Erhalten auch „Traditionalisten“ Funktion und Bedeutung im Pontifikat von Franziskus?


Erhalten "Traditionalisten" plötzlich Funktion und Bedeutung im Pontifikat von Papst Franziskus?
Erhalten "Traditionalisten" plötzlich Funktion und Bedeutung im Pontifikat von Papst Franziskus?

(Rom) Papst Fran­zis­kus äußer­te bald nach sei­ner Wahl Kri­tik an den Tra­di­tio­na­li­sten unter den Gläu­bi­gen, oder was er jeden­falls dafür hält. Er warf ihnen vor, Pela­gia­ner zu sein und mein­te damit, sie sei­en ideo­lo­gisch moti­viert. Das katho­li­sche Kir­chen­ober­haupt ließ erken­nen, daß sie ihm des­halb unsym­pa­thisch sei­en und er auch in der Pfle­ge des über­lie­fer­ten Ritus vor allem den ideo­lo­gi­schen Aus­fluß einer oppo­si­tio­nel­len Hal­tung sehe.

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In tra­di­ti­ons­ver­bun­de­nen Krei­sen wur­de auf die fal­schen Prä­mis­sen hin­ge­wie­sen, die die­ser per­sön­li­chen Mei­nung des Pap­stes zugrun­de lie­gen, die in der Kir­che ein Kli­ma  schafft. Wenn ein Papst öffent­lich erklärt, eine bestimm­te Rich­tung rund­weg nicht zu mögen, dann hat das Aus­wir­kun­gen, weil sich man­che Kir­chen­ver­tre­ter beei­len, sich sei­ner Hal­tung anzu­schlie­ßen und Tra­di­tio­na­li­sten ableh­nen. Eine Ableh­nung, die in Tei­len der Kir­che seit den 70er Jah­ren ver­brei­tet ist und schon vor Papst Fran­zis­kus aus­ge­prägt war, aller­dings unter Bene­dikt XVI. auf­zu­bre­chen begann.

Der Groll nach der gescheiterten Bischofssynode

Seit der fast geschei­ter­ten Bischofs­syn­ode im Herbst 2015, die nicht so ver­lau­fen ist, wie Kar­di­nal Wal­ter Kas­per es erhofft und Papst Fran­zis­kus es gewollt hat­te, herrscht in der päpst­li­chen Entou­ra­ge ein tief­sit­zen­der Groll gegen jene, die die „Revo­lu­ti­on Fran­zis­kus“ behindern.

Als der Brief der drei­zehn Kar­di­nä­le bekannt wur­de, gaben die Medi­en­ver­tre­ter im Umfeld des Pap­stes die Paro­le aus, „die Kon­ser­va­ti­ven“ stel­len sich gegen den Papst. „Kon­ser­va­tiv“ ist seit den Stu­den­ten­pro­te­sten von 1968 ein nega­tiv besetz­tes Wort, das reflex­ar­tig ein gan­zes, links­ste­hen­des Spek­trum in Front­stel­lung gegen jene bringt, denen die­ser Stem­pel auf­ge­drückt wur­de. „Tra­di­tio­na­list“ stellt in der Kir­che noch eine nega­ti­ve Stei­ge­rungs­form zu „kon­ser­va­tiv“ dar.

Wie Euge­nio Scal­fa­ri in sei­ner Kolum­ne vom ver­gan­ge­nen Sonn­tag schrieb, unter­liegt auch Papst Fran­zis­kus dem Zwang, Mehr­hei­ten um sich zu scha­ren. Das sind zwar kei­ne par­la­men­ta­ri­schen Mehr­hei­ten, außer bei Bischofs­syn­oden, wo es Abstim­mungs­me­cha­nis­men gibt. Der Papst braucht aber zumin­dest aus­rei­chend Unter­stüt­zung in der Kir­che, um nicht das eige­ne Pon­ti­fi­kat zu gefährden.

Nachjustierung: Vom Feindbild „Konservative“ zum Feindbild „Traditionalisten“

Mit etwas zeit­li­cher Distanz zur vor­erst etwas miß­glück­ten Syn­oda­li­sie­rung der Kir­che ist man im enge­ren päpst­li­chen Hof­staat offen­bar zum Schluß gelangt, daß es lang­fri­stig wenig nütz­lich sei, so ein­fluß­rei­che Kar­di­nä­le wie die drei­zehn Unter­zeich­ner, dar­un­ter die Kar­di­nä­le Mül­ler, Sarah, Pell als geg­ne­ri­sche Grup­pe zu benen­nen und mit dem Fin­ger auf sie als Grup­pe zu zei­gen. Man lau­fe damit selbst Gefahr, sie erst zu einer orga­ni­sier­ten Oppo­si­ti­on zu machen.

Die Angrif­fe gegen die „Kon­ser­va­ti­ven“ sind daher etwas in den Hin­ter­grund getre­ten. Dafür wur­de eine neue Grup­pe als Wider­sa­cher gegen Papst Fran­zis­kus aus­fin­dig gemacht, von denen man meint, sie unge­hemm­ter angrei­fen zu kön­nen: die „Tra­di­tio­na­li­sten“.

Fra­gen nach Über­schnei­dun­gen oder genau­en Unter­schei­dungs­li­ni­en spie­len dabei kei­ne Rol­le. Es geht in erster Linie um einen Kampf­be­griff, um die Benen­nung eines „orga­ni­sier­ten“ Geg­ners, wie der Vati­ka­nist des Pap­stes, Andrea Tor­ni­el­li, vor weni­gen Tagen in einem Inter­view mit der argen­ti­ni­schen Tages­zei­tung La Naci­on sag­te. Das hat Vor­tei­le. Einen sol­chen Geg­ner kann man öffent­lich für aller­lei ver­ant­wort­lich machen, man kann sich an ihm rei­ben und abar­bei­ten und vor allem man kann die eige­nen Rei­hen schlie­ßen. Mehr noch: man lie­fert eine Eti­ket­tie­rung, die mit hoher Wahr­schein­lich­keit eine reflex­ar­ti­ge Über­nah­me durch die Medi­en sichert. Die Poli­tik lie­fert dafür viel­fäl­ti­ges Anschauungsmaterial.

Andrea Tornielli als Stichwortgeber

Andrea Tor­ni­el­li, der per­sön­li­che Medi­en­be­ra­ter des Pap­stes, gab am 17. Janu­ar die Paro­le von einer „orga­ni­sier­ten Bewe­gung“, einer inner­kirch­li­chen Oppo­si­ti­on gegen Papst Fran­zis­kus aus. Im Zusam­men­hang mit der Ver­öf­fent­li­chung des Dekrets, mit dem Fran­zis­kus das Ritu­al der Fuß­wa­schung am Grün­don­ners­tag änder­te, schrieb am 21. Janu­ar eine ande­re Papst-Ver­trau­te, die argen­ti­ni­sche Jour­na­li­stin und Rom-Kor­re­spon­den­tin Eli­sa­bet­ta Piqué in der Tages­zei­tung La Naci­on:

„Mit einem Schritt, der mit Sicher­heit in den tra­di­tio­na­li­sti­schen Berei­chen der katho­li­schen Kir­che schlecht auf­ge­nom­men wird, beschloß Fran­zis­kus offi­zi­ell den Fuß­wa­schungs­ri­tus zu ändern…“

Am 25. Janu­ar schrieb die inter­na­tio­na­le Pres­se­agen­tur Agence France Pres­se (AFP) über die unge­wöhn­li­che Teil­nah­me von Papst Fran­zis­kus an einer mit dem Luthe­ri­schen Welt­bund aus­ge­rich­te­ten 500-Jahr­fei­er von Mar­tin Luthers „Refor­ma­ti­on“, eigent­lich einer 499-Jahr­fei­er, im schwe­di­schen Lund:

„Die­ser Besuch wird die tra­di­tio­na­li­sti­schen katho­li­schen Krei­se reizen…“

Fast wort­gleich berich­te­te Reu­ters, die ein­fluß­reich­ste inter­na­tio­na­le Pres­se­agen­tur über den Schwe­den-Besuch des Pap­stes und das schon im Titel:

„Der Papst wird an einer katho­lisch-luthe­ri­schen Zere­mo­nie teil­neh­men und ris­kiert den Zorn der Traditionalisten“.

Die Reu­ters-Mel­dung beginnt sofort mit den „Tra­di­tio­na­li­sten“:

„Den Zorn der katho­li­schen Tra­di­tio­na­li­sten ris­kie­rend wird Papst Franziskus…“

Reu­ters hat inzwi­schen die Mel­dung durch eine aktua­li­sier­te Fas­sung ersetzt. Sie kann aber über ande­re Medi­en, die sie über­nom­men haben, wie El Peri­ód­ico, nach­ge­le­sen werden.

Andrea Tor­ni­el­li behaup­te­te im La Naci­on-Inter­view, daß es in der katho­li­schen Kirche

„eine orga­ni­sier­te Bewe­gung gibt, die alle Medi­en nützt, ein­schließ­lich Inter­net, um Zwie­tracht und Kri­tik am Papst zu verbreiten“.

Der Wirk­lich­keit näher kommt aber wohl viel­mehr eine ande­re Fest­stel­lung. Eine Front­stel­lung zwi­schen Papst Fran­zis­kus und tra­di­ti­ons­ver­bun­de­nen Krei­sen muß nicht erst geschaf­fen wer­den. Papst Fran­zis­kus sorg­te vom ersten Augen­blick sei­nes Auf­tritts auf der Mit­tel­log­gia des Peters­doms durch sei­ne Gesten, Wor­te und Ent­schei­dun­gen aus­rei­chend dafür. Er war es auch, der die­sen Gegen­satz bereits im Juni 2013 postulierte.

Versuch einer Instrumentalisierung

Was es also gibt, ist viel­mehr ein orga­ni­sier­ter Ver­such, „die Tra­di­tio­na­li­sten“ über die Mas­sen­me­di­en zum Feind­bild zu machen. Sie sol­len instru­men­ta­li­siert wer­den, und die Initia­ti­ve dazu geht vom direk­ten Umfeld des Pap­stes aus.

Tra­di­tio­na­li­sten gel­ten in der Kir­che als rand­stän­di­ge Grup­pe. Die Bezeich­nung „Tra­di­tio­na­list“ gilt selbst from­men, gemein­hin als „kon­ser­va­tiv“ bezeich­ne­ten Katho­li­ken als schlim­me­res Schimpf­wort als „Moder­nist“. Der Wider­spruch gegen päpst­li­che Ent­schei­dun­gen soll offen­bar als rand­stän­dig dar­ge­stellt wer­den. Das soll dabei hel­fen, die eige­nen Rei­hen zu schlie­ßen und eine Soli­da­ri­sie­rung, selbst bei inhalt­li­cher Über­ein­stim­mung, mit der Gegen­sei­te ver­hin­dern. Papst-Kri­ti­ker lau­fen Gefahr, sich auto­ma­tisch des „Tra­di­tio­na­lis­mus“ ver­däch­tig zu machen. Die Beto­nung der „Tra­di­tio­na­li­sten“ hat also die Funk­ti­on einer sozia­len Äch­tung mit dem Ziel, die Oppo­si­ti­on gegen Papst Fran­zis­kus zu schwächen.

Soweit jeden­falls der von Tor­ni­el­li ange­sto­ße­ne und erste Krei­se zie­hen­de Ver­such. Es ist nahe­lie­gend, zu den­ken, daß Tor­ni­el­li sei­ne Akti­on mit Papst Fran­zis­kus abge­spro­chen hat. Ob die Rech­nung aller­dings auf­geht, läßt sich der­zeit noch nicht sagen und ist kei­nes­wegs gewiß.

Die Akti­on bedeu­tet nicht, daß Papst Fran­zis­kus die Absicht hat, gegen tra­di­ti­ons­ver­bun­de­ne Grup­pen oder Gemein­schaf­ten vor­zu­ge­hen. Die ihm, laut eige­nem Bekun­den,  wenig sym­pa­thi­schen „Tra­di­tio­na­li­sten“ haben viel­mehr plötz­lich Funk­ti­on und Bedeu­tung für die­ses Pon­ti­fi­kat erlangt, wenn auch auf eine uner­war­te­te Art und Weise.

Text. Giu­sep­pe Nardi
Bild: Wikicommons

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