Papst Franziskus und die „gescheiterten Ehen“ – Neuregelung kündigt Chaos an


Papst Franziskus mit den Richtern der Heiligen Rota Romana
Papst Franziskus mit den Richtern der Heiligen Rota Romana

(Rom) Der 8. Dezem­ber 2015 kann als inten­si­ver Tag bezeich­net wer­den. Es wur­de nicht nur das Hoch­fest Mariä Unbe­fleck­te Emp­fäng­nis began­gen, mit der Öff­nung der Hei­li­gen Pfor­te das Jubel­jahr der Barm­her­zig­keit begon­nen und mit umstrit­te­nen Licht-Pro­jek­tio­nen auf Fas­sa­de und Kup­pel des Peters­doms zur Unter­stüt­zung der UNO-Welt­kli­ma­kon­fe­renz in Paris die Öko-Enzy­kli­ka Lau­da­to si von Papst Fran­zis­kus ins Bild gesetzt. An die­sem Tag tra­ten auch die Bestim­mun­gen in Kraft, mit denen Papst Fran­zis­kus die Ehe­nich­tig­keits­ver­fah­ren der katho­li­schen Kir­che revo­lu­tio­niert hat. Eine „Revo­lu­ti­on“, die Fra­gen nach der Absicht auf­wirft und die von Juri­sten hef­tig kri­ti­siert wird.

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Die neu­en Nor­men sind im Motu Pro­prio Mitis iudex Domi­nus Iesus (Der mil­de Rich­ter Herr Jesus) über die Reform des kano­ni­schen Ver­fah­rens für Ehe­nich­tig­keits­er­klä­run­gen im Codex des Kano­ni­schen Rech­tes ent­hal­ten, das Papst Fran­zis­kus am ver­gan­ge­nen 15. August unter­zeich­net hat­te. Mit einem zwei­ten Motu Pro­prio, Mitis et miser­i­cors Iesus, refor­mier­te der Papst gleich­zei­tig auch die Ehe­nich­tig­keits­ver­fah­ren in den mit Rom unier­ten Ostkirchen.

Der Histo­ri­ker und katho­li­sche Intel­lek­tu­el­le, Rober­to de Mat­tei, sprach bereits zwei Tage nach Bekannt­ga­be der Neu­re­ge­lung davon, daß der christ­li­chen Ehe eine „Wun­de“, zuge­fügt wurde.

Revolution bereits dreimal korrigiert – aber nicht verbessert

Seit­her reißt die Kri­tik füh­ren­der Kir­chen­recht­ler an den Maß­nah­men des Pap­stes nicht ab. Kri­ti­siert wer­den die Reform selbst, aber auch die Kor­rek­tu­ren, die die vati­ka­ni­schen Stel­len vor und inzwi­schen auch schon nach Inkraft­tre­ten der Motu­pro­prien vor­zu­neh­men versuchten.

Die erste Kor­rek­tur erfolg­te bereits am 13. Okto­ber und trägt die Unter­schrif­ten des Vor­sit­zen­den des Päpst­li­chen Rates für die Geset­zes­tex­te, Kar­di­nal Fran­ces­co Coc­co­pal­me­rio, und des Sekre­tärs die­ser Insti­tu­ti­on, Kuri­en­bi­schof Juan Igna­cio Arrie­ta. Da Coc­co­pal­me­rio auch Mit­glied der vom Papst am 27. August 2014 ein­ge­setz­ten Kom­mis­si­on zur Vor­be­rei­tung der Reform der Ehe­nich­tig­keits­ver­fah­ren war, durf­te ange­nom­men wer­den, daß sei­ne Kor­rek­tu­ren ver­bind­li­chen Cha­rak­ter hat­ten. Ein Irr­tum, wie sich her­aus­stel­len sollte.

Der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster erläu­tert das Durch­ein­an­der anhand eines kon­kre­ten Bei­spiels. Nach Ver­öf­fent­li­chung des Motu Pro­pro Mitis Iudex erging an den Päpst­li­chen Rat für die Geset­zes­tex­te die Anfra­ge, wie das neue Motu pro­prio mit dem Motu Pro­prio Qua cura von Papst Pius XI. vom 8. Dezem­ber 1938 in Ein­klang zu brin­gen sei. Letz­te­res führ­te für Ita­li­en auf der Ebe­ne der vom Kir­chen­recht vor­ge­se­he­nen Kir­chen­re­gio­nen inter­diö­ze­sa­ne Kir­chen­ge­rich­te ein. Die Gren­zen die­ser Kir­chen­re­gio­nen ent­spre­chen noch heu­te der dama­li­gen Ver­wal­tungs­ein­tei­lung Ita­li­ens. „Die­se Regio­nal­ge­rich­te zeich­ne­ten sich durch einen leich­ten Zugang und fak­ti­sche Kosten­lo­sig­keit aus, da der Groß­teil der Kosten von der Bischofs­kon­fe­renz getra­gen wur­de“, so Magi­ster. Damit erfüll­te die bis­he­ri­ge Rege­lung letzt­lich bereits, was Papst Fran­zis­kus als Ziel sei­ner Reform erklärt hat­te. Sein Motu pro­prio sieht jedoch vor, daß jede Diö­ze­se ihr eige­nes Gericht errich­ten kön­ne, daher die Anfra­ge an die zustän­di­ge vati­ka­ni­sche Stel­le. Der Päpst­li­che Rat für die Geset­zes­tex­te ant­wor­te­te, daß das Motu Pro­prio Qua cura wei­ter­hin in vol­lem Umfang in Gel­tung blei­be. Will sich ein Bischof vom inter­diö­ze­sa­nen Kir­chen­ge­richt tren­nen, müß­te er beim Ober­sten Gerichts­hof der Apo­sto­li­schen Signa­tur eine Dis­pens einholen.

Reskript ex audientia vom 7. Dezember

Papst Franziskus mit Msgr. Pinto, dem Dekan der Rota Romana
Papst Fran­zis­kus mit Msgr. Pin­to, dem Dekan der Rota Romana

Bereits am 4. Novem­ber folg­te durch eine ande­re vati­ka­ni­sche Insti­tu­ti­on eine ganz ande­re Aus­le­gung, die­ses Mal sogar mit Zustim­mung des Pap­stes. Bei der Eröff­nung des Aka­de­mi­schen Jah­res des Stu­dio Rot­a­le gab der Dekan der Hei­li­gen Rota Roma­na, Msgr. Pio Vito Pin­to, der auch Vor­sit­zen­der der erwähn­ten Vor­be­rei­tungs­kom­mis­si­on für die Reform der Ehe­nich­tig­keits­ver­fah­ren war, im Auf­trag von Papst Fra­nis­kus eine „authen­ti­sche Inter­pre­ta­ti­on“ der Motu­pro­prien. Qua cura fand kei­ne Erwäh­nung, dafür aber der Hin­weis, daß jeder Bischof „kraft die­sem päpst­li­chen Gesetz“ per­sön­lich die „Funk­ti­on des Rich­ters aus­üben und sein Diö­ze­san­ge­richt errich­ten kann“. Also braucht es kei­ne Dis­pens durch die Apo­sto­li­sche Signatur.

Der Dekan der Rota Roma­na beton­te zwar, daß sei­ne Erklä­run­gen im Namen des Pap­stes „Klar­heit“ schaf­fen sol­len, doch dem war dann doch nicht so. Am 7. Dezem­ber, am Tag vor Inkraft­tre­ten der neu­en Nor­men, griff Papst Fran­zis­kus noch ein­mal per­sön­lich und direkt ein. Er über­reich­te dem Dekan der Rota ein Reskript ex audi­en­tia, das am 11. Dezem­ber ver­öf­fent­licht wurde.

Der erste Teil ist nur weni­ge Zei­len lang und hebt das Motu Pro­prio Qua cura von Pius XI. und ver­gleich­ba­re älte­re Bestim­mun­gen auf.

Papst verlangt: „Im Zweifel für die neue Ehe“

Im zwei­ten Teil ver­bie­tet der Papst einen Rekurs, also Ein­spruch bei der Rota Roma­na, „nach­dem ein Teil eine neue kano­ni­sche Ehe geschlos­sen hat, außer die Unge­rech­tig­keit der Ent­schei­dung ist offensichtlich“.

Eine päpst­li­che Ent­schei­dung, die den Kir­chen­recht­ler Gui­do Fer­ro Cana­le zu einer schar­fen Kri­tik her­aus­for­der­te. Ziel der päpst­li­chen Reform ist die schnel­le Ehe­nich­tig­keits­er­klä­rung. Das sei offen­kun­dig durch die Abschaf­fung des dop­pel­ten Urteils und wer­de durch das Ver­bot unter­stri­chen, bei der Rota Roma­na Ein­spruch ein­zu­le­gen. Die päpst­li­che Kop­pe­lung im Reskript mit einer bereits geschlos­se­nen neu­en Ehe wer­de in Pra­xis dazu füh­ren, daß im Zwei­fel zugun­sten der neu­en Ehe ent­schie­den wird. Das aber „bedeu­tet die Leug­nung der Unauf­lös­lich­keit der ersten Ehe“, so Fer­ro Cana­le, da selbst einem zwei­fel­haf­ten Urteil durch die Schlie­ßung einer zwei­ten Ehe, die Wir­kung zuer­kannt wird, das Ehe­band gelöst zu haben.

Kritik am Papst: „Gescheiterte Ehe“ und „nichtige Ehe“ meinen nicht dasselbe

Obwohl die neu­en Bestim­mun­gen bereits am 15. August ver­öf­fent­licht wur­den, ver­deut­li­che erst das Reskript die Absich­ten von Papst Fran­zis­kus, so Magi­ster. Das Schlüs­sel­wort, das von Fran­zis­kus gebraucht wird, lau­tet „geschei­ter­te Ehe“, Der Papst spricht von „ver­wun­de­ten Fami­li­en“, denen die Kir­che nahe sein wol­le, und vom „Dra­ma der geschei­ter­ten Ehe“, die durch das Hei­lungs­werk Chri­sti erreicht wer­den sol­le. Die kirch­li­chen Struk­tu­ren sol­len „sich als neue Mis­sio­na­re der Barm­her­zig­keit Got­tes gegen­über ande­ren Brü­dern zum Wohl der Insti­tu­ti­on Fami­lie ent­decken“. Der Begriff „geschei­ter­te Ehe“, vom Papst schon in Mitis Iudex gebraucht, wur­de von Juri­sten bereits im Zusam­men­hang mit die­sem Motu pro­prio kritisiert.

„Geschei­ter­te Ehe“ mei­ne etwas ganz ande­res als „nich­ti­ge Ehe“. Die Nich­tig­keit ist ein for­ma­ler Aspekt und besagt, daß eine bestimm­te Ehe in Wirk­lich­keit nie eine sol­che war. Eine geschei­ter­te Ehe ist ein meri­to­ri­scher Aspekt und kann sich auch auf eine gül­ti­ge Ehe bezie­hen, im kon­kre­ten Fall sind damit fak­tisch sogar groß­teils gül­tig geschlos­se­ne Ehen gemeint.

Der neue Begriff, den Papst Fran­zis­kus ohne nähe­re Erläu­te­rung ein­ge­führt hat, legt eine Gleich­set­zung der Ehe­nich­tig­keit mit der Schei­dung nahe. Das spricht für eine revo­lu­tio­nä­re Absicht des Pap­stes, die Kri­ti­ker dem Kir­chen­ober­haupt im Zusam­men­hang mit sei­ner Neu­re­ge­lung der Ehe­nich­tig­keits­ver­fah­ren vor­wer­fen. Es fällt die schein­ba­re Sorg­lo­sig­keit des Pap­stes im Umgang mit Wor­ten auf. Schein­bar, weil es schwer­fällt, anzu­neh­men, daß die renom­mier­ten Kir­chen­recht­ler in der Vor­be­rei­tungs­kom­mis­si­on, dar­un­ter Kar­di­nal Coc­co­pal­me­rio und Dekan Pin­to, nicht auf den gra­vie­ren­den Bedeu­tungs­un­ter­schied hin­ge­wie­sen haben. Die Wort­wahl erstaunt um so mehr, da der Papst in Mitis Iudex an einer bestimm­ten Stel­le selbst Beden­ken zu äußern scheint:

„Es ist Uns aller­dings nicht ent­gan­gen, wie sehr ein abge­kürz­tes Ver­fah­ren das Prin­zip der Unauf­lös­lich­keit der Ehe gefähr­den könnte; […].“

Kirchliche Neuregelung wird in den Staaten ganz unterschiedliche zivilrechtliche Folgen haben

Juri­sten war­nen zudem davor, daß die neu­en Ehe­nich­tig­keits­ver­fah­ren nach Fran­zis­kus, nicht nur im kirch­li­chen, son­dern auch im welt­li­chen Bereich ern­ste Schwie­rig­kei­ten nach sich zie­hen könnten.

In Kon­kor­dats­län­dern wie Ita­li­en hat eine Ehe­nich­tig­keits­er­klä­rung durch ein Kir­chen­ge­richt auch zivil­recht­li­che Fol­gen. Durch ein Exe­qua­tur kann ein zivi­les Gericht die Voll­streck­bar­keit als Schei­dung erklä­ren. Vor­aus­set­zung für ein Exe­qua­tur ist, daß das Urteil des Kir­chen­ge­richts – oder eines aus­län­di­schen Gerichts – nach einem ordent­li­chen Ver­fah­ren zustan­de­kam, in dem alle betei­lig­ten Sei­ten die glei­chen Mög­lich­kei­ten hat­ten, ihre Posi­ti­on zu ver­tre­ten. „Es fällt nicht schwer, den Kon­trast zu erah­nen, der auf­grund der unter­schied­li­chen Rechts­ord­nun­gen zwi­schen Ita­li­en und der Kir­che ent­ste­hen wird. Ita­li­en ist dabei nur ein Bei­spiel unter vie­len“, so Magister.

„Durch die Erwäh­lung jedes Bischofs zum Gna­den­öko­nom in sei­ner Diö­ze­se, mit den Voll­mach­ten, „geschei­ter­te“ Ehen auf­zu­lö­sen, hat Papst Fran­zis­kus einen Prä­ze­denz­fall geschaf­fen, der ern­ste Aus­wir­kun­gen auch extra eccle­si­am haben wird mit juri­sti­schen Gegen­schlä­gen, die von Staat zu Staat ver­schie­den sein wer­den.“, so Magister.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Cri­stia­ne­si­mo Cattolico/​MiL (Screen­shot)

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