Großstadtlegenden: Die „Barmherzigkeit“ der glücklichen 70er Jahre


Papst Franziskus mit Ehepaaren
Papst Franziskus mit Ehepaaren

von San­dro Magister

Anzei­ge

Es gibt ein Schrei­ben der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on aus dem fer­nen Jahr 1973, das heu­te wie­der auf­ge­grif­fen wird, um zu bewei­sen, daß damals bereits die „pro­ba­ta Eccle­siae pra­xis in foro inter­no“ bestand, den wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen die Zulas­sung zur Kom­mu­ni­on zu erlau­ben. Daher gehe es heu­te nur dar­um, jene glück­li­che pasto­ra­le Pra­xis, die lei­der durch den „Starr­sinn“ von Johan­nes Paul II. und von Bene­dikt XVI. unter­bro­chen wur­de, wiederzubeleben.

Autor der Wie­der­ent­deckung ist der Bischof von Alba­no, Mar­cel­lo Semer­a­ro, der Papst Jor­ge Mario Berg­o­glio sehr nahesteht.

Ein Schreiben von 1973 und seine neue Auslegung

Doch der „Ver­suchs­bal­lon“, den Semer­a­ro mit Blick auf die erwar­te­te Ver­öf­fent­li­chung der Schluß­fol­ge­run­gen, die Papst Fran­zis­kus aus der Fami­li­en­syn­ode zie­hen wird, stei­gen ließ, wur­de kei­nes­wegs von der star­ken Schar unwi­der­spro­chen hin­ge­nom­men, die gegen die Kom­mu­ni­on für die wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen sind.

Ihrer Mei­nung nach bedeu­tet das Schrei­ben von 1973 kei­nes­wegs eine Geneh­mi­gung für eine „barm­her­zi­ge“ Pra­xis durch die kirch­li­che Hier­ar­chie für jene, die immer­hin gegen das Sech­ste und Neun­te Gebot ver­sto­ßen haben, die den Ehe­bruch verbieten.

Viel­mehr, war zu lesen, wur­de das Schrei­ben ver­faßt und an alle Bischö­fe der Welt ver­schickt, um den „lehr­mä­ßi­gen oder pasto­ra­len Begrün­dun­gen“ ent­ge­gen­zu­tre­ten, die „hie und da als Argu­ment dafür ange­führt (wer­den), Ver­stö­ße gegen die Dis­zi­plin zu recht­fer­ti­gen, die bezüg­lich der Zulas­sung zu den Sakra­men­ten jener gilt, die in irre­gu­lä­ren Ver­bin­dun­gen leben.“

In Wirk­lich­keit war die Sache ziem­lich kom­pli­ziert. In jenen frü­hen 70er Jah­ren war in den Län­dern der Welt, in denen die Schei­dung in die Zivil­ge­setz­ge­bung ein­ge­führt wur­de, die Fra­ge drän­gend gewor­den, wie mit den kirch­lich ver­hei­ra­te­ten Katho­li­ken umzu­ge­hen sei, die sich dann schei­den lie­ßen und stan­des­amt­lich erneut gehei­ra­tet haben. In der pasto­ra­len Pra­xis herrsch­te Unsi­cher­heit und eini­ge Beicht­vä­ter erteil­ten die Los­spre­chung und lie­ßen eini­ge der „Irre­gu­lä­ren“ zur Kom­mu­ni­on zu, beson­ders dann, wenn der Büßer von der Nich­tig­keit sei­ner kirch­li­chen Ehe über­zeugt war, auch wenn kein kano­ni­sches Urteil die­se Nich­tig­keit bestätigte.

„Probata Ecclesiae praxis“ im Kontext der überlieferten Moraltheologie

Das sehr kur­ze und nicht all­zu kla­re Schrei­ben von 1973 besei­tig­te die­se ver­brei­te­te Unsi­cher­heit mit­nich­ten. Des­halb folg­te auf sie, zwei Jah­re spä­ter, eine Präzisierung.

Der Antrag um Klä­rung kam aus den Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka, und die Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on ant­wor­te­te mit einem Schrei­ben ihres Sekre­tärs, des Domi­ni­ka­ner­theo­lo­gen und Kuri­en­erz­bi­schofs Jean Jero­me Hamer, das an den dama­li­gen Erz­bi­schof von Cin­cin­na­ti und Vor­sit­zen­den der Ame­ri­ka­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz, Joseph Lou­is Ber­nar­din, adres­siert war.

Die­ses zwei­te Schrei­ben vom 21. März 1975 fin­det sich ver­öf­fent­licht als Lit­te­ra cir­ca par­te­ci­pa­tio­nem in „Leges Eccle­siae“, Band VI, Nr. 4657, Sei­te 7605. Es füg­te eini­ge Klar­stel­lun­gen zur Anwen­dung der „pro­ba­ta Eccle­siae pra­xis in foro inter­no“ auf die „Irre­gu­lä­ren“ hinzu.

„Die­ser Satz [pro­ba­ta Eccle­siae pra­xis] muß im Kon­text der über­lie­fer­ten Moral­theo­lo­gie ver­stan­den wer­den. Die­sen Paa­ren [von Katho­li­ken, die in irre­gu­lä­ren ehe­li­chen Ver­bin­dun­gen leben] kann unter zwei Bedin­gun­gen erlaubt wer­den, die Sakra­men­te zu emp­fan­gen: daß sie ver­su­chen, nach den Ansprü­chen der christ­li­chen Moral­grund­sät­ze zu leben und daß sie die Sakra­men­te in Kir­chen emp­fan­gen, in denen sie nicht bekannt sind, so daß sie kein Ärger­nis erregen.“

Verdeutlichung durch Johannes Paul II. in Familiaris Consortio

Jeder erkennt, daß die­sel­ben Bedin­gun­gen von Fami­lia­ris Con­sor­tio von 1981 des „Rigo­ri­sten“ Johan­nes Paul II. in Erin­ne­rung geru­fen wer­den, mit dem ein­zi­gen Unter­schied, daß die For­mu­lie­rung für jene, die kirch­lich nicht ver­hei­ra­tet sind, „nach den Ansprü­chen der christ­li­chen Moral­grund­sät­ze“ von Papst Karol Woj­ty­la noch mit „sich ver­pflich­ten, völ­lig ent­halt­sam zu leben“ ver­deut­licht wurde.

Es stimmt, daß auch danach die Hir­ten mit der Fra­ge kon­fron­tiert waren, wie mit jenen Wie­der­ver­hei­ra­te­ten umzu­ge­hen sei, die von der Nich­tig­keit ihrer kirch­li­chen Ehe über­zeugt waren, denen aber der Weg zu einem kirch­li­chen Urteil ver­schlos­sen war, das dies beglau­bi­gen würde.

Joseph Ratz­in­ger bestä­tig­te mehr­fach als Kar­di­nal und als Papst, daß die­ser Fall „wei­te­rer Unter­su­chun­gen und Klä­run­gen“ bedürfe.

Papst Franziskus und die garantierte Ehenichtigkeitserklärung

Doch die­ser Fall ist inzwi­schen prak­tisch nicht mehr gege­ben, seit Papst Fran­zis­kus den Zugang zur Ehe­nich­tig­keits­er­klä­rung der­ma­ßen erleich­tert hat, daß ein Rück­griff auf das forum inter­num über­flüs­sig wurde.

Mit den neu­en Ehe­nich­tig­keits­ver­fah­ren kann jemand, der nach sei­nem Gewis­sen von der Nich­tig­keit sei­ner Ehe über­zeugt ist, auch sicher sein, daß die­se Nich­tig­keit kir­chen­recht­lich bestä­tigt wird. In die­sem Fall gibt es kei­nen Bedarf mehr für das forum inter­num.

Die Fak­ten spre­chen eine kla­re Spra­che. Noch bevor die Syn­ode zu Ende war und unab­hän­gig von der syn­oda­len Dis­kus­si­on hat­te Papst Fran­zis­kus die „vexa­tio quae­stio“ der Kom­mu­ni­on für die wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen bereits auf sei­ne Art und Wei­se gelöst: mit sei­ner Revo­lu­ti­on der Ehenichtigkeitsverfahren.

Immer vor­aus­ge­setzt, daß die­se Revo­lu­ti­on durch­geht, ange­sichts der Pro­ble­me, die ihre Umset­zung auf­wirft (sie­he Papst Fran­zis­kus und die „geschei­ter­ten Ehen“ – Neu­re­ge­lung kün­digt Cha­os an).

Übersetzung/​Zwischentitel: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Par­roc­chia San Miche­le Caval­l­as­ca (Screen­shot)

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