„Jesus ist sehr mitfühlend, aber immer ganz klar mit den Sündern“ – Kardinal Burke über Barmherzigkeit und falsches Mitleid


Kardinal Raymond Burke, Kardinalpatron des Souveränen Malteserordens
Kardinal Raymond Burke, Kardinalpatron des Souveränen Malteserordens

(Washing­ton) Kar­di­nal Ray­mond Bur­ke war bei der Bischofs­syn­ode 2014 einer der Wort­füh­rer der Ver­tei­di­gung des Ehe­sa­kra­ments gegen die Kas­pe­ria­ner. Kurz danach wur­de der renom­mier­te Kir­chen­recht­ler von Papst Fran­zis­kus als Prä­fekt des Ober­sten Gerichts­hofs der Apo­sto­li­schen Signa­tur abge­setzt und damit von der Teil­nah­me an der Bischofs­syn­ode 2015 aus­ge­schlos­sen. The Wan­de­rer sprach mit dem nun­meh­ri­gen Kar­di­nal­pa­tron des Sou­ve­rä­nen Mal­te­ser­or­dens über die Lage der Kir­che. Das hier in Aus­zü­gen wie­der­ge­ge­be­ne Gespräch wur­de am 4. Janu­ar veröffentlicht.

Der Schlußbericht der Bischofssynode vom vergangenen Oktober

Anzei­ge

„Es ist ein kom­ple­xes Doku­ment und so geschrie­ben, daß es nicht immer leicht ist, den genau­en Inhalt des­sen zu ver­ste­hen, was gesagt wird. Zum Bei­spiel sind die drei Para­gra­phen (Nr. 84–86) wenig klar […]. Des­halb habe ich einen Kom­men­tar zu die­sen Para­gra­phen ver­faßt, um klar­zu­le­gen, was die Kir­che wirk­lich lehrt.“

Und wei­ter: „Wir sind uns bewußt, daß sich die Zei­ten ändern, und daß wir vor neu­en Ent­wick­lun­gen ste­hen, doch wir wer­den uns auch bewußt, daß die Sub­stanz der Din­ge die­sel­be bleibt. Es gibt eine Wahr­heit, an der wir die Ver­än­de­run­gen, denen wir in der Zeit begeg­nen, zu mes­sen haben. Das wird im Schluß­be­richt der Syn­ode nicht klar.“ Dabei bestrei­tet der Kar­di­nal nicht, daß es auch posi­ti­ve Aspek­te der Syn­ode gibt, so zum Bei­spiel der Nach­druck, mit dem auf die Not­wen­dig­keit einer guten Ehe­vor­be­rei­tung ver­wie­sen wird.

Doku­men­te wie Fami­lia­ris Con­sor­tio und Hum­a­nae Vitae sei­en „in den Pfar­rei­en gründ­lich zu stu­die­ren“. Die Kul­tur, so der Kar­di­nal, „wider­spricht völ­lig der in die­sen bei­den Doku­men­ten ent­hal­te­nen Leh­re“ und „vie­le Gläu­bi­gen haben kei­nen aus­rei­chen­den Reli­gi­ons­un­ter­richt erhal­ten“. Das Zuhau­se, so der Kar­di­nal, sei „der erste und vor­ran­gi­ge Ort der Evan­ge­li­sie­rung zu Ehe und Fami­lie. Wir müs­sen jenen hel­fen, die sich anstren­gen, die Wahr­heit der Ehe zu leben, damit sie aus­har­ren und stär­ker werden“.

Die Syn­oden­vä­ter haben den Para­gra­phen 84 von Fami­lia­ris Con­sor­tio nur ver­kürzt zitiert und genau den für die eigent­li­che Fra­ge zen­tra­len Satz aus­ge­las­sen, daß wie­der­ver­hei­ra­te­te Geschie­de­ne nicht zur Kom­mu­ni­on zuge­las­sen sind. Der Schluß­be­richt der Syn­ode sei daher in die­sem Punkt auf schwer­wie­gen­de Wei­se „irre­füh­rend“. Er ver­mitt­le den Ein­druck, die Leh­re von Fami­lia­ris Con­sor­tio zu ver­tre­ten, tue in Wirk­lich­keit aber gewis­ser­ma­ßen das Gegen­teil davon. Das unvoll­stän­di­ge Zitat sei, so Kar­di­nal Bur­ke, „von Indi­vi­du­en wie Pater Spa­da­ro und ande­ren gebraucht wor­den, um zu sagen, die Kir­che habe ihre dies­be­züg­li­che Leh­re geän­dert, was aber nicht stimmt“. Laut dem Kar­di­nal hät­te die gesam­te Leh­re von Fami­lia­ris Con­sor­tio in den Schluß­be­richt auf­ge­nom­men wer­den müs­sen, „doch ich habe wäh­rend mei­ner Teil­nah­me an der Syn­ode von 2014 fest­ge­stellt, daß es so war, als hät­te Papst Johan­nes Paul II. nie existiert.“

Das Gewissen als Letztinstanz in ethisch sensiblen Fragen

Das Gewis­sen ist „die Stim­me Got­tes, die vom ersten Augen­blick der Zeu­gung zu unse­rem Her­zen spricht über das, was rich­tig und was falsch ist, was gut und was böse ist, das was mit sei­nem Plan für die Welt über­ein­stimmt und dem, was dies nicht tut.“ Das mensch­li­che Gewis­sen sei aber „gemäß der Wahr­heit zu for­men. Das Gewis­sen ist nicht eine Art sub­jek­ti­ve Macht“, die in zwei Indi­vi­du­en ent­ge­gen­ge­setz­te Ent­schei­dun­gen emp­feh­le. Das Gewis­sen ist „etwas, das uns eint, weil unse­re Gewis­sen, wenn sie nach der Wahr­heit geformt sind, uns das­sel­be sagen.“ Das Gewis­sen sei kei­nes­wegs eine per­sön­li­che Ange­le­gen­heit. Der seli­ge John Hen­ry New­man, den Kar­di­nal Bur­ke zitiert, sag­te, daß der Herr unser Gewis­sen durch den Glau­ben und die Ver­nunft unter­weist und mit­tels sei­ner sicht­ba­ren Ver­tre­ter auf Erden (die Päp­ste und die Bischö­fe in Gemein­schaft mit ihm, das heißt, mit dem Lehr­amt). „Wir müs­sen nach unse­rem Gewis­sen han­deln, das aber nur ein unfehl­ba­rer Füh­rer für uns sein kann, wenn es aus der Ver­nunft und der Wahr­heit unse­res Glau­bens gebil­det ist, die unter­ein­an­der immer übereinstimmen.“

Der „Kontext“, in dem die Wahrheit zu leben sei

„Wir müs­sen Chri­stus nach­fol­gen, um den Wil­len des Vaters in jedem Bereich unse­res Lebens zu tun. Man kann die mora­li­schen Wahr­hei­ten nicht auf der Grund­la­ge des Kon­tex­tes beur­tei­len.“ Und wei­ter: „Die­se Art zu den­ken, sagt zum Bei­spiel, auch wenn es immer falsch ist, abzu­trei­ben, könn­te es aber, wenn jemand in einer Situa­ti­on unter gro­ßem Druck steht, unter jenen beson­de­ren Umstän­den zuläs­sig sein. Das ist ein­fach falsch. Wir sind geru­fen, unse­ren katho­li­schen Glau­ben hel­den­haft zu leben. Auch die schwäch­ste Per­son bekommt die Gna­de Chri­sti, um die Wahr­heit in der Lie­be zu leben […], die objek­ti­ve Moral der Hand­lung wird auf kei­ne Wei­se durch den geleb­ten Kon­text ver­än­dert. Die objek­ti­ve Wahr­heit ruft den ‚geleb­ten Kon­text‘ zu einer radi­ka­len Umwandlung.

Die Dezentralisierung der Kirchenleitung

Die Dezen­tra­li­sie­rung der Kir­chen­lei­tung sieht Kar­di­nal Bur­ke als „rea­le Gefahr“. Dezen­tra­li­sie­rung sei „kein ange­mes­se­ner Begriff, um über die Kir­che zu spre­chen. Was es braucht, ist die Rück­kehr zum Evan­ge­li­um und zur Kir­che, wie Chri­stus sie gegrün­det hat. Sofort am Beginn sei­nes öffent­li­chen Wir­kens berief er die Zwölf. Er berei­te­te sie vor, sei­ne pasto­ra­le Lei­tung der Kir­che zu allen Zei­ten und an jedem Ort aus­zu­üben. Um die­ser Ver­ant­wor­tung zu ent­spre­chen, stell­te Chri­stus den Petrus an die Spit­ze des Apo­stel­kol­le­gi­ums, als Prin­zip der Ein­heit zwi­schen allen Bischö­fen und zwi­schen allen Gläu­bi­gen. […] Das ist die von Gott gewähr­te Gabe, das ist das Gött­li­che Gesetz in der Kir­che: Es ist der apo­sto­li­sche Dienst des römi­schen Pap­stes und der Bischö­fe in Ein­heit mit ihm. Sie haben Ver­ant­wor­tung zu lei­ten. Die Bischofs­kon­fe­renz ist ein künst­li­ches Kon­strukt, um bei der Koor­di­na­ti­on der pasto­ra­len Akti­vi­tä­ten zu hel­fen und um die Gemein­schaft unter den Bischö­fen zu för­dern. Weder hat der Herr etwas Dies­be­züg­li­ches gelehrt noch fin­det sich dazu etwas in der Tra­di­ti­on der Kir­che, daß die Bischofs­kon­fe­ren­zen Auto­ri­tät hät­ten, Ent­schei­dun­gen zur pasto­ra­len Pra­xis zu tref­fen, die eine Ände­rung der kirch­li­chen Leh­re zur Fol­ge hät­te. Den­ken wir dar­an: Jede pasto­ra­le Pra­xis ist an eine dok­tri­nel­le Wahr­heit gebun­den. Pater Anto­nio Spa­da­ro sagt in sei­nem Arti­kel, daß die pasto­ra­le Pra­xis in Deutsch­land eine radi­kal ande­re sein könn­te als in Gui­nea. Wie kann das sein, wenn man sich auf die­sel­be Leh­re und die­sel­be Wahr­heit Chri­sti beruft? Die­se gan­ze Vor­stel­lung fin­de ich sehr besorg­nis­er­re­gend. Die Diö­ze­san­bi­schö­fe sind die Leh­rer des Glau­bens in ihrer Diö­ze­se. Die Bischö­fe, und um so mehr der römi­sche Papst, haben sich an die höhe­re Gehor­sams­pflicht gegen­über Chri­stus und die leben­di­ge Tra­di­ti­on zu hal­ten, mit der Chri­stus zu uns in Sei­ne Kir­che kommt. […] Nach mei­ner Erfah­rung mit den Bischofs­kon­fe­ren­zen kann ich sagen, daß sie sehr nütz­lich sein, aber auch eine sehr schäd­li­che Wir­kung haben kön­nen, in dem Sinn, daß der ein­zel­ne Bischof sei­ne Ver­ant­wor­tung den Glau­ben zu ver­kün­den und in Über­ein­stim­mung mit die­ser Leh­re zu regie­ren, nicht mehr so ernst nimmt, wie er es sollte.“

Als Bei­spiel nennt der Kar­di­nal, daß „die pasto­ra­le Pra­xis für jene, die in irre­gu­lä­ren ehe­li­chen Ver­bin­dun­gen leben, nicht nach dem Ermes­sen der Bischofs­kon­fe­renz oder des ein­zel­nen Diö­ze­san­bi­schofs lie­gen kann, denn dann wür­den wir als eine ande­re pro­te­stan­ti­sche Deno­mi­na­ti­on enden. Wir sind eine Kir­che auf der gan­zen Welt: die eine, hei­li­ge, katho­li­sche und apo­sto­li­sche Kir­che. Die­se vier Zei­chen müs­sen in den Zei­ten, in denen wir leben, beson­ders deut­lich unter­stri­chen werden.“

Die Motuproprien zu den Ehenichtigkeitsverfahren

„Der Groß­teil der Anträ­ge auf Ehe­nich­tig­keit ist sehr kom­plex […] Eine Rei­he von Bischö­fen haben mir ehr­lich gesagt: ‚Ich bin nicht bereit, die Ehe­nich­tig­keits­fäl­le zu ent­schei­den.‘ […] Ich den­ke, daß die­se gan­ze Reform der Ehe­nich­tig­keits­ver­fah­ren einer drin­gen­den Revi­si­on bedarf, vor allem was eini­ge der beson­ders kri­ti­schen Fra­gen betrifft […] Wir haben die Situa­ti­on, daß ein Ehe­nich­tig­keits­an­trag defi­ni­tiv von einem ein­zi­gen Mann ent­schie­den wer­den kann, ohne jede ver­pflich­ten­de Über­prü­fung sei­nes Urteils. Das ist nicht rich­tig. Das ist kein seriö­ser Pro­zeß, um über eine Fra­ge zu urtei­len, die die Fun­da­men­te des Lebens, der Gesell­schaft und der Kir­che betrifft!“

Die Barmherzigkeit und das falsche Mitleid

„Die Barm­her­zig­keit Got­tes ist eine Ant­wort auf die Reue und den festen Vor­satz der Bes­se­rung. Der ver­lo­re­ne Sohn ist zu sei­nem Vater zurück­ge­kehrt, nach­dem er das, was er getan hat­te, bereu­te. Er sag­te zu sei­nem Vater, daß er nicht mehr wür­dig sei, sein Sohn zu sein und bat, als Knecht akzep­tiert zu wer­den. Er hat­te erkannt, was er getan hat und bereu­te. Die Barm­her­zig­keit des Vaters war eine Ant­wort dar­auf. Er sah, daß sein Sohn eine Umkehr des Her­zens erlebt hatte.
Genau­so umar­men wir, wenn Men­schen, die in einer schwer sünd­haf­ten Situa­ti­on leben und zur Kir­che kom­men, mit Lie­be. Wir haben immer Lie­be für die Sün­der, dabei müs­sen wir aber sehen, daß die Per­son die Sün­de ein­sieht und sie über­win­den will, daß sie bereut und den Scha­den, den die Sün­de ver­ur­sacht hat, behe­ben will. Wenn dem nicht so ist, wird die Barm­her­zig­keit gering­ge­schätzt und ist sinn­los. Ich befürch­te, daß die Leu­te sagen: „Barm­her­zig­keit, Erbar­men, Barm­her­zig­keit“ ohne zu ver­ste­hen. Ja, Gott ist der Gott der Barm­her­zig­keit. Die Barm­her­zig­keit ist jedoch ein sehr wich­ti­ges Kon­zept. Sie hat mit unse­rer Bezie­hung mit Gott zu tun, mit unse­rer Aner­ken­nung der unend­li­chen Güte Got­tes, unse­rer Sün­de und unse­rer Not­wen­dig­keit zu beich­ten und zu bereu­en. [Jesus] ist sehr mit­füh­lend, er ist aber immer sehr klar gegen­über den Sün­dern. Er hat gesagt […] nicht mehr zu sündigen.“

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: FQ

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Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

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