(Rom) Kardinal Joao Braz de Aviz, der Präfekt der römischen Ordenskongregation gewährte SIR, dem Pressedienst der Italienischen Bischofskonferenz, ein Interview. Dabei wurde ihm auch eine Frage zum Orden der Franziskaner der Immakulata gestellt, der seit August 2013 unter kommissarischer Kontrolle steht. Es ist das erste Mal, daß der Kardinal dazu Stellung nimmt. Wer sich Aufklärung erhofft, wird jedoch enttäuscht sein. Es handelt sich um ein Gefälligkeitsinterview. Dennoch lohnt sich ein zusammenfassender Überblick.
Der Kardinal hatte im Juli 2013 mit päpstlicher Zustimmung das Dekret unterzeichnet, mit dem der Ordensgründer und Generalobere, Pater Stefano Maria Manelli, sowie die gesamte Ordensleitung abgesetzt, ein Apostolischer Kommissar eingesetzt und der im Orden geltende überlieferte Ritus abgeschafft wurde.
Offiziell wurden bis heute keine Gründe für den drastischen Eingriff in den bis dahin blühenden Orden genannt. Der brasilianische Purpurträger hat nie öffentlich zur Frage Stellung genommen.
„Die Kunst des Sterbens lernen“ versus Ausnahmeerscheinung
Zur Lage des katholischen Ordenswesen sagte Braz de Aviz nun im Interview:
„In Europa und in den reichen Ländern begann sich die Überzeugung auszubreiten, daß die historischen Charismen an ihr Ende gelangt seien. An den Universitäten, besonders in Rom, hieß die Parole: ‚Die Kunst des Sterbens lernen‘. Es stimmt: viele Klöster schließen, die Berufungskrise hält an, die Überalterung der Ordensleute ist real.“
Durch das Jahr des geweihten Lebens (Advent 2014 bis Darstellung des Herrn 2016) habe sich aber die „Wahrnehmung, am Ende einer Geschichte angelangt zu sein, gewandelt. Jetzt gibt es Hoffnung, und das ist die schönste Frucht des Jahres. Wir dürfen uns nicht an die bereits erreichten Positionen klammern oder angesichts der enormen Schwierigkeiten den Weg verlieren“.
Der Orden der Franziskaner der Immakulata war eine Ausnahmeerscheinung. Ein junger, erst 1990 kanonisch errichteter Orden. Diese franziskanische Erneuerungsbewegung wollte als Antwort auf die Kirchenkrise nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil zur Strenge der ursprünglichen Ordensregel zurückkehren. Das Armutsgelübde war keine Floskel, sondern gelebtes Charisma. Der Orden war der Tradition und dem überlieferten Ritus verpflichtet. Im Gegensatz zur verbreiteten Berufungskrise war der Orden reich an Berufungen sowohl für den männlichen als auch für den weiblichen Zweig. Er konnte von anderen Orden aufgegebene Klöster wiederbeleben und die Betreuung von Marienwallfahrtsorten übernehmen.
Ab 2008 wurde die Liturgie im Orden in der überlieferten Form, in der Seelsorge hingegen in beiden Formen des Römischen Ritus zelebriert. Damit wurde der Orden von Bischöfen auch in der Pfarrseelsorge eingesetzt. Durch den Wechsel von einem neurituellen zu einem altrituellen Orden stellten die Franziskaner der Immakulata in der Katholischen Kirche eine vielversprechende Neuheit dar.
Das Trümmerfeld von Kommissar Volpi
Das hatte allerdings zur Folge, daß sie der Ordenskongregation von Kardinal Braz de Aviz und nicht der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei für die Gemeinschaften des überlieferten Ritus unterstanden. Was unter dem Wohlwollen von Papst Benedikt XVI. zu einem Modell für junge Ordensleute alter Orden zu werden schien, die sich in einer teils schweren Berufungskrise befinden, wurde unter Papst Franziskus nur wenige Monate nach dessen Amtsantritt zum Paria erklärt.
Der erste, inzwischen verstorbene Kommissar, der Kapuziner Fidenzio Volpi (August 2013–Juni 2015) hinterließ ein Trümmerfeld: aufgehobene Klöster, Abzug aus ganzen Diözesen, Aufgabe von Wallfahrtskirchen, Schließung des ordenseigenen Priesterseminars, disziplinarische Maßnahmen, Suspendierungen, Einschüchterung und Drohung, einschließlich der Verbreitung gerichtlich festgestellter Lügen über den Ordensgründer und die alte Ordensleitung, (wofür er zur Zahlung von 20.000 Euro verurteilt und die vom Kommissar vor Gericht gebrachte Frage zugunsten von Pater Manelli und der mit dem Orden verbundenen Laienorganisationen entschieden wurde).
Da Kardinal Braz de Aviz bisher nicht zum Thema Franziskaner der Immakulata Stellung nahm, erstaunt es nicht, daß es sich beim SIR-Interiew um ein Gefälligkeitsinterview handelt. Die einzige Frage zum geschundenen Orden will nur die jüngste Verleumdungskampagne gegen den weiblichen Zweig der Franziskanerinnen der Immakulata unterstützen, die am 4. November 2015 vom Corriere della Sera losgetreten wurde.
Das „andere“ Milieu und die innere Feindseligkeit
Im Juli 2013 war die Ordensleitung abgesetzt und der männliche Zweig unter kommissarische Verwaltung gestellt worden. Der weibliche Zweig hatte indirekt darunter zu leiden, da er für Seelsorge und Liturgie auf den männlichen Zweig angewiesen ist. Da die Ordensschwestern am überlieferten Ritus festhielten, den Ordensbrüdern dieser aber von der Ordenskongregation rechtswidrig untersagt und an eine Sondergenehmigung gekoppelt worden war, fehlte es nicht an Spannungen und seelischem Leiden.
Am 19. Mai 2014 ordnete Kardinal Braz de Aviz eine Visitation des weiblichen Zweiges an. Wie Kommissar Fidenzio Volpi, der Generalsekretär der italienischen Superiorenkonferenz, ein erklärter Gegner des überlieferten Ritus war, stammt auch die Apostolische Visitatorin, Sr. Fernanda Barbiero, aus einem Milieu, das jenem der Franziskanerinnen der Immakulata diametral entgegengesetzt ist. Bei der Ernennung von Visitatoren oder Kommissaren ist es üblich, Personen zu beauftragen, die eine gewisse Sensibilität für den zu visitierenden Orden haben, da es um Vertrauen und die Besserung eventueller Mängel geht, nicht um Gegensatz und Konfrontation. Doch weder bei Pater Volpi noch Schwester Barbiero, der Vertreterin einer „feministischen Theologie“, konnte von dieser Sensibilität eine Rede sein.
Als Sr. Barbiero nach einem Jahr ihren Visitationsbericht ablieferte, hatte sie dennoch nichts gefunden, was zu beanstanden gewesen wäre. Katholisches.info schrieb damals:
„Die gute Nachricht nach einem Jahr der Visitationen: gegen den jungen Frauenorden der Franziskanerinnen der Immakulata liegt nichts vor. Die schlechte Nachricht: er wird dennoch unter kommissarische Verwaltung gestellt.“
„Reichtümer des Konzils nicht ausreichend assimiliert“
Kardinal Braz de Aviz ernannte am 12. Oktober 2015 auch für die Franziskanerinnen der Immakulata eine Apostolische Kommissarin. Nach dem männlichen Zweig begann damit auch für den weiblichen Zweig die Umerziehung. Kardinal Braz de Aviz sprach mehrfach von „Normalisierung“. Im Gegensatz zum ersten Kommissarsdekret vom Juli 2013 wurde im neuen Kommissarsdekret ein Grund für den radikalen Vorgehen der Ordenskongregation angedeutet. Die Franziskanerinnen der Immakulata wurden unter kommissarische Verwaltung gestellt, weil sie die „Reichtümer des Konzils nicht ausreichend assimiliert“ hätten.
Damit bestätigte Kardinal Braz de Aviz mit mehr als zweijähriger Verspätung, was bereits 2013 vermutet, aber offiziell bestritten worden war (Kommissar Volpi bezichtigte inoffiziell den Orden „krypto-lefebvrianisch, jedenfalls traditionalistisch“ zu sein, Kurienerzbischof Carballo, der Sekretär der Ordenskongregation, behauptete – ebenso inoffiziell – einen „Mangel an Treue zum Konzil“). Der Eingriff richtet sich gegen die vom Orden gelebte Tradition und den überlieferten Ritus. Ein offenbar von manchen in der Kirche als „gefährlich“ empfundenes Modell sollte zerschlagen werden. Während die liberalen, neurituellen Orden wegen der Berufungskrise einem Siechtod entgegengehen, erlebte daneben ein strenger, traditionsverbundener und altritueller Orden eine Berufungsblüte. Das war für manche in der Kirche wie eine Faustschlag und daher unerträglich. Seit dem zweiten Kommissarsdekret steht auch fest, daß die Ordenskongregation aus ideologischer Abneigung gegen die Tradition handelt, jener „ideologischen Motivation“, die Papst Franziskus mehrfach ausgerechnet traditionellen Katholiken vorhielt.
Medienkampagne als Begleitmusik
Die Ernennung einer Kommissarin für die bisher noch einigermaßen verschont gebliebenen Franziskanerinnen der Immakulata löste neue Erregung im gläubigen Volk aus und rief die Eingriffe gegen den männlichen Zweig wieder in Erinnerung. Informierte Katholiken können die Verbissenheit bei der Verfolgung eines Ordens nicht verstehen, der alles erfüllte, was die Ordenskongregation eigentlich zur höchsten Freude veranlassen müßte. Wohl deswegen setzte als Begleitmusik Anfang November eine wie bestellt kommende Medienkampagne gegen die Franziskanerinnen der Immakulata ein mit Schauergeschichten über den weiblichen und den männlichen Zweig, wie sie aus vergleichbaren Kampagnen der 80er Jahre gegen das Opus Dei, der 90er Jahre gegen das Engelwerk, die Auerbacher Schulschwestern und andere katholische Gemeinschaften bekannt sind.
Die gewünschte SIR-Frage an Kardinal Braz de Aviz lautete:
SIR: Und der Fall der Franziskaner der Immakulata? Viele Menschen irritieren die Nachrichten über mit Blut geschlossene Pakte, Brandzeichen …
Kardinal Braz de Aviz: Wir arbeiten mit Hartnäckigkeit, weil die Fehlleitungen ernst sind. Das schreckliche Blutgelübde wurde von Papst Franziskus aufgehoben. Stefano Manelli ist entfernt worden. Die ökonomische Frage befindet sich in den Händen der italienischen Justiz. Die Ausbildung wurde den päpstlichen Universitäten und anerkannten Zentren übertragen. Es gibt drei Kommissare, die das Institut auf den Weg der Normalisierung führen. Das wird erst der Fall sein, wenn es Veränderungen gibt: nicht alle sind aber damit einverstanden. Wir vertrauen darauf, daß sich etwas rührt. Sicher ist, daß Stefano Manelli nicht mehr bleiben kann.
Die falschen Fragen
Im weiteren Interview spricht der Kardinal über die Lösung der Berufungs- und Ordenskrise und forderte dabei, was den missionarischen Auftrag betrifft, genau das, was die Franziskaner der Immakulata getan haben. Der Widerspruch scheint dem Kardinal dabei nicht aufzufallen. „Wir hätten viele Krisen in unseren Orden überwunden, wenn wir in die Mission gegangen wären. Wir haben es getan, aber nicht ausreichend“, so Braz de Aviz. Derselbe zwingt den Franziskanern der Immakulata eine „Normalisierung“ auf, die Unterordnung unter eine bestimmte Sicht des Zweiten Vatikanischen Konzils und den neuen Ritus, ohne sich die Frage zu stellen, ob die Ursachen für die Ordenskrise nicht vielleicht gerade in dieser „Normalisierung“ zu suchen sind. Von der Berufungskrise sind alte und jüngere Orden betroffen, nicht aber jene Orden, die die „Normalität“ überwinden und mit Strenge und Ernsthaftigkeit den Weg des gottgeweihten, monastischen und gemeinschaftlichen Lebens gehen. An der Spitze der Ordenskongregation will man sich derzeit offenbar die falschen Fragen stellen, was sich unweigerlich auf die Lösungsvorschläge auswirkt.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL/Chiesa e postconcilio