(Rom) Papst Franziskus setzte nach seiner Wahl die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion ganz oben auf sein persönliches Regierungsprogramm. Der revolutionäre Schritt sollte durch eine eigens einberufene Bischofssynode über die Familie durchgesetzt werden. Gewisse Widerstände wurden vorab in Rechnung gestellt, weshalb die Synode gleich im Doppelpack angekündigt und durchgeführt wurde. Doch schon vor Beginn der zweiten Synode im Oktober 2015 war deutlich geworden, daß die Mehrheit der Kardinäle und Bischöfe keineswegs auf einen solchen „Befreiungsschlag“ des Papstes gewartet hatte. Ein „Befreiungsschlag“, mit dem der „Schrei des Volkes“ erhört werden sollte, wie es Franziskus am 5. Oktober 2014 am Vorabend zum ersten Teil der Synode dramatisierend überzeichnete, und damit betretenes Schweigen bei den Kasperianern und kopfschüttelndes Staunen bei den anderen Kirchenvertretern hervorrief.
Papst eröffnete neben der lauten Synode eine stille zweite Front
Als Reaktion auf die Widerstände von Kardinälen wie Müller, Burke, Pell, Sarah, De Paolis und Caffarra machte das katholische Kirchenoberhaupt eine zweite, stille und daher kaum beachtete Front auf: die Reform der Ehenichtigkeitsverfahren. Wer interessiert sich schon für verfahrensrechtliche Fragen des Kirchenrechts. Ihr Verständnis entzieht sich fast der Gesamtheit des Gottesvolks und ermüdet selbst bereitwillige und aufmerksame Zeitgenossen.
„Die extreme Leichtigkeit der Prozesse war die von Papst Franziskus ausgeklügelte Lösung, um die wiederverheirateten Geschiedenen zur Kommunion zulassen zu können“, so der Vatikanist Sandro Magister. „Doch nicht alles funktioniert wie vorgesehen.“
Die Versuchsballons der beiden Papst-Vertrauten
Zwei Vertraute des Papstes, Pater Antonio Spadaro, der Chefredakteur der römischen Jesuitenzeitschrift Civilità Cattolica, und Bischof Marcello Semeraro von Albano und Sekretär des C9-Kardinalsrates, ließen – mit Blick auf die Schlußfolgerungen des Papstes zur Familiensynode – erste „Versuchsballons“ steigen. Damit sollten Reaktionen getestet werden. Sowohl Pater Spadaro als auch Bischof Semeraro ließen dabei erkennen, daß die Versuche, die wiederverheirateten Geschiedenen zur Kommunion zuzulassen, keineswegs aufgegeben wurden.
Im Jurisdiktionsbereich von Bischof Semeraro liegt die päpstliche Sommerresidenz. Jorge Mario Bergoglio kannte Semeraro bereits aus der Zeit, bevor der Papst wurde. Er berief ihn in den engsten Beraterkreis und ernannte ihn zum Mitglied des Redaktionskomitees für den Schlußbericht der Synode.
Synode brachte den „Übergang von der Moral des Gesetzes zur Moral der Person“
Ende 2015 veröffentlichte Semeraro ein kleines Buch mit dem Titel: „Die Familiensynode meiner Kirche erzählt“ (Il sinodo della famiglia raccontato alla mia Chiesa). Darin erklärt der Bischof, daß die grundlegende Neuigkeit der Synode „der Übergang von der Moral des Gesetzes zur Moral der Person“ gewesen sei. Gemeint ist der Übergang von einer objektiven zu einer subjektiven Moral, indem das persönliche Gewissen zur letztlich höchsten Instanz erhoben wird.
Zur Wiederzulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten schreibt er:
„Die Synode hat darauf verzichtet, dem Papst auf bloß theoretische und abstrakte Weise die spezifische Frage einer möglichen Zulassung der Getauften, die ehelich in der Situation von standesamtlich wiederverheirateten Geschiedenen leben, zu den Sakramenten der Buße und der Eucharistie, zu unterbreiten. Sie hat gefordert, sich an die Seite der Person zu stellen. Sie ist damit das Problem nicht etwa umgangen, sondern hat die Basis für eine Lösung gelegt, allein durch die Tatsache, daß sie die Frage nach der Anrechenbarkeit einer Tat eingefügt hat.“
Mit zwei Fußnoten, so Magister, führt Semeraro näher aus, worauf er hinauswill, bzw. was er von Papst Franziskus im noch ausständigen nachsynodalen Schreiben erwartet.
Das Innere Forum und ein Schreiben der Glaubenskongregation von 1973
In der ersten Fußnote sagt Semeraro, daß die Lösungen im „forum internum“, von denen der Synodenschlußbericht spricht, über die Entscheidung des individuellen Gewissens hinausgehen. Sie stellen „einen wirklichen Prozeß (forum) dar, der sich im sakramentalen Bereich (internum) abspielt, dem Sakrament der Versöhnung und der Buße, und der einen Gläubigen und einen beauftragten Vertreter der Kirche betrifft“.
In der zweiten Fußnote verweist der Bischof auf ein Schreiben der Glaubenskongregation an die Bischöfe vom 11. April 1973, um zu zeigen, daß bereits damals die Kirche zu einer besonderen Aufmerksamkeit gegenüber jenen ermutigte, die in einer irregulären Situation leben, und neben anderen angemessenen Mitteln auch zur Anwendung der „von der Kirche anerkannten Praxis im forum internum“ ermutigte.
Erst danach sei es durch Papst Johannes Paul II. zu Einschränkungen gekommen, als dieser von den in einer irregulären Situation lebenden Paaren als Voraussetzung für den Kommunionempfang ein Leben „in Enthaltsamkeit“ forderte.
Familiaris Consortio überwinden – Bruch statt Kontinuität mit Benedikt XVI.
Nun aber hofft Bischof Semeraro, daß man wieder zur vorherigen Praxis zurückkehre, indem man den Weg zu den sogenannten Lösungen im forum interum öffnet. Genau das habe, laut Semeraro, die Synode getan, indem sie die von Johannes Paul II. mit Familiaris Consortio eingeführten Einschränkungen verschwiegen hat und damit den Schlußbericht „offen“ ließ, „weil sie dem Papst eine neue Unterscheidung anvertrauen wollte“. Mit anderen Worten: Papst Franziskus solle die Zugangsbestimmungen für nicht in der sakramentalen Ehe lebende Paare neu definieren, jedenfalls anders definieren als Johannes Paul II., und konkret die Zulassung zur Kommunion ermöglichen.
Semeraro konstruiert einen Gegensatz zwischen einem Vorher und Nachher. Er versucht dem Vorschlag einerseits mehr Gewicht zu verleihen, indem er behauptet, daß damit nur eine ältere Praxis wiederbelebt werde und behauptet andererseits eine Verklärung der Nachkonzilszeit vor der implizit als „restaurativ“ abgewerteten Ära der Pontifikate von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Das wiederum impliziert einen Gegensatz zwischen Papst Franziskus und seinem Kirchenkurs und jenem seiner Vorgänger. Semeraros Argumentationslinie ist das genaue Gegenteil der vielfach betonten „Kontinuität“ zwischen Benedikt XVI. und Franziskus.
Was bereits für die Überlegungen von Pater Spadaro galt, gilt auch für das Büchlein von Bischof Semeraro. Da es sich um zwei der engsten Papstvertrauten handelt, ist anzunehmen, „daß es das Denken von Papst Franziskus widerspiegelt“, so Magister.
Glaubenskongregation wollte Unauflöslichkeit der Ehe gegen „liberale Entwicklungen“ verteidigen
Der angeblich bloße Rückgriff auf eine ältere Praxis, wie ihn Semeraro behauptet, sei aber nicht haltbar, so Magister. Die Scheidungsfrage sei damals erst konkreter geworden, während sie vorher nicht wirklich eine Rolle spielte. Aus diesem Grund findet sie auch in den Konzilsdokumenten keine Erwähnung. In dem von Semeraro angeführten Schreiben von 1973 findet sich kein ausdrücklicher Hinweis auf wiederverheiratete Geschiedene. Dort ist allgemein von Personen die Rede, die in einer irregulären Situation leben.
Joseph Kardinal Ratzinger ging als Präfekt der Glaubenskongregation in einem 1998 von eben dieser Kongregation herausgegebenen Buch ausführlich auf das Dokument von 1973 ein. Er schrieb, daß es der Zweck desselben war, „die Unauflöslichkeit der Ehe gegenüber bestimmten liberalen Entwicklungen zu schützen und zu verteidigen“. In der Tat wird diese Absicht bereits im Titel deutlich: „Schreiben über die Unauflöslichkeit der Ehe“. Daraus eine Aufweichung des Ehesakraments ableiten zu wollen, erscheint zumindest verwegen.
„Der Verweis auf die erprobte Praxis im forum internum war offen für unterschiedliche Interpretationen. In bestimmten Fällen erteilten die Beichtväter den wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen die Absolution und ließen sie zum Kommunionempfang zu. Umstritten war auch die Frage, wie jenen Gläubigen Gerechtigkeit widerfahren konnte, die nach ihrem Gewissen von der Nichtigkeit ihrer vorherigen Verbindung überzeugt waren, aber dies nicht durch konkrete Fakten beweisen konnten.“
Und weiter: „Diese und ähnliche Fragen verlangten nach einer Klärung.“
Ratzinger: Notwendige Klärung erfolgte durch Familiaris Consortio
Genau das geschah mit der Familiensynode von 1980 und dem darauf folgenden nachsynodalen Schreiben Familiaris Consortio von Johannes Paul II., aber auch durch den neuen Codex des Kirchenrechts von 1983.
Canon 1536, Paragraph 2 legte fest, daß auch die Erklärungen der Parteien einen ausreichenden Nichtigkeitsbeweis darstellen können, wenn auch im Zusammenhang mit anderen Elementen, die sie erhärten.
Kardinal Ratzinger bedauerte 1998, daß „die neuen kanonischen Bestimmungen“ in vielen Ländern noch nicht in die Praxis umgesetzt worden sei.
Papst Franziskus setzte im Sommer 2015 mit dem Motu proprio Mitis iudex Dominus Iesus zu einem regelrechten Schnitt in der Ehegerichtsbarkeit der Kirche an und erleichterte die Ehenichtigkeitsverfahren enorm. Ohne den Ausgang der zweiten Bischofssynode abzuwarten, lieferte er der Kirche eine „praktische Lösung“ in der Frage der wiederverheirateten Geschiedenen. Die neuen Bestimmungen tun bisher ungeahnte Wege für die Feststellung der Ehenichtigkeit auf, weshalb sie auch schon als „katholische Scheidung“ bezeichnet werden.
Canon 1536 wurde nun dahingehend erweitert, daß allein die Erklärungen der Ehegatten als Beweis genügen. „Nimmt man zu dieser Neuerung noch alle anderen Reformen des Eheprozesses hinzu, bleibt praktisch kein Fall mehr übrig“, der nicht durch ein Kirchengericht für nichtig erklärt werden könnte, so Magister. Letztlich, so der Vatikanist weiter, bräuchte es damit die Berufung auf das „forum internum“ gar nicht, auf das Spadaro, Semeraro „und alle Herolde der Kommunionzulassung für wiederverheiratete Geschiedene“ mit solchem Nachdruck verweisen.
Neue Schwierigkeiten und nicht enden wollende Mißverständnisse
Doch mit der neuen von Papst Franziskus erlassenen und von Msgr. Pio Vito Pinto, dem Dekan der Heiligen Rota Romana und Papst-Vertrauten in dieser Sache, entwickelten Prozeßordnung, zeichnen sich erhebliche neue Schwierigkeiten ab. „Es scheint keineswegs ausgereift“, so Magister. Eine Reihe von Kirchenrechtler wie Danilo Castellano und Guido Ferro Canale haben mehrere kritische Punkte „ad intra“ aufgezeigt. Doch auch „ad extra“ weisen die neuen kirchlichen Ehenichtigkeitsverfahren zahlreiche Schwachstellen auf, so Magister.
Welche Kommunikationsprobleme durch Aussagen und Gesten des amtierenden Kirchenoberhauptes auftreten, zeigte ein Vorfall in Bari, wo ein wiederverheirateter Geschiedener unter Berufung auf Papst Franziskus der festen Überzeugung war, er habe, ohne etwas an seiner Situation ändern zu wollen, Zugang zu den Sakramenten und ein „Recht“ auf Lossprechung im Beichtstuhl (siehe „Der Beichtvater ist kein Notar“ – Mißverständnisse rund um das Heilige Jahr der Barmherzigkeit).
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL