol­län­di­schen Kate­chis­mus und zwar unter Zurück­wei­sung der römi­schen Kor­rek­tur­vor­schlä­ge. Das nie­der­län­di­sche „Pasto­ral-Kon­zil“ ging noch wei­ter und for­der­te, daß die Kir­che „offen“ sein müs­se, für „neue radi­ka­le Ansät­ze“ zu Fra­gen der Moral.

Zu wel­chen „Fra­gen“ die Kir­che für „neue radi­ka­le“ Ansät­ze „offen“ sein soll­te, geht aus dem Schluß­do­ku­ment zwar nicht her­vor, dafür aber aus den Arbeits­grup­pen des Tref­fens: vor­ehe­li­cher Geschlechts­ver­kehr, Homo­se­xua­li­tät, Abschaf­fung des Prie­ster­zö­li­bats, Frau­en­prie­ster­tum, Ver­hü­tung, Abtrei­bung und Eutha­na­sie. Das war Anfang 1969, nicht etwa 1999 oder 2009.

Der kurze Weg vom Widerspruch zum „Parallellehramt“

Tagung des Pastoralrats in Noordwijkerhout 1969
Tagung des Pasto­ral­rats in Noor­dwi­jker­hout 1969

Ver­ein­zel­te Prie­ster, Theo­lo­gen und auch Bischö­fe hat­ten in der Ver­hü­tungs­fra­ge Wider­spruch ange­mel­det. In ihrer Ableh­nung von Hum­a­nae vitae in der Fra­ge der Pil­le schwan­gen sie sich im Hand­um­dre­hen zu einem „Par­al­lel­lehr­amt“ auf. Inner­halb von nur weni­gen Mona­ten war die­ser Wider­stand in der Ver­hü­tungs­fra­ge und das „Par­al­lel­lehr­amt“ auf alle Moral­fra­gen – und durch den Hol­län­di­schen Kate­chis­mus auch auf alle zen­tra­len Glau­bens­fra­gen – aus­ge­wei­tet wor­den. Par­al­lel dazu wur­de die Leh­re der Kir­che völ­lig ignoriert.

In der „Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung“ der hol­län­di­schen Theo­lo­gen vom römi­schen Lehr­amt ist bereits alles ent­hal­ten: alle pro­gres­si­ven For­de­run­gen bis zum heu­ti­gen Tag und daher auch die The­men, die in den Jahr­zehn­ten seit­her bestim­mend waren. Das ist Acht­und­sech­zig: Sobald postu­liert ist, daß jeder tun und sagen kann, was er will, über­nimmt die Phan­ta­sie die Kon­trol­le – auch in der Kirche.

Einbruch bei Protestanten seit 1900 – Wachstum bei Katholiken bis in die 60er Jahre

Kardinal Bernard Alfrink von Utrecht
Kar­di­nal Ber­nard Alf­rink von Utrecht

Die Fol­gen der hol­län­di­schen „Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung“ von Rom waren kata­stro­phal. 1966, im Jahr der Ver­öf­fent­li­chung des Hol­län­di­schen Kate­chis­mus, bekann­ten sich 40 Pro­zent der Nie­der­län­der zur katho­li­schen Kir­che. Heu­te sind es noch 24 Pro­zent. Als Cal­vi­ni­sten und Luthe­ra­ner bekann­ten sich 1900 noch fast 58 Pro­zent der Nie­der­län­der. Heu­te sind es nur mehr 16 Pro­zent. Die Ent­wick­lung ver­lief jedoch ganz unterschiedlich.

Wäh­rend die histo­ri­schen pro­te­stan­ti­schen Kir­chen das gan­ze 20. Jahr­hun­dert hin­durch einen kon­ti­nu­ier­li­chen Ein­bruch erleb­ten, wuchs die katho­li­sche Kir­che bis in die 60er Jah­re des vori­gen Jahr­hun­derts. Erst dann erfaß­te sie die­sel­be Ent­wick­lung wie bei den Pro­te­stan­ten. Das hat­te Grün­de. Der Wider­stand gegen Hum­a­nae vitae und der Hol­län­di­sche Kate­chis­mus, die in der „Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung“ mün­de­ten, atme­ten den­sel­ben pro­gres­si­ven, kir­chen­frem­den Geist, der sich unter den Pro­te­stan­ten bereits seit Beginn des Jahr­hun­derts aus­ge­brei­tet hat­te und mit dem Auf­stieg von Mar­xis­mus, Reform­so­zia­lis­mus und Natio­nal­so­zia­lis­mus einherging.

Edward Schillebeeckx wirkte maßgeblich am "Holländischen Katechismus" mit
Edward Schil­le­be­eckx wirk­te maß­geb­lich am „Hol­län­di­schen Kate­chis­mus“ mit

2004 schlos­sen sich die gemä­ßigt cal­vi­ni­sti­sche und ihre Ende des 19. Jahr­hun­derts erfolg­te stren­ger cal­vi­ni­sti­sche Abspal­tung sowie die evan­ge­lisch-luthe­ri­sche Kir­che zur Pro­te­stan­ti­schen Kir­che in den Nie­der­lan­den zusam­men. Ihr gehö­ren dadurch knapp zehn Pro­zent der Nie­der­län­der an. Ein­zeln wären die­se histo­ri­schen pro­te­stan­ti­schen Kir­chen zah­len­mä­ßig schon einem Jahr­zehnt vom Islam über­run­det wor­den, der sich durch die frei­zü­gi­ge Ein­wan­de­rungs­po­li­tik im raschen Wachs­tum befindet.

Mit katholischer Euthanasie-Forderung begann die Euthanasie der Kirche

Unter­des­sen wach­sen die pro­te­stan­ti­schen Grup­pen evan­ge­li­ka­ler Prä­gung, die in Moral­fra­gen völ­lig gegen­tei­li­ge Posi­tio­nen zur „Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung“ ver­tre­ten. Auch in der katho­li­schen Kir­che zeigt sich heu­te ein ande­res Bild als 1968. Kräf­te der Erneue­rung zei­gen sich in beschei­de­nem Aus­maß, aber sie sind vor­han­den. Was das kon­kret für die Zukunft bedeu­tet, läßt sich nicht sagen. Es könn­te auch zu spät sein. Mit dem Augen­blick, in dem 1966 die pro­gres­si­ven hol­län­di­schen Kir­chen­ver­tre­ter auch ein Umden­ken zur Eutha­na­sie for­der­ten, setz­te die Eutha­na­sie der Kir­che in Hol­land ein.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Amazon/​ZVAB/​Librariana/​Drimble (Screen­shots)

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